------------

Platten

Die musikalische DNA von Tom Petty

Published on

Vielleicht stimmt es ja und erst die harte Schule des Lebens macht große Kunst möglich. Im Falle von Tom Petty zeigt sich zumindest, dass trotz vieler Widrigkeiten der Weltruhm nicht ausgeschlossen ist. Die Schule ließ er sausen, mit dem Vater überwarf er sich nach langem Psychoterror und Gewalterfahrungen. Als er aber an einem Septembertag im Jahr 2006 im Rathaus seiner Heimatstadt Gainesville vorbeikam, wurden ihm dort die Schlüssel zur Stadt überreicht während zur gleichen Zeit in der Rock And Roll Hall Of Fame in Cleveland eine einjährige Ausstellung seinem Wirken auf die Musik Tribut zollte. Nein, Tom Petty hatte es nicht leicht. Aber er hat es geschafft. Seinen Gerechtigkeitssinn hat er darüber ebenfalls behalten. Als seine Plattenfirma im Jahr 1981 das Tom Petty And The Heartbreakers-Album Hard Promises einen Dollar über dem regulären Marktpreis verkaufen wollte, hielt er sich mit seiner Kritik an dieser Abzocke nicht zurück und MCA knickten letztlich ein. Die Moral von der Geschicht’? Hard Promises wurde ein Top-Ten-Erfolg.


Hört euch hier die musikalische DNA von Tom Petty in einer Playlist an und lest weiter:

Auch wenn Tom Petty in Hinsicht auf künstlerische Freiheit keinen Spaß versteht, Humor hat er zweifellos. Oder hätte er sonst seine Rolle bei The Simpsons eingesprochen? Dort nämlich versucht er in einem Sommer-Camp dem begriffsstutzigen Homer die elementaren Kniffe des Lyrics-Schreibens beibringen möchte, wird das mit einem „Laaaaaaangweiliiiiiiiiig“ quittiert. Wie schon gesagt: Petty hatte es nie so richtig leicht, selbst nicht in der Zeichentrickwelt. Was aber wäre die Rock-Welt nur ohne ihn? Gemeinsam mit Bruce Springsteen, Bob Seger und John Mellencamp hat er den sogenannten Heartland-Sound geprägt, der gesellschaftliche Themen ins Auge fasst und direkt zu den Menschen spricht. Was ihn dabei neben den drei Kollegen noch inspiriert hat, erfahren wir mit einem Blick auf seine musikalische DNA.


1. Elvis Presley – Follow That Dream

Aller Anfang ist Elvis. 1961 war Tom Petty zwar noch ein Dreikäsehoch und dennoch durfte er den Allergrößten treffen. Der Onkel des Elfjährigen arbeitete damals am Set des Films Follow That Dream, in dem auch der gleichnamige Song zu hören war. Petty spielt die Episode zwar herunter und sagt, dass die beiden sich damals nicht wirklich unterhalten hätten. „Er grunzte eher in meine Richtung“, erzählte er dem Esquire. Was ihm aber geblieben sei, war die beeindruckende Kulisse des Film-Sets, in der Elvis richtig zur Geltung kam. „Er sah nicht echt aus. Es war, als würde er leuchten. Er war erstaunlich, geradezu spirituell.“ Das klingt doch sehr beeindruckend! Der kleine Petty war so sehr angetan, dass er der Legende zufolge kurz nach seiner Rückkehr vom Dreh seine Zwille für ein paar Elvis-Singles eintauschte. Die erste und vielleicht wichtigste Entscheidung seiner langen Karriere?


