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Popkultur

Florian Schneider von Kraftwerk: Der stille Elektropionier

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Florian Schneider
Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Als eine der zwei Gehirnhälften von Kraftwerk hat er die Musikwelt revolutioniert. Selbst unter hart gesottenen Rocker*innen erfreuen sich wegweisende Alben wie Autobahn (1974), Radio-Aktivität (1975) und Die Mensch-Maschine (1978) großer Beliebtheit. Immer wieder hat Florian Schneider die Grenzen des musikalisch Machbaren erweitert und die Popgeschichte beeinflusst. Ihn zu interviewen, gestaltete sich allerdings schwierig …

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Tour De France von Kraftwerk anhören:

New-York-Times-Autor Neil Strauss bezeichnete sie als „Beatles der elektronischen Tanzmusik“. Mit ihrem vierten Album Autobahn (1974) stürmten sie dies- und jenseits des Atlantiks die Top Ten. Sieben Platten veröffentlichten Kraftwerk in den Siebzigern und beeinflussten damit die gesamte Welt der elektronischen Musik, von hier bis in die Vereinigten Staaten. Dafür sind vor allem zwei Herren aus dem Düsseldorfer Raum verantwortlich: Ralf Hütter und Florian Schneider. Während Hütter der Gruppe in der Öffentlichkeit ein Gesicht gibt, tüftelt Schneider lieber im Verborgenen an den Kraftwerk-Sounds herum. Werfen wir einen Blick auf sein Leben.

Zur Welt kommt Schneider am 7. April 1947 in Öhningen-Kattenhorn. Damals befindet sich der Ort in der französischen Besatzungszone, heute gehört er zu Baden-Württemberg. Schneider bekommt davon nicht viel mit, denn als er drei Jahre alt ist, siedelt seine Familie nach Düsseldorf um, das neue Zentrum seines Lebens. Mit Anfang 20 studiert er an der Akademie der Kulturellen Bildung in Remscheid, wo er seinen zukünftigen Kraftwerk-Kollegen Ralf Hütter kennenlernt. Zu jener Zeit beschäftigt sich Schneider nicht etwa mit Synthesizern oder Keyboards. Nein, er widmet sich der Flöte, sogar in Form eines Studiums — allerdings auf seine Art.

Kraftwerk: Mensch und Maschine werden eins

Echo, Ringmodulation, Fuzz, Wah-Wah: Mit Vivaldi und Mozart haben Schneiders Aktivitäten auf der Flöte herzlich wenig zu tun. Stattdessen verändert er das Instrument bis zur Unkenntlichkeit und erschafft auf diese Weise eigenwillige Sound-Experimente. Später entdeckt er dazu auch andere Möglichkeiten, wie er 1991 verrät: „Bis zu einem gewissen Grad habe ich ernsthaft studiert, aber dann wurde mir langweilig. Ich war auf der Suche nach etwas Neuem, weil mich die Flöte zu sehr einengte … Ich habe ein Mikrofon gekauft, dann Lautsprecher, dann einen Echo-Effekt, einen Synthesizer. Irgendwann habe ich die Flöte weggeworfen. Das war eine Art Prozess.“

Kollege Ralf Hütter bezeichnet Schneider in einem Interview von 2005 als Sound-Fetischisten, der seine Musik nur dann live spielen möchte, wenn gewisse Klang-Standards eingehalten werden. Das passt zu einer von Schneiders Grundaussagen: „Kraftwerk ist keine Band, sondern ein Konzept. Wir nennen es die Menschmaschine.“ Das ist der Kraftwerk-Sound: die Verschmelzung von Mensch und Maschine. „Wir lieben unsere Maschinen“, räumt Schneider in einem Interview ein. „Wir haben eine erotische Beziehung mit ihnen.“

Florian Schneider: Kein Mann der vielen Worte

So sehr die meisten Menschen Schneider als Musiker schätzen, so schwierig gestaltet es sich, die ruhigere Hälfte von Kraftwerk zu interviewen. Das liegt zum einen daran, dass Schneider zu Lebzeiten kaum Interviews gibt und das Rampenlicht lieber seinem Kollegen Ralf Hütter überlässt. Zum anderen beschränkt sich Schneider in der Kommunikation mit Journalist*innen, gelinde gesagt, auf das Nötigste. Das bekommt 1998 auch eine brasilianische Fernsehmoderatorin zu spüren, deren kurzes Interview mit Schneider längst zum YouTube-Kulturgut gehört:

2020 geht auf einmal alles sehr schnell. Nach kurzer Krankheit stirbt Schneider mit 73 Jahren an Krebs, sein langjähriger Weggefährte Ralf Hütter geht auch diese letzten Schritte mit ihm. „Zwei Roboter, die weinen“ — So beschreibt Schneiders Schwester Claudia in einem Instagram-Post den letzten Moment, den die beiden Kraftwerk-Musiker miteinander verbringen. Außerdem offenbart sie Schneiders letzte Worte: „Danke! Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich hatte ein gutes Leben. Ich bin nicht traurig, also sei du auch nicht traurig!“ Ruhe in Frieden.

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