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Popkultur

30 Jahre „Kauf mich!“: Das antikapitalistische Punk-Manifest der Toten Hosen

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Die toten Hosen
Foto: Ian Dickson/Redferns/Getty Images

1993 legen Die Toten Hosen ihr bislang reifstes Album Kauf mich! vor. Es ist in Teilen Konsumkritik und in Teilen ein Bollwerk gegen rechts. Mit anderen Worten: Das richtige Punk-Album zur richtigen Zeit.

von Björn Springorum

Im August 1992 brennt in Rostock-Lichtenhagen ein Wohnheim für Asylbewerber. Der Pogrom gilt als massivste Rassismusattacke in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, hunderte rechtsextreme Randalierer lassen ihrem Hass freien Lauf, angefeuert von tausenden Zuschauern. Das lässt niemanden kalt. Auch Die Toten Hosen nicht. Die machen sich 1992 gerade so langsam daran, ihrem ersten Nummer-eins-Erfolg Auf dem Kreuzzug ins Glück einen würdigen Nachfolger zu bescheren. Seit 1982 gibt es sie, 1990 gelingt den Düsseldorfern erstmals der Sprung an die Spitze der Charts, mit Covern wie Azzurro zeigt man sich aber weiterhin gern auch auf der Blödelseite des Punk-Spektrums.

Kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Seele

Das hört mit den Feuern von Rostock auf. Die Band schreibt eine Platte, die ihre bisher kritischste Auseinandersetzung mit der deutschen Seele werden soll. Motiviert vom Kaufrausch nach der Wende, von der zunehmenden Macht und Dominanz von Fernsehwerbung und von der alarmierenden Zunahme rechtsextremer Übergriffe in Deutschland entsteht ein zynisches, sarkastisches Werk über den Status quo in Deutschland – Kauf mich!

Weil manche Dinge damals nicht warten können, erscheint schon zu Weihnachten 1992 eine erste Single aus dem damals noch nicht mal angekündigten Album: Sascha… ein aufrechter Deutscher. Beeinflusst von den Schreckensbildern aus Rostock-Lichtenhagen, legen Die Toten Hosen einen starken Appell gegen rechts vor, unterstützen mit dem Erlös den Düsseldorfer Appell gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Besonders schön: Die im Song verunglimpften Republikaner versuchen natürlich, den Song verbieten zu lassen, machen ihn dadurch aber natürlich nur noch populärer. Der Song läuft wirklich überall und kann über eine halbe Million Mark einspielen.

Dümmliches Spottlied

Gut ist der Song nicht, nein. Das soll er aber auch gar nicht sein: Er ist extra dümmlich gehalten, um die Rechtsextremisten noch mehr zu verspotten und für dumm zu verkaufen. Laut Campino ist die Nummer ganz bewusst „eine Aneinanderreihung von Klischees. Die Sprache ist betont dümmlich gehalten.“ Macht ordentlich Eindruck: Kein Jahr später veröffentlichen die Ärzte ihre allererste Single nach ihrem Comeback: Schrei nach Liebe.

Der Erfolg des kommenden Albums ist nach all der Aufmerksamkeit natürlich vorprogrammiert. Kauf mich! entsteht zwischen Februar und April 1993 mit dem englischen Produzenten John Caffery bei Scorpions-Tonmeister Dieter Dierks aufgenommen – und springt direkt auf die Eins der deutschen Charts. Das birgt natürlich eine feine Ironie, weil sich Die Toten Hosen auf ihrem achten Studioalbum gezielt mit Dingen wie Konsum, Kommerz und Werbung auseinandersetzen. Sie beginnen ihr Album mit einem Werbejingle, brechen es konzeptionell immer wieder mit süffisanten Werbespots für Kettensägen oder Kondome.

Brandbrief gegen rechts

Credo des Albums: Jeder ist käuflich. Auch die Band selbst natürlich. Im Titelsong heißt es dann auch: „Ich bin dein neues Auto, dein sexy Körperspray, deine Alltags-Happy-Pille, wenn du mich hast, bist du OK. Ich bin dein frischer Atem, bin 100 Prozent Geschmack. Ich bin die große Freiheit im Spar-Fix-Power-Pack.“ Neologismen, Superlative, leere Versprechungen… Kauf mich! ist die zynische Abrechnung mit der Konsumwelt der Neunziger, immer beschienen vom Flackern der Flammen aus Lichtenhagen.

Deswegen gibt es neben Sascha noch einen weiteren Song gegen rechts – das deutlich stärkere Willkommen in Deutschland. Eher Brandbrief als Spottlied, geht Campino mit jedem einzelnen seiner Landsleute hart ins Gericht, wenn er zu harten Riffs und wuchtigen Drums singt: „Es ist auch mein Land, und ich kann nicht so tun, als ob es mich nichts angeht. Es ist auch dein Land, und du bist schuldig, wenn du deine Augen davor schließt.“

Kaum Platz für sinnfreie Späße

Überhaupt treten die Hosen hier deutlich ernster auf – mal abgesehen von den Werbespots. Kaum Platz für sinnfreie Späße wie Azzuro oder Bommerlunder, stattdessen hymnische Punk-Rock-Kracher wie Wünsch dir was oder das monumentale Alles aus Liebe. Das Album ist über ein Jahr in den deutschen Charts, erhält dafür irgendwann Platin. Die Toten Hosen sind endgültig Rockstars geworden – doch man merkt es ihnen irgendwie nicht an: Zwar spielen sie schon mal Konzerte als Support von U2 vor 60.000 Leuten oder in Argentinien. Zugleich treten sie aber in ranzigen kleinen Clubs und bei exzessiven Wohnzimmerkonzerten auf.

Im selben Jahr erscheint die erste Best-Of Reich & Sexy – und wird zu einem der meistverkauften Alben aus Deutschland. Herrlich ist da ein im Booklet abgedrucktes Ablehnungsschreiben einer alten Plattenfirma von 1984: „Leider sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir bei uns im Haus kein ausreichendes Interesse für die Gruppe finden können… Der Grund hierfür ist in erster Linie in der Musik der Gruppe zu suchen. Unserer Meinung nach sind die musikalischen Zukunftsmöglichkeiten der Gruppe aus verschiedenen Gründen limitiert, so dass wir glauben aus den genannten Gründen keine langfristige Investition rechtfertigen zu können.“ Puh, sah die Welt keine zehn Jahre später anders aus…

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