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30 Jahre „Pretty Hate Machine“: Wie Nine Inch Nails den Mainstream das Fürchten lehrten

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Nine Inch Nails
Foto: Niels van Iperen/Getty Images

1989 tauchte ein Phänomen aus dem Nichts auf. Ein neues Genre brachte es gleich mit: Das schroffe, metallische, eiskalte Pretty Hate Machine der Nine Inch Nails vertonte das letzte Beben des Kalten Krieges, erfand dadurch mehr oder weniger zufällig den Industrial Rock. Und machte Marilyn Manson und Konsorten überhaupt erst möglich.

von Björn Springorum

Hört hier nochmal das Debüt der Nine Inch Nails:

Natürlich hat Trent Reznor den Industrial nicht erfunden. Niemand hat das. Wenn, dann haben Bands wie Skinny Puppy, KMFDM, Throbbing Gristle oder Ministry mal mehr und mal weniger bewusst Wesenszüge dieses Genres in ihre Musik einfließen lassen und dem Industrial als solchen langsam maschinell-erdrückende Kontur verliehen. Als Reznor mit seinen Nine Inch Nails auf den Plan trat, hatte er also durchaus eine Kiste voll verstörendem Werkzeug, an der er sich bedienen konnte. Was am Ende mit seinem ersten Bürgerschreck Pretty Hate Machine herauskam, war dennoch das vielleicht erste kohärente Beispiel des Industrial Rock – ein Album, das die feindliche Kälte der Maschinenwelt mit Alternative Rock und gar poppigem Appeal verband. Und letztlich einen Marilyn Manson überhaupt erst möglich machte.

Zwischen Visionen und Bodenwischen

Reznor hatte den schroffen, den dissonanten, den monotonen Industrial urplötzlich salonfähig gemacht. Und trug eine Finsternis in den Alternative Rock, die man in der Form noch nicht kannte. Doch der Reihe nach: Entstanden ist Pretty Hate Machine durch den Job als Hausmeister im Right Track Studio in Cleveland, Ohio, den Reznor mit 24 an Land gezogen hatte. Zuvor spielte er mal in einer Cover-Band, mal als Keyboarder bei The Innocent. Reichte ihm alles nicht, Reznor hatte schon damals einen ausgeprägten Hang zu Perfektionismus und Kontrollwahn. „Selbst wenn dieser Typ den Boden gebohnert hat, sah der danach großartig aus“, soll sich Studiobesitzer Bart Koster mal an seinen früheren Angestellten erinnert haben.

10 Songs, die durch Coverversionen berühmt wurden

Koster überließ Reznor das Studio, wenn es nicht gebucht war und es gerade keinen Boden zu wienern gab. Und weil der natürlich keinen einzigen Musiker finden konnte, der seinen exorbitanten Ansprüchen genügte, spielte er kurzerhand alle Instrumente auf Pretty Hate Machine selbst ein – Keyboards, Gitarren, Drum-Maschinen und Sampler. Bis heute weicht Reznor nur selten und ungern von dieser Methode ab. Als er dann sogar noch den damals bereits legendären Produzenten und Universalgelehrten Flood für seine Sache gewinnen konnte, nachdem der mal eben U2s The Joshua Tree produziert hatte und kurz darauf Depeche Modes Violator perfektionieren sollte, kündigte sich so langsam etwas richtig Großes an.

Depression, Zweifel an Gott, sexuelle Energie

Das kam dann auch: Pretty Hate Machine erschien am 20. Oktober 1989 – und wurde später eines der ersten Independent-Alben, das Platin nach Hause holte. Es wurde in eine Zeit hineingeboren, in der Like A Prayer und Eternal Flame die größten Hits des Jahres waren. Und selbst, wenn Reznor heute nicht mehr so ganz hinter diesen Album stehen kann, war es doch die Initialzündung für eine Revolution im Mainstream. Urplötzlich war Musik in den Charts, die sich mit Teenage Angst, mit Depression, mit Zweifeln an Gott und sexueller Energie auseinandersetzte. Vollkommen unerhört, noch dazu klanglich äußerst verstörend ausgestaltet.

Nine Inch Nails Pretty Hate Machine

Pretty Hate Machine mag die Finesse, die Politur und die Raffinesse derjenigen Werke fehlen, die direkt von dieser Eruption beeinflusst wurden. Antichrist Superstar zum Beispiel. Das Debüt von Nine Inch Nails ist pur, vielleicht auch ein wenig unbeholfen, trägt aber alle Wesenszüge, die Reznor später auf The Downward Spiral (auf das er seine Fans fünf Jahre warten ließ!) aufgriff und bis ins Unerträgliche steigerte. The Downward Spiral mag das Werk sein, an dem man Nine Inch Nails heute misst, schon fünf Jahre zuvor legte Reznor aber den Grundstein für einen Flächenbrand, der unbequeme Themen wie Drogenmissbrauch und Selbstmord in die breite Öffentlichkeit zerrte.

Für Bowie zumindest stand fest: Die Nine Inch Nails stehen auf einer Stufe mit The Velvet Underground. Und Reznor? Der sieht das wie immer kritisch und distanziert. 2014 gewann er den Oscar für die Musik zu The Social Network, er hat 20 Millionen Platten verkauft und zwei Grammys im Regal stehen. Er möchte gar nicht mehr über Pretty Hate Machine reden. Wir schon.

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