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Popkultur

Die musikalische DNA von Cat Stevens

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Es gab eine Zeit, da war Steven Demetre Georgiou einer der größten Stars der britischen Folk-Szene und dennoch hätte niemand etwas mit diesem Namen anfangen können. Cat Stevens klingt schließlich viel griffiger! Es sollte jedoch nicht der erste Namenswechsel in der Karriere des Sohns eines griechisch-zypriotischen Vaters und einer schwedischen Mutter bleiben. 1977 konvertierte er zum Islam und nahm im Folgejahr den Namen Yusuf Islam an, bevor er sein Pseudonym 2006 schlicht auf Yusuf verkürzte.

Allein schon an den vielen Namenswechseln lässt sich ablesen, dass der Sänger dieser ruhigen, sanften Songs eine turbulente Karriere hinter sich hat. Sie begann mit Problemen an der Schule, führte ihn als Künstler zuerst durch die Pub-Szene Londons und schließlich auf die großen Bühnen dieser Welt. Mit seiner Annäherung an die Religion des Islams jedoch folgte ein Knick in seinem Werk und das nicht nur dank des neuen Namens – weltliche Pop-Musik und Religion, wie ging das zusammen? Gar nicht, so schien es. Zwischen 1978 und 2006 klafft ein großes Loch in seiner Diskografie als Solo-Künstler.


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Dass Yusuf sich damals von der Pop-Welt abwandte, hatte auch, aber nicht ausschließlich mit seinem Glauben zu tun, wie er beteuerte. Er war desillusioniert von der Musikindustrie, fühlte sich ausgebrannt und uninspiriert. Erst in den neunziger Jahren fing er langsam, wieder von sich als Musiker Hören zu machen und konzentrierte sich dabei auf religiös inspirierte Musik. Sein Glauben bedeutete für ihn ab Ende der siebziger Jahre die vielleicht größte Triebfeder in seinem Schaffen als Künstler. Doch welche Musik hat ihn eigentlich inspiriert? Das erfahren wir mit Blick auf die musikalische DNA von Steven Demetre Georgiou alias Cat Stevens alias Yusuf Islam alias Yusuf.

1. The Beatles – Please Please me

Am 21. Juli 1948 wurde Steven Demetre Georgiou in Marylebone, London geboren. Obwohl sein Vater griechisch-orthodoxen Glaubens und seine Mutter eine Baptistin war, ging es für den jungen Knirps bald auf eine römisch-katholische Schule. Hat er eigentlich irgendeine Religion nicht durchgespielt? Wie dem auch sei: Schon bald fing der Junge an, sich für Musik zu interessieren und klimperte stundenlang auf dem Klavier herum. Einen Lehrer konnte er partout nicht auftreiben, weshalb er sich die ersten musikalischen Schritte selbst beibrachte.

Als 1963 die Beatles mit der Single Please Please Me und dem gleichnamigen Album ihren Durchbruch feierten, ging das nicht spurlos am damals 15-jährigen vorüber. Statt den Familienflügel zu beackern, wollte er nunmehr Gitarre lernen und konnte seinen Vater dazu überreden, ihm für £8 – fast 150€ nach heutiger Rechnung – eine Gitarre zu kaufen. Ein großer Schritt vorwärts für ihn als Musiker, einer zurück für ihn als soziales Wesen. Aus Steven wurde ein Eigenbrötler und Träumer, der lieber nachmittags nach der Schule an eigenen Songs feilte und nachts vom Dach aus in den Sternenhimmel starrte, statt sich mit seinen Altersgenoss*innen rumzutreiben.

2. Little Richard – Baby Face

„Natürlich waren die Beatles der größte Einfluss zu dieser Zeit“, erinnerte sich Yusuf 2017 in einem seiner seltenen Fernseh-Interviews. „Doch vor den Beatles gab es Little Richard. Das war meine erste Single – Baby Face! Merkwürdiger Kram, aber auf der anderen Seite fand sich Tutti Frutti, was schon eher nach Little Richard klingt.“ Besonders gefallen hat ihm, was der exzentrische Rock-Singer in seiner Musik mit seiner Stimme anstellte. Es kratzte, kreischte, jubilierte aus der Musikbox!

