Popkultur
Die musikalische DNA von Tina Turner
Manche sind gut, aber Tina Turner ist einfach die Beste – besser als all der Rest. Sagt beziehungsweise singt sie selbst, stimmt aber eben auch. Gerade weil sie sich mit „simply the best“ nicht selbst ansprach. Bescheidenheit ist schließlich auch eine Tugend. Seit 1958 ist die Sängerin im Geschäft und seitdem hat sich viel geändert, nicht nur im Musikbusiness oder der Weltgeschichte. Aus Anna Mae Bullock wurde Tina Turner, aus der Backgroundsängerin ein Weltstar, aus der Baptistin eine Buddhistin und aus der US-Amerikanerin schließlich eine Schweizerin. Eins aber ist sie geblieben, nachdem ihr dieser Titel das erste Mal verliehen wurde: die unbestrittene Queen of Rock’n’Roll und nebenbei ein grundsympathischer Mensch.
Hört hier in die Greatest Hits von Tina Turner rein:
Im Laufe ihrer Karriere sah sich Turner vielen Widrigkeiten ausgesetzt. Als schwarze Frau stand sie in den segregierten USA in der gesellschaftlichen Hackordnung ganz unten und fand mit Ike Turner einen Partner, der sich bald als herrischer Gewalttäter entpuppte. Das alles floss in ihre Musik ein und es hat sie zum Glück nur stärker gemacht. Ihrem Schicksal trat sie mit viel Talent und Willenskraft entgegen. Der Kampf sollte sich auszahlen: Kaum eine renommierte Würdigung, die ihr nicht zuteilwurde und mehr verkaufte Tonträger als die meisten anderen. Selbst ein stocksteifer konservativer Politiker wie George W. Bush lobte ihr „natürliches Können, die Energie und Sinnlichkeit“ ihrer Auftritte, konnte sich aber einen Kommentar über ihre Beine – „die berühmtesten im Show-Biz“ – nicht verkneifen.
Doch bleiben wir beim Wesentlichen: Was macht Tina Turners Musik, die sich im Laufe von über 60 Jahren bisweilen entschieden verändert hat, so besonders? Diese Frage beantwortet uns ein Blick auf ihre musikalische DNA, die musikalische und bisweilen sogar übernatürliche Einflüsse in sich vereint.
1. Rev. Louis Overstreet – Walk With Me Lord
Tina Turner wurde im November 1939 geboren. Der Zweite Weltkrieg war auf dem europäischen Festland bereits im Gange und in den USA herrschten noch die Rassengesetze. Der schwarzen Bevölkerung war die gesellschaftliche, kulturelle und rechtliche Teilhabe an der Gesellschaft weitestgehend untersagt. Das betraf auch die Bildung. Wie viele ihrer Generation kam Anna Mae deswegen vor allem durch die Kirche an Musik heran und sang als Teil des Chors der Spring Hill Baptist Church in Nutbush, Tennessee ihre ersten Lieder.
Zu ihren Wurzeln kehrte Turner im Jahr 1974 zurück, als sie gemeinsam mit Ike das Album The Gospel According to Ike and Tina aufnahm. Darauf fanden sich viele klassische spirituelle Lieder, wie sie die Sängerin zum ersten Mal sonntags nach der Predigt zum Besten gegeben hatte, darunter auch Walk With Me (I Need You Lord to Be My Friend) beziehungsweise Walk With Me Lord, wie das Stück in anderen Adaptionen von unter anderem Reverend Louis Overstreet heißt. Die Nähe zum Blues-Sound, aus dem sich in den fünfziger Jahren der Rock’n‘Roll entwickelte, ist in seiner Version unüberhörbar.
