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Popkultur

Und immer wieder dieser traurige Sommer: Zum 35. Geburtstag von Lana Del Rey

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Lana Del Rey

Summertime Sadness heißt ein Song von Lana Del Reys zweiten Album. Dieses Bild ist symptomatisch für eine immer wiederkehrende Grundstimmung in ihrer Musik: Es sind Sommer in Sepiafarben, Sommer mit oft gefährlichen Schlagseiten und düsteren Abzweigungen, die Elizabeth Woolridge Grant mit ihrer Kunstfigur Lana Del Rey besingt. Sommer zwischen gleichermaßen stilistisch wie akustisch perfekt inszenierter Resignation, zwischen Milkshakes im Diner, fieberhaften Nächten und toxischen Beziehungen mit katastrophalem Ausgang.

von Markus Brandstetter

Während Springsteen in den 1975 seine Karriere mit Born To Run auf Hochtouren brachte, tat Del Rey das 2012 mit Born To Die. Geboren um zu sterben, das war schon eine Ansage in der Popmusik: Del Rey sang von gebrochenen Herzen und überbordender Nostalgie, von Gewalt, von Stränden und hohen Wellen. Sie stellte Verletzlichkeit zur Schau und blieb dennoch schwer greifbar.

Referenzen und Querverweise

Die Figur und der Kosmos von Lana Del Rey fußen aber nicht nur auf düsteren Gefühlsseligkeiten, sondern auf etlichen kulturellen Referenzen auf die US-amerikanische Kultur und den amerikanischen Traum. Vito Pinto schreibt in seinem Artikel Geboren um zu sterben – Lana Del Rey (erschienen im Buch Pop-Frauen der Gegenwart. Körper – Stimme – Image. Vermarktungsstrategien zwischen Selbstinszenierung und Fremdbestimmung, herausgegeben von Christa Brüstle): „Dabei fungieren einerseits fiktive Figuren als Referenz, wie etwa Lolita, weitere bekannte Frauenrollen aus klassischen Film-Melodramen […] oder singenden (durchaus tragischen, aber zumindest traurigen) Frauenfiguren, deren Vorbilder in Filmen von David Lynch (etwa in Blue Velvet, Twin Peaks oder Mulholland Drive) zu finden sind.“  Andererseits, so der Autor, arbeitete sich die Musikerin auch „an Marilyn Monroe, Jacqueline Kennedy oder Nancy Sinatra ab, indem sie diese bekannten, pop- und (kultur-)historisch relevanten Personen zitiert, aber keineswegs parodiert.“

Wer das unbedingt einordnen wollte, tat sich entweder schwer – oder lag kräftig daneben. Denn geboren um zu sterben war diese Karriere definitiv nicht, auch wenn so mancher von einem One-Hit-Wonder oder einem Kurzzeitphänomen sprach. Denn Lana Del Rey blieb sich nicht nur treu, sondern steigerte sich noch, nahm teils sehr, sehr gute Alben auf, feierte Riesenerfolge – aber behält sich bis heute dieses Nicht-Greifbare. Das gilt nicht für die akustische und die optische Komponente des Del-Rey-Kosmos– denn da ist alles perfekt durchgetaktet, alles schlüssig. Aber diese Sache mit der Verletzlichkeit, die sorgte immer wieder für Unschlüssigkeit.

Das „Sad Girl“-Phänomen

Bis heute gibt die Figur Del Rey viel Interpretationsspielraum. Vom „Sad Girl“-Phänomen war die Rede, von bewusster Verletzlichkeit als Selbstermächtigung. Die ausgestellte Traurigkeit fungiere als Befreiungsschlag, schrieb etwa Ruth Weismann in der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Diese werde „explizit mit einem gesellschaftlichen, feministisch-emanzipatorischen Anspruch verbunden“. Und weiter: „Eine Geste des Widerstands und der Eroberung von Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die eigene Identität und das eigene Leben. Mädchen, die ihre Melancholie und akute Traurigkeit zur Schau stellen, sind laut der Sad Girl Theory feministische Aktivistinnen.“

Glorifizierung von Gewalt und Antifeminismus?

Ein unbestrittener Posten im feministischen Kanon ist diese Auffassung jedoch keineswegs. Denn viele sind bei Del Rey komplett konträrer Meinung: Sie werfe das Frauenbild mit der Darstellung von, gelinde gesagt, problembehafteten Beziehungen zwischen Mann und Frau um Jahrzehnte zurück. „He hit me and it felt like a kiss / I can hear violins, violins“, heißt es im Song Ultraviolence etwa – ein Zitat des Stücks He Hit Me (And It Felt Like a Kiss) von The Crystals. Sentimentale und unterwürfige Glorifizierung von gewalttätigen Beziehungen lautet der oft gehörte Vorwurf – nicht gerade ein Eckpfeiler der feministischen Selbstermächtigung.

Del Rey: „Ich bin nicht keine Feministin“

Und Lana Del Rey selbst? Die schoss gegen die Vorwürfe zurück. „Ich nicht bin keine Feministin“, schrieb die Musikerin 2020. „Aber es muss im Feminismus einen Platz für Frauen geben, die so aussehen und handeln wie ich – die Art von Frauen, die nein sagen, aber Männer hören ja, die Art von Frauen, die gnadenlos dafür beschuldigt werden, ihr authentisches, zartes Selbst zu sein, die Art von Frauen, denen ihre eigenen Geschichten und Stimmen von stärkeren Frauen oder von Männern, die Frauen hassen, weggenommen werden.“ Ein Posting, in dem sie sich darüber beklagte, dass bei Beyoncé, Nicki Minaj und anderen Kolleginnen ein ganz anderer Standard angewandt werden würde, sorgte erneut für Kritik: Del Rey agiere aus einer privilegierten, weißen Position heraus. Einigung gab und gibt es keine.

Happy Birthday, Lana Del Rey

Ob man ihre Selbstdarstellung jetzt als feministische Selbstermächtigung oder das genaue Gegenteil einordnen möchte, sei einem selbst überlassen. Fest steht, dass die Lana Del Rey mit ihrem brüchigen, ultrareferenziellen Schwermut-Pop eine ganz eigene, bemerkenswerte Nische im internationalen Musikzirkus besetzt. Lana Del Rey schafft mit ihrer Musik starke Stimmungsbilder – und das steht weit über dem Streben nach Perfektion oder Gefallsucht. Zuletzt untermauerte sie das mit dem großartigen Album Norman Fucking Rockwell.

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