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Popkultur

Schorsch Kamerun wird 60: Zum Geburtstag des Feuilleton-Anarchos

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Schorsch Kamerun
Foto: Frank Egel

Punkrocker, Theaterregisseur, Buchautor: Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen entdeckt immer neue Wege, um seiner kreativen Gesellschaftskritik Raum zu geben. Das muss man auch, findet er, denn sonst werde es langweilig und keiner schaue mehr hin. Abschalten möchte Kamerun zum Glück noch lange nicht.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch More Than A Feeling von den Goldenen Zitronen anhören:

Zur Welt kommt Thomas Sehl alias Schorsch Kamerun am 29. Mai 1963 in Timmendorfer Strand. Schon dort packt ihn der Punk. So holt er zu Beginn der Achtziger die Toten Hosen in seine Heimat und veranstaltet eigeninitiativ ein Konzert mit den Düsseldorfern. Wenig später zieht es Sehl nach Hamburg — damals wie heute ein Epizentrum der Punk-Welt. 1984 gehört er zu den vier Gründungsmitgliedern der Goldenen Zitronen, die er heute gerne „Goldies“ nennt. „Es gab die sehr emotionale Punk-Fraktion“, erklärt er in einem Interview die damalige Szene Hamburgs. „Aber auch eine etwas schickere New-Wave-Abteilung.“ Die Goldenen Zitronen hätten sich stilistisch nicht auf das eine oder das andere festgelegt, aber eher für die punkigere Variante plädiert.

Schorsch Kamerun: „Ideale sind keine Mode“

Bis heute haben Schorsch Kamerun und die Goldenen Zitronen 13 Studioalben veröffentlicht. Die klangvollen Namen einiger der Platten: Kampfstern Mallorca dockt an, Fuck You und Das bißchen Totschlag. Zunächst noch eher humoristisch unterwegs, lassen die Goldenen Zitronen ab Ende der Achtziger ernstere und sozialkritischere Töne in ihre Musik einfließen. Einer der Gründe: das Wiedererstarken der Neonazi-Szene. Losgelassen hat Kamerun das Thema nie wieder. „Rassismus und Totschlag gehören zur Normalität in Deutschland“, stellt er 2000 im Interview fest. „Mal werden sie mehr, mal weniger betrachtet.“ Er selbst behält das Thema im Fokus — nicht nur in seiner Musik, sondern auch in zahlreichen anderen Kunstformen.

„Von Zeit zu Zeit sollte man das Transportmittel ändern, sonst wird es langweilig und keiner schaut mehr hin“, hat Kamerun einmal gesagt. Ein Weg, den er selbst lebt: So wirkt er neben seinen zahlreichen Bandprojekten an einigen Kurz-, Doku- und TV-Filmen mit, ebenso wie an Hörspielen. Seit Anfang der 2000er engagiert er sich am Theater, inszeniert Stücke für das Schauspielhaus Zürich und viele weitere berühmte Häuser. Zusätzlich entwickelt er eigene Formate, wie zum Beispiel seine „Erfindungsabende“ oder begehbare Installationen mit Schauspiel, Gesang und Lesung. Mit Rocko Schamoni betreibt er den Golden Pudel Club in Hamburg. Langweilig wird es mit Kamerun also nicht, auch wenn sich an seiner Motivation nicht viel ändert. „Ideale sind keine Mode“, findet er.

Ans Abschalten denkt Schorsch Kamerun nicht

2016 veröffentlicht Kamerun seinen ersten Roman Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens. Die grobe Handlung: Protagonist Horst, der sich später „Tommi from Germany“ nennt, kämpft Ende der Siebziger mit seiner Clique gegen die Spießigkeit der deutschen Kleinstadtidylle, findet sich in linkspolitische Strukturen ein und beginnt schließlich eine Karriere als Regisseur und Musiker. Das passt zu Kameruns eigener Geschichte, denn die Ideale seiner Elterngeneration sind nicht seine eigenen. „Weil das Angebot dieser Gesellschaft schwach war“, begründet er die Abneigung 2016 in einem Interview. „Das war dann schon so Schule, Lehre, Ausbildung, Arbeit, Tod. Irgendwie hatten wir andere Ideen. Nämlich zum Beispiel auch Saufen oder sowas.“

2022 bringt Schorsch Kamerun das Debütalbum seines neuesten musikalischen Projektes Raison raus. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. So antwortet er auf die Frage, ob er von seinem Kampf gegen Nazis, Sexismus und Kapitalismus auch mal abschalte: „Das tut doch niemand. Auf uns alle floatet doch diese Unübersichtlichkeit herein. Ich reagiere intuitiv.“ Das sei schon immer so gewesen und so hätten es auch die Goldenen Zitronen immer gehandhabt. Außerdem habe sich die Welt ja leider nicht so stark verbessert. „Abschalten kann man gewissermaßen, wenn man tot ist, und das ist noch nicht so weit.“ Zum Glück — denn wir können froh sein, dass es Künstler wie Schorsch Kamerun gibt, die den Finger unermüdlich in die Wunden der Gesellschaft legen.

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