Neben der musikalischen Inspiration, die Richard Wayne Penniman dem jungen Steven lieferte, gibt es da noch eine interessante biografische Parallele: Auch Little Richard hing 1957 – sein Fan war gerade einmal neun Jahre alt – die Musik an den Nagel, um sich seinem Glauben zu widmen. Wie Yusuf jedoch kehrte er nach einigen religiös inspirierten Gospel-Aufnahmen bald wieder zur säkularen Musik, dem Rock’n’Roll, zurück.

3. Lead Belly – Kansas City Papa

Little Richard gilt heute als Pionier des Rock’n‘Roll. Doch in der segregierten Gesellschaft der USA wurde damals noch nach Hautfarbe unterschieden – und das auch im Radio. Als Rhythm’n‘Blues wurde der Rock-Sound der schwarzen Musiker dieser Ära bezeichnet, Rock’n‘Roll war für weiße Stars wie Elvis Presley reserviert. Dabei geht diese wie jene Musik doch eindeutig auf den Blues zurück, eine Erfindung schwarzer Musiker*innen! Auch Steven ging auf seiner Suche nach Musik, die seine Seele ansprach, an die Wurzeln des Rock-Sounds.

Er fand unter anderem die Musik von Lead Belly, der in seiner Musik traditionellen Folk und den Blues-Sound von Louisiana kombinierte. Besonders zeichnete er sich durch seine zwölfsaitige Gitarre aus, die seiner reduzierten Musik ein volles Klangbild verlieh. „Es klang wie ein Orchester“, schwärmte Yusuf. „Meine zweite Gitarre war deshalb eine zwölfsaitige Hagstrom, das habe ich Huddy Leadbetter zu verdanken.“ Lead Belly war aber nicht der einzige Blues-Musiker, zu dem er damals aufschaute. Auch spätere Pioniere des Rhythm’n‘Blues wie Muddy Waters gehörten zu seinen Idolen.

4. Bob Dylan – The Times They Are A-Changin‘

Wie sich die Segregation der US-amerikanischen Gesellschaft auf die Musikwelt auswirkte, beweist wieder einmal, dass Musik und Politik nicht getrennt voneinander existieren. Ein Musiker, der Anfang der sechziger Jahre seine Karriere begann, verstand das besser als die meisten anderen seiner Generation. „The times they are a-changin‘“, sang er selbst und richtete sich explizit an andere Künstler*innen mit dem Aufruf, sich der Revolution anzuschließen: „Come writers and critics / Who prophesize with your pen / And keep your eyes wide / The chance won‘t come again.“

Nur logisch, dass sich der rebellische Teenager Steven dem nicht entziehen konnte. „Ich mochte den Blues, aber was Dylan uns gab war eine deutliche Haltung zum Protest und darüber hinaus eine Idee davon, wie wir anders über diese Welt nachdenken konnten als zuvor.“ Die Macht der Worte! „Die Veränderungen, die wir sehen wollten – es lag an uns, sie durchzusetzen! Ich bin nur darüber traurig, dass Dylan nicht Präsident geworden ist“, lachte Yusuf 2017 in einem Interview. Immerhin zum Literaturnobelpreis hat es für den US-Amerikaner gereicht!

5. West Side Story: Akt 1: Jet Song

Dylans Texte wurden nicht allein wegen ihrer Inhalte von der Schwedischen Akademie ausgezeichnet, sondern auch wegen seiner textlichen Kniffe. Es kommt eben nicht nur darauf an, was erzählt wird, sondern auch wie! Das verstand auch Steven früh und ließ sich deswegen nicht nur aus der Pop-Musik inspirieren, sondern öffnete seine Ohren sperrangelweit in alle Richtungen. Wortwörtlich gesprochen natürlich, denn in seinen Nächten auf den Dächern Londons lauschte er den Klängen, die von der Denmark Street herüber schallten, damals das Zentrum der britischen Musikindustrie. Vor allem Musicals standen dort auf dem Programm.

Dass West Side Story zu seinen absoluten Lieblingsstücken überhaupt gehört, verwundert da schon nicht mehr ganz so sehr. Noch 2016 war bei Live-Auftritten Yusufs ein Poster des ikonischen Musicals zu sehen. Abgesehen vom Wie interessierte ihn allerdings auch das Was: „Mich faszinierte der Lifestyle, denn es war das archetypische Leben auf der Straße, in dem eine Gang die andere zu dominieren versucht“, erklärte er. „Ich verbrachte den Großteil meiner Zeit auf der Straße, deswegen wohl sprach mich das an.“ Ob er jedoch eher ein Jet oder ein Shark ist? Das wissen wir nicht, sicher aber so viel: Neben King Kong und Porgy and Bess gehört West Side Story noch immer zu einem der Parameter, die ihn als Musiker ausmachen.