2. Deva Premal & Miten with Manose – Nam Myoho Renge Kyo
Dass The Gospel According to Ike and Tina 1974 erschien, ist eigentlich eine Ironie der Musikgeschichte. Ein Jahr vorher nämlich noch begann sich Turner erstmals für die Lehren des Nichiren-Buddhismus zu interessieren. Denen zufolge ist die Erleuchtung übrigens schon im Diesseits und nicht wie in anderen Formen des Buddhismus oder im Falle der Erlösung im Christentum erst im Nachleben möglich. Eine kleine Abkürzung Richtung Seelenheil also? Vielleicht. Wer aber hätte es ihr verübeln können?
Mitte der siebziger Jahre verfiel Ike immer weiter dem Kokain und zeigte darüber mehr und mehr seine gewalttätige Seite. Es waren schwere Zeiten für Tina und das buddhistische Mantra Nam Myoho Renge Kyo, das typisch für den Nichiren-Buddhismus ist, half ihr beim Überstehen dieser Widrigkeiten. „Nam Myoho Renge Kyo ist wie ein Song. In der Soka Gakkai-Tradition wird uns gelehrt, wie er zu singen ist. Es ist ein Klang und ein Rhythmus, der dein Innerstes berührt. Dieser Ort, den wir zu erreichen versuchen, ist das Unbewusste. Ich denke, das ist der höchste Ort“, sagte Turner über die Bedeutung, welches das Stück für sie hat.
3. The Trojans – As Long As I Have You
Egal, was wir vom Nichiren-Buddhismus und seinem Mantra halten: Es war gut, dass Turner darin Kraft fand. Denn ausgerechnet der Mann, der ihrem Ruhm den Weg geebnet hatte, entpuppte sich als große Bedrohung für sie. Dabei hatte doch alles ganz anders angefangen. Mit 17 sah Turner zum ersten Mal die Kings of Rhythm mit ihrem Bandleader Ike. Ihren Beschreibungen zufolge versetzte sie die treibende Musik des Kollektivs geradezu in Trance. Als ihr der Drummer während einer Pause das Mikrofon reichte, zögerte sie deshalb nicht lange und wurde glatt zur Gastsängerin des Abends.
Der Rest ist Geschichte. Zuerst heuerte sie unter dem Namen Little Ann als Backgroundsängerin bei Ike an und übernahm im Studio das Mikro, als der The Trojans-Sänger Art Lassiter partout nicht auftauchen wollte. So sang sie an seiner Stelle A Fool in Love ein. Ein schicksalhaftes Fernbleiben, denn A Fool in Love machte den Labelbetreiber Juggy Murray auf die junge Künstlerin aufmerksam. Er überzeugte Ike, ihr mehr Raum zur Entfaltung zu geben. Der erfand für sie die Fantasiefigur Tina, eine Rolle, die notfalls auch andere Sängerinnen spielen konnten. Seitdem aber gab es aber nur die eine Tina Turner und eine andere wird es nie geben. Der 1994 verstorbene Lassiter verhalf so Turner auf Umwegen zu ihrer Karriere und arbeitete noch manches Mal mit ihr. Wenn er es denn ins Studio schaffte, heißt das.
4. The Ronettes – Be My Baby
Neben den Trojans versammelte Lassiter noch eine andere Vokalgruppe um sich: Robbie Montgomery, Frances Hodges und Sandra Harding waren damals als The Artettes bekannt. Sie nahmen später unter Ikes Führung den Namen The Ikettes an – eine Gruppe, der Tina vorangestellt wurde. Damals gingen sie gemeinsam mit den Kings of Rhythm auf Tour und sorgten für eine Show, die manche mit denen von James Brown verglichen! Davon zeigte sich auch der Produzent Phil Spector angetan, der Ike und Tina 1965 in Los Angeles live sah und sie ins Studio einlud.
