Popkultur
Rise Against im Interview: „Wir malen Bilder von dieser kaputten Welt“
Mit Nowhere Generation veröffentlichen Rise Against ihr neuntes Studioalbum. Wir sprachen mit dem Sänger und Songschreiber der Band, Tim McIlrath.
von Markus Brandstetter
„We are the nowhere generation / We are the kids that no one wants / We are a credible threat to the rules you set / A cause to be alarmed“, singt Tim McIlrath auf dem Titelsong des neuen Rise-Against-Albums Nowhere Generation. Darauf versetzt sich der 41-Jährige in die Lage einer jungen Generation, die den „American Dream“ als leere Versprechung erfährt, als längst vergangene Erinnerungen an heute nicht mehr umsetzbare soziale Sicherheiten, die – so macht es den Anschein – vorherigen Generationen vorbehalten zu waren. Eine Generation, die in einer immer mehr aus dem Ruder laufenden Welt groß wird.
Hier könnt ihr Nowhere Generation hören:
Gründe und Anlass für Wut und Verzweiflung gehen Rise Against auch im dreiundzwanzigsten Bandjahr nicht aus – aber es ist längst nicht alles Doom & Gloom. Schließlich gilt es, politische Songs zu schreiben, die ihre Hörer*innen nicht niedergeschlagen und resignativ zurücklassen, sondern auch das Ziel in Aussicht stellen, für das es sich zu kämpfen gilt. Darüber sprachen wir mit Tim McIlrath.
Tim, lass uns zunächst über die Bedeutung des Albumtitels Nowhere Generation sprechen.
Auf den Titel Nowhere Generation kam ich durch etliche Gespräche mit jungen Fans. Die Leute, die unsere Band hören, sind ja in der Regel etwas jünger als ich selbst — nicht alle, aber doch viele. Sie haben mir beschrieben, was sie durchmachen. Sie haben das Gefühl, nicht weiterzukommen. Ein Teil von mir dachte anfangs noch, das sind doch genau die Probleme, die wir alle irgendwann mal durchgemacht haben, eben das Erwachsenwerden. Aber irgendwann realisierte ich, dass diese Generation sich tatsächlich in einer anderen, ganz eigenen Lage befindet. Dass sie ganz eigene Hindernisse zu überwinden hat als meine Generation.
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Welche Hürden sind das genau?
Ich wuchs in einer politisch wie wirtschaftlich relativ stabilen Zeit auf. Heute erleben wir den Aufstieg des Einen Prozents. Noch nie war Reichtum so konzentriert, noch nie wurden Menschen so beim Weiterkommen blockiert. Genau damit haben junge Leute heutzutage zu kämpfen: Sie schwimmen stromaufwärts, sie kämpfen gegen diese Strömung, aber sie scheinen sie nicht überwinden zu können. Das ist die „Nowhere Generation“: eine Generation, die versucht, voranzukommen, während jemand die Ziellinie immer weiter verschiebt.
Wie würde man selbst darauf reagieren, wenn man sein Bestes gibt, um weiterzukommen, und dann ändert jemand ständig die Ziellinie? Man würde schlussendlich das Handtuch werfen, man würde aufhören, an das System zu glauben, von dem man ein Teil ist. Man würde aufhören, an die Institutionen um einen herum zu glauben, daran, dass sie nur das Beste für einen im Sinn haben. Man würde diese Dinge mehr und mehr ablehnen. Diese Generation hat genau das getan: Sie hat aufgehört daran zu glauben. In dieser Ablehnungsspirale hat man ein paar Möglichkeiten. Man kann seinen eigenen Weg gehen. Oder man landet an wirklich gefährlichen, dunklen Orten, weil man nicht glaubt, dass es eine Zukunft gibt. Wenn man nicht weiß, wie das Morgen aussieht, tut man verrückte Dinge, man löst sich von einer Welt, in der man sich selbst nicht sehen kann.
Du selbst bist ja in den 1980ern aufgewachsen – der Zeit der Reaganomics. Siehst du da auch Ähnlichkeiten zur heutigen Situation? Unter Reagan gab es ja auch jede Menge Steuererleichterungen für große Konzerne, während es der Unter- und Mittelschicht schwer bis unmöglich gemacht wurde, nicht unähnlich zur heutigen Situation.