2. The Beatles – I Want To Hold Your Hand

Drei Jahre später ging ein Beben durch die USA. Das Land sah sich einer Invasion gegenüber! Aber es waren nicht die kommunistischen Erzfeinde der Vereinigten Staaten, die den Frieden zu stören drohten. Sondern britische Jungs mit schrägen Frisuren: Die Beatles landeten für ihre erste Tour in den USA und machten damit die „British Invasion“ offiziell. Legendär ist ihr Auftritt vom 9. Februar 1964, als die Fab Four bei der Ed Sullivan Show auftraten. Petty, der zu dieser Zeit bereits in die Byrds vernarrt war, sah noch mehr als gute Songwriter in den Pilzköpfen. Nämlich die Gelegenheit, mit ihnen gleichzuziehen. „Ich wusste, ich könnte das auch“, sagte er gegenüber dem Radiosender NPR. Wie sich die Beatles von der unbedeutenden Skiffle-Gruppe zur größten Band der Welt hochgespielt hatten, wurde vorbildlich für viele junge Bands, die in ihrem Fahrwasser dasselbe versuchten. Wie viele daran scheiterten, ist nicht dokumentiert. Dass zumindest Tom Petty es schaffte, große Erfolge einzuheimsen und nebenbei noch eine lebenslange Freundschaften mit Mitgliedern der Idole von damals pflegte, kann indes als gesichert gelten.


3. The Eagles – Hotel California

Und wie war das, als der kleine Teenager mit den großen Ambitionen loslegte? So ungefähr: „Einer meiner Schüler war dieser junge Typ mit abstehenden Zähnen und zottigen Haaren namens Tommy Petty“, erinnerte sich sein alter Gitarrenlehrer, der zu dieser Zeit in einem Musikaliengeschäft arbeitete. Petty spielte damals schon Bass in einer Truppe namens Rutger Brothers Band. „Ich ging also rüber und brachte Tommy zuhause das Gitarrespielen bei und half bei ein paar Proben beim Gitarrenarrangement aus.“ Wer da übrigens spricht? Don Felder! Besser bekannt als Mitglied der Eagles und Ko-Songwriter eines der berühmtesten Rock-Stücke aller Zeiten: Hotel California. Wer so einen Hit für sich verbuchen kann, darf auch gerne mal etwas in Richtung seines alten Schülers sticheln: „Er lernte genug, um phänomenale Songs zu schreiben, ich bin sehr stolz auf ihn“, sagte Felder und klang dabei vielleicht großspuriger, als er es in Wahrheit meinte.


4. Fats Domino – I’m Walkin’

Der King of Rock, die Helden des Pop und ein echter Eagle also waren für Pettys musikalische Erziehung wichtig und tatsächlich lässt sich all das in seiner Musik auch ausmachen. Fehlt noch? Der Blues! Unter anderem zumindest. Fats Domino gehörte zu einer Generation von Musikern, die dem Blues ordentlich die Sporen gaben. In den segregierten Staaten wurde seine Musik unter Rhythm And Blues beziehungsweise als race record statt als Rock’n’Roll kategorisiert. Eine unschöne Schattenseite der Musikgeschichte. Wie tief der Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft verwurzelt ist, zeigte sich auch leider auch noch im Jahr 2005, als nach den Verwüstungen, die der Hurricane Katrina hinter sich zurückließ, der schwarzen Bevölkerung keine ausreichende Hilfe zukam. Die Compilation Goin’ Home: A Tribute To Fats Domino erschien 2007 und versuchte es anders zu machen. Die Einnahmen aus den Verkäufen wurden gesammelt, um einerseits Schulkindern neue Instrumente und andererseits den Bau eines Gemeindehauses finanzieren zu können sowie nicht zuletzt das zerstörte Geburtshaus von Fats Domino wieder aufzubauen. Auf Goin‘ Home vertreten war auch die Tom Petty And The Heartbreakers-Version von Dominos Klassiker I’m Walkin’.


5. Solomon Burke – Cry To Me

Nicht allein dieses Beispiel zeigt, dass sich soziales Engagement und Rock’n’Roll für Tom Petty und seine Herzensbrecher-Gang nie ausschlossen. Auch einer ihrer größten Erfolge war ein Cover und auch dieses Stück stand im Zusammenhang mit einer wohltätigen Aktion. Als die Band 1979 bei dem Benefizkonzert Musicians United For Safe Energy auftraten, spielten sie auch das Stück Cry To Me, welches ursprünglich von Solomon Burke stammt und später auch auf der No Nukes-Compilation zu hören war. Burke, der bürgerlich James Solomon McDonald hieß, vereinte in dem von Bert Berns produzierten Stück eine breite Palette von Stilen. Country, Gospel und Rhythm And Blues in einem Song? Natürlich muss das Petty gefallen haben! Und nicht nur ihm. Burke wurde nach dem Riesenerfolg der 1962 veröffentlichten Single als einer der ersten Stars des neuen Soul-Sounds gefeiert und Cry To Me von einer Vielzahl von Bands, darunter auch die Rolling Stones, gecovert. Pettys Version aber ist an Dringlichkeit kaum zu überbieten.


