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Popkultur

1991 läuten Pearl Jam mit „Ten“ das Grunge-Superwahljahr ein

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Pearl Jam
Foto: Paul Bergen/Redferns/Getty Images

Vor 30 Jahren erhebt sich eine neue Art der Rockmusik von den schlammigen Ufern des Wishkah und explodiert binnen weniger Monate in den Mainstream. 1991 markiert eine Wasserscheide in der Rockmusik und läutet den Siegeszug des Grunge ein. Pearl Jams Ten darf als erster wichtiger Eckpunkt dieser neuen Zeitrechnung gelten – noch hörbar geprägt von den Großtaten der Siebziger.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Ten hören:

So ganz ist das auch 30 Jahre später noch nicht greifbar. Grunge, ursprünglich entstanden als Negierung der überproduzierten Hard-Rock-Materialschlachten der Achtziger, explodiert im schicksalhaften Jahr 1991 mit derart gewaltiger Wucht in den Mainstream, dass sogar Kerry King von Slayer der Bart abfällt.

Die Wurzeln des Alternative Rock

Jahrelang breitete der Grunge seine Wurzeln im Untergrund aus, wuchs von der Gegend um Seattle schnell nach Kalifornien hinein. Es war nicht die einzige Gegenbewegung zu Metal und Hard Rock. Auch Bands wie Faith No More, Red Hot Chili Peppers oder Rage Against The Machine hatten die alten Formeln satt und trugen alle auf ihre originäre Weise dazu bei, den Alternative Rock gedeihen zu lassen. Insbesondere dieses Seattle erweist sich in der Musikgeschichte jedoch als wohl fruchtbarster Nährboden für eine neue Attitüde, für eine neue Perspektive auf Rockmusik. Musiker*innen, die nicht von ihrem Publikum zu unterscheiden waren, strähnige Haare statt Haarspray-Orgien, ein dissonanter, verzerrter, gepeinigter Sound… Grunge wurde zur Stimme einer neuen Generation, anfangs wie gewohnt bis aufs Blut gegen den Mainstream verteidigt von einer Horde Helikopter-Fans, die ihre Musik mit niemandem teilen wollten.

Der Tod macht den weg frei

Bis 1991 klappt das ganz gut. Dann fliegt alles in die Luft. Binnen kürzester Zeit erscheinen Pearl Jams Debüt Ten (27. August 1991), Nirvanas Nevermind (24. September 1991) und Soundgardens Badmotorfinger (ebenfalls 24. September 1991). Das Triptychon des Grunge läutet eine neue Ära ein, wie es vor ihm die psychedelische Rockmusik in der zweiten Hälfte der Sechziger oder Punk Mitte der Siebziger getan hat. Und die Vorreiter dieser Welle sind Pearl Jam.

Die sind natürlich auch nicht erst seit gestern zugange. Vor Pearl Jam spielen Stone Gossard und Jeff Ament bei Mother Love Bones, einem untypisch flamboyanten Vertreter des Seattle-Sounds, die mit dem Drogentod ihres Frontmanns Andrew Wood schon 1990 eine tragische Konstante des Grunge-Narrativs vorausschicken. Gossard und Ament wollen die Musik nicht aufgeben – und werden erst viel später realisieren, dass Woods Heroin-Überdosis überhaupt erst den Weg für Pearl Jam freigemacht hat.

Eddie Vedder arbeitet damals die Nachtschicht an einer Tanke in San Diego. Irgendwann drückt ihm Jack Irons, der Drummer der Red Hot Chili Peppers, ein 5-Song-Demo in die Hand. Er dachte, die Musik würde zu Vedders Stimme passen. Vedder beendet die Nachtschicht, nimmt das Demo bei Sonnenaufgang mit zum Surfen, hört es wieder und wieder und schreibt kurzerhand Texte dazu – alles unter dem Sammelbegriff Momma-Son. Hat natürlich Gründe: Wie in einem Song auf Ten eindringlich beschrieben, musste auch Vedder als junger Erwachsener herausfinden, dass sein Vater sein Stiefvater und sein biologischer Vater längst gestorben war.

Posterboy der neuen Welle

Emotionaler Ballast wie dieser wird nicht nur Ten, sondern die gesamte Laufbahn von Pearl Jam und eigentlich auch den Grunge per se tragen. Selten wurde er lyrisch so reflektiert und berührend umgesetzt wie von einem damals 26-jährigen kalifornischen Surfer, der mit seiner gewaltigen Stimme und Bühnenpräsenz bald zu einem der Posterboys der Grunge-Welle wurde. Unnötig zu sagen, dass Gossard und Ament schwer beeindruckt sind. Kurze Zeit später komplettieren Gitarrist Mike McCready und eben Eddie Vedder Pearl Jam. Doch bevor die überhaupt so richtig in Betrieb genommen werden, wird mit einem gewissen Chris Cornell schnell noch ein Tribute-Album für Andrew Wood eingezimmert – unter dem längst mythischen Namen Temple Of The Dog.

Dann ist es aber endlich Zeit für die erste Platte. Die Stimmung in Seattle wird immer unruhiger, immer aufgeladener. So langsam haben auch die großen Labels mitbekommen, dass hier was passiert, Bands werden vom Fleck weg unter Vertrag genommen – aus Angst, etwas Großes zu verpassen. „Ich würde jede Band aus Seattle unter Vertrag nehmen“, soll ein A&R mal zu einem Einheimischen gesagt haben. „Ich hab schon Alice In Chains verpasst.“ Letztlich macht das Sony-Imprint Epic das Rennen und veröffentlicht Ten am 27. August 1991.

Verspätete Zündung

Das Album soll die Rockmusik verändern und prägen, soll sich allein in den USA über 13 Millionen Mal verkaufen und 1993 sogar Nevermind in Sachen Verkäufe überholen. Der Anfang ist allerdings, sagen wir, zäh: Erst Mitte 1992, so scheint es, wird das Album so richtig entdeckt und von einer breiten Masse wahrgenommen. Endlich wird im großen Stil offenbart, welche Großtat Pearl Jam schon mit ihrem Debüt geglückt ist – ein schonungsloses, gepeinigtes, zweifelndes, großes Rock-Album, dem man die Liebe zu Bands wie Led Zeppelin noch deutlich anhört. Und über allem thront Vedders flammende Predigt.

Heute sind Songs wie Alive, Jeremy oder Even Flow aus dem Kanon der Rockmusik nicht wegzudenken – aufrüttelnde, fast schon impressionistische Charakterstudien der amerikanischen Jugend. Und 1992, auf dem Lollapalooza, fliegt der Band alles um die Ohren. Obwohl sie bereits um 16 Uhr spielen, sehen sie von der hohen Bühne, wie schon nach den ersten Takten des Openers Why Go zehntausende Menschen auf die Bühne zustürmen. Als sie ihr kurzes Set mit einem Cover von Neil Youngs Rockin‘ In The Free World beenden, sind sie Superstars geworden. Und legen im Folgejahr mit Vs. erst so richtig los. Aber da war Grunge längst in der Stratosphäre.

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