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Popkultur

Zeitsprung: Am 12.12.1944 kommt MC5-Sänger Rob Tyner zur Welt.

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Foto: Leni Sinclair/Michael Ochs Archive/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 12.12.1944.

von Bolle Selke und Christof Leim

„Du kannst nicht mehr einfach nur Sänger sein, du musst ‚es‘ tun! Du musst musikalisch komplett sein. Deine Stimme muss so gut sein, weil die Leute es verlangen. Sie werden dir keinen Schwindel durchgehen lassen!” Das erklärt Rob Tyner 1967 in einem Interview mit MC5-Manager John Sinclair für The Sun. Ob er weiß, welchen Einfluss seine Band später auf unzählige Musiker haben wird? 1967 gibt es die MC5, die Motor City Five, schon drei Jahre. Mit ihren energiegeladenen Auftritten hat sich die Band aus Detroit schnell eine treue Gefolgschaft vor allem im Mittleren Westen der USA erspielt. Ihr Debütalbum Kick Out The Jams erscheint 1969, eine Liveplatte, mit der die fünf Proto-Punks Geschichte schreiben.

Hier könnt ihr euch Kick Out The Jams anhören: 

Sänger Rob Tyner kommt am 12. Dezember 1944 als Robert W. Derminer in Michigan zur Welt. Seinen neuen Nachnamen wählt er als Tribut an den Jazzpianisten McCoy Tyner an. Ja, als rebellischer, junger Musikfan hört man damals Jazz – denn der Rock’n’Roll ist vom Establishment gekapert worden. Die Künstler, die den Rock’n’Roll damals „pervertieren“ (O-Ton Tyner), heißen Connie Francis, Bobby Rydell und Fabian. Erst britische Musiker wie die Beatles und Mick Jagger holen den Rock wieder dahin zurück, wo er angefangen hat. Tyner will den Briten deswegen gar einen Schrein errichten. 

Der kann sogar singen

Die Stimme des MC5-Vokalisten klingt wie pures Detroit: Ebenso wie seine Motor-City-Mitbürger John Lee Hooker und die vielen Angehörigen der Hitmaschine Motown Records blutet Tyner Emotionen durch den Kehlkopf. Aber anders als viele Punks, die ihm später folgen, kann Tyner richtig singen. Er ist der klassische Rock’n’Roll-Frontmann – teils James Brown, teils Mick Jagger und teils Tina Turner. Seine Afro-Frisur gilt mittlerweile als ikonischer Teil der Rock-Symbolik, auch der Rest der MC5 kommt aus dem Jazz, was man deutlich an der Experimentierfreudigkeit der Musiker hört und den teils ausufernden Songs wie Black To Comm‘ oder Starship, einer Sun-Ra-Coverversion. 

MC5 von links nach rechts: Gitarrist Fred Sonic Smith, Schlagzeuger Dennis Thompson, Bassist Michael Davis, Sänger Rob Tyner, Gitarrist Wayne Kramer (Photo by Michael Ochs Archives/Getty Images)

Mitte der Sechziger lebt die Band in einer Kommune in der US-Universitätsstadt Ann Arbor, Michigan. Dabei handelt es sich quasi um einen Vorort von Detroit, der sich durch sein liberales, politisch links stehendes Umfeld auszeichnet. Neben Sex, Drugs und Rock’n’Roll frönt man auch der Politik. In Anlehnung an die Black Panther Party, eine sozialistische revolutionäre Bewegung des „schwarzen Nationalismus“, gründen Manager John Sinclair und die MC5 die White Panther Party. 

