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Popkultur

Review: Beyoncé rettet mit „Cowboy Carter“ den Country

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Beyoncé Cowboy Carter Album Cover

Das Jahr 2024 hat seinen ersten großen Klassiker: Beyoncés Country-Platte Cowboy Carter ist ein kühner Triumph und eine Verbeugung vor den Schwarzen Wurzeln des Country.

von Björn Springorum

Es ist die Ära der großen Freiheit in der Populärmusik. Erst veröffentlicht Country-Schutzheilige Dolly Parton ein stargespicktes Rockalbum. Und jetzt legt Pop-Queen Beyoncé ihre Country-Platte vor. Spannende Zeiten allenthalben – und ein gewaltiger Gewinn für den oft generischen Popzirkus.

Aber Moment mal, Queen Bey und eine Country-Platte? Was ist denn da passiert? Hat alles gute Gründe, Hand und Fuß und vor allem diese Haltung, die man von einer der wichtigsten Frauen in der Popmusik kennt: Beyoncé wächst in Houston, Texas auf, ein Ort, der sinnbildlich mit Cowboys und Countrymusik verbunden ist. Sie hört ihr ganzes Leben Country, geht in Westernklamotte zum Rodeo, tritt dort auch auf. Dennoch stellt sie fest: Als Schwarze Frau hat sie keinen Platz in der weißesten und konservativsten Musik des Landes.

Furioses Rodeo aus Stolz, Stärke und Haltung

Cowboy Carter ist ihre Reaktion auf all das. Ihre Antwort auf die kritischen Stimmen, die ihr einen Platz in der Countrymusik verwehren wollen. Das macht sie, wie sie alles in ihrer erstaunlichen Karriere macht: mit Stolz, Stärke und Haltung. „Eine meiner Inspirationen stammt aus der übersehenen Geschichte des Schwarzen amerikanischen Cowboys“, sagte sie schon 2021. „Viele von ihnen wurden ursprünglich Cowhands genannt, die stark diskriminiert wurden und oft gezwungen waren, mit den schlimmsten und temperamentvollsten Pferden zu arbeiten. Sie nutzten ihre Talente und gründeten den Soul Circuit. Im Laufe der Zeit haben diese Schwarzen Rodeos unglaubliche Künstler hervorgebracht und uns geholfen, unseren Platz in der Geschichte und Kultur des Westens zurückzuerobern.“

Willie Nelson und Dolly Parton machen mit

Fünf Jahre hat Beyoncé an diesem Album gearbeitet. Jetzt ist es da. Als zweiter Teil einer Trilogie, die mit Renaissance begann und auch das Coverthema (Frau auf Pferd) kongenial fortsetzt. Inszeniert als Sendung eines fiktiven texanischen Radiosenders, in dem Country-Legenden Dolly Parton, Linda Martell und Willie Nelson als Radio-DJs auftreten, legt die 42-Jährige ein Album vor, das schon am Tag ihrer Veröffentlichung zum Klassiker avanciert, zum Tribut an die vergessenen, übersehenen und unterdrückten Schwarzen Stimmen in der Countrymusik. Das hier ist ihr Rodeo, ihr Soul Circuit. Und im Gegensatz zum weißen Country schließt sie niemanden aus.

Der amerikanische Traum lebt

Klassischer Banjo-Country mit Songs von Truckstop-Diners, Patriotismus und gebrochenen Herzen gibt es auf Cowboy Carter natürlich trotzdem nicht. Stattdessen rückt sie das Schlaglicht auf einen Teil der amerikanischen Kultur, der vor allem in der Countrymusik sträflich unterrepräsentiert ist. Die Frage ist also nicht, ob sie das darf. Die Frage ist, wieso wir so lange darauf warten mussten. Cowboy Carter erfindet ein ganzes Genre neu, macht aus den Wurzeln dieser Musik etwas Einzigartiges, weltoffenes und dennoch uramerikanisches. Der amerikanische Traum, hier lebt er noch.

Americana-Balladen treffen auf Pop und R’n’B, Pop und Rap, zusammengehalten von ihrer Hommage an die Schwarzen Wurzeln des Country. Das ist clever und sexy, wie sie es immer ist, aber dazu noch beseelt von einer aberwitzigen Kühnheit, dass man einfach nur staunend zuhören kann und tief beeindruckt ist von diesem Statement und seiner furchtlosen Schöpferin. Und wie für eine Queen würdig, hebt Beyoncé mit nur einem Album die Welt aus den Angeln. Sie öffnet Country für eine vollkommen neue, junge Hörerschaft, sie sorgt für drastisch angestiegene Streamingzahlen anderer Schwarzer Country-Künstlerinnen. Und sie sorgt für einen regelrechten Run auf Westernkleidung wie Krawatten, Hemden und Boot. Alles mit nur einem Album. Das schafft sonst niemand.

Jolene wird bedroht

Beyoncé covert „Jolene“ aber nicht einfach nur, wie es Hunderte vor ihr getan haben. Sie macht sich den Song zu eigen. Sie findet sich selbst darin. Und ändert die flehenden Zeilen von Dolly Parton kurzerhand in eine offene Drohung: Statt I’m begging of you, please don’t take my man heißt es bei ihr plötzlich I’m warning you, don’t come for my man.

Das ist eh ihr vielleicht größtes Talent: Ihr Cover des Beatles-Stücks Blackbird singt sie so, als hätte man den Song für sie geschrieben. Und sogar als Gesamtkunstwerk ist Cowboy Carter jetzt eher weniger das Country-Album von Beyoncé. Sondern ein Beyoncé-Album, das diesmal eben von Country, seiner Geschichte und den inhärenten Konflikten des Genres (Nationalismus, Patriotismus, Waffenbesitz) inspiriert wurde.

Wovon genau sie inspiriert wurde, ist eine spannende Geschichte. Natürlich müssen wir hier die kontemporären Schwarzen Country-Artists wie Reyna Roberts, Rissi Palmer, Tanner Adell oder K. Michelle nennen; aber auch Pioniere wie El Watson, Lesley Riddle oder Linda Martell, die erste Schwarze, die in der Grand Ole Opry auftreten durfte. Cowboy Carter ist ein Denkmal für diese Figuren. Aber vor allem ein künstlerisches Empowerment-Statement, wie es so wohl nur von Beyoncé stammen kann.

 Auch Beyoncé kann die Welt nicht retten. Aber zumindest ein Musikgenre. So viel Spaß hatte man lange nicht mit einem Country-Album.

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