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Popkultur

Zeitsprung: Am 4.4.1970 passiert eine legendäre Rock’n’Roll-PR-Katastrophe.

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Foto: Chris Gabrin/Redferns/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 4.4.1970.

von Victoria Schaffrath und Christof Leim

Kommen ein Flugzeug voller zugedröhnter Musikschreiberlinge und eine unerfahrene Band in eine legendäre Konzerthalle in New York… Was sich anhört wie der Beginn eines guten Witzes, entpuppt sich am 4. April 1970 als die wohl katastrophalste Presseveranstaltung der Rockgeschichte. Schauen wir uns an, womit Brinsley Schwarz dieses Debakel verdient hatten.

Hört hier in die EP Brinsley Schwarz von 1970 rein: 

Wir schreiben das Jahr 1970. Das Genre Rock erweist sich nach den Erfolgen der Sechziger als enorm lukrativ, und das Geschäft verspricht, in der anstehenden Dekade noch mehr abzuwerfen. Auf den Zug wollen nicht nur Musikschaffende aufspringen; Management-Agenturen sprießen wie Unkraut aus dem Boden, und auch Musikschreiberlinge träumen von einem Stück der Ru(h)m-Torte. Auftritt, Bühne links: Brinsley Schwarz.

Sänger Nick Lowe und Namensgeber und Gitarrist Brinsley Schwarz fühlen sich Ende der Sechziger von psychedelischen Tönen angezogen, nachdem sie zuvor eher Pop-Rock spielten. Mit Verstärkung in Form von Keyboarder Bob Andrews und Schlagzeuger Billy Rankin wollen sie Musik machen, die Referenzen zu Crosby, Stills & Nash und The Grateful Dead erkennen lässt. Vor allem aber wollen die Kumpel aus dem verschlafenen Tunbridge Wells in England eines: den ganz großen Durchbruch und jede Menge „Sex, Drugs and Rock‘n’Roll“.

Naivität trifft Ehrgeiz

Da kommt ihnen die just gegründete Management-Agentur Famepushers gerade recht, denn dort ist der Name Programm: Als „Berühmtheits-Erzwinger“ versuchen erfahrene Unterhaltungsbosse unter Dave Robinson das nächste große Ding der Rockmusik finden. Als Brinsley Schwarz auf eine ihrer Annoncen reagieren, entschließt die Agentur sich, einen absoluten Pressecoup zu landen.

Die zündende Idee stammt dabei von einem Mitarbeiter namens Ricky Blears. „Ricky war ein richtiger Macher-Typ“, erinnert sich Robinson. „Er fragte, was wohl der größte Veranstaltungsort wäre, auf den die Jungs je hoffen könnten. Ich nannte das Fillmore East in New York City. Seine Antwort: ‚Wenn du das buchen könntest, würde dann auch die Presse kommen?‘“ Die Idee kommt an. Als ehemaliger Tourmanager von Jimi Hendrix fackelt Robinson nicht lange und trickst die ehrgeizige Band ins Vorprogramm von Van Morrison und Quicksilver Messenger Service, für die am 4. April 1970 ein Konzert im Fillmore East geplant ist. Bezahlen soll das Ganze die Organisation hinter Famepushers, ein Firmenkonglomerat namens Motherburger, angeführt von einem gewissen Eddie Moulton.

Das Fillmore East im Visier

Um diesen Auftritt in den USA spielen zu können, brauchen die vier Briten Visa. Das erweist sich dank drogenbedingter Vorstrafen als kompliziert, sodass das Quartett zunächst über Kanada einzureisen versucht, dort aber ebenfalls aufgehalten wird. Als die jungen Herren endlich die Vereinigten Staaten betreten können, bleibt kaum noch Zeit für einen vernünftigen Soundcheck, geschweige denn ordentliche Vorbereitung. Die drei geplanten Probetage waren für Behördengänge draufgegangen, und der erste von insgesamt vier Showterminen steht an.