Attentat auf den eigenen Sänger

Der exzessive Lebensstil, sowohl jenseits als auch auf der Bühne, gepaart mit der politischen Einstellung, beschert der Band nicht nur Freunde. Schlagzeuger Dennis Thompson erinnert sich gegenüber dem MC5-Biografen Brett Callwood an ein von der Band geplantes „Attentat“ auf Tyner:

„Unser Tourmanager Steve Hardanek war der Schütze. Das Ganze fand zu unserer Hoch-Zeit im Grande Ballroom statt. Solche Streiche machten wir öfter. Heutzutage nennt man das Performance-Kunst. Rob hatte einen Sack mit Blut, und am Ende der Show hat Hardanek mit einer Schreckschusspistole auf ihn geschossen. Rob spritzte das Blut in alle Richtungen und kippte um. Wir haben dann eine große Show auf der Bühne gemacht und ihn backstage gezerrt. Das Publikum ist durchgedreht und versuchte, Steve zu töten. Wir haben ihn gerade so noch in den Garderobenbereich reinbekommen, die Meute hat sogar versucht, die Tür einzutreten. Es war das reine Chaos. Russ Gibb, der Clubmanager, musste die Polizei rufen, um den Saal räumen zu lassen. Das ging nach hinten los. Hat aber Spaß gemacht.“

Doch solche Kapriolen kommen nicht überall gut an: Trotz relativ guten Absatzes und Top-30-Platzierung des Albums Kick Out The Jams trennt sich die Plattenfirma Elektra noch 1969 aufgrund „unprofessionellen Verhaltens“ von der Gruppe. Auslöser dafür ist eine Anzeige, die die Band im Namen und auf Kosten von Elektra schaltet, in der sie Plattenhändler beschimpfen, die Kick Out The Jams nicht vertreiben wollen. Album zwei und drei erscheinen daraufhin bei Atlantic, nämlich Back In The USA (1969) und High Time (1971). Beide glänzen musikalisch und gelten heute als Kultplatten, aber der kommerzielle Erfolg bleibt aus. Zermürbt durch Managementquerelen, mangelnde Unterstützung seitens des Labels, Drogenprobleme und persönliche Differenzen innerhalb der Gruppe steigen Rob Tyner und Dennis Thompson aus.

Auf Solopfaden

Nach den MC5 wird es ruhiger um Tyner. Er gründet die The New MC5, die er später in Rob Tyner Band umbenennt. 1985 singt er auf einem Benefizalbum für Veteranen des Vietnamkrieges und veröffentlicht 1990 sein einziges Soloalbum Blood Brothers. An die Qualität und den Erfolg der MC5 kann er jedoch nicht anknüpfen, vor allem weil der Sound der Platte die Zielgruppe enttäuscht, denn Produzent Joey Gaydos orientiert sich anscheinend an dem damals vorherrschenden radiotauglichen Hard Rock. 

Immerhin stechen zwei Nummern positiv hervor: die Retrospektive Grande Days und der Rocker Taboo. Als letzter Track befindet sich ein Interview mit Tyner auf der Platte, in dem er über seine Karriere, die Produktion des Albums und seine Zukunft spricht. Er steckt voller Begeisterung und Optimismus und hat große Pläne für den Rest der Neunziger. Unter anderem plant er eine Tour mit dem ehemaligen Schlagzeuger von Blackfoot, Jackson Spires. Bei einem Promoauftritt für Blood Brothers überrascht Multiinstrumentalist Tyner dadurch, dass er Grande Days mit einer Autoharp darbietet – und dabei großartig klingt.

Ein jähes Ende

Leider ist Tyners Comeback ein jähes Ende gesetzt: Am 17. September 1991 stirbt er in einem geparkten Auto unweit seines Heimatortes Berkley, Michigan an einem Herzanfall. Er wird von seiner Frau Becky und drei Kindern überlebt.

Die MC5 gelten vielen als die Erfinder des High Energy Rock. Unzählige Künstler, darunter The Hellacopters, Motörhead, Henry Rollins, aber auch Monster Magnet und Primal Scream zählen die Band zu ihren Einflüssen und haben Coverversionen veröffentlicht. Nicht zuletzt Rob Tyners markante Stimme und seine energetischen Auftritte sind dafür verantwortlich. 

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