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Popkultur

Die musikalische DNA von Tears for Fears

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„Everybody wants to rule the world“, sangen Tears For Fears einst und für eine gewisse Zeit war ihnen genau das vergönnt. Zumindest herrschten sie über die Musikwelt. Drei Alben nur veröffentlichten Curt Smith und Roland Orzabal in den achtziger Jahren, bevor sie die Neunziger über getrennte Wege gingen und nur Orzabal unter dem gemeinsamen Namen weitermachte. „Everybody loves a happy ending“, lautete der augenzwinkernde Slogan, als sich die beiden 2004 für ein neues Album zusammen fanden. Die Welt wollen sie damit nicht mehr beherrschen. Tears For Fears gehören zu den seltenen Musikern, die einsehen, dass sie ihren kommerziellen Zenit überschritten haben. Was sie nicht daran hindert, musikalisch immer noch das Beste zu geben.


Hör dir hier die musikalische DNA von Tears for Fears als Playlist an und lies weiter:


Mit Shout und Everybody Wants To Rule The World von ihrem Album Songs From The Big Chair stieg das Duo prompt an die Spitze des Hypes um britischen Synth Pop auf. Die Themen der Platte standen in starkem Kontrast zum aufgeräumten Sounddesign der Platte. Statt futuristischer Visionen erzählte die Platte von den Abgründen des Seelenlebens. Tears For Fears trafen damit den Nerv der Zeit, ihr Sound war absolut einzigartig. Aber auch für ihn gibt es Vorbilder. Schauen wir uns also die musikalische DNA der beiden genau an, um herauszufinden, mit welchen Mitteln ausgestattet sich Tears For Fears Anfang der achtziger Jahre dazu aufmachten, die Welt im Sturm zu erobern!


1. Robert Wyatt – Shipbuilding

Lange bevor Tears For Fears ihren epischen Urschrei-Pop vom Pop-Olymp herunter donnern ließen und selbst bevor sie sich mit The Hurting und dem Überraschungserfolg Mad World etablieren konnten, waren Orzabal und Smith in erster Linie Jugendfreunde und Sessionmusiker. Ihr erstes gemeinsames Projekt nach der Arbeit für die Band Neon war ihr Debüt mit der Band Graduate im Jahr 1980.

Graduate legten nicht mehr als eine LP sowie eine Single hin, Elvis Should Play Ska. Gemeint war keineswegs der King Of Rock, sondern der Brite Elvis Costello. Warum der ausgerechnet Ska spielen sollte, ist heutzutage nicht mehr klar. Am liebsten scheinen die beiden ihren Costello sowieso in einem anderen Gewand oder gleich einer ganz anderen Version zu mögen: Robert Wyatts Cover von Costellos Shipbuilding dürfte auf den Plattentellern der beiden eingefleischten Wyatt-Fans noch häufiger rotieren als das Original. Wyatt widmeten sie sogar den Song I Believe von Songs From The Big Chair.


2. Talking Heads – Houses In Motion

Das ehemalige Soft Machine-Mitglied Wyatt ist nur einer der Käuze, zu denen sich Orzabal und Smith zeitlebens hingezogen fühlten. Während im heimischen England die New Wave-Szene florierte, reagierte die USA mit dem abgeklärten No Wave-Sound. Die Talking Heads um den charismatischen Ausnahmekünstler David Byrne brachten die schrille Ästhetik des No Wave-Universums in den Mainstream und begeisterten damit auch das junge britische Duo.

Smith nannte das Talking Heads-Album Remain In Light als eine maßgebliche Inspiration für den Sound des Tears For Fears-Debüts The Hurting. Byrne und seine Band hatten vorgemacht, dass sich mit den neuen technologischen Möglichkeiten der achtziger Jahre eine eigenwillige Musik schaffen ließ, die zugleich avantgardistisch klang und dennoch kommerziellen Erfolg nicht ausschloss. Genug Inspiration für zwei britische Querköpfe, die hoch hinaus wollten!


3. Brian Eno – By This River

Neben den Talking Heads war Byrne als waschechter Hans Dampf in allen Gassen unterwegs. Eine besonders enge Beziehung pflegte er zum ehemaligen Roxy Music-Keyboarder Brian Eno, der ab Ende der siebziger Jahre die Musikwelt revolutionierte. Waren Roxy Music noch für ihr schrilles Auftreten bekannt, fand Eno als Solokünstler auch in den sanften und leisen Tönen noch genug revolutionäres Potenzial.