6. Stevie Nicks – Edge Of Seventeen

Alten Helden Tribut zu zollen ist eins, Freundschaften zu erhalten ein anderes. Insbesondere im schnelllebigen Rock-Business, wo sich viele den Weg mit dem Ellbogen zuerst freikämpfen. Hier aber scheint Petty ebenso eine Ausnahme darzustellen. Nehmen wir seine Geschichte mit Stevie Nicks. Die ehemalige Fleetwood Mac-Sängerin war die erste, die Petty für ein Duett zu sich ins Studio ließ und auch 25 Jahre nach der Veröffentlichung von Insider dabei, als er und die Heartbreakers auf dem Bonnaroo Music and Arts Festival ihren 30. Geburtstag feierten. Schön, wenn Stars zusammen altern und sich gegenseitig beeinflussen. Nicht ganz so lange allerdings hielt Pettys Ehe mit Jane Benyo, obwohl die Beiden stolze 22 Jahre verheiratet blieben. Benyo übrigens ist wiederum ein Nicks-Song zu verdanken: Als diese der Kollegin ihres Gattens erzählt, sie habe Petty „at the age of seventeen“ kennengelernt, verstand die etwas anderes. Was genau? Na, hören wir doch einfach mal in einen ihrer größten Erfolge rein, Edge Of Seventeen!


7. Bob Dylan – Knockin’ On Heavens Door

Nicks ist natürlich nicht die einzige Kollegin, die Petty ebenso inspirierte wie sie ihm persönlich nahe stand. Da war auch immer Bob Dylan, dessen geniales Erzähltalent und scharfe Beobachtungsgabe für Petty immer ein Maß darstellten. Mitte der achtziger Jahre gingen Dylan, Petty und die Heartbreakers zum ersten Mal auf Tour und 1987 sogar gemeinsam ins Studio, wo sie Jammin’ Me aufnahmen. „Ich habe so viel von Bob Dylan gelernt“, gestand Petty lange danach in einem Interview im Rückblick auf die gemeinsame Zeit. „Er gab uns den Mut, den wir vorher nicht hatten, nämlich etwas fix zu lernen und dann sofort auf der Bühne umzusetzen. Du musstest da schon ziemlich auf Draht sein, weil die Arrangements sich ebenso schnell ändern konnten wie die Tonarten. Du weißt nie, was er Nacht für Nacht anstellen will.“ Seine Ehrfurcht vor dem schier übermenschlichen Talent des Robert Allen Zimmermann bekundete er wieder und wieder, beispielsweise auch bei einem Konzert im Jahr 2016. Kurz nach dem tödlichen Anschlag auf einen queeren Club in Orlando im Staate Florida spielte er Knockin’ On Heavens Door und änderte die Zeile „Ma’, take my guns and put them in the ground“ leicht ab, indem er statt dem Wort „guns“ von „automatic weapons“ sang, wie sie bei der Gräueltat zum Einsatz kamen.


8. George Harrison – My Sweet Lord

Dass Dylan insbesondere mit seinen Texten für Petty  zum Vorbild wurde, überrascht nicht. Er ist keineswegs der einzige, dem es so ging. „George sagte mal zu mir: ‚Bob lässt Shakespeare wie Billy Joel aussehen.‘ Das war ein Scherz, aber Bob steht wirklich so weit über uns.“ Klare Worte. Wer übrigens der Witzbold war? Natürlich George Harrison, mit dem Petty und Dylan gemeinsam mit Roy Orbison und Jeff Lynne die Supergroup Traveling Wilburys gründete und welcher ihm 1964 zuerst auf der Mattscheibe seines Fernsehers begegnet war. Teile der 1990 aufgelösten Band sollten sich 2001 zu einem traurigen Anlass wieder auf der Bühne zusammenfinden, als Petty und die Heartbreakers mit unter anderem Lynne zusammen auf dem Concert For George ihrem kurz zuvor verstorbenen Freund zum letzten Geleit aufspielten. „Es war, als hätte ich einen älteren Bruder, der viel mehr Erfahrung in der Musikindustrie mitbrachte“, erinnerte sich Petty, der Harrison im Alter von 26 kennenlernte. „Jemand, zu dem ich mit meinen Problemen und Fragen kommen konnte.“ Vor allem habe er Harrisons Umgang mit Spiritualität geschätzt. „Er ließ mich höhere Kräfte besser verstehen, ohne mich dabei dumm zu fühlen oder Tonnen von Büchern zu lesen.“ Manchmal sagt ein Song wie My Sweet Lord eben mehr als tausend gedruckte Wörter.


