Surf Rock: Der Mythos Kalifornien und die Trittbrettfahrer namens Beach Boys

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Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

In den frĂŒhen Sechzigern erobert ein nasser, schwĂŒler, roher und vor allem instrumentaler Rock-Sound die Welt: Surf Music soll so klingen wie das Rauschen der Wellen Kaliforniens, der Inbegriff unbeschwerter Tage am Strand, weit weg von den Schatten des Krieges. Dann kommen die Beach Boys. Doch die haben doch mit Surfen eigentlich so gar nichts am Hut.

von Björn Springorum

Der Mythos Kalifornien wird mit dem Goldrausch geboren. Das weite, sonnengetrĂ€nkte Land im Ă€ußersten Westen der Vereinigten Staaten ist schon im 19. Jahrhundert Sehnsuchtsort der GlĂŒcksritter, Abenteurer und GoldgrĂ€ber. Ein Jahrhundert spĂ€ter hat sich daran nichts geĂ€ndert: Der endlose Pazifik im irisierenden Licht der kalifornischen Sonne, die Palmen, die Weite, die Freiheit: Der Golden State, wie Kalifornien wegen der reichen Edelmetallvorkommen genannt wird, zieht die Menschen an wie das Licht die Motten.

Die kurze, aber heftige Phase des Surf Rocks

Fehlt nur die passende Musik, um diesen flirrenden Mythos einzufangen. Das ĂŒbernimmt der Surf Rock in seiner kurzen, aber umso heftigeren Existenz. Geboren an den endlosen StrĂ€nden SĂŒdkaliforniens rund um Orange County irgendwann in den spĂ€ten FĂŒnfzigern und unter die Erde gebracht vom Fegefeuer der British Invasion ab 1964, wird das Genre vor allem durch die schillernde Figur des Dick Dale geprĂ€gt. Der heißt eigentlich Richard Anthony Monsour und hat mit Anfang 20 eins vor: Die Rockmusik revolutionieren. Sein Markenzeichen: Instrumentale, schroffe, kurze Songs, bewusst roh belassen, vorgetragen von regelrecht narrativen, verzerrten Gitarren, Holterdipolter-Tempo und, in seinem Fall, mexikanischen oder orientalischen EinflĂŒssen. Letztere verdankt er seinem libanesischen Vater. Die Geburtsstunde der Surf Music ist sein StĂŒck namens Let‘s Go Trippin‘:

Orange County als Epizentrum der Bewegung

Das ist sie nun also endlich, die reprĂ€sentative Musik Kaliforniens, die Musik der unzĂ€hligen Surfer, die unbeschwerte Tage am Strand und in den Wellen verbringen. Von Dick Dale entwickelte, neuartige Fender-Amps verzerren die Gitarren, geben ihnen einen „nassen“ Sound, der an das Rauschen der Wellen erinnern soll. „Wenn ich surfe, fĂŒhle ich diese unglaubliche Kraft“, sagt er damals dazu. „Diese Kraft ĂŒbertrĂ€gt sich einfach auf meine Gitarre.“ Unter seiner Herrschaft wird der Rendezvous Ballroom in Orange County im Sommer 1961 zur GeburtsstĂ€tte der Surf Music, zum Epizentrum der gewaltigen Stomps, die bis zu 3.000 Leute dort zelebrieren – ohne Alkohol, wohlgemerkt. Und Dick Dale selbst, der wird zum King Of The Surf Guitar, wie er dann auch ganz einfach sein zweites Album nennt. Seine Auftritte beginnt er mit einigen Western-Standards, spielt danach zahmen Rockabilly. Eingeweihte kennen das Prozedere natĂŒrlich, wissen, was danach kommt: Die aufgedrehten VerstĂ€rker, der wilde, laute, schnelle Irrsinn, sein entfesseltes Spiel, flankiert von seinen getreuen Del-Tones.

Er ist natĂŒrlich nicht der einzige, der den Sound der Wellen einfĂ€ngt. Binnen kĂŒrzester Zeit wimmeln die StrĂ€nde Kaliforniens vor weiteren Instrumental-Bands wie The Bel-Airs, The Challengers oder The Surfaris. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Rockmusik, dass ein Lifestyle, ein Sport, zum Synonym fĂŒr eine Musik wird. 30 Jahre spĂ€ter wird Skate Punk, wieder ausgehend von Kalifornien, auf ganz Ă€hnliche Weise die Welt ordentlich umkrempeln. Immer entsteht diese Musik auch im Schatten eines Krieges. Damals Vietnam, in den frĂŒhen Neunzigern Irak. Musik als Fluchtpunkt, als Eskapismus, da taugt die MĂ€r vom magischen Kalifornien natĂŒrlich besonders gut.

