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Popkultur

Zum 75. von Marianne Faithfull: Das wilde Leben von „Sister Morphine“ in sieben Songs

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Foto: John Pratt/Getty Images

Wenn es eine Persönlichkeit gibt, die in den wilden Zeiten des Rock’n’Roll alles mitgemacht hat, dann ist es Marianne Faithfull. Von der Ikone einer ganzen Generation zum tiefsten Sturz, von den Drogen zurück ans Licht: Heute kann sie ihren 75. Geburtstag feiern. Und hätte das selbst wohl am wenigsten erwartet.

 von Björn Springorum

Erst dieses Jahr begeisterte Marianne Faithfull mit ihrem Album She Walks In Beauty. Das ist ungefähr so weit von ihrem großen Hit As Tears Go By entfernt wie Johnny Cashs American Recordings von seinen frühen Country-Schunklern. Und doch begegnet uns auf diesem mit Warren Ellis inszenierten Album dieselbe Person, die mit Mick Jagger liiert war, die gefühlt jeder britischen Musikgröße der Sechziger den Kopf verdreht hat. Die den Drogen verfiel und zwei Jahre auf den Straßen Londons lebte.

Heute feiert die Diva des Dilemmas ihren 75. Geburtstag. Erst kürzlich sprang sie dem Tod von der Schippe. Wieder mal. Sie infizierte sich mit Corona, lag drei Wochen auf der Intensivstation. Vielleicht erträgt man so etwas leichter, mit mehr Nonchalance, wenn man so ein Leben gelebt hat wie sie, wenn man Brustkrebs ebenso überstanden hat wie Hepatitis-C, wenn man adliger Herkunft ist und wenn man die Frau ist, der Eskapaden mit einem Schokoriegel zugeschrieben wurden, die es so wahrscheinlich nie gegeben hat. Von der unschuldigen 17-jährigen Marianne, die 1964 voller lasziver Unschuld As Tears Go By hauchte, bis zur Faithfull, die auf She Walks In Beauty herzzerreißend schöne Gedichte von John Keats und anderen Poeten vertont: Ein bewegtes Leben in sieben chronologischen Songs.

1. As Tears Go By (1964)

Der Song, der das fatale Hamsterrad ins Rollen bringt: Nachdem Marianne Faithfull 1964 an einer Releaseparty der Rolling Stones teilnimmt und dort ihren späteren Mann John Dunbar und den Stones-Strippenzieher Andrew Loog Oldham kennenlernt, ist den beiden sofort klar: Dieses Mädchen muss ins Rampenlicht! Sie nimmt das von Mick Jagger und Keith Richards geschriebene As Tears Go By ein gutes Jahr vor den Stones auf und landet einen großen Hit damit – es ist der berühmte Song, den Jagger und Richards schreiben, als sie von ihrem Manager in einer Küche eingesperrt werden.

2. Come And Stay With Me (1965)

Geschrieben von der US-amerikanischen Rock’n’Roll-Patin Jackie DeShannon, wird Come And Stay With Me 1965 einer von Faithfulls größten Hits. Der Legende nach störte Faithfulls Manager Tony Calder DeShannon mit ihrer Affäre Jimmy Page im Hotelzimmer. Er wurde deutlich abgewiesen und soll gerufen haben: „Dann schreib danach aber wenigstens einen Song für Marianne!“ Tat sie.

3. Sister Morphine (1969)

Bis heute kennt man den Song eher als beklemmendes Manifest vom 1971-er Stones-Opus Sticky Fingers. Noch immer wissen nicht alle, dass Faithfull den Song gemeinsam mit Jagger und Richards geschrieben hat. Ihre Fassung versammelt Mick Jagger an der akustischen Gitarre, Ry Cooder an Silde- und Bassgitarre und Jack Nitzsche an Piano und Orgel. Nicht wenige finden ihre Fassung intensiver.

4. It’s All Over Now, Baby Blue (1971)

1970 und 1971 ist Marianne Faithfull ganz unten angekommen. Sie lebt auf den Straßen Londons, fliegt aus einem Rehabilitationsprogramm. Der Produzent Mike Leander findet sie auf der Straße, bringt sie wieder ins Studio und nimmt 1971 das Cover-Album Rich Kid Blues mit ihr auf. Es wird erst 1985 veröffentlicht, als sich ihre Karriere wieder stabilisiert hat. Nicht nur ihre Dylan-Interpretation It’s All Over Now, Baby Blue zeigt, wie schade das ist.

5. Broken English (1979)

15 Jahre nach ihrem Debüt mit As Tears Go By ist ihre Stimme nicht wiederzuerkennen. Eine heftige Kehlkopfetzündung als Folge ihres obsessiven Drogenkonsums lässt sie brüchtig, heisern und kratzig erscheinen. Nicht mehr dasselbe – aber immer noch ausdrucksstark. Das beweist sie mit eisernem Willen auf ihrem Comeback-Triumph Broken English, das sie 1979 der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof widmet. Dem Titeltrack dieses fantastischen Albums hört man überdeutlich an, wie fest Faithfull damals in der englischen Punk-Subkultur verhaftet war.

6. Strange Weather (1987)

Schon wieder ein Titeltrack, diesmal von ihrem 1987er Album, das sie endgültig als Prinzessin des düsteren Cabaret-Pop etabliert. Faithfull dirigiert ihre ganz eigene Version der Dreigroschenoper – burlesk, düster, leiernd und irgendwo zwischen besoffenem Bänkellied und melancholischem Chanson. Sogar As Tears Go by nimmt sie für dieses geniale Stück noch mal auf. Und wie!

7. Song For Nico (2002)

Stellvertretend für ihre Karrierephase ab den späten Neunzigern steht hier Song For Nico von ihrem 2002er Album Kissin Time, ein Tribut an ihre Mitregentin und Leidensgenossin Nico, die ähnliches durchgemacht hat wie sie. Auf dem Album kollaboriert sie mit Damon Albarn, Beck oder Billy Corgan – eine Arbeitsweise, die sie noch oft wiederholen soll und die 2021 zu Arbeiten mit Warren Ellis, Nick Cave oder Brian Eno geführt hat.

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