Ich glaube, das begann alles in den 1980er Jahren. Da gab es plötzlich diese Verschiebung in der Wahrnehmung. Man glaubte plötzlich, dass die Regierung schlecht sei, aber Unternehmen gut. Der Reaganismus und der Thatcherismus erklärten uns, dass die Regierungen nur dem freien Markt im Weg stünden und dass der freie Markt in Ruhe gelassen werden sollte, damit er sein eigenes Ding machen kann. Sie redeten uns ein, dass wir uns alle an unseren eigenen Stiefelschlaufen hochziehen können. Dass es eine Leistungsgesellschaft gibt, die einen für harte Arbeit belohnt. Und die Reaganomics haben einen großartigen Job gemacht, die Leute von dieser Trickle-Down-Theorie zu überzeugen. Man ließ sie glauben, dass man, wenn man gigantische Unternehmen mit riesigen Steuererleichterungen belohnt, sie ihre Gewinne steigern und der kleine Arbeiter schlussendlich davon profitieren wird.
Es hat sich aber immer wieder gezeigt, dass das nicht stimmt, sondern dass, wenn man den Konzernen Steuererleichterungen und mehr Gewinne gibt, sie diese Gewinne einfach auf die Cayman Islands schicken, auf irgendein Offshore-Bankkonto. Sie stellen nicht mehr Leute ein, nur weil sie mehr Gewinne gemacht haben. Wenn man sie mit diesen riesigen Steuererleichterungen belohnt, nimmt man nur Geld aus der Tasche der Steuerzahler*innen und gibt das Geld nur dem Einen Prozent, das dieses Geld einfach hortet und es zum größten Teil eben nicht in die Wirtschaft zurück steckt.
Genau das ist der Grund, warum wir jetzt diesen Aufstieg des Einen Prozents sehen. Die Einkommensungleichheit wird zu einem der größten Probleme, die wir in der Welt haben. Es ist beängstigend. Es höhlt die Mittelschicht aus, es macht es schwieriger für die Menschen, mit dem gleichen Lebensstandard wie ihre Eltern zu leben. In dem Amerika, in dem ich aufgewachsen bin, konnte eine Familie mit nur einem Einkommen einen Mittelklasse-Lebensstil führen. Heutzutage geht das nur noch, wenn beide Elternteile arbeiten. Das ist eine Gesellschaft, die in die falsche Richtung geht.
Glaubst du, dass die Nowhere Generation ausreichend dagegen rebelliert, sich organisiert?
Man könnte immer mehr machen. Aber es gibt einige wirklich spannende Dinge, die da draußen passieren. Man sieht, dass die Leute wirklich anfangen, sich zu kümmern. Dass sie erkennen, dass, wenn sie nicht ihre Hände auf das Steuerrad der Geschichte legen, sie nicht in die Richtung gehen wird, in der man sie haben will. Aber man sieht auch immer noch eine Menge Gleichgültigkeit, viele Leute, die sich einfach nicht an dem ganzen Prozess beteiligen wollen. Es ist schwer, ihnen die Schuld dafür zu geben, dass die Welt sie nicht mehr als Teil der Zukunft betrachtet. Aber ich merke, dass immer mehr darüber gesprochen wird. Über Gleichheit und Diskriminierung, Rassismus. Und es ist großartig, dass wir mehr darüber sprechen.
War das von Anfang an der konzeptionelle rote Faden? Oder mit welcher thematischen Haltung bist du in den Schreibprozess gegangen?
Zunächst war es einfach nur ein leeres Blatt. Ich habe einfach angefangen, Songs zu schreiben, wie sie mir einfielen. Erst danach trat ich einen Schritt zurück und betrachtete das große Ganze. Dann wurde mir klar, dass es genau das ist, worüber ich geschrieben habe. Das war nicht meine Absicht. Ich hatte kein definitiertes Ziel oder einen Plan. Aber als ich eben diesen Schritt zurücktrat, um eine andere Perspektive zu bekommen, sah ich, dass dieses Motiv immer wieder in vielen Songs auftauchte, in denen es einfach darum geht, wie sich die Leute heute fühlen und warum sie sich so fühlen. Warum wir in einer Welt aufwachen, in der wir so viel Angst vor der Zukunft haben — und dass, wenn man Angst vor der Zukunft hat, es wahrscheinlich wirklich gute Gründe dafür gibt. Darüber müssen wir reden, darüber müssen wir singen.