6. Nina Simone – Don’t Let Me Be Misunderstood

Wie vielseitig die Bandbreite seines Musikgeschmacks eigentlich ist, das lässt sich eigentlich in nur zwei Namen zum Ausdruck bringen: Dolly Parton und Nina Simone. Die gewitzte Country-Sängerin und die rebellische Jazz-Pianistin, sie haben auf den ersten Blick herzlich wenig miteinander gemein. Außer natürlich mindestens einem glühenden Fan: Yusuf. Seine Freundschaft mit Parton ist bestens dokumentiert und tatsächlich standen die beiden schon oft genug im Studio oder auf der Bühne nebeneinander.

Der junge Steven lernte Simone nur durchs Radio kennen und lernte so sicher auch ihre berühmte Interpretation von I Loves You Porgy aus Porgy and Bess kennen. Interessanter Weise aber hielt er die große Blues- und Jazz-Legende ihrer tiefen Stimme wegen zuerst für einen Mann! Als er 2006 unter dem Namen Yusuf Islam zur Pop-Welt zurück kehrte, war auf der LP An Other Cup auch seine Version von Don’t Let Me Be Misunderstood zu hören. Ein Stück, das vor allem durch seine Interpretation durch Simone bekannt wurde. „Lass mich nicht missverstanden werden“, dieser flehentliche Ruf hatte auf dem Comeback-Album Islams natürlich eine ganz besondere Bedeutung…

7. Tito Rinesi – Adhān

Nach seinem Übertritt zum Islam und seinem Rückzug aus dem Musikgeschäft fiel der Brite nämlich nicht nur positiv wie etwa durch sein karitatives Engagement auf. Nachdem der Schriftsteller Salman Rushdie 1988 in Großbritannien seinen kontroversen Roman Die satanischen Verse veröffentlichte, verfasste der iranische Ayatollah Khomeini eine Todes-Fatwa gegen den Autoren: Er rief die islamische Welt zu seinem Mord auf. In diversen Interviews aus dem Folgejahr sagte Yusuf Islam einige Dinge, die als Unterstützung dieses Urteils verstanden wurden, obwohl er sich danach vehement davon distanzierte.

Seitdem muss sich Yusuf immer wieder Fragen und Kritik stellen. Stimmt es, dass er nicht mit unverschleierten Frauen spräche? War es gerechtfertigt, dass ihm die Einreise in die USA lange Zeit verweigert wurde? Der Glaube des Briten polarisiert. Weit mehr noch als der von Stars, die sich öffentlich zu ihrem christlichen Glauben bekennen. Ist das nicht doppelmoralisch? Oder nur gerechtfertigte Argwohn nach seinen Aussagen über Rushdie? So oder so: Sein Glaube fand ihn zuerst über die Musik, genauer über den Adhān, den Aufruf zum Gebet. „Ich dachte: ‚Musik für Gott?‘“, erinnerte sich Stevens an seine erste Berührung mit islamischem Gesang in Marrakesch. „Das hatte ich noch nie gehört!“ Es sollte ihn nachhaltig prägen. Was er wohl von zeitgenössischen World-Music-Interpretationen des Gebetsaufrufs wie von Tito Rinesi hält?

8. Ludwig van Beethoven – Ode an die Freude (9. Sinfonie)

Noch so eine Frage! Sicher ist zumindest, dass sich Yusuf Islam selbst zunehmend mit der Verschränkung klassischer Pop- und Folk-Musik mit islamischen Musikstilen auseinandersetzte. Doch seine Liebe zur westlichen Musik verließ ihn darüber hinaus keineswegs. Im Gegenteil. 2017 schwärmte er munter von Ludwig van Beethovens weltbekannter neunter Sinfonie mit der legendären Ode an die Freude nach einem Text von Friedrich Schiller. „Ach, die Musik, die in diesen Zeiten gemacht wurde, schmachtete Yusuf, dem besonders das große Finale von Beethovens Neunter gefällt. „Es ist das ultimative Lied! Unglaublich! Und die Bedeutung der Wörter… Wow!“

Auf seinem Album The Laughing Apple allerdings ließ er sich von einem anderen Beethoven-Stück inspirieren: Pathetique ist deutlich aus dem Track Don’t Blame Them herauszuhören. „Ja ich habe aus Beethovens Klaviersonate geklaut“, gab Yusuf selbstbewusst zu. „Das ist eins meiner Lieblingsstücke. Und irgendwie ist es mir gelungen, den Song um diese Melodie herum zu schreiben. Und es bringt mich sehr nah an meine Liebe zur Melodie, meine Vorliebe für die Klassiker, und es vereint all meine Fertigkeiten als Songschreiber.“ Na dann!

