------------

Popkultur

Ein wilder Mix: Nirvanas „Incesticide“ wird 30 Jahre alt

Published on

Nirvana
Foto: Gie Knaeps/Getty Images

Etwas mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung von Nevermind, das Nirvana zu globalen Superstars machte, legte die Band nach. Ein neues Album war zwar keines dran — aber eine ganz besondere Compilation.

von Markus Brandstetter

Hier könnt ihr Incesticide hören:

Anfang 1992 bekam Gery Gersh einen Anruf vom legendären Label Sub Pop. Gersh hatte zuvor Nirvana zu DGC Records gebracht — und erfuhr nun, dass Sub Pop noch eine Reihe von unveröffentlichten Nirvana-Tracks in der Schublade hatte. Eigentlich hatte die Band vor, ihre B-Seiten auch über Sub Pop zu veröffentlichen. Dafür hätten sie sich ursprünglich — klassischer Cobain-Humor – den Titel Cash Cow überlegt. Es scheiterte allerdings, weil Sub Pop in puncto Vertriebsinfrastruktur nicht genügend liefern konnte. Weil die Band aber Großes vorhatte, kaufte Geffen (zu denen DGC gehörten) die Rechte an den Stücken. Sub Pop erklärte sich zu einem Verkauf bereit, stellte aber Bedingungen: Die Band müsse das Ganze nicht nur absegnen, sondern auch aktiv am Release mitarbeiten. Ach ja, und Geld wechselte natürlich auch den Besitzer, eine sechsstellige Summe soll es gewesen sein.

Warum Incestidice wichtig für Nirvana war

Auch wenn sich Cobains ursprünglicher Titel Cash Cow so anhörte, als wolle er ein derartiges Album gar nicht veröffentlichen: Der Nirvana-Frontmann sah durchaus eine große Dringlichkeit zu dem Projekt. Der Grund: Viele der Stücke waren bereits im Umlauf, allerdings in schlechter Qualität. Dem wollte man entgegenwirken — und Cobain sicherte sich auch die volle Kontrolle über das Coverartwork. Dieses stammt von ihm selbst. Auch eine politische Botschaft ließ er im Booklet (zumindest in einigen Pressungen) abdrucken: „If any of you in any way hate homosexuals, people of different color, or women, please do this one favor for us — leave us the fuck alone! Don’t come to our shows and don’t buy our records“, stand darin zu lesen. Auf deutsch:  „Wenn jemand von euch in irgendeiner Weise Homosexuelle, Menschen anderer Hautfarbe oder Frauen hasst, tut uns bitte diesen einen Gefallen – lasst uns verdammt noch mal in Ruhe! Kommt nicht zu unseren Konzerten und kauft nicht unsere Platten.“

Details zu Incesticide

Insgesamt gab es auf Incesticide drei bis zu diesem Zeitpunkt unveröffentlichte Tracks zu hören: Hairspray Queen, Aero Zeppelin und Big Long. Beim Rest handelte es sich um B-Seiten, Bonustracks, Demos und alternative Versionen — oder um Aufnahmen von Radiosessions. Diese stammen allesamt aus den Jahren 1988 bis 1991 — und das deutet bereits auf ein buntes Line-up hin: Am Schlagzeug sind nämlich gleich vier verschiedene Drummer vertreten: Chad Channing, Mudhoney-Drummer Dan Peters, Dale Crover und natürlich Dave Grohl, der mit Nevermind zur Band gestoßen war.

Incesticide: Ein wilder Mix

Incesticide ist ein wilder Mix. Es ist an manchen Stellen rau und chaotisch; an anderen, wie zum Beispiel bei Sliver oder dem Stück Been A Son sogar ziemlich eingängig. Wer den alten Tagen der Band nachtrauerte und Nevermind für überproduziert hielt (derer gab es einige!) — bekam mit Incesticide zumindest teilweise etwas Genugtuung. „Das Chaos der Sammlung deutet auf einen Kampf hin, die Last des Ruhms zu verteilen. Nevermind zu folgen ist eine kreative Zwangsjacke“, urteilte der US-amerikanische Rolling Stone — und kam zum Fazit: „Nirvana waren eine großartige Band, bevor Nevermind die Charts anführte. Incesticide ist eine Erinnerung daran und – vielleicht noch wichtiger – ein Beweis dafür, dass Nirvana gelegentlich auch scheitern kann. Die ungeschliffenen Kräfte, die in der Band am Werk waren und manchmal in Konflikt miteinander standen, sind deutlich zu hören, ebenso wie eine breitere und rauere Palette von Klängen, Stilen und Interessen.“

PR auf Sparflamme

Incesticide erschien am 14. Dezember 1992. Wer jetzt denkt, die Plattenfirma hätte all ihre Ressourcen in die PR für die Platte gesteckt, irrt. Man entschied sich nämlich, eher auf Sparflamme zu fahren. Nicht, weil man die Platte nicht für interessant hielt, sondern weil man eine Übersättigung fürchtete. Schließlich war Nevermind gerade mal etwas über ein Jahr her und Cobain, Grohl und Novoselic überall. Das Album stieg auf Nummer 51 der Billboard Top 200 Albumcharts ein und erhielt Platin.  Ein Jahr später veröffentlichten Nirvana schließlich In Utero, ihr letztes Studioalbum, das dann wieder den Spitzenplatz in den meisten Charts erreichte. Obwohl Incesticide kein richtiges Album ist, ist es historisch wichtig. Als Bindeglied und Zeugnis dessen, wie eklektisch es bei Cobain & Co. zuging.

Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

„Smells Like Teen Spirit“: Die unabsichtliche Hymne der Generation X

Don't Miss