FĂŒnf prĂ€gende Jahre

Fast fĂŒnf Jahre lang hĂ€lt die Surf Music Kalifornien in Atem, prĂ€gt den Rock‘n‘Roll auf der ganzen Welt. König Dick Dale, der als Country-Interpret beginnt, bekommt es aber bald mit waschechter Konkurrenz zu tun. Mit Konkurrenz, du liebes bisschen, die Surf Music spielt und dazu singt! FĂŒr Puristen eigentlich ein Ausschlusskriterium. Surf Music, sagen sie, muss instrumental sein. Die Ankunft der Beach Boys ist Ende 1961 dennoch nicht zu ĂŒberhören und nicht zu ĂŒbersehen, ihre Agenda klar: Sie borgen sich die beliebte Surf Music fĂŒr ihre ganz eigene Weltsicht aus. Und weil die Wilsons eben auch singen, können sie im Gegensatz zu Dick Dale und Co. gleich ein LebensgefĂŒhl mit verkaufen, den sogenannten California Sound. Sommer, Sonne, Sonnenschein, das unschuldige, unbeschwerte Leben unter Palmen, Surfen, Autos, Milchshakes. Da kommt ihnen natĂŒrlich sehr gelegen, dass auch die nicht weit entfernte Traumfabrik den Trendsport Surfen lĂ€ngst fĂŒr sich entdeckt und instrumentalisiert hat. Trashige Bikini-Filmchen, eher Ballermann im Baywatch-Style denn eigentliche WĂŒrdigung eines Sports, fluten das Land und heizen den Surf-Craze immer weiter an, wĂ€hrend sich die USA tiefer und tiefer in den Vietnamkrieg verbeißen.

Das Problem: Die Beach Boys mĂŒssen es gleich wieder ĂŒbertreiben. FĂŒr sie ist Surf Music weniger Lebenseinstellung und mehr eine Cash Cow, die es zu melken gilt. Streng genommen sind das hier keine Surfer, die die passende Musik zu ihrem Lebensstil spielen, sondern Trittbrettfahrer, die (mit Ausnahme von Dennis Wilson vielleicht) rein gar nichts mit der Surfer-Kultur zu tun haben. Mehr noch: Brian Wilson geht nicht mal schwimmen und soll frĂŒher panische Angst vor Wasser gehabt haben. Auch ihr ikonisches Surf-Outfit der frĂŒhen Tage – weiße Levis, gestreifte Shirts, Sneaker, wird nur auf der BĂŒhne getragen.

Kommerzielle Ausnutzung des Lifestyles?

Ihr erster Charthit hieß wenig originell Surfin‘. Doch jetzt kommt‘s: Danach folgen Surfin‘ U.S.A. und Surfer Girl als weitere Singles, dann das Album Surfin‘ Safari und die Single Surf City. Wow. Als man das Surfen ausgeweidet hat, wendet man sich einfach Songs ĂŒber Autos zu, bedient sich Ă€hnlich freimĂŒtig beim Surf-verwandten Genre Hot Rod Rock. Brian Wilson gibt damals sogar zu, dass die Beach Boys Ideen wie diese rigoros ausgemolken haben: „Wir hatten aus jedem möglichen Winkel ĂŒber das Surfen gesungen und uns danach die Autos vorgenommen. Irgendwann mussten wir einfach aus kĂŒnstlerischer Sicht wachsen.“ Man kann es ihnen aus heutiger Sicht verzeihen: Es ist der Moment, in dem aus den unschuldigen, austauschbaren Beach Boys die einzige US-Band wird, die es mit der Klasse der Beatles aufnehmen kann. FĂŒr dieses kalifornische LebensgefĂŒhl, den California Sound, stehen die Beach Boys neben Acts wie Jan & Dean dennoch emblematisch bis heute.

Auch Dick Dale ĂŒberlebt die British Invasion zunĂ€chst nicht. Surf Music ist nicht lĂ€nger gefragt, fristet allerhöchstens als Titelmusik fĂŒr die James Bond-Filme eine Schattenexistenz. An seine Stelle treten neben den EnglĂ€ndern alsbald die Ikonen der Gegenkultur, die Stimmung in Kalifornien wandelt sich ab Mitte der Sechziger mit Ankunft der Drogen und Hippies. Das ist wieder so eine Community, die dem Lockruf Kaliforniens erliegt, dann aber eher gegen den Krieg und fĂŒr die Ideale der SpĂ€tsechziger singt. Und dann taucht sehr bald auch schon Charles Manson auf, der nicht nur die Beach Boys das FĂŒrchten lehrt und den amerikanischen Traum in einer schicksalhaften Nacht zum Albtraum macht.

Endet die Geschichte von Surf Music hier? Nein. Zu verdanken ist das Filmemacher Quentin Tarantino, der fĂŒr Pulp Ficition (1994) Dick Dale und manch anderes Surf-Relikt aus der Versenkung holt und dem Genre im Alleingang eine zweiten FrĂŒhling beschert. Die Unschuld Kaliforniens ist da lĂ€ngst Geschichte. An der schwĂŒlen Magie und der berauschenden Wirkung dieser Musik gewordenen AttitĂŒde Ă€ndert das nichts. Und am Wachtraum dieses mythisch-perfekten Kaliforniens auch nicht.

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