Unter den scharfen Ohren des „wall of sound“-Erfinders Spector nahm das Duo die Single River Deep – Mountain High auf, welche Spector bis heute zu einer seiner besten Produktionen zählt. Das Miteinander von Turners charismatischer Stimme und dem sinfonischen Sound des Stücks sorgte für den maximalen Effekt. Und genau um den ging es Spector! Vorgemacht hatte er das allerdings selbst mit Songs wie Be My Baby für die Ronettes, die inoffiziellen Namensgeberinnen für die Artettes beziehungsweise Ikettes. Mehr Bombast auf einer Aufnahme war damals nicht möglich. Spector blieb den Turners übrigens weiter treu: 1991 vertrat er sie sogar während der Zeremonie zu ihrer Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame.
5. Otis Redding – I’ve Been Loving You Too Long
Während Ike sich immer weiter in den Hintergrund verziehen musste, blühte Tina ab Ende der sechziger Jahre immer weiter auf. Nicht nur ein Nerd wie Spector, sondern auch die breite Masse begann langsam aber sicher, sich für sie zu begeistern. Als 1968 das Blues-infizierte Album Outta Season erschien, glänzte sie darauf mit Coverversionen von Albert Kings titelgebendem Stück und einer Otis Redding-Ballade.
Heute wirkt es nahezu ironisch, dass Turner damals die Worte I’ve Been Loving You Too Long in den Mund nahm. Denn das bahnbrechende Soul-Stück, das den Sound des Stax-Labels maßgeblich prägen sollte, wird aus der Perspektive eines Mannes gesungen. Dessen Geliebte ist seiner überdrüssig geworden und sehnt sich nach Freiheit. Nach ihrer Scheidung von Ike sagte Turner: „Mir gefiel meine Freiheit sehr, nachdem ich da raus war…“ She’d been loving im too long!
6. The Rolling Stones – Gimme Shelter
Das Redding-Stück wurde allerdings schon vor Turners Cover-Version neu aufgenommen und zwar von einer Band, die zu dieser Zeit für gehörigen Wirbel sorgte. Kaum war das Original 1965 erschienen, lieferten die Rolling Stones ihre eigene Interpretation des Stücks nach, drei Jahre vor den Turners. Da die Stones jedoch von ihrer Spector-Produktion River Deep – Mountain High begeistert waren, luden sie die Turner-Revue 1968 auf ihre England-Tour ein. Die schaute im Gegenzug vorbei, als die Stones 1969 durch die Staaten reisten.
Im legendären Konzertfilm Gimme Shelter aus dem Jahr 1970 ist auch tatsächlich eine Einstellung zu sehen, in der Ike & Tina I’ve Been Loving You Too Long aufführen. Seit dieser Zeit näherten sich die beiden auch immer weiter dem dominierenden Rock-Sound der Ära an. Nur wenig Jahre später spielte Tina sogar in der Verfilmung von The Whos Tommy mit, als drogensüchtige Sexarbeiterin, die den Protagonisten verführen möchte und den Song The Acid Queen singt. Das im Übrigen war auch der Titel ihres zweiten Solo-Albums, das wie der Film im Jahr 1975 erschien.
7. Elton John – The Bitch Is Back
Die Rolling Stones und The Who: Tina Turner umgab sich gerne mal mit den Größten ihres Fachs. Und warum auch nicht? Sie war eine erfahrene Performerin mit einer unverwechselbaren Stimme, die viele der rüpelhaften Kerls aus dem Rock-Zirkus jederzeit in die Tasche gesteckt hätte. Denn Turner hat seit jeher etwas an sich, das kein Rocker einfach so erlernen kann: Charisma und Präsenz. Die mitreißende Theatralik ihrer Live-Auftritte allerdings hat sie auf Ochsentouren quer durch die Welt – bis zu 90 Shows spielte die Turner-Revue bisweilen pro Jahr! – und zahlreichen TV-Auftritten verfeinert. Turner ist eine dieser seltenen Ausnahmefiguren: gleichzeitig Vollblutkünstlerin und Entertainerin.
