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Popkultur

Als der Folk elektrisch wurde: Vor 55 Jahren erfinden die Byrds ein neues Genre

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Foto: Stanley Bielecki/ASP/Getty Images

1965 hat die British Invasion auch die USA fest im Griff. Dann kommen die Byrds. Sie verschmelzen den Sound der Beatles mit der Folk-Tradition ihrer Heimat – und erfinden vor 55 Jahren den Folk Rock.

von Björn Springorum

Es geschieht im Jahr 1965. In Laurel Canyon, einer entspannten Gegend außerhalb des Molochs Los Angeles, findet sich nach und nach eine Künstlerkommune zusammen. Musiker*innen, Maler*innen, Schriftsteller*innen und Tagträumer*innen lassen sich in den Santa Monica Mountains nieder, um ein entspanntes, freies, sorgloses Leben zu führen. Es sind die Vorläufer der Hippies, die wenige Jahre später die Haight Ashbury in San Francisco in ein Meer aus Blumen, Hare Krishnas und lysergischer Träumerei verwandeln. Hier, in Laurel Canyon, gedeiht das Substrat, aus dem die Gegenkultur hervorgehen wird. Mit ihren Friedensmärschen, ihrer Musik und Woodstock.

Der richtige Haarschnitt reicht

Noch ist es aber nicht soweit. Dylan ist das ungewollte Sprachrohr einer ganzen Generation, die Musiker*innen der Zeit spielen Folk in den Coffee-Shops, gerne auch akustische Cover von Beatles-Songs. Die Fab Four haben gerade erst die USA erobert, natürlich bestimmen ihre Lieder auch die langen Sommertage an der Westküste. Zu den unheilbar Beatlemania-Infizierten gehört auch Roger McGuinn. Der nennt sich damals noch Jim und spielt im Troubadour häufig und gerne Beatles-Songs in Folk-Interpretationen. David Crosby und Gene Clark werden auf den jungen Mann aufmerksam, sehr bald sind sie als Trio unterwegs. Schlagzeuger Michael Clarke komplettiert die erste Besetzung – wenn auch nur, wie der Mythos besagt, weil sein Haarschnitt an den von Brian Jones erinnert. Reicht manchmal.

Zunächst nennen sie sich Beefeaters, um möglichst viel von der British Invasion abzubekommen, geben sich dann aber in Anlehnung an den absichtlich falsch geschriebenen Namen Beatles den Namen The Byrds. Und was bis zu diesem Punkt der Geschichte noch sehr generisch klingt und eine von tausend Geschichten aus dieser Zeit sein könnte, ändern sich schlagartig, als ihr Manager Jim Dickson, ein pummeliger Mann mit ausgehenden Haar, im August 1964 irgendwie in den Besitz einer Aufnahme des noch unveröffentlichten Dylan-Songs Mr. Tambourine Man kommt.

Dazu kann man ja tanzen!

Schon damals verfolgt die Band den ambitionierten Plan, den elektrifizierten Rock der Beatles mit den Traditionen und Harmonien des Folk zu verbinden. Und dieser Song wird ihnen bei der Geburt dieser neuen Musik namens Folk Rock helfen. Obwohl anfangs nicht gerade begeistert von der Nummer, übertragen sie sie kühn und verwegen in ein Rock-Arrangement. Und verändern damit den Lauf der Musikgeschichte. Das wissen sie aber noch nicht. Als Dylan die Band in den World Pacific Studios besucht, ist er vollkommen von den Socken. „Wow, Mann!“, soll er ausgerufen haben. „Dazu kann man ja tanzen!“ Dann kommt McGuinn auch noch in den Besitz einer zwölfsaitigen Rickenbacker Gitarre. Und das Schicksal der Byrds ist besiegelt.

Zeitsprung: Am 10.11.1969 erscheint „Ballad Of Easy Rider“ der Byrds.

