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Popkultur

Jim Kerr (Simple Minds): „Für uns war es unvorstellbar, dass man mit 40 noch in einer Rockband ist“

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Simple Minds

Erst letztes Jahr veröffentlichten die Simple Minds ihre Werkschau 40: The Best Of – 1979-2019. Jetzt bringen sie die Klassiker aus vier Jahrzehnten schottischer Rock-Geschichte auf Tournee. Wir haben uns vorab mit Sänger und Glasgow-Fan Jim Kerr unterhalten.

von Björn Springorum

Noch vor 20 Jahren hätte Jim Kerr niemals geglaubt, dass seine Band jemals wieder vor mehreren tausend Fans auftreten würde. Er baute ein Hotel in Sizilien, um etwas zu tun zu haben und finanziell unabhängig zu sein. Doch aus der Krise wurde ein zweiter Frühling: Ab März sind die Simple Minds wieder auf Tournee, 40 Jahre Hits und Klassiker von Belfast Child bis Don’t You (Forget About Me) im Gepäck. Im Interview spricht Sänger Jim Kerr offen über Höhen und Tiefen im Leben einer schottischen Rockband, über Glasgow und Sizilien, über Politik und das Älterwerden.

Hört hier die größten Hits der Simple Minds:

Noch bevor es Ende der Siebziger mit dem Simple-Minds-Vorläufer Johnny & The Self-Abusers so richtig losging, bist du wochenlang durch Europa getrampt. Was hat diese Reise mit dir gemacht?

Sie hat mein Leben verändert. Wir waren 16, uns lag die Welt zu Füßen und ich hatte dieses unstillbare Fernweh. Es war eine wundersame Reise: Wir stellten uns an die Straße, streckten unsere Daumen aus und ließen uns vom Schicksal forttragen. In gewisser Weise wurde diese Reise zur Metapher meines Lebens mit Simple Minds.

Ebenso lieb und teuer ist dir deine Heimatstadt Glasgow. Gerade in den Sechzigern war das aber nicht gerade ein einladender Ort, oder?

Nicht direkt. (lacht) Ich komme aus einer Zeit, in der sich kaum ein Besucher nach Glasgow verirrte. Die Stadt war damals ein postindustrieller Haufen, eher traurig anzuschauen, um ehrlich zu sein. Glasgow musste sich neu erfinden, wusste aber lange nicht, wie. Doch irgendetwas ist über die Jahre passiert – und heute schätzen die Menschen diese ganz besondere Energie der Stadt. Wir mögen allerdings auch unseren hübschen Nachbarn Edinburgh, das will ich gleich dazusagen. Aber Glasgow ist deutlich mehr Rock’n’Roll.

Nicht zu vergessen die mächtige Nekropolis über der Stadt…

Ich wurde nur wenige Meter von den Grabsteinen entfernt geboren! Damals gab es noch ein Krankenhaus direkt neben dem Friedhof. Dort wurden Kinder geboren – und nebenan brachte man die Menschen unter die Erde. Der Kreislauf des Lebens.

Zeitsprung: Am 9.7.1959 kommt Jim Kerr von Simple Minds zur Welt.

In den Neunzigern hast du in deiner zweiten Heimat Sizilien bei aller Glasgow-Liebe dennoch ein kleines Boutiquehotel eröffnet. Wie wird ein Rockstar zum Hotelier?

Es ist kein Geheimnis, dass die Simple Minds Ende der Neunziger eine wirklich schwere Zeit durchlebten. Schwer, weil wir aus der Mode geraten waren; schwer, weil die großen Tage vorüber waren. Aber noch schwerer, weil niemand von uns die Motivation hatte, weiterzumachen. Der Enthusiasmus war verschwunden, wir hatten keine Musik mehr in uns. Ich beschloss, eine Weile nach Italien zu verschwinden, um in aller Ruhe herauszufinden, was ich eigentlich wollte. Ich kannte den Ort Taormina von einer früheren Reise, hatte in der Zwischenzeit auch italienisch gelernt und erinnerte mich an diesen Ort als Oase der Ruhe. Als ein Bauplatz frei wurde, entstand plötzlich die Idee eines kleinen Bed & Breakfast. Als Alternative zur Musik, die damals hoffnungslos in eine Sackgasse geraten war.