Deswegen verwundert es kaum, dass Turner nach der Trennung von Ike in Las Vegas mit einer Kabarett-Show reüssierte und später den glamourösen Disco-Sound der Ära aufnahm. Als sie zwischendurch im Jahr 1978 ein Cover von Elton Johns parodistischem Song The Bitch Is Back aufnahm, kam zusammen, was zusammen gehörte: Der exzentrische Sänger war schließlich so eine Art britisches Gegenstück zu Turner. Immer wieder standen die beiden auf der Bühne und spielten das Stück sogar gelegentlich zusammen. Als sie 1999 beide gemeinsam mit Cher den Song Proud Mary bei den Divas Live ‘99 spielten, erlaubte sie sich allerdings einen Schnitzer: „Ich habe einen Fehler begangen, als ich ihm zeigen musste, wie Proud Mary gespielt wird“, gab sie in einem Interview zu. „Der Fehler war, dass du Elton John nicht erklärst, wie er sein Klavier zu spielen hat!“
8. James Brown & The Famous Flames – Please, Please, Please
John stürmte entrüstet von der Bühne und eine geplante gemeinsame Tour war damit vereitelt. „Er ist nicht wie Jagger oder andere Leute, die professionell genug sind, um einfach weiterzumachen“, erklärte Turner. „Er ist einfach sehr sensibel. Sehr. So sensibel.“ Aber Turner wäre nicht Turner, wenn sie mit cholerischen Paradiesvögeln nicht klar käme. Nicht umsonst wurde sie häufig als weibliches Pendant zu James Brown bezeichnet. Der nämlich mag zwar ebenso hitzköpfig gewesen sein – und teilte nebenbei mit Ike den Hang zur Gewalt – galt aber nicht ohne Grund als „the hardest working man in showbiz“.
Mit dem Werk Browns und seinen Bandleader-Qualitäten war Turner bestens vertraut. Ein aus dem Jahr 1964 erhaltenes Video zeigt sie gemeinsam mit Ike mit einem Cover von Please, Please, Please glänzen. Da bleibt nicht wenigen die Spucke weg und das überwiegend weibliche Publikum schreit noch lauter, als es bei einem durchschnittlichen Brown-Konzert der Fall war. Meisterhaft ist auch, wie Turner für einen kurzen Moment die Musik unterbricht: „Ich will euch etwas bitten“, sagt sie. „Falls hier jemand unter den Anwesenden mal verletzt wurde, soll er oder sie jetzt ‚I!‘ rufen.“ Der Rest geht in brüllendem Lärm unter. Vielleicht ist sie eben nicht nur die Queen of Rock’n‘Roll, sondern zugleich die Soul Sister Number One!
9. U2 – I Still Haven’t Found What I’m Looking For
Obwohl natürlich das Herz Turners nach wie vor für den Rock schlägt. Neben Abstechern in die Disco-Welt und einige Fettknäpfchen im Pop-Bereich – wir erinnern uns an das Duett mit Eros Ramazzoti! – suchte sie immer wieder die Nähe zu Rock-Bands. Nachdem sie am Film What’s Love Got to Do With It mitgearbeitet und auf eine längere US-Tour gegangen war, zog sich Turner ab 1993 wieder für eine Weile zurück und meldete erst zwei Jahre ihre Rückkehr auf fulminante Weise an: Sie durfte den Titelsong für den James Bond-Film GoldenEye singen, eines der ikonischsten Stücke der gesamten Bond-Geschichte.
Dafür arbeitete sie mit U2 zusammen, eine zuerst ungewöhnliche Kombination. Doch wusstet ihr, dass die irische Band schon mal Turners Private Dancer auf ihren Konzerten gecovert hat? Der Einfluss der Queen of Rock’n‘Roll lässt sich eben überall nachweisen. Umgekehrt konnte Turner einiges von Bono und seinen Kollegen mitnehmen und nicht zuletzt schrieb The Edge ihr den GoldenEye-Theme direkt auf den Leib. Doch lehnte diese zuerst ab. Erst ein handgeschriebener Brief von Bono und ein Besuch des Sängers gemeinsam mit The Edge bei ihr zuhause in der Schweiz konnten sie umstimmen. Zum Glück. Nicht nur Phil Spector, sondern auch die Iren wussten genau, wie sie Turner im Studio perfekt inszenieren konnten.