Während sie auf die Veröffentlichung ihrer ersten Single warten, spielen sie regelmäßig auf dem Sunset Strip. Das macht sie nicht nur zu besseren Musikern und Ensemblemitgliedern. Es bringt ihnen mit Fans wie Jack Nicholson, Peter Fonda oder Sonny & Cher auch schon erste prominente Unterstützer*innen ein. Dann endlich, im April 1965, erscheint Mr. Tambourine Man. Und zündet die Ära des Folk Rock. Schon bald werden unzählige weitere Bands auf den Zug aufspringen, darunter Buffalo Springfield oder The Mamas And The Papas. Sie verfeinern, würzen und entwickeln die Musik weiter, machen sie tiefer, abwechslungsreicher, eklektischer. Die Erfindung, die gebührt jedoch den Byrds. Dieses melodische, helle Klimpern der Rickenbacker, die folkigen Gesangsharmonien und die bislang ungekannte poetische Tiefe der Lyrics sorgen im Sommer 1965 dafür, dass Popmusik nicht nur anders klingt; endlich mal geht es in ihr auch um etwas anderes als um Mädchen, Tanzabende und Surfen.

California Cool

Erstmals ist im Juni 1965 von „Folk Rock“ die Rede. Da ist Mr. Tambourine Man schon auf der Eins der US-Charts. Und die Band die erste ernstzunehmende Antwort auf die unaufhaltsame British Invasion. Mehr noch: Wo die ganzen Beat-Bands dieser Zeit noch in uniformiertem Anzuglook auftreten, sind die Byrds durch und durch California Cool: Lässige Klamotten, der unvergessliche grüne Wildledermantel von Crosby, die rechteckige Omi-Sonnenbrille von McGuinn, die schon bald ihren Siegeszug in der Gegenkultur starten wird. Sie eröffnen Shows für die Stones, sie spielen auf Jane Fondas privater Party am Unabhängigkeitstag. Sie sind die Band der Stunde, die erhaben von jedem Magazin-Cover herabblickt.

Ausgerechnet in England, dem Brandherd dieser Rock‘n‘Roll-Flächenbrands, will es anfangs nicht so recht klappen mit dem Erfolg. Ihre UK-Tour im August 1965, übrigens geplant und überwacht vom Pressesprecher der Beatles, Derek Taylor, wird zum Desaster. Liegt vielleicht daran, dass Taylor in den Ankündigungen ein wenig zu dick aufträgt: „Amerikas Antwort auf die Beatles“, steht überall zu lesen. Das wird der Band weder gerecht noch kann sie dieses Versprechen erfüllen: Sie spielen ja gerade mal ein paar Wochen zusammen! Ihr exzentrisch-abweisenden Verhalten auf der Bühne, fehlende Routine und eine schier nicht zu fassende Abfolge an technischen Problemen und Krankheiten sorgen für vernichtende Reviews in der Presse. Ob das jetzt Attitüde oder wirkliche Säumnisse sind? Den Beatles ist das egal. Sie haben ein Herz für diese neuen Amerikaner, nehmen sie unter ihre Fittiche und erklären sie offiziell zu ihrer liebsten US-amerikanischen Band.

Sogar die Beatles!

Wie eigentlich alles bei den Beatles, geschieht das nicht ganz uneigennützig: Schon auf Rubber Soul, veröffentlicht Ende 1965, sind mehr oder weniger eindeutige Byrds-Einflüsse herauszuhören – vor allem bei If I Needed Someone, dessen Riff sehr nah an The Bells Of Rhymney ist. Für die Byrds natürlich kein Problem. Im Gegenteil: Wer kann in dieser Zeit schon von sich behaupten, die größte Band der Welt beeinflusst zu haben?

Wie die gesamte Laurel-Canyon-Szene, bestehen auch die Byrds nicht lange in ihrer ursprünglichen Besetzung. Als David Crosby 1967 gehen muss, weil er (laut Eigendefinition) „ein Arschloch“ war, als sich Buffalo Springfield im darauffolgenden Jahr auflösen, geht eine Epoche in den Santa Monica Mountains zu Ende. Eine Epoche, die der Musikwelt neben einem neuen Genre auch einige der unvergesslichsten Lieder über den Urgeist Amerikas bescherte.

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