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Popkultur

König der Fahrstuhlmusik – Brian Eno zum 70. Geburtstag

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Über Johann Sebastian Bach soll Ludwig van Beethoven einmal fasziniert ausgerufen haben: “Nicht Bach — MEER sollte er heißen!“ Der Überfluss an Ideen, die Bach umtrieben und weit über sein Leben hinaus Geschmack und Verständnis von Musik prägen sollten, machte den Thüringer Jungen aus bitterarmen Verhältnissen zu einem der einflussreichsten Komponisten aller Zeiten.

Brian Eno ist so etwas wie der Bach des 20. Und 21. Jahrhunderts. Dennoch ist sein Name weit weniger bekannt. Weder kommt er in Kreuzworträtseln vor noch sind Straßen nach ihm benannt.

Sein Einfluss auf die moderne Musik kreuz und quer durch die Genres kann dennoch kaum überschätzt werden, vor allem als ein Grenzgänger zwischen den Disziplinen, zwischen plastischen und darstellenden Künsten. Über Eno zu schreiben heißt deshalb eine notwendigerweise unvollständige Auswahl aus seinem Schaffen treffen zu müssen.


Hört euch hier einen Vorgeschmack der musikalischen DNA von Coldplay an:

Für die ganze Playlist klickt auf „Listen“.

Eno erfand das Genre Ambient, ersann viele neue Möglichkeiten, Musik zu machen und zu hören (ohne Eno keine Loop Station), er komponierte für Filme, arbeitete mit den ganz großen Namen wie David Bowie, U2, The Who, Genesis oder den Talking Heads zusammen und prägte auch als Visual Artist die Kunstszene. Zusammen mit John Cage und Philip Glass zählt er zu den bedeutendsten einflussreichsten Komponisten unserer Zeit.

Ein Musiker, der keiner sein will

Als Eno am 15. Mai 1948 im englischen Woodbridge in der Grafschaft Suffolk zur Welt kam, deutete nichts darauf hin, dass hier ein Ausnahmetalent geboren worden war. Die Eltern hatten nichts mit Musik am Hut, der Vater war Postbeamter, die Mutter sorgte zu Hause für die vier Kinder. Das Interesse des Jungen an Kunst und Musik scheint ganz aus ihm selbst zu kommen.

Die erste wegweisende Begegnung mit Kunst hat Eno mit dem Kybernetiker Roy Ascott, der ihn am College in Ipswich in Kunst unterrichtet und bei ihm großen Eindruck hinterlässt. An der Winchester School of Art besucht er eine Gastvorlesung von Pete Townshend von The Who und wird später über diesen Moment sagen, ihm sei damals bewusst geworden, dass er zum Musik machen nicht unbedingt Musiker werden müsste. Er studiert Malerei und experimentelle Musik und bezeichnet sich bis heute als „Non-Musician“.



Schon in Winchester beginnt er mithilfe von Kassettenrecordern zu basteln und bauen, von Beginn an ist er eher Experimentierfreund als Musiker. Lieber bewirft er Klaviertastaturen mit Tennisbällen oder generiert Musik per Zufallsprinzip als komplizierte Fugen zu lernen. Theorie über Praxis ist sein Arbeitsmotto.

Roxy Music oder Kunstlehrer werden

Mit der Artrockband Roxy Music schließlich wird er aber doch kurzfristig Rockstar – wenn auch kein konventioneller. Nach zwei Alben und Touren ist er gelangweilt vom Leben als bekannter Musiker. Die Arbeit mit Roxy wird jedoch zum Türöffner. Dabei sei alles Zufall gewesen, erzählt er einmal: „Ich bin bei Roxy Music eingestiegen, weil ich Andy Mackay (Saxofonist der Band) in der U-Bahn kennengelernt habe. Wäre ich in einen anderen Wagen eingestiegen oder hätte ich die Bahn verpasst, wäre ich heute Kunstlehrer.“



Eno wird kein Kunstlehrer, sondern nach seinem Ausstieg bei Roxy ein sehr erfolgreicher Solokünstler. Die 1970er und 1980er Jahre sind geprägt von einem Schaffensreichtum, der seinesgleichen sucht. Mit vier Alben zwischen 1973 und 1977 legt er den Grundstein für Ambient, einem Genre, das fernab klassischer Songstrukturen funktioniert und eher thematisch und stimmungsabhängig Stücke komponiert.