10. Beyoncé – Flawless
Eine musikalische DNA versammelt nie allein nur die reinen Einflüsse von bestimmten Bands und Artists, sondern nimmt zum Schluss auch immer in den Blick (oder: ins Ohr), wie deren Musik selbst stilprägend geworden ist. Keine leichte Aufgabe bei einer Ausnahmefigur wie Turner. Viel eher ließe sich nämlich aufzählen, wen sie mit ihrer abwechslungsreichen Musik nicht inspiriert hat. Ein wenig eingrenzen können wir es zumindest. Von Oprah Winfrey über Whitney Houston hin zu Kelis wurde sie vor allem von schwarzen Künstlerinnen als Idol genannt. Nur verständlich, hatte sie doch viel dazu beigetragen, dass schwarze Frauen im männerdominierten Rock-Zirkus mittlerweile ernst genommen werden.
Das Selbstvertrauen, mit der Turner vor allem in ihrer Anfangszeit die Bühnen regierte, ist nicht als selbstverständlich anzunehmen. Denn Turner hat hart für jedes Bisschen Respekt gekämpft und damit die Welt für sich gewonnen. Dass der vielleicht größte Pop-Star unserer Zeit sie zu ihren Vorbildern zählt, versteht sich da wie von selbst. Klar, wir reden von Beyoncé! Beide wuchsen in den Südstaaten auf, in denen Alltagsrassismus noch immer an der Tagesordnung stand, und schafften es mit viel Ellbogenfett an die Spitze der Musikwelt. Ein Song wie Flawless von Beyoncés selbstbetitelten Album, der dank seines Chimamanda Ngozi Adichie-Samples zugleich ein feministisches Manifest ist, steht eindeutig in der Tradition einer Tina Turner!

Popkultur
Als Led Zeppelin facettenreicher wurden: „Houses Of The Holy“
Vier durchnummerierte Platten brauchten Led Zeppelin, um die Spitze des Rockolymp zu erklimmen. Auf ihrer fünften Veröffentlichung Houses Of The Holy schlugen die Briten experimentierfreudigere Pfade ein — mit großem Erfolg. Den Titeltrack mussten sie allerdings auf das nächste Album verschieben.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Houses Of The Holy von Led Zeppelin anhören:
Pause? Für Led Zeppelin ist das zu Beginn ihrer Karriere ein Fremdwort. In gerade einmal drei Jahren veröffentlichen die Briten vier legendäre Alben, touren mehrfach um den Globus und spielen weltweit vor ausverkauften Häusern. Großbritannien, Nordamerika, Japan, Australien — und wieder von vorn. Ein wenig zur Ruhe kommen Led Zeppelin erst 1972, als sie mit der Aufnahme ihres fünften Albums Houses Of The Holy beginnen. Die Gruppe schlägt darauf experimentellere Wege ein und setzt auf aufwändige Arrangements und neue Einflüsse statt auf schnodderigen Hardrock-Sound. Doch wie genau kam es zu dieser Typveränderung — und hatten auch die Fans Freude an den neuen Led Zeppelin?
Houses Of The Holy: Ein Album unter anderen Umständen
Anfang der Siebziger ist das Bankkonto von Led Zeppelin bereits gut gefüllt — so gut, dass sich Gitarrist Jimmy Page und Bassist John Paul Jones ihre eigenen Heimstudios einrichten. Zum ersten Mal können die beiden Musiker ihre Ideen in aller Ruhe aufnehmen, noch einmal hören, bearbeiten und ergänzen. Dadurch werden die Songs ausgeklügelter als sonst — weg vom Bluesrock, hin zum AOR, wenn man so möchte. Als Led Zeppelin mit den offiziellen Aufnahmen von Houses Of The Holy beginnen, sind die vier Musiker deutlich besser vorbereitet als bei ihren vorherigen vier Alben. Zu gut, wie es scheint, denn die Band spielt mehr Songs ein als auf die Platte passen.
