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Popkultur

40 Jahre „Tattoo You“: Wie die Rolling Stones zufällig zu alter Stärke zurückfanden

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Rolling Stones
Foto: Denver Post via Getty Images

Eigentlich wollen die Rolling Stones 1981 nur schnell ein paar Songs auf eine Platte packen, um damit auf Tour gehen zu können. Heraus kommt mit Tattoo You eines ihrer erfolgreichsten Werke, das die nächsten 40 Jahre konsolidieren soll – und einen ihre größten Hits überhaupt enthält. Ein glimmendes Märchen aus Licht und Schatten.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Tattoo You hören:

Die Achtziger beginnen für die Rolling Stones ambivalent. Rein äußerlich befindet sich die Band auf ihrem kommerziellen Höhepunkt, intern tun sich Risse auf, die alsbald zu Gräben werden sollen. Nach Emotional Rescue (1980) will Keith Richards unbedingt auf Tour, doch Mick Jagger weigert sich. Dass Jagger im Privaten bereits seine Solopläne verfolgt, ist damals nicht mal der Stein des Anstoßens. Vielmehr nagt es an Richards, dass sein alter Kumpel und Sänger die Bandführung als Solitär übernommen hat, während der Gitarrist fest in der Umarmung seiner damaligen Göttin Heroin lag.

Die Glimmer Twins zoffen sich

Zunehmend verhärten sich die Fronten zwischen den Glimmer Twins, die schon sehr bald in einen öffentlichen Ehekrach eruptieren sollen. 1981 ist es noch nicht so weit; dennoch ist die Stimmung innerhalb der Band auf einem Tiefpunkt. Richards sagte zwar mal, es sei „einfach nicht genug Zeit“ für ein neues Album gewesen, aber die Wahrheit war: Niemand hat so recht Lust, wochenlang mit den anderen in einem Studio eingesperrt zu sein. Man hatte sich aber nun mal darauf verständigt, 1981 wieder auf Tour zu gehen und dem Ganzen ein neues Album vorauszuschicken. Doof.


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Auftritt Chris Kimsey. Der Produzent arbeitet seit Sticky Fingers mit den Stones, kennt die Mechanismen der Band, die Stolperfallen, die Egos. Und er hat einen Einfall, der die Band sehr wahrscheinlich rettet: „Ich sagte allen, dass ich ein Album aus dem Material machen konnte, das noch herumlag.“ Im Klartext heißt das: Während die Band ihrem zum damaligen Zeitpunkt durchaus exzentrischen und erratischen Lebenswandel nachgeht, verkriecht sich der Produzent geschlagene drei Monate ins Archiv, um übrig gebliebenes Material zu durchforsten, das bis Goats Head Soup (1973) zurückreicht – Jams, Outtakes oder komplette, aber nicht verwendete Songs.

Resteverwertung oder genialer Coup?

Von den bereits erwähnten Sessions für Goats Head Soup stammen etwa Tops und Waiting On A Friend. Im Prozess der Neufassung wird Mick Taylor allerdings von den Bändern gelöscht, wogegen er später erfolgreich vorgeht. Von Black And Blue (1976) kommen Slave und Worried About You, aus Some Girls-Zeiten unter anderem Black Limousine. Resteverwertung oder genialer Coup? Beides irgendwie – aufgrund des eklektischen Materials clever aufgeteilt in die Rock-Seite (A) und die Balladen-Seite (B).

Man könnte aber natürlich auch sagen: Die Stones mögen dieses Zeug irgendwann mal geschrieben haben; erst durch Chris Kimsey wurde daraus aber eben das, was wir seit 40 Jahren als Tatttoo You kennen und lieben. Er präsentierte es der Band und ließ sie daran arbeiten – separat, versteht sich. „Ich schrieb Texte und Melodien dazu“, so Jagger 1995 wenig euphorisch im Rolling Stone. „Ich rührte alles auf unsagbar billige Weise zusammen und nahm es dann mitten im Winter in Paris auf. Ein paar Passagen entstanden allen Ernstes in einer Besenkammer.“

Rock statt Reggae

Laut Jagger ist es das Werk von Produzent Bob Clearmountain, dass die verschiedenen Sessions letztlich wie aus einem Guss wirken. Trotz allem ist es aber natürlich auch der Genialität der Stones zu verdanken, dass man aus einem Haufen Überbleibsel eines der erfolgreichsten Alben der Karriere zimmert, angeführt vom Opener Start Me Up, seither einer der beliebtesten Songs und der klassische Opener der meisten ihrer Konzerte.

Überhaupt ist die Geschichte von Start Me Up wohl die erstaunlichste auf Tattoo You. Ursprünglich wird die Nummer 1978 während der Some-Girls-Sessions als Reggae-Nummer unter dem Titel Never Stop aufgenommen. Ein gutes Dutzend Takes lang versucht man, sie in Form zu bringen, bevor man schließlich frustriert aufgibt und siche erst mal eine Kippe ansteckt. Doch jetzt kommt’s: Als zweiten Take nehmen die Stones die Nummer einfach mal als Rock’n’Roll-Song auf. Und vergessen ihn wieder, bis Chris Kimsey über ihn stolpert. Und somit einen der ikonischsten Stones-Songs überhaupt vor dem Vergessen bewahrt.

99 Luftballons

Als das Album vor 40 Jahren erscheint, ist es ein sofortiger Hit. Die Fans lieben es, auch die Presse hat die Band wieder lieb und lobt ihre Rückkehr zum nachvollziehbaren, ehrlichen Rock’n’Roll. Die anschließende Tour wird zum so ziemlich größten Rock’n’Roll-Zirkus, den die Welt je gesehen hat, und setzt zahlreiche Rekorde, von denen manche bis heute bestehen. Interessante Begleiterscheinung: Beim Berlin-Auftritt der Stones am 8. Juni 1982 werden tausende Luftballons in den Himmel entlassen. Im Publikum steht damals auch ein gewisser Carlo Karges, der sich spontan zu einem Song inspiriert fühlt, der als 99 Luftballons auf seine Weise Musikgeschichte schreiben wird. Auch das ist Chris Kimsey zu verdanken. Sozusagen.

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