9. Wendy Carlos – The Shining Main Title Theme (Dies Irae)

Zu diesen Fertigkeiten gehörte eben auch immer schon, „outside the box“ zu denken, wie es im Englisch heißt. Und das wiederum bedeutete, dass kleine Boxen zum Ende der Karriere von Cat Stevens (zumindest unter diesem Namen) immer wichtiger wurden. Sein Album Izitso aus dem Jahr 1977 überraschte mit viel Synthesizer- und Drummachine-Experimenten. Mit Was A Dog A Doughnut konnte die LP sogar einen Klassiker des Electro-Genres vorweisen, bevor es dieses Genre überhaupt erst gab! Neben Ringo Starr und vielen anderen lud sich Stevens einen imposanten Gerätepark ins Studio. Synthies von Yamaha, Moog und vielen weiteren sind auf Izitso zu hören.

Die plinkernde Sequenz, das druckvolle und doch simple Drumming – ganz klar, da mussten doch Kraftwerk Pate gestanden haben. Oder? Nein! Laut Stevens selbst hatte er von der Band aus Düsseldorf keinen Ton gehört, als er sich an die Produktion des Albums machte. Mehr Inspiration wird er etwa von Walter Carlos’ Switched-On Bach bezogen haben, einer legendären Platte mit Interpretationen von Bach-Stücken am Synthesizer durch die Transfrau hinter den Soundtracks vieler Kubrick-Filme, wie beispielsweise Clockwork Orange oder The Shining. Sie erst machte die Moog-Synthesizer Ende der sechziger Jahre salonfähig und veränderte damit die Musikwelt für alle Zeiten.

10. Sheryl Crow – The First Cut Is the Deepest

Zweifellos bewies Stevens mit Izitso, dass er ein vorausschauender Künstler war, der die Zukunft mit offenen Armen empfing. Das hatte schließlich schon einer seiner ersten Songs bewiesen, der den hellsichtigen Titel The First Cut Is the Deepest trug. Als „Cut“ wurden nämlich lange Zeit auch Aufnahmen von Songs bezeichnet, die in den Schellack beziehungsweise ins Vinyl geschnitten wurden. Tatsächlich wurde dieser von Stevens‘ frühen Cuts ein Riesenerfolg – nur eben für überwiegend andere! Für lausige £30 verkaufte er das Stück im Jahr 1967 an P.P. Arnold (genau: wer?), der damit einen moderaten Charts-Treffer landen konnte.

Es ging weiter: 1973 mit Keith Hampshie, 1997 mit Rod Stewart, 1995 mit Papa Dee und zuletzt 2003 mit Sheryl Crow, die mit ihrer Version von The First Cut Is The Deepest einen der größten Hits ihrer Karriere überhaupt ablieferte! Ihre Country-Rock-Version des Stücks, das Stevens 1965 geschrieben hatte, war es wohl auch, die ihm viel zu spät die längst überfälligen Lorbeeren einfuhr. In den Jahre 2005 und 2006 gewann er in gleich zwei aufeinander folgenden Jahren zweimal den ASCAP-Award als „Songwriter of the Year“. Für ein Stück, das er vier Jahrzehnte zuvor geschrieben hatte! So tief war dieser Cut also…

Zeitsprung: Am 21.7.1948 wird Cat Stevens geboren

 

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Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.

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Header-Bild Credit: Kreepin Deth/Wiki Commons

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.

von Christof Leim

Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.

Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:

Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.

Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“

Längt beschlossene Sache

Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“

Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.

Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.

Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.

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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.

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„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?

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Foto: Noam Galai/Getty Images

Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch The Record anhören:

Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.

Wie einst Nirvana

Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.

Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.

Die Avengers der Indie-Welt

Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.

Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.

Musste Rick Rubin draußen bleiben?

Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.

The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.

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boygenius: Wer steckt hinter der Indie-Supergroup?

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Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.

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Chuck Berry Johnny B Goode Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.

von Christof Leim

Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.

Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.

Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry

Aus dem Stand ein Hit

Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.

Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.

Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.

Da kommt noch mehr

Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.

Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.

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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.

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