Während der Sessions zu Houses Of The Holy sammeln Led Zeppelin so viel Material, dass sie ein paar ihrer neuen Kompositionen für später aufbewahren müssen. Das betrifft zum Beispiel den Song Walter’s Walk, der erst 1982 auf der Zusammenstellung Coda erscheint. The Rover und Black Country Woman packen die Briten auf ihr sechstes Album Physical Graffiti (1975). Besonders kurios: Sogar den Titeltrack verschieben Led Zeppelin auf später, sodass der Song Houses Of The Holy nun nicht auf dem Album Houses Of The Holy zu finden ist, sondern ebenfalls auf dem Nachfolger Physical Graffiti. Trotzdem klingt Houses Of The Holy stimmig — auch wenn „Led Zep“ darauf einige Experimente wagen.
Da wäre zum Beispiel die Funk-lastige Nummer The Crunge, die man den Briten vorher wohl nicht unbedingt zugetraut hätte. Auch das Reggae-beeinflusste Stück D’yer Mak’er klingt nicht wie ein typischer Led-Zeppelin-Song. Genau das war das Ziel, wie Gitarrist Jimmy Page in dem Buch Light & Shade: Conversations With Jimmy Page erklärt: „Auch wenn alle ein zweites Led Zeppelin IV wollten: Es ist sehr gefährlich, sich selbst zu kopieren. Ich werde keine Namen nennen, aber jeder kennt Bands, die sich ewig wiederholen. Nach vier oder fünf Alben sind sie ausgebrannt. Bei uns hingegen wusste man nie, was als nächstes kommt.“
Eine Tour der Superlative — und der anschließende Burnout
Das gilt auch für die Tour zu Houses Of The Holy, mit der Led Zeppelin einmal mehr neue Live-Show-Maßstäbe setzen. Laser, Discokugeln, aufwändige Outfits, Pyrotechnik: Die britischen Rocker lassen sich nicht lumpen und feuern auf ihrer insgesamt dreimonatigen Tour aus allen Rohren. 55 Konzerte geben Led Zeppelin, darunter auch in Nürnberg, München, West-Berlin, Hamburg, Essen und Offenburg. Überall feiert wird die Band gefeiert; später ist sogar die Rede davon, dass die Tour der technische Höhepunkt der Gruppe gewesen sein muss. Doch der Preis ist hoch: Nach der Konzertreise sind Led Zeppelin so fertig, dass sie eine fast zweijährige Pause einlegen.
Was die Verkaufszahlen und den Erfolg von Houses Of The Holy betrifft, geht die Platte im Vergleich zum direkten Vorgänger Led Zeppelin IV beinahe unter. „Nur“ elffaches Platin gelingt den Briten bis heute mit dem Album; bei Led Zeppelin IV ist es mehr als doppelt so viel und auch der Houses Of The Holy-Nachfolger Physical Graffiti kann insgesamt 16 US-Platinveredelungen abräumen. Dennoch: Led Zeppelin zeigen sich auf Houses Of The Holy von ihrer erwachsenen Seite und das kommt an. Drei Alben bringen die Briten anschließend noch raus, bis der Tod von Schlagzeuger John Bonham die Karriere der Gruppe im Jahr 1980 beendet. Doch das ist wieder einmal eine andere Geschichte.
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5 Dinge, die ihr über John Paul Jones von Led Zeppelin noch nicht wusstet
Popkultur
Zeitsprung: Am 28.3.1985 tritt Alicia Keys zum ersten Mal im TV auf. Sie ist 4.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 28.3.1985.
von Timon Menge und Christof Leim
Mehr als 150 Preise gewinnt Alicia Keys im Lauf ihrer Karriere, darunter 15 Grammys. Ihre Premiere im Showgeschäft feiert sie allerdings am 28. März 1985 in einer TV-Serie – mit vier Jahren.
