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„Kiss Me Kiss Me Kiss Me“: Wie sich The Cure einer kreativen Explosion hingaben

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The Cure

Die Tatsache, dass wir uns an dieser Stelle überhaupt mit dem The-Cure-Album Kiss Me Kiss Me Kiss Me auseinandersetzen dürfen, ist in keiner Weise als selbstverständlich anzusehen.

Hier kannst du Kiss Me Kiss Me Kiss Me hören:

Es war ein Musik-Magazin, das vorsichtig bei Robert Smith anfragte, ob er denn einen neuen Song komponieren könnte. Nun ist Smith fürs Songs schreiben bekannt, um es mal in neutrale Worte zu fassen. Als Frontmann der britischen Pop-Rock-Gothic Mannschaft The Cure könnte man ihn sogar als außerordentlich bekannt fürs Songs schreiben – und auch Performen – ansehen. Warum war diese Anfrage von diesem Magazin also so eine große und pikante Sache?

Nun, ein paar Jahre zuvor kam es zwischen Smith und Bassist Simon Gallup zu einem – nennen wir es einmal: Handgemenge – mit dem Ergebnis, dass Smith sich seine ausschweifenden dunklen Augenringe für einige Zeit nicht mehr mühselig aufpinseln musste und die Band praktisch als aufgelöst galt. Aber dann schrieb Smith eben dieses Lied (Lament) für dieses Magazin. Und dieses Magazin betitelte die dem Heft beiliegende Platte, gegen den Willen von Smith selber, mit dem Titel The Cure. Zwar nicht die höflichste Geste, aber dennoch brach es das dicke und harte Eis der Schreibblockade des britischen Struwwelpeters. Er schrieb wieder Songs, große Pop-Songs, die The Cure am Ende hoch hinaus auf Stadion-Bühnen führen sollten.

So wurde diese Prügelei zu einer wichtigen Zwischennote in der Karriere der gutherzigen Gruftis und zu einer nicht ganz unwesentlichen Vorstufe für unser eigentliches Thema: Kiss Me Kiss Me Kiss Me, das die Jungs endgültig aus allen noch so dunklen Ecken herausholte und per One-Way-Ticket direkt in den Stadion-Rock Orbit beförderte.

Noch mehr: Das Album ist auch das erste, bei dem Robert Smith die steilen Hierarchien in Sachen Songwriting ein wenig lockert, sodass seine Men in Black ebenfalls Tapes und Ideen zusteuern konnten. Mit dem Ergebnis, dass The Cure – ebenfalls zum ersten Mal – ein Doppelalbum pressen werden. Bedingt durch ausufernde Kreativität. Es gibt ja bekanntlich Schlimmeres. Grundsätzlich scheint im Jahre ’87 die Sonne sowieso ein bisschen wärmer auf die Musikwelt: Public Enemy und Nirvana betreten die Bildfläche und Modern Talking unterzieht sich einer Neu-Orientierung, um zukünftig mit anderen Aktivitäten die Öffentlichkeit zu quälen. Blendende Zeiten also, um ein neues Album auf den Markt zu schmeißen.

Experimente für den Mainstream

Nun ist das immer so eine Sache, wenn eine Band ihre Anfänge in einer etwas dunkleren Nische feiert, um dann Alben zu schreiben, an denen auch die breite Bevölkerung Gefallen findet. Das kann bei dem ein oder anderen alt eingesessenen Fan schonmal zu Geschmacksverstimmungen führen. Dem mussten sich auch The Cure stellen. Denn die Experimentierfreude, die von der Band an ihrem Rückzugsort der Chateau Miraval in der französischen Provence an den Tag gelegt wurde, ist nicht immer als besonders positiv aufgenommen worden.

Der Titel The Kiss eröffnet die Platte mit psychedelischen und recht dunklen Klängen – so weit, so Cure. Drei Titel weiter wartet dann aber schon die erste Ballade auf uns: If Only I Could Sleep überrascht mit Offbeat-Rhythmen und Klängen wie von einer Oud oder Kanun, orientalischen Saiteninstrumenten, welche diese typischen, leicht sägenden Gitarrenklänge wie aus Tausend und einer Nacht aus unseren Lautsprechern vibrieren lassen. Und wenn uns dann mit dem nächsten Track Why Can’t I Be You? eine astreine Funk-Nummer mit upbeat Drums, Bläsern und offenem, energetischem Gesang, wie es Katrina & The Waves bei Walking On Sunshine nicht hätten besser machen können, um die Ohren fliegt, kann das – verständlicher Weise – zunächst einmal leicht verwirrend sein. Wo will dieses Album denn eigentlich hin? Die Fans von früher sind empört, so etwas hätte man nun ja nicht erwartet. Aber die Antwort ist wahrscheinlich so einfach wie offensichtlich: Das Album will genau da hin, wo es bereits ist.

Nein, die Songs haben keine streng aufeinander abgestimmte Kohärenz, sind kein Teil eines Konzeptalbums. Sie sind, zusammengenommen, das Paradoxon einer wohlklingenden Kakophonie: bunt, durcheinander, frei und eine abenteuerliche Klangwelt. Das Album ist ganze 17 Tracks und amtliche 75 Minuten lang, da ist es nicht so einfach, den*die Hörer*in bei der Stange zu halten. Dennoch schwingen sich The Cure wie selbstverständlich durch den Dschungel verschiedener Instrumente, Rhythmen, Harmonien und Stimmungen. Drummer Boris Williams entfaltet endlich sein volles Potenzial und lässt die Energie des Albums in keinem Song abflachen.

Aber es ranken sich auch unschöne Mythen um die Aufnahmen der Platte, insbesondere zwischen Smith und Gründungsmitglied Lol Tolhurst, der sich während der Aufnahmen angeblich mehr mit den Grenzen des Betäubungsmittelgesetzes auseinandersetzte, als mit der Musik. Für den Song Shiver And Shake soll Smith ihn angewiesen haben, bei allen Gesang-Takes im Studio direkt vor ihm zu stehen – damit er auch ein authentisches Ekelgefühl in der Stimme hätte. Der Anfang vom Ende einer langen Freundschaft: Kiss Me Kiss Me Kiss Me wird das vorletzte Album sein, das Smith und Tolhurst zusammen schreiben.

Eine bewegte Zeit also, für The Cure und ihre Fans. Aber eine Zeit, die man zurückblickend um keinen Preis aus der Musikwelt wegdenken möchte.

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