Ihr habt mit den Arbeiten vor der Covid-19-Pandemie begonnen, richtig?
Ja, das stimmt. Eine Menge von dieser Platte passierte vor Corona, vor dem Aufkommen der Black-Lives-Matter-Bewegung, vor den Unruhen in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt. Wir haben die Songs fertiggestellt — und dann wurde die Welt erst richtig „interessant“. Das brachte mich dazu, über die Perspektive der Platte nachzudenken und sie umzuschreiben, neue Songs zu schreiben, Dinge zu verändern. Aber was passierte, war, dass viele der Songs, glaube ich, sogar noch relevanter wurden.
Bei Rise Against geht es ja immer darum zu erklären, wie die Welt aussehen würde, wenn wir so weitermachen. Und warum wir sie genau deshalb ändern sollten, warum wir uns gegen diese Dystopie erheben müssen. Wir malen Bilder von dieser kaputten Welt und wollen die Leute dazu inspirieren, etwas dagegen zu unternehmen.In gewisser Weise klingen die Songs also so, als wären sie mitten in diesem Chaos geschrieben worden. Und manchmal werden diese Bilder, die wir zeichnen, auch wahr – das sahen wir während der Pandemie, während der Hochzeit der Trump-Administration. Viele Dinge in der Gesellschaft, vor allem in den USA, wurden aus den Fugen gerissen. Und die Songs waren immer noch relevant, weil sie genau darüber sprachen.
Auch die Klima-Krise ist ein Thema auf Nowhere Generation.
Ja, auch darauf kommt diese Platte zu sprechen. Die Dringlichkeit dieser Probleme, mit denen wir konfrontiert sind. Das sind nicht Dinge, über die wir ewig nachdenken können — der Klimawandel wird nicht mit dem Destabilisieren des Planeten warten, bis wir fertig nachgedacht haben. Der Klimawandel kümmert sich nicht um unsere Gespräche oder um unsere wohlwollenden Bekundungen. Es geht nur um echte Veränderungen. Das kann man auf viele Dinge anwenden, auf Rassismus, Sexismus, vieles anderes. Wir dürfen nicht nur darüber sprechen, wir müssen etwas dagegen unternehmen.
Du bist Vater zweier Töchter. Würdest du sagen, dass deine Kinder deinen politischen Horizont verändert haben?
Absolut. Ich habe zwei Töchter im Teenager-Alter. Ich versuche, die Welt ein wenig durch ihre Augen zu sehen und ich vergleiche sie mit der Welt, die ich in ihrem Alter erlebt habe. Dann gibt es Zeiten, in denen ich feststellen muss, dass sich die Welt so sehr verändert hat, dass mein Rat veraltet ist. Meine Ratschläge brauchen ein Software-Update, sie sind sozusagen veraltete Technologie. Und so gibt es Zeiten, in denen ich merke, dass ich einfach auf sie hören muss. Und sie mir sagen lassen, wie ihre Welt aussieht, was sie wollen und wie sie ein Teil davon sein wollen, weil sie sich so sehr verändert hat.
Ja, wenn man Kinder hat, denkt man viel darüber nach. Dann werden diese Fragen immer dringlicher, weil man nicht will, dass sie in einer destabilisierten Gesellschaft leben, in der die Dinge wirklich gefährlich sind. Wenn man selbst behütet aufgewachsen ist und gute Erfahrungen gemacht hat, möchte man, dass seine Kinder diese guten Erfahrungen auch machen können. Man möchte sie dabei unterstützen, ihr Glück zu finden.
Es ist auf Nowhere Generation aber längst nicht alles dystopisch, es gibt auch stets etwas Optimistisches in den Stücken, sehe ich das richtig?