Hier könnt ihr euch Here anhören:
Übernachtungsparty! Die kleine Tochter der Familie hat ihre Freunde und Freundinnen eingeladen, alle sind bestens gelaunt, vor allem als sie reihum mit dem Herrn Papa Rodeo spielen. Die Regeln: Wer sitzen bleibt, gewinnt. Ein Mädchen mit Lockenkopf kann sich trotz wildester Bewegungen halten und geht als Siegerin hervor. Vier Jahre alt ist die junge Schauspielerin in dieser Szene der Bill Cosby Show, ihr Name lautet Alicia Cook. Damals kennt sie niemand, heute schon…
In den Achtzigern kann man sich ein Fernsehprogramm ohne die Familie Huxtable kaum vorstellen. In acht Staffeln thematisiert die Sitcom das Leben einer afroamerikanischen Familie aus der Mittelschicht, die sich mit alltäglichen Situationen und Problemen auseinandersetzt. Dass dieses Format auch bei der weißen Bevölkerung gut ankommt, ist zu jener Zeit noch nicht selbstverständlich. Den Familienvater Dr. Heathcliff Huxtable gibt Schauspieler Bill Cosby, nach dem die Sendung auch benannt ist. (Heute ist Cosby weltweit und zurecht in Ungnade gefallen, weil er wegen dreifachen sexuellen Missbrauchs zu mehreren Jahren Haft verurteilt wird. Aber das ist eine andere, unschöne Geschichte.)
Wer ist Alicia Cook?
Diese kleine Alicia Cook, die da einen Gast der Übernachtungsparty der kleinsten Huxtable-Tochter Rudy spielt, lernen wir Jahrzehnte später unter einem anderen Namen kennen: Alicia Keys. Mit dem Auftritt in der Show feiert sie sozusagen ihren Einstand im Showgeschäft. Hier könnt ihr euch den Ausschnitt mit ihr angucken:
In einem späteren Interview mit der Teleschau erzählt Keys: „Ich erinnere mich vor allem daran, dass es ein wahnsinnig langer Tag war. Bis das alles abgedreht war, war es später Abend – und ich und die anderen Kinder waren so müde, dass wir irgendwann einfach auf dem Sofa eingeschlafen sind. Aber ich erinnere mich auch daran, dass es extrem witzig war. Bill Cosby war super. Und hey, immerhin habe ich beim Reite-Spiel auf seinem Knie gewonnen.“
Nur der Anfang
Gewinnen wird Keys nachher noch so einiges, nämlich mehr als 150 Auszeichnungen und 14 Platinschallplatten (allein in den USA). Mit Alben wie Songs In A Minor (2001), The Diary Of Alicia Keys (2003), As I Am (2007) und The Element Of Freedom (2009) räumt sie in den 2000er Jahren wirklich alles ab. Wer hätte 1985 gedacht, dass aus der kleinen Alicia Cook einer der größten Popstars des 21. Jahrhunderts wird?
Zeitsprung: Am 7.9.1984 sind die Jacksons auf Tour und Janet brennt durch.
Popkultur
Zeitsprung: Am 27.3.1970 veröffentlicht Alice Cooper „Easy Action“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 27.3.1970.
von Bolle Selke und Christof Leim
Die Rock’n’Roll-Welt steht nicht gerade in Flammen für die Alice Cooper Band, als sie am 27. März 1970 ihr zweites Album Easy Action veröffentlicht. Das könnte nicht zuletzt an der lustlosen Produktion liegen. Trotzdem bietet sich hier ein perfektes Zeitdokument einer sich entwickelnden Band, das man fast als Vorproduktion für den Meilenstein Love It To Death im folgenden Jahr ansehen könnte.
