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Popkultur

Zeitsprung: Am 14.10.1985 setzen Iron Maiden mit „Live After Death“ den Goldstandard.

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Iron Maiden Live After Death
Eddie, die Mumie, und seine Kumpels auf der Bühne in Tokyo, 14. April 1985 - Foto: Koh Hasebe/Shinko Music/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 14.10.1985.

von Christof Leim

„Scream for me, Long Beach!“ Die legendäre Ansage von Bruce Dickinson gehört heute zur allgemeinen Metal-DNA. Mit Live After Death setzen Iron Maiden am 14. Oktober 1985 den Goldstandard, an dem sich alle anderen Konzertmitschnitte messen müssen. Mal ehrlich: Besser geht’s fast nicht.

Hier könnt ihr Live After Death anhören:

Iron Maiden feuern Mitte der Achtziger aus allen Rohren: Als sie am 9. August 1984 zur World Slavery Tour aufbrechen, stehen sie an der Spitze des Metal-Genres. Der Mainstream und die Radiosender schlafen noch, was die Welt der Riffs angeht, das Fernsehen sowieso, aber Maiden touren wie die Wahnsinnigen und ziehen weltweit ordentlich Leute in die Hallen. Die Alben stehen sowieso in jeder ernstzunehmenden Plattensammlung der Headbangerschaft. 

Die große Rockshow

Mit dem fünften Werk Powerslave im Handgepäck fahren die fünf Briten die größte Show ihrer Karriere auf mit geilem Licht, Explosionen und Riesenbühne, alles passend zum ägyptischen Thema des Albumcovers. Das heißt: Pyramiden, Sarkophage und eine überdimensionale Eddie-Mumie, die Feuer aus den Augenhöhlen schießt. Ein Metal-Träumchen. Die Band selber befindet sich nach vier Alben und vier Welttouren in vier Jahren in bester Verfassung. Sagen wir mal so: Bruce Dickinson, Steve Harris, Dave Murray, Adrian Smith und Nicko McBrain sind recht gut eingespielt und genießen zu Recht einen Ruf als hervorragende Liveband. Hits und Genreklassiker haben sie sowieso massig am Start.

Die World Slavery Tour führt die Herren elf Monate und 189 Shows lang durch 24 Länder. Wie der Tourmanager Tony Wigens im Booklet zu Live After Death aufzählt, reisen Iron Maiden dabei „an die 100000 Meilen, nutzen 7778 Hotelzimmer, 6392 Gitarrensaiten, 3760 Schlagzeugstöcke, 3008 Plektren und trinken an die 50000 Dosen Bier.“ Die Ausrüstung wiegt vierzig Tonnen und füllt sechs Trucks. Die Liste der Tourdaten verursacht Schwindel, die Musiker sind danach komplett durch und lassen sich mit dem Nachfolger Somewhere In Time (1986) erstmal Zeit. Aber die Mammutaufgabe hat sich gelohnt, Iron Maiden sind 1984/1985 die Metal-Band der Stunde.

„We shall never surrender“

Einen besseren Zeitpunkt für ein Livedokument gibt es nicht. Was ein Glück, dass Maiden mehrere Shows in Ton und Bild mitschneiden. Live After Death enthält Aufnahmen von vier Nächten in der Long Beach Arena in Kalifornien (14.-17. März 1985) sowie fünf Show im Londoner Hammersmith Odeon (8.-12. Oktober 1984).

Darauf spielt die Band mit unbändiger Energie und beeindruckender Selbstsicherheit, gnadenlos tight und noch ein kleines bisschen flotter als sonst. Dazu  singt sich Dickinson grandios durch eine Setlist zum Niederknien. Die Sause beginnt mit einer Rede von Winston Churchill, die er im Juni 1940 im britischen Parlament gehalten (und später nochmal aufgezeichnet) hatte. „We shall fight on the beaches“, „we shall never surrender“ –  nicht wenige Metaller und Metallerinnen können hier immer noch mitsprechen.

Alles echt live

Ansonsten sind sie alle da, die Hits und auch die tollen Songs aus der zweiten Reihe: The Number Of The Beast, Hallowed Be Thy Name, Run To The Hills, The Trooper, Wrathchild, Powerslave, Flight Of Icarus und so weiter. Maiden scheuen auch vor dem Prototyp der langen, epischen Metal-Nummer nicht zurück und zelebrieren Rime Of The Ancient Mariner in seiner vollen 13-minütigen Pracht. Im langen Mittelteil von Running Free stachelt der Frontmann das Publikum zu immer lauteren Chören an, während Harris und McBrain im Hintergrund den Groove weiterlaufen lassen, aber klingen, als könnten sie es kaum erwarten, wieder auf’s Gas zu drücken.