Ich denke, es gibt immer einen Silberstreif am Horizont, und es gibt immer Hoffnung, die in jedem Rise-Against-Song enthalten ist. Das ist einfach das, was wir als Band sind. So bin ich auch als Songwriter. Ich bin ein ewiger Optimist. Ich glaube an die jungen Leute, die erwachsenwerden und die Zügel der Welt in die Hand nehmen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass es gute Dinge gibt, die in der Welt passieren. Ich denke, als Songwriter muss ich die Hörer*innen immer mit diesem Gefühl zurücklassen. Ich denke nicht, dass es immer nur düster sein darf, denn ich glaube auch nicht, dass letztendlich alles düster ist. Ich möchte die Hörer*innen in diesen dunklen Wald mitnehmen. Aber ich möchte eine Spur von Brotkrumen hinterlassen, damit man wieder herauskommt.
Möglicherweise ist das ja, was einen guten politischen Song ausmacht: der Silberstreif am Horizont, der „Call to Action“. Wenn alles dem Untergang geweiht wäre, wäre es schwer, jemanden zum Aufstehen zu motivieren.
Ich glaube, du hast damit absolut recht. Es ist wichtig, über Probleme zu sprechen, aber man will nicht für immer an diesen dunklen Orten bleiben. Man will auch mal raus an die Sonne. Es ist nicht mein Ziel, die Hörer*innen bis zur Untätigkeit zu deprimieren. Mein Ziel ist es, Licht ins Dunkel zu bringen und sie dazu inspirieren, etwas zu tun und nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Um das zu erreichen, darf man nicht nur immer Bilder davon malen, wie schlimm es werden könnte, sondern auch thematisieren, wie es auch gut enden kann.
Du hast mal erwähnt, dass du im Lockdown wieder zu studieren angefangen hast. Wie läuft’s damit?
Es läuft gut, ich mache es immer noch. Ich bin für mehrere Klassen eingeschrieben. Das ist etwas, was ich immer schon machen wollte: wieder zur Schule zu gehen. Nachdem letztes Jahr klar wurde, dass wir nicht touren würden, dachte ich, dass ich vielleicht mal weniger reden und mehr zuhören sollte. Das führte dazu, dass ich mich zum Studium anmeldete und Kurse belegte. Das wurde zu einem wirklich intensiven Herbst für mich, in dem ich viel arbeitete, viel recherchierte, viele Arbeiten schrieb und versuchte, mit den vielen Kursen, für die ich mich angemeldet hatte, Schritt zu halten. Was manchmal wirklich schwierig war, aber es war wirklich lohnend. Ich belegte Fächer wie Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaften. Das sind sozusagen die Wurzeln der Menschheit, die Wurzeln dessen, wer wir als Menschen sind. Es war tröstlich, sich während der Wahl in den USA damit zu befassen. Zu wissen, dass die Menschheit solche instabilen Zeiten bereits durchlebt hat. Es war manchmal wirklich ein Trost, seine Nase in einem Buch über die Zivilisation zu vergraben.
Also quasi eine Perspektive zu bekommen, dass chaotische Zeiten nichts neues sind?
Ja genau. Man merkt gewissermaßen, dass es offensichtlich war, dass es soweit kommen würde. Wir müssen eben rausfinden, wie man aus so einer Situation wieder rauskommt. Aber wir haben das in der Vergangenheit schon geschafft und können es wieder tun.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 30.9.1978 veröffentlicht Gary Moore „Back On The Streets“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 30.9.1978.
von Christof Leim und Tom Küppers
Als Gary Moore am 30. September 1978 Back On The Streets veröffentlicht, hat er schon einige Bands hinter sich. Die Platte erscheint unter eigenen Namen, doch er kann auf helfende Freunde zählen. Insbesondere die Herren Lynott und Downey, zwei alte Bekannte aus Dublin, mischen mit.
Hört hier in Back On The Streets rein:
Klickt auf „Listen“ für das ganze Album.
Dass bei Gary Moore etwas mit Musik gehen würde, zeichnet sich schon früh ab: Mit zehn bekommt er seine erste Gitarre in die Finger, schon im Alter von 16 Jahren wird er 1968 von der Dubliner Band Skid Row rekrutiert (nicht verwandt oder verschwägert mit den gleichnamigen Hardrockern aus New Jersey). Nach dem Ende dieser Truppe gründet er die kurzlebige Gary Moore Band und veröffentlicht 1973 das Quasi-Soloalbum Grinding Stone. 1974 hilft er kurzfristig auf der Bühne und im Studio bei Thin Lizzy aus und betätigt sich parallel bei den Jazzrockern Colosseum II. Als Lizzy Anfang 1977 vor einer gemeinsamen US-Tour mit Queen ohne Gitarrist dastehen, springt Gary wieder ein.