Hier könnt ihr euch Easy Action anhören:
Geneigte Fans und Hardrock-Aficionados wissen vermutlich, dass Alice Cooper für eine Band steht, die sich 1975 auflösen wird. Erst danach adaptiert deren Sänger Vincent Furnier den Namen und wird so zu einem hochgeschätzten Heavy-Metal-Entertainer und Gottvater des Shock Rock.
Psychedelische Scheißmusik
1970 allerdings stehen solche Superlative noch in weiter Ferne. Die Truppe schraubt an ihrem zweiten Album, das ebenso wie der Vorgänger Pretties For You bei Frank Zappas Plattenfirma Straight erscheinen soll. An den Reglern sitzt David Briggs, der heutzutage vor allem bekannt dafür ist, mehr als ein Dutzend Neil-Young-Alben produziert zu haben. Schlagzeuger Neal Smith sagt später über Briggs: „David hasste unsere Musik und uns. Ich erinnere mich, dass unsere Song für ihn ‚psychedelischer Scheiß‘ waren. Wenn man mich fragt, klang Easy Action zu trocken, eher wie eine TV- oder Radiowerbung. Er half in keiner Weise beim Arrangement der Lieder oder lieferte irgendwelchen positiven Input.“ Und so wird kein einziges der Stücke von Easy Action nach der Love It To Death-Tour jemals wieder live von Cooper aufgeführt.
Nichtsdestotrotz bezeichnen manche gerade diese Scheibe als das „große unentdeckte“ Cooper-Album. Während Pretties for You eine schwierige Platte ist und Love It to Death ein Klassiker, könnte man Easy Action als das perfekte Bild einer sich entwickelnden Band ansehen. Beim ersten Stück Mr. And Misdemeanor lässt sich zum Beispiel miterleben, wie Sänger Furnier seinen bösartig klingenden Gesangsstil definiert. Alice Cooper steht später für drei Minuten lange Hits mit eingängigen Melodien und negativen Themen, welche dann gegen Ende der Alben durch längere Stücke ergänzt werden. So gesehen liefern die Rocker mit Easy Action also fast eine Vorproduktion für Love It to Death, obwohl die Band auf ersterem mehr Erfindergeist zeigt.
Unisex, roh und gewalttätig
Hinter dem Albumtitel steckt eine Zeile aus einem Lieblingsfilm von Furnier und Bassist Dennis Dunaway, dem Musical West Side Story mit der Musik von Leonard Bernstein. Zitate daraus wie „got a rocket in your pocket“ und „when you’re a Jet, you’re a Jet all the way“ werden auch bei dem Song Still No Air verwendet. Das Motiv der halbstarken Gang aus West Side Story wird auch an anderen Stellen von Alice Copper aufgegriffen. Auf dem Cover wendet sich die Band von der Kamera ab, deren unbedeckte Rücken sind nur durch ihr langes Haar bedeckt. Eine Radiowerbung von 1970 pries die Band dann auch als „unisex, roh, miteinander und gewalttätig – genau wie ihr, amerikanische Mitbürger“.
Als ob die Band den fehlenden kommerziellen Erfolg von Easy Action geahnt hätte, beginnt der letzte Song, das psychedelisch abgedrehte Lay Down And Die, Goodbye, mit den Worten des Komikers Tom Smothers: „Ihr seid der einzige Zensor. Wenn euch das, was ich sage, nicht gefällt, habt ihr die Wahl: Ihr könnt mich ausschalten.“
Die Kritiker zerreißen das Album hauptsächlich. Robert Christgau bezeichnet es im Magazin The Village Voice als „unmelodisches Singen, unmelodisches Musizieren, unmelodische Melodien und pseudomusikalischen Beton“. Erst bei Love It To Death entdeckt die Band mithilfe von Produzent Bob Ezrin den Sound für den Alice Cooper heutzutage geliebt wird…
Zeitsprung: Am 5.6.1977 gibt es einen Todesfall bei Alice Cooper – wegen einer Ratte.
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