Brian Eno 1974. Von AVRO (Beeld En Geluid Wiki – Gallerie: Toppop 1974) [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Mit Ambient Erfahrungen und Erleben prägen

Eno gibt seinen Alben Namen wie Discreet Music, Music for Airports oder Atmospheres & Soundtracks und er orientiert sich an Stimmungen, um die er dann kleine Szenen herum entwirft. Eno erklärt, dass seine Musik dazu gemacht ist, die Stimmung an einem Ort zu verändern, dem Hörer oder der Hörerin einen Soundtrack zu seinem oder ihrem ganz persönlichen Erleben zu geben. Eno ist der König der Fahrstuhlmusik im positivsten Sinne. Seine Musik soll interessant sein, man soll sie aber auch genau so gut ignorieren können, fasst er einmal selbst zusammen. „Ambient soll möglichst viele Stimmungen und Levels an Aufmerksamkeit begleiten, ohne eine bestimmte Richtung vorzugeben.“

Kurz, Eno ist absolut einverstanden damit, dass seine Musik „nur“ im Hintergrund läuft. Es spricht einerseits für ein sympathisches Understatement und andererseits für einen bedingungslosen Glauben an die Kraft der eigenen Kompositionen, dass er so denkt.

Kollaborationen mit Krautrockern wie Harmonia und Dieter Moebius

Eno ist nicht nur solo erfolgreich, mit Kompositionen, die er für Filme, für Videospiele, Kunstinstallationen oder besondere Orte wie das Opernhaus in Sydney schreibt. Von Beginn an sucht er den kreativen Austausch mit anderen Musikern und Künstlern, wiederholt mit John Byrne von The Talking Heads, mit Phil Collins und Genesis, mit Krautrockern wie Harmonia oder Hans Roedelius und Dieter Moebius, in jüngster Zeit mit Coldplay, James Blake, Anna Calvi oder Björk.

Er kann nicht nur Musik: Das Sydney Opera House wurde 2009 nach einem Konzept von Eno beleuchtet. Von Repat [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Zahllose Musiker und Künstler verweisen auf Eno als Impulsgeber ihrer Musik, unter zahllosen anderen Pink Floyd, LCD Soundsystem, Björk oder Peter Gabriel.

Nicht zuletzt prägte Eno das Genre der World Music entscheidend, bereits in den 80er Jahren bringt er von seinen Reisen in Afrika und im Mittleren Osten Samples mit und verarbeitet sie auf dem Album My Life in the Bush of Ghosts, das er mit David Byrne von Talking Heads aufnimmt.

Es gilt noch vor Paul Simons Graceland (1986) als die Geburtsstunde der World Music. Immer wieder arbeitet Eno seither mit Jazzmusikern aus afrikanischen und arabischen Ländern zusammen. Der Erfinder des Hip Hop, Hank Shocklee von Public Enemy nannte My Life in the Bush of Ghosts als Inspirationsquelle für seine eigenen Kreationen.

Wohltäter und engagierter Kritiker

Sein Renommée nutzt Eno, um sich für humanitäre Belange einzusetzen. 1996 gründete er die Long Now Foundation, eine Bildungsorganisation, die Aufklärungsarbeit über die ganz großen Themen unserer Zeit wie etwa den Klimawandel und andere globale Krisen leisten will. Er unterzeichnete Brandbriefe gegen den Gaza-Konflikt und warb gegen den Brexit und gegen eine Trump-Präsidentschaft.

Brian Eno 2015 beim “Stop the War”-Protest gegen den Syrienkrieg in London. Von Garry Knight from London, England (Don’t Bomb Syria – Brian Eno) [CC0], via Wikimedia Commons

Am 15. Mai feiert der Ausnahmemusiker, der keiner sein will, seinen 70. Geburtstag. In Anlehnung an Beethovens Ehrung an Johann Sebastian Bach sagen wir: Happy Birthday, Mr. Brian MEER Eno!


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