Die fehlende Inspiration war also schlimmer als der fehlende Erfolg?

Versteh mich nicht falsch: Jede Band, die Platten veröffentlicht, möchte sie auch verkaufen. Erfolg ist wichtig. Aber nicht das Wichtigste, denn er kommt und geht. Selbst die größten Bands haben Krisen durchlaufen. Das Schlimmste ist aber, wenn du keine Musik mehr in dir hast. Und wenn du nicht weißt, ob sich das jemals ändern wird. Denk nur mal an all die alten Blues-Musiker. Sie spielten nicht, um die Charts anzuführen. Sie spielten, weil sie spielen mussten. Und vielleicht mussten wir erst durch diese Durststrecke, vielleicht mussten wir erst Scheidungen durchlaufen und Kinder bekommen, bis wir wieder genug in uns hatten, um Songs zu schreiben. Vielleicht hätten wir das auch davor noch gekonnt, aber dann hätten wir eindimensional geklungen.

„Damals sprach niemand über Ruhm und Reichtum. Mal wollte einfach nur in einer guten Band sein.“

Eindimensional kann man über eure Karriere jetzt aber nicht gerade sagen…

Das stimmt auch wieder. Aber wir wollten nicht enden wie angeschlagene Boxer, die durch den Ring taumeln, weil sie nicht wissen, was sie sonst mit ihrem Leben anfangen wollen. Wir mussten uns also in erster Instanz fragen, ob wir das wirklich weitermachen wollten. Und in zweiter, ob wir es überhaupt noch konnten. Das bedeutete aber eben auch vollen Einsatz – und das ist etwas, das dir als junger Mensch deutlich leichter fällt. Du hast viel Zeit, ein bisschen Kohle, verbringst viel Zeit im Proberaum oder im Tourbus, gehst dorthin, wo auch immer der Weg dich hinführt. Wollten wir das also weiterhin? Und irgendwann merkten wir: Ja, das wollten wir!

Heute sind die Simple Minds wieder sehr gefragt, die Hallen sind wieder deutlich größer geworden. Das Wörtchen „Ruhestand“ möchtest du gerade wahrscheinlich nicht hören, oder?

Ein Künstler setzt sich nicht zur Ruhe, so einfach ist das. (lacht) Natürlich bringen wir nicht dieselbe Energie auf wie in den Achtzigern, doch dafür achten wir heute besser auf uns, treiben Sport und haben eine gesunde Ernährung im Blick.

Du bist vergangenes Jahr 60 Jahre alt geworden. War es 1977, als es mit der Band losging, überhaupt eine Option, in diesem Alter noch in einer Rockband zu singen?

Als wir die Band starteten, waren unsere Eltern nicht mal 40. Für uns war es vollkommen unvorstellbar, dass man mit 40 noch in einer Rockband ist. (lacht) Damals sprach niemand über Ruhm und Reichtum. Mal wollte einfach nur in einer guten Band sein. Ich wusste nicht, ob David Bowie mehr oder weniger Geld hatte als Patti Smith – und es war mir auch scheißegal. Es ging um etwas anderes.

Oftmals ging es euch in euren Liedern um politische Dinge: Du hast für Nelson Mandela und gegen IRA und Apartheid gesungen. Wann wurdest du politisch?

Viele von meinen Überzeugungen habe ich meinem Vater zu verdanken. Er brachte mir bei, dass die Welt am Ende der Straße begann – und nicht etwa endete. Schon mein Großvater schwärmte immer von den fernen Ländern, die er besucht hatte. Für uns gab es also immer schon mehr als unsere Heimat. Dass diese Überzeugungen irgendwann in der Musik auftauchten, war wohl nur eine Frage der Zeit.

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