Insbesondere mit Lizzy-Frontmann Phil Lynott versteht sich Moore auf künstlerischer und persönlicher Ebene hervorragend. Doch das Angebot fest bei der seinerzeit populärsten irischen Band einzusteigen, lehnt der Gitarrist noch ab. Zum einen will er seine Colosseum II-Kollegen trotz kommerziellen Misserfolgs nicht im Regen stehen lassen, zum anderen steckt er zu diesem Zeitpunkt schon in den Vorbereitungen für sein erstes „richtiges“ Soloalbum.
Back On The Streets wird im Frühjahr 1978 unter der Aufsicht des legendären Hardrock-Produzenten Chris Tsangarides eingespielt. Neben Studiogrößen wie dem späteren Toto-Schlagzeuger Simon Phillips gastiert mit Phil Lynott und Trommler Brian Downey die Rhythmussektion von Thin Lizzy gleich auf mehreren Stücken. Und auch kompositorisch hinterlässt Lynott deutliche Spuren: Abgesehen von einer gelungenen Neueinspielung des Lizzy-Hits Don’t Believe A Word in balladesker Form profitiert Moore zwei weitere Male von den schöpferischen Fähigkeiten seines Freundes.
Fanatical Fascists zeigt sich von der wuchtigen Simplizität des aufkeimenden UK-Punk inspiriert, für den Lynott große Sympathien hegt. Für die größere Überraschung sorgt Parisienne Walkways: Der gemeinsam von Lynott und Moore geschriebene Schmachtfetzen entpuppt sich als Hit, der im vereinigten Königreich bis auf Position acht der Single-Charts vordringt. Bis heute fesselt die Nummer durch ihre wunderbaren Gitarrenlinien, 2014 trägt sie den japanischen Eiskunstläufer Yuzuru Hanyu gar zum Punkte-Weltrekord im Kurzprogramm. Und selbstverständlich profitiert auch das am 30. September 1978 veröffentlichte Back On The Streets-Album in Sachen Verkaufszahlen von diesem kommerziellen Überraschungserfolg.
Eine weitere denkwürdige (weil einzigartige) Performance gibt es im Januar 1979 im Rahmen der BBC-Sendung The Old Grey Whistle Test zu bestaunen. Für diesen Anlass rekrutiert Moore mit Lynott, Lizzy-Klampfer Scott Gorham, Keyboarder Don Airey und Trommel-Gott Cozy Powell eine All-Star-Truppe ersten Kalibers. Die Interpretationen des Titelsongs von Back On The Street und Don’t Believe A Word sind absolut mitreißend, bei letzterem lässt sich Gary selbst von einer gerissenen Saite nicht aufhalten.
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Gitarrist allerdings bereits wieder mit Thin Lizzy im Studio, um als festes Bandmitglied deren Album Black Rose: A Rock Legend (1979) einzuspielen. Jedoch verlässt er die von Drogenproblemen geplagte Band im Sommer während einer laufenden US-Tournee wieder. Von dem Moment an widmet er sich fast ausschließlich seinen musikalischen Alleingängen, mit denen er in den kommenden Jahrzehnten so wohl im Hard Rock als auch im Blues epochale Gitarrengeschichte schreiben wird.
Zeitsprung: Am 30.5.1980 landet Gary Moores G-Force auf dem Rockplaneten.
Popkultur
„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge
Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:
… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …
Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan
Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?
DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …
Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?
In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.
von Christof Leim
In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.
Hier könnt ihr das Album hören:
Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still.
Neues Spielzeug
Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“ singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.
Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo
Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.
Fünf Minuten mindestens
Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.
Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.
Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…
Filme und Bücher als Inspiration
Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.
Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel.
Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool
Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.
Ein Cover wie ein Bildband
Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch.
Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs
Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“ und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.
…und die Rückseite ist genauso bombastisch.
Auf die Straße. Natürlich.
Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit.
Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images
So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.
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