9. Johnny Cash – Hurt

Die Aussagen über seinen Freund beweisen auch wieder, wie bodenständig Petty geblieben ist. So scharfsinnig seine Beobachtungen zum politischen Alltag, so hoch seine künstlerischen Ansprüche, so hitzköpfig er selbst auch sein mag: Petty hat seine Wurzeln nie vergessen. Kein Wunder, hat er doch einen Hang für Folk- und Country-Musik. Mit einem der Größten des Genres konnte er sogar zusammenarbeiten, bevor auch dieser Held im September 2003 seine letzte Reise antrat. Die Rede ist natürlich von Johnny Cash, an dessen Album Unchained – das zweite der American Recordings-Serie – unter anderem auch Petty und die Heartbreakers mitwirkten. Eine Geste, für die sich Cash schon auf der nächsten LP der Reihe bedankte und ihren Song I Won’t Back Down coverte. Zum ersten Mal trafen sich die beiden Musiker Anfang der achtziger Jahre. „Ich hatte eine ziemliche Ehrfurcht vor ihm, als ich ihn kennenlernte“, gab Petty später zu. Dass Cash immer nur als Country-Künstler angesehen würde, fände er schade. Für Petty war der schweigsame Musiker in Schwarz immer mehr als das. Wie sich eben nicht zuletzt auch in der American Recordings-Serie zeigte, in welcher Cash beispielsweise den Nine Inch Nails-Klassiker Hurt oder Stücke von etwa Depeche Mode neu interpretierte. Pettys liebste Anekdote aber? „Er schickte mir zu meinem 50. Geburtstag eine Karte, auf der stand: ‚Du bist der richtige Mann, um gemeinsam den Fluss hinab zu fahren.‘ Das war für mich das höchste Lob.“


10. Red Hot Chili Peppers – Dani California

Nicht ganz so hoch und vielleicht nicht so willkommen sind die eigenwilligen Lobgesänge, mit denen sich wohl jeder Star eines Tages rumschlagen muss. Richtig, wir reden von Ideenklau. So schön es einerseits wohl sein wird, aus der Musik anderer die eigene Bedeutung herauszuhören, es ist andererseits wohl schlicht und einfach ärgerlich. Petty aber ging stets gelassen mit offenkundigen Ähnlichkeiten um. Als die Strokes mit Last Nite ihr eigenes American Girl schrieben, konnte Petty ihnen nicht böse sein. „Ich habe ein Interview mit ihnen gesehen, in denen sie das tatsächlich zugegeben haben“, schmunzelte er. „Ich habe laut gelacht. Ich dachte mir… ‚Okay, gut für euch!‘“ So entspannt gehen nun wirklich nicht alle mit dem Thema um. Als den Red Hot Chili Peppers vorgeworfen wurde, sich für ihren Song Dani California bei Pettys Megahit Mary Jane’s Last Dance bedient zu haben, verteidigte er sie sogar. „Ich zweifel ganz ernsthaft an, dass da irgendeine böswillige Absicht hinter steckt. Viele Rock’n’Roll-Songs klingen eben gleich. Fragt mal Chuck Berry!“ Fuchsig wird Petty allerdings, wenn sich Unternehmen bei seiner Musik bedienen, wie es 1987 geschehen war. Das macht Tom Petty im Kern aus: Das große Geld muss sich gefälligst hinter der künstlerischen Freiheit anstellen!


Das könnte dich auch interessieren:

Die musikalische DNA von Bob Seger

10 Songs, die die 60er wieder aufleben lassen

Mick Jagger überrascht mit seiner Ankündigung, zwei neue Songs zu veröffentlichen: England Lost & Gotta Get A Grip

Don't Miss