Das Wichtigste: Live After Death ist tatsächlich live. Es gibt keine Overdubs, keine Studiotricks, keine Nachbearbeitungen. Selbst wenn Maiden die Zeit für solcherlei gehabt hätten, was sie natürlich nicht hatten, kam das nicht in Frage, wie Steve Harris in der offiziellen Bandbiografie Run To The Hills von Mick Wall unterstreicht. Dazu klingt das Ganze großartig dank Stammproduzent Martin Birch, der bereits 1972 den Liveklassiker Made In Japan von Deep Purple betreut hatte.

Eddie aus dem Grab

Aufgemacht wird Live After Death als imposantes Doppelvinyl, das eine Beobachtung von Metallica-Drummer Lars Ulrich unterstreicht: „Iron-Maiden-Alben sehen immer zehn Prozent geiler aus als die von anderen Leuten“. Auf den Innenhüllen finden sich unzählige großartige Fotos von Ross Halfin, einem der besten Rockfotografen. Wir erleben Maiden in voller Fahrt umgeben von Funken und Feuer oder zufrieden durchgeschwitzt nach der Show, dazu jede Menge Backstage-Clownereien. Und irgendwie sehen auch die gestreiften Spandex-Hosen cool aus. Technik-Freaks können lesen, wie und womit Martin Birch die Aufnahmen angefertigt hat, sogar das Soundequipment und das Instrumentarium der Protagonisten sind detailliert aufgelistet. Daneben beeindruckt der Tagesplan der Crew: Um 8 Uhr morgens geht es mit dem „Rigging Call“ los, um 2 Uhr nachts steht da „Finish loading trucks, shower, into buses and travel to the next show.“

 

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Happy Birthday to Mr Steve Harris. This was taken at Long Beach Arena, March 14th 1985 for the Live After Death album

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Vor allem aber übertrifft sich Zeichner Derek Riggs bei der Albumhülle ein weiteres Mal selbst: Darauf ersteht unser aller Liebling Eddie in einer stürmischen Nacht aus dem Grab. Umgeben von gelben Flammen sprengt er die Ketten an seinen Armen, ein Blitz fährt in seine Stirn, wo noch die eiserne Klammer sitzt, die ihm die Lobotomie von Piece Of Mind (1983) eingebracht hat. Geil. Der Grabstein neben ihm zitiert H. P. Lovecraft und nennt sogar Eddies Namen. Schade, das ein Dreckklumpen die Sicht versperrt. Lesen können wir nur „Edward T. H…“ (Eingeweihte wissen aber, dass es “Edward The Head” heißt nach einem Witz aus der Frühzeit der Band, aber das ist eine andere Geschichte.)

Im Hintergrund sieht man die nächtliche Silhouette einer Stadt, darüber thront in den Wolken der Sensenmann. Wie üblich versteckt Riggs ein paar Feinheiten: „Here lies Derek Riggs“ steht auf einem Grabstein, „Help it’s hot in here“ auf einem anderen. Die Inschrift „Live With Pride“ unterstreicht den Stolz der Band, die Aufnahmen nicht bearbeitet zu haben. Natürlich fehlt auch die schwarze Katze mit den funkelnden Augen und dem Heiligenschein nicht.

Der Goldstandard im Metal

Live After Death erscheint am 14. Oktober 1985 und sorgt umgehend für Furore. Das führt zu Platz zehn in Deutschland, Platz 19 in den USA und sogar Rang zwei in Großbritannien für die Audioversion. Diese enthält 18 Songs aus Long Beach und London und kommt auf eine beeindruckende Spielzeit von über 100 Minuten. Die Videovariante, hervorragend gefilmt ausschließlich in Long Beach, läuft ebenfalls bestens. 

Für Ärger sorgt allerdings die ursprüngliche Version auf CD, damals noch ein neues Medium. Wegen Beschränkungen der Laufzeit fehlen die letzten fünf Songs (alle aus dem Hammersmith Odeon), und Running Free wird auf unter vier Minuten gestutzt. Sowas macht man doch nicht! Die Neuauflage zehn Jahre später behebt den Fehler nicht, bietet aber immerhin die drei B-Seiten der Livesingles, darunter seltene Schätzchen wie Losfer Words (Big ‚Orra) oder Sanctuary, das es sonst nur in der Videoversion gibt. Erst 1998 erscheint eine Doppel-CD mit dem vollständigen Audiomitschnitt, aber ohne die B-Seiten.

Heute gilt Live After Death als das vermutlich beste Konzertdokument des Genres und zeigt eine Band auf dem Höhepunkt ihrer Fähigkeiten. Muss man haben, ehrlich.

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Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.

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