Neben dem bahnbrechenden Album Ambient 1: Music For Airports, mit dem der Brite den Grundstein für ein ganzes Genre legte, widmete er sich etwa auf Before And After Science aus dem Jahr 1977 einem Pop-Entwurf, der bisweilen in zarten Tönen aufging. Stille Musik, die dennoch schräg klang – selbstverständlich waren Orzabal und Smith da ganz Ohr!


4. Peter Gabriel – Solsbury Hill

Die späten siebziger und frühen achtziger Jahre waren aufregende Zeiten für die Pop-Welt. Die Tage des Dinosaurier-Rocks waren um, Pop kam zurück und durfte sich mehr erlauben denn ja zuvor. Kaum eine Person personifiziert diesen Paradigmenwechsel dermaßen konequent wie Peter Gabriel. Als dieser 1975 die Prog Rock-Band Genesis verließ, debütierte er zwei Jahre darauf mit dem Stück Solsbury Hill, das von dem gleichnamigen Hügel in der englischen Stadt Bath erzählte, in der auch Tears For Fears aufwuchsen.

Gabriel bewies mit dem Stück, dass er auch ohne seine alte Band im Rücken Erfolg haben konnte und legte so die Grundlage für seine erfolgreiche Solokarriere. Seinen größten Erfolg feierte der Musiker aber wohl mit seinem dritten selbstbetitelten Album, das wie Remain In Light von den Talking Heads im Jahr 1980 erschien und damit Tears For Fears neue Wege aufzeigte.


5. David Bowie – Ashes To Ashes

„In nur einem Jahr erschien Peter Gabriels drittes Album, Remain In Light und Scary Monsters von David Bowie – drei tolle Platten und genau die drei Platten, die mich am meisten beeinflusst haben“, sagte Smith in einem Interview. „Sie zeigten mir, was du mit einer guten Produktion alles erreichen kannst und wie viel größer deine Musik klingen kann, wenn du ordentlich Zeit und Mühe investierst.“

Bowie war aber nicht allein in musikalischer Hinsicht ein wichtiger Vorreiter für das junge Duo. Mit seinem Gesang allein, vor allem aber seinem Auftritten unterlief er traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit. In den achtziger Jahren war es auch Männern möglich, ihr Inneres zum Ausdruck zu bringen. Niemand setzte das eindringlicher durch als Tears For Fears. Dass die beiden das Stück Ashes To Ashes von Bowie Scary Monsters-Album coverten, versteht sich da fast wie von selbst.


6. Frankie Goes To Hollywood – The Power Of Love

Eine andere Platte, die Smith als extrem inspirierend nannte und die 1984 frischen Wind in die Popwelt brachte, war Welcome To The Pleasuredome von Frankie Goes To Hollywood. Das kurzlebige Projekt war ganz nach dem Geschmack der beiden. Als Konzeptgruppe gestartet, feierte die Band ihren ersten Erfolg mit einem Song über homosexuellen Analsex, Relax, und brillierte zugleich mit einer bittersüßen Ballade über die Power Of Love. Was zuerst widersprüchlich wirkt, wurde mit Frankie Goes To Hollywood in ein kohärentes Ganzes integriert.

Insbesondere aber die innovativen Produktionstechniken von Mastermind Trevor Horn hatten es Smith angetan, wie er zugab. „Diese Tiefe war einfach irrsinnig“, schwärmte er über die Qualitäten des Produzenten, der nicht ohne Grund als „The Man Who Invented The Eighties“ tituliert wird. Schade eigentlich, dass die drei nie zusammengearbeitet haben – aber was nicht ist, das kann ja noch werden. Auch diesseits der achtziger Jahre.


7. Japan – Ghosts

Tears For Fears’ Einflüsse vereinten avantgardistische Visionen mit Mainstream-kompatiblen Pop, ihnen selbst fiel es anfangs allerdings schwer, vergleichbare Erfolge zu erzielen. Nach The Hurting kündigte das Duo an, den „Planeten Sylvian“ in Richtung „Planet Rock“ zu verlassen. Damit spielten sie auf David Sylvian an, den Sänger der britischen Art Pop-Band Japan. Dabei hatten doch Japan bereits bewiesen, dass sich selbst mit absolut schräger Musik noch ein Charterfolg landen ließ.

