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Popkultur

Helau, Buenos Aires: Die erste Show der Toten Hosen in Argentinien

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Die Toten Hosen
Foto: Frank Hempel/United Archives via Getty Images

Zwischen den Toten Hosen und Argentinien ist über die Jahrzehnte eine ganz besondere Beziehung entstanden. Beinahe kultisch werden die Düsseldorfer in der südamerikanischen Republik verehrt. Jedes ihrer Konzerte dort ist ausverkauft. Doch warum sind die Toten Hosen so erfolgreich in einem Land, in dem nur wenige Musikfans ihre Sprache sprechen? Und wie kam es zu ihrer allerersten Argentinien-Show am 11. September 1992?

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Wort zum Sonntag von Die Toten Hosen anhören:

Wenn Campino sein T-Shirt auszieht, sieht man es: sein Oberarm-Tattoo mit dem Bild der argentinischen Tangolegende Carlos Gardel. Darunter steht der Slogan „Mi Buenos Aires querido“ — zu Deutsch: „mein geliebtes Buenos Aires“. Seit inzwischen 30 Jahren touren die Toten Hosen regelmäßig durch Argentinien; in keinem Land außerhalb von Deutschland waren sie bisher öfter zu sehen. Da drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Wieso eine deutschsprachige Band? Wieso gerade Argentinien? Und wie hat das alles angefangen? Die Spuren führen zu Michael Reichel aus Karlsruhe. Denn er ist es, der den Toten Hosen zu Beginn der Neunziger die Tür nach Südamerika öffnet.

Campino und Argentinien: Zu Beginn keine einfache Beziehung

Von 1988 bis 1990 arbeitet Reichel in Buenos Aires für die Deutsche Bank, wie die SZ berichtet. Er kündigt, zieht wieder nach Deutschland, doch 1992 kehrt er zurück nach Südamerika. Höchstpersönlich bringt er einigen argentinischen Radiosendern Kassetten von den Toten Hosen vorbei. „Dann hab ich Kiki [Ressler, Tourleiter der Toten Hosen – Anm. d. Aut.] angerufen und gesagt: Kommt einfach mal rüber“, erzählt Reichel im Interview. Die Flugtickets bezahlt er selbst. Vor allem Campino ist zu Beginn skeptisch, denn Argentinien genießt in seiner Familie nicht gerade den besten Ruf. So entsorgt seine britische Mutter laut FAZ sogar einmal bestes Rindfleisch, als sie herausfindet, dass es aus Argentinien stammt.

Die Begründung für die Abneigung: der Falklandkrieg von April bis Juni 1982. Mit einem Überraschungsangriff überrumpelt Argentinien in jenem Frühjahr die Briten und möchte die Falklandinseln zurückerobern. Doch England schlägt zurück und gewinnt die militärische Auseinandersetzung. Die Narben sitzen tief, Campino übernimmt den Hass seiner Mutter. Dann erzielt Diego Maradona bei der Fußballweltmeisterschaft 1986 auch noch ein Tor mit seinem Finger und wirft England mit der Aktion aus dem Turnier. Die Sterne stehen schlecht für ein Hosen-Konzert in Argentinien. Doch Campino und die Toten Hosen sagen zu, fliegen nach Buenos Aires — und der Sänger muss innerhalb kürzester Zeit mit vielen Vorurteilen aufräumen.

Die erste Show der Toten Hosen in Argentinien

„Das ging am Flughafen los“, erzählt Campino der FAZ. „Die Grenzbeamten begrüßten uns mit offenen Armen. Wir haben das für Versteckte Kamera gehalten, aber die hatten halt Zeitung gelesen. In Argentinien reden die Leute über Politik wie unsereins übers Wetter, wahnsinnig gebildete Leute sind das, und die wussten eben, dass da eine Band aus Europa kommt. Das war so eine warmherzige Begegnung, dass ich mich für mich selber geschämt habe, was ich für einen Quatsch über Argentinien gedacht hatte. Ich habe danach dem lieben Gott versprochen, ich werde nie mehr über ein Land urteilen, in dem ich nicht selber war.“

Der geplante Konzertabend scheint zunächst etwas schwieriger zu werden als die gefeierte Ankunft der Gruppe. Die Toten Hosen sollen nach der argentinischen Punkband Pilsen spielen — doch kaum jemand ist da. Das ändert sich, je später es wird, bis die Halle schließlich aus allen Nähten platzt. Ganze 2.000 Zuschauer*innen strömen heran, um die Düsseldorfer Punks live und in Farbe zu sehen. Nein, sie zu erleben, mit allem, was dazugehört.

„Die Argentinier finden es gut, wenn man auf der Bühne ohne Rücksicht auf Verluste agiert, denn sie selbst tun das auch“, berichtet Bassist Andi im Interview. Schlagzeuger Vom ergänzt: „Es ist wie beim Fußball: Wenn sie das Team lieben, geben sie alles.“

„Argentinien ist eine Liebesgeschichte zwischen den Toten Hosen und Buenos Aires“

„Die Argentinier nehmen vieles persönlicher“, erklärt Campino im Welt-Interview. „Die Beziehung zu uns ist auch persönlich. Ich glaube, dass die uns Verschiedenes sehr hoch anrechnen. Wie zum Beispiel, dass wir hier Anfang 2001 während der großen argentinischen Finanzkrise als einzige internationale Band aufgetaucht sind und für einen symbolischen Ticketpreis gespielt haben. Sowas vergessen die Leute nicht.“ Die Argentinier lieben ihre Toten Hosen und umgekehrt. Als „Befreiungsschlag“ und „Explosion“ bezeichnet Hosen-Gitarrist Kuddel die Rockmusik in Argentinien, einem Land, das politisch betrachtet lange gelitten hatte — und die Hosen sind mittendrin.

Noch heute spielen die Toten Hosen regelmäßig in Südamerika. „Argentinien, das ist eine Liebesgeschichte zwischen den Toten Hosen und Buenos Aires“, schwärmt Campino 2017 im SZ-Interview zum 25-jährigen Südamerika-Jubiläum der Düsseldorfer. „Inzwischen sind wir ein gut eingespieltes Ehepaar, 25 Jahre zusammen.“ 2022 sind es bereits 30 Jahre und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. „Wir sind so oft mit offenen Armen empfangen worden, haben tolle Länder kennengelernt“, so Campino im Welt-Interview. „Aber es bleibt trotzdem unsere kleine Geschichte hier. Das ist ohne jeden Hype entstanden, ohne eine Plattenfirma. Das ist einfach so gewachsen.“ Wünschen wir den Hosen, dass es so weitergeht.

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