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Popkultur

Die musikalische DNA der Pointer Sisters

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Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Ein Country-Grammy für eine Soul-Band? Klingt für die meisten unmöglich. Für die Pointer Sisters nicht: Eine Reise zu ihren Ursprüngen steckt voller Überraschungen. Und wunderbar unangepasster Charaktere.

von Björn Springorum

Sie reißen sich den Blues, den Soul, den Funk, den Country und die Disco unter den Nagel. Und toben sich so freimütig in ihnen aus, dass niemand wusste, was sie als nächstes aushecken: Die Pointer Sisters haben aus gleich mehreren Gründen Musikgeschichte geschrieben. Mit ihren Hits natürlich, das auch: Allein zwischen 1973 und 1985 hatten sie 13 Top-20-Hits in den USA. Aber vor allem mit ihrer unangepassten Art. Vor ihren ganz großen Erfolgen in den Achtzigern weiß niemand so ganz genau, was man als nächstes von den Pointer Sisters zu erwarten hat. Sie sehen nach Glamour aus, klingen aber nicht so. Sie spielen Soul, Funk, R&B, Pop, halten sich aber weder an Regeln noch an Grenzen und paaren munter Genres, Stile, Traditionen. 1974 kommt Fairytale, das Country-Stück mit dem sie einen Grammy abräumen können; 1977 dann Waiting On You – ein klassischer Disco-Schinken.

Die richtig großen Erfolge kommen zwar erst in den Achtzigern mit Nummern wie I‘m So Excited. Doch die spannenden Pointer Sisters, das sind die, die noch von Bonnie Pointer angeführt werden, die letzte Woche im Alter von 69 Jahren gestorben ist. Die spannenden Pointer Sisters sind die, die erst im Blaxploitation-Klamauk Car Wash auftreten und dann als erste schwarze Gruppe überhaupt in Nashvilles Gran Ol‘ Opry-Radioshow singen. Musik bedeutet für die Pointer Sisters vor allem: Freiheit. Und das Bewahren ihrer eigenen musikalischen Vergangenheit. In allen Farben und Schattierungen.

Melvin Endsley

Die Vorfahren der Pointers lebten in Arkansas. Das musikalische Narrativ zwischen Country und Folk steckt der Familie auch nach dem Umzug nach Kalifornien im Blut. Einer der berühmtesten Countrymusiker aus Arkansas ist Melvin Endsley. Der schreibt 1954 mit Singing The Blues einen Standard, der in der Folge von Guy Mitchell, Bill Haley und Paul McCartney gecovert wird. Und bestimmt auch mal zuhause bei den Pointers gepfiffen wird.

Elvis Presley

Die Pointer-Schwestern wachsen im sonnigen Oakland in Kalifornien auf. Mit einem Geistlichen als Vater werden die Geschwister natürlich vom diabolischen Rock‘n‘Roll ferngehalten und leben unter der Annahme, diese Musik sei in der Tat die Musik des Teufels. Hilft natürlich nichts gegen den Reiz dieses so wunderbar gefährlichen neuen Sounds: 1957 bekommt June Pointer die Elvis-Single All Shook Up in die Finger und schmuggelt sie nach Hause. Sie ist sich sicher, dass sie diese Musik nicht spielen darf – und ist mehr als ein wenig erstaunt, als ihre Mutter die Platte entdeckt und gar nichts dagegen hat. Der Grund: Elvis konnte sie mit seinem Song Crying In The Chapel besänftigen und glaubhaft versichern, dass er wirklich nichts mit dem Teufel zu tun hat. Aus dem Kinderzimmer der Geschwister dringt auf absehbare Zeit nichts anderes.

Sylvester James

Bonnie und June Pointer legen als erste mit der Musik los. 1969 gründen sie das Duo Pointers, A Pair und haben erste Auftritte in Bars und Clubs. Immer öfter werden sie auch als Background-Sängerinnen gebucht, unter anderem für Grace Slick, Boz Scaggs oder Sylvester James. Insbesondere die schillernder Figur des Sylvester mit seinem androgynen Auftreten, seiner Vorliebe für Cross-Dressing und seinem Unwillen, sich in ein gängiges Schema pressen zu lassen, macht ordentlich Eindruck auf die jungen Sisters.

The Supremes

Ohne die Supremes keine Pointer Sisters! Die Motown-Mädels um Diana Ross sind nicht nur die bis heute erfolgreichste Girl-Group aller Zeiten; sie haben im Grunde auch das Fundament errichtet, auf dem die Pointer Sisters ihren Erfolg in den späten Siebzigern aufbauen. Und dann selbst ein ebenso großes Vorbild für Künstlerinnen wie Madonna und Janet Jackson oder Bands wie Destiny‘s Child werden.

Billie Holiday

Es ist kaum möglich, eine US-amerikanische Sängerin zu sein und nicht von Billie Holiday beeinflusst zu werden. Amerikas Jazz-Ikone mit der unvergleichlichen Stimme und dem Hang zur Selbstzerstörung wurde beleidigt, ausgebuht, wegen ihrer Hautfarbe angefeindet und sollte in Hotels nicht den Haupteingang, sondern den Kücheneingang benutzen. Sie hält durch, singt mit Strange Fruit einen bewegenden Song über den Lynchmord an einem Schwarzen in den Südstaaten. Das macht auch auf die Pointers Eindruck, die insbesondere in den Siebzigern gern und häufig mit dem Jazz kokettieren.

The Temptations

Im Grunde kann man es kurz und bündig festhalten: Die Pointer Sisters sind eine Art weibliche Ausgabe der Temptations. Das Motown-Quartett erlebt in den Sechzigern einen kometenhaften Aufstieg und zeigt den kalifornischen Schwestern, wie viel mit Harmoniegesang möglich ist.

Nina Simone

Alle vier Pointer-Schwestern verehren Nina Simone. Bei ihr sehen sie, dass man sich nicht auf einen Stil festlegen muss, wenn man das nicht will. Wie sie es später selbst machen werden, kreuzt Simone Blues, Gospel, Soul, Pop, Blues und Jazz in ihrer eklektischen Musik und nimmt wie besessen auf: Allein zwischen 1958 und 1974 entstehen 40 Platten von ihr. Mehr als genug Material für die Pointers also, sich beeinflussen zu lassen.

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