Das Stück Ghosts vom Japan-Album vom Album Tin Drum wurde zu einem Überraschungserfolg, obwohl es auf kaum mehr als ein bisschen Synthie-Geblubber und gelegentlichen Marimba-Einsätzen basierte. Dagegen wirkt der Sound von Music From The Big Chair geradezu maximalistisch. Aber Tears For Fears hatten auch ein anderes Anliegen als der intellektuelle Sylvian.


8. Radiohead – Creep

Was Tears For Fears stets auszeichnete, war die emotionale Qualität ihrer Musik. Selbst wenn sie sich musikalischen Experimenten widmeten, sprach die Musik doch noch aus vollem Herzen. Über die Jahrzehnte haben sie sich als Band entzweit und wieder zusammengefunden, ihr Interesse an aufregenden Sounds hat allerdings nie nachgelassen. Radiohead waren ein direktes Resultat der aufregenden neuen Pop-Musik der achtziger Jahre und trieben das Programm der Art- und Synth-Pop-Bands seitdem nur noch weiter.

Der Einfluss der Band um Thom Yorke erstreckt sich allerdings auch auf die Helden von damals. Schon 1995 veröffentlichte Orzabal auf der B-Seite ihrer Single Raoul And The Kings Of Spain vom gleichnamigen Album eine Live-Version des Radiohead-Klassikers Creep aus dem Jahr 1992. Heutzutage singt das Duo die Außenseiterhymne immer noch auf Konzerten. Nur logisch, schließlich ist das Stück ebenso laut und eindringlich wie Tears For Fears in ihren besten Momenten.


9. Animal Collective – My Girls

Als sich Tears For Fears im August 2013 nach fast zehnjähriger Veröffentlichungsabstinenz zurückmeldeten, überraschten sie die Weltöffentlichkeit mit gleich drei Coverversionen. Neben Arcade Fires Ready To Start und Hot Chips Boy From School nahmen sie sich auch My Girls der US-amerikanischen Band Animal Collective an. Das Trio, das für den Song die ikonische Sequenz aus Frankie Knuckles’ und Jamie Principles unsterblicher House-Hymne Your Love nachgebaut hatte, muss Orzabal und Smith unweigerlich an ihre Anfangstage erinnert haben.

Angesiedelt zwischen tanzbarer elektronischer Musik und hymnischem Rock folgte My Girls schließlich dem Erfolgsrezept, das Tears For Fears zu einer der größten Bands der Achtziger gemacht hatte. Und dass der Originalsong mit seinen psychedelischen Gesangsharmonien den beiden Musikern viel Raum ließ, um ihre Qualitäten als Sänger zu beweisen, dürfte sie ebenfalls gereizt haben. Und wenn zwischendrin ein urschreiähnliches „Whoo!“ drin ist, umso mehr.


10. Gary Jules – Mad World

Einer der eindringlichsten Tears For Fears-Songs ist ohne Frage Mad World. Es war die erste Single des jungen Duos, das es in die britischen Charts schafft – ein echter Überraschungserfolg angesichts der mehr als deprimierenden Lyrics und der künstlerischen Freiheiten, welche sie die beiden in der Produktion des Stücks erlaubt hatten!

Mad World entwickelte ein spannendes Eigenleben, als es 2001 auf dem Soundtrack des Indie-Films Donnie Darko zu hören war. Die Coverversion von Gary Jules und Michael Andrews nahm das Tempo aus dem treibenden Synth Pop-Stück und verwandelte es in eine getragene Klavier-Ballade. Eine Version, die selbst Smith als im Vergleich mit dem Original „den Lyrics viel angemessener“ bezeichnete. „Es sagt viel über die englische Psyche aus, dass die Gary Jules-Version ein Weihnachtshit wurde“, spöttelte er.


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Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.

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Header-Bild Credit: Kreepin Deth/Wiki Commons

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.

von Christof Leim

Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.

Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:

Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.

Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“

Längt beschlossene Sache

Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“

Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.

Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.

Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.

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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.

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„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?

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Foto: Noam Galai/Getty Images

Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch The Record anhören:

Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.

Wie einst Nirvana

Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.

Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.

Die Avengers der Indie-Welt

Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.

Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.

Musste Rick Rubin draußen bleiben?

Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.

The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.

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boygenius: Wer steckt hinter der Indie-Supergroup?

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Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.

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Chuck Berry Johnny B Goode Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.

von Christof Leim

Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.

Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.

Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry

Aus dem Stand ein Hit

Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.

Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.

Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.

Da kommt noch mehr

Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.

Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.

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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.

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