Zeitgleich in London: Eine 140 Personen starke Delegation der Musikpresse schickt sich an, ein von Famepushers gechartertes Flugzeug zu besteigen. Probleme, die Plätze zu füllen, gibt es laut Blears nicht: „Die Leute standen vor unserem Büro Schlange und wollten nach New York. Das war das Werbegeschenk ihres Lebens.“ Entsprechend gelöste Stimmung herrscht also bei der Reisegruppe, die auf Verdacht eigenen Alkohol im Gepäck mit sich trägt. Als die Maschine wegen technischer Probleme zwischenlanden muss, öffnet die Fluggesellschaft kulanterweise die Bar. Freidrinks für alle – ob das eine gute Idee ist? Wir ahnen es schon. Gut betankt geht es mit gehöriger Verspätung weiter gen New York.

Was kann schon schiefgehen?

Zwischenzeitlich können Brinsley Schwarz die beiden für Freitag geplanten Konzerte hinter sich bringen. Einen großen Erfolg verzeichnen sie freilich nicht; ihr Namensgeber erleidet auf dem Hinflug eine Art Hörsturz, und scheinbar kifft sich der Rest der Band die aufkeimende Nervosität kurzsichtig weg. Lowe gesteht später: „Wir waren fürchterlich, und ich Depp hatte vorher noch richtig mit uns angegeben.“ Doch die Journalisten und Journalistinnen, die später Tolles in der britischen Presse schreiben sollen, würden erst am nächsten Tag eintreffen. Noch gibt es Hoffnung.

So langsam verlassen auch unsere Fluggäste ihre Reisehöhe von mindestens zwei Promille („Sie haben im Strahl gekotzt“, erinnert sich Robinson), doch während der Landung qualmt schwarzer Rauch aus dem Maschinenraum. Zum Glück wartet auf dem Rollfeld schon eine Armada aus schwarzen Limousinen, selbstverständlich ausgestattet mit fertig gerollten Spaßzigaretten. Der Flug weist eine massive Verspätung auf, und seine Insassen können ohnehin kaum noch laufen, aber was kann schon schiefgehen? 

Erstens kommt es anders…

Die Antwort: alles. Man karrt die geladene Presse zum Fillmore, an dem viele geradewegs vorbei und in Richtung Hotelzimmer laufen. Nur etwa zehn der Gäste schaffen es in die Veranstaltung, wo ihre Plätze ob der großzügigen Verspätung mittlerweile anderweitig vergeben sind. Nun nicht mehr von den regulären Gästen zu unterscheiden, weist das Sicherheitspersonal sie an, ihre Kameras bloß stecken zu lassen. Und dann gibt es ja noch die Band selbst.

„Van Morrison spielte ein einwandfreies Konzert, und Quicksilver waren blendend gut. Dadurch fielen die Unzulänglichkeiten von Brinsley Schwarz noch mehr auf“, sinniert dazu Ricky Blears. „Unsere letzte Hoffnung war, dass die Band sich den Arsch aufreißen würde. Stattdessen waren sie völlig fertig und spielten wie die Dorftrottel.“ Entsprechend ernüchternd fallen auch die Kritiken aus, als Musiker und Presse wieder englischen Boden betreten.

Ein Desaster vor dem Rock-Herrn

Schlimmer noch: Eddie Moulton, der Finanzier des Ganzen, verschwindet spurlos; es stellt sich sogar heraus, dass der Mann gar nicht so heißt. Blears und Robinson müssen die Suppe auslöffeln und sehen sich vielen unbezahlten Rechnungen gegenüber. Allen Widrigkeiten zum Trotz arbeiten sie beide weiter (oder wieder) in der Musikindustrie. 

Brinsley Schwarz veröffentlichen tatsächlich noch fünf Alben, der Vorfall verursacht bei ihnen eine Stilwende hin zum Pub-Rock. Mitglieder wie Nick Lowe bleiben auch nach dem Ende der Band als Komponisten aktiv. Das ganze Debakel, auch bekannt als „Brinsley Schwarz Hype“, dient dennoch als beeindruckendes Beispiel, was bei einer vermeintlich grandiosen Idee so alles schieflaufen kann.

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