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Popkultur

Zeitsprung: Am 31.7.1951 wird Nena-Gitarrist Carlo Karges geboren.

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Carlo Karges mit Nena 1983 - Foto: Michael Putland/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.7.1951.

von Peter Hesse und Christof Leim

Am 31. Juli 1951 wird Carlo Karges in Hamburg geboren. Kai Havaii von Extrabreit beschreibt den Nena-Gitarristen so: „Die Aura eines mittellosen Künstlers umweht ihn. Denn alles, was er besitzt, passt in einen kleinen Reisekoffer. Er spielt recht ordentlich Gitarre, aber seine Stärke liegt noch mehr in seinem Willen zum Pop.“ Als Komponist von Stücken wie 99 Luftballons sorgt Karges für den Erfolg der Gruppe Nena, der sogar bis in die USA und nach Japan reicht. Wenn er nicht am 30. Januar 2002 verstorben wäre, hätte er heute Geburtstag gefeiert.

Hier könnt ihr euch das Erstlingswerk der Nena-Band anhören:

Die Musik war für Carlo Karges schon in jungen Jahren eine wichtige Triebfeder. Er wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter in Hamburg auf, als Kind beginnt er Gitarre zu spielen und Lieder zu komponieren – und imaginiert sich mit seiner Fantasie so in eine andere Welt. Erste Live-Erfahrungen macht er in verschiedenen Hamburger Lokalbands wie der Progrock-Truppe Tomorrows’s Gift oder dem Release Music Orchestra. 1971, da ist Carlo 20 Jahre alt, landet er als Gitarrist und Keyboarder bei der Hippieband Novalis, für die er unter anderem den unfreiwillig komischen Text des Stücks Wer Schmetterlinge lachen hört schreibt.

Nächste Station: Extrabreit an

1975 verlässt er die Band Novalis wieder und beginnt in der Folgezeit seine Wanderjahre als Musiker: Er spielt bei den Bands Ramblers, Else Nabu und Desperado, doch der große musikalische Durchbruch bleibt aus. Im Jahr 1980 ersetzt er bei Extrabreit den ausgeschiedenen Piet Worthmann an der Gitarre, bleibt aber nur ein paar Monate bei den NDW-Rockern, weil er sich zwischen dem eingespielten Songwriter-Duo Kai Havaii und Stefan Kleinkrieg nicht recht behaupten kann. Im Jahr 1981 heuert Carlo bei der Berliner Band Bleibtreu Revue an, mit denen er das von Edo Zanki produzierte Album Ungeheuer Paranoia einspielt. Er bringt sich als Songwriter und Texter ein, eine ausgedehnte Tournee folgt. Die Gruppe gibt sich ambitioniert, doch auch hier fehlt es an kommerzieller Durchschlagskraft.  

Spliff produzieren erstes NENA-Album

Durch einen Zufall trifft Karges auf Sängerin Gabriele Susanne Kerner, genannt Nena, und Schlagzeuger Rolf Brendel. Die beiden sind ein Paar und haben gerade in Hagen ihre Band The Stripes hinter sich gelassen. Mit Keyboarder Uwe Fahrenkrog-Petersen und Bassmann Jürgen Dehmel wird daraus die Band Nena. Alle ziehen nach Berlin, und ihr neuer Manager Jim Rakete spielt ihr erstes Demo Musikern von Spliff vor. Manne Praeker und Reinhold Heil sind so begeistert von dem Quintett mit Sängerin, dass sie das erste Nena-Album produzieren. Ein Auftritt im Musikladen im August 1982 bringt schließlich den Durchbruch. Am nächsten Tag ist in den Plattenläden der Teufel los: von jung bis alt wollen alle die Platten des süßen Mädchens im roten Leder-Minirock kaufen. Dabei lag die Single Nur geträumt seit Juni verstaubend in den Regalen. Auch live sind die Fünf sehr gefragt, sie touren bald zusammen mit Chris de Burgh und Men At Work.

Die Band wird quasi über Nacht zum Erfolgsprodukt, alles überschlägt sich. Alleine auf dem Titelbild der Bravo wird Nena ganze 54 Mal zu sehen sein. Schlagzeuger Rolf Brendel erinnert sich: „Niemand hatte mit so einem irren Erfolg gerechnet, und niemand wusste so richtig, was auf einen zukam. Ich weiß noch, dass ich nach einer Fernsehsendung in Berlin mit blondgefärbten, toupierten Haaren auf dem Ku’damm stand – und gleichzeitig Liebeskummer und  Zahnschmerzen hatte. Zudem war mir klar, dass wir jeden Tag 40.000 Schallplatten verkauften. In meiner Fantasie sah ich mich schon als reicher Rockstar auf den Bahamas, hübsche Mädchen im Arm und Etagenkellner, die uns eisgekühlte Cocktails servieren. Aber in Wirklichkeit lief ich an der Gedächtniskirche vorbei und fühlte mich erbärmlich.“ 

Rolling-Stones-Konzert mit Luftballons

Für Carlo Karges wird der 8. Juni 1982 zu einem Schlüsselmoment. Die Rolling Stones spielen auf der Berliner Waldbühne ein Open-Air, am Ende der Show steigen Tausende von Luftballons in den Himmel. Diese Bilder gehen Carlo nicht aus dem Kopf. Er überlegt sich, was wohl die DDR-Grenzschutzsoldaten davon halten werden, wenn die ganzen bunten Luftballons in den grauen Ostblock rüber fliegen? Kann das als überirdischer und kapitalistischer Affront („Ufos aus dem All“) gedeutet werden, dem ein militärischer Gegenschlag folgt? Gitarrist Karges macht aus dieser Idee den Liedtext 99 Luftballons. Nena liest als erste die handschriftlichen Zeilen und überschüttet ihren Gitarristen mit Komplimenten: „Carlo, das ist das Beste, was du je geschrieben hast.“ Die Plattenfirma sieht das anders: „Kein Refrain, keine richtige Hookline, man kann nicht mitsingen.“ Aber Nena setzt sich durch – und das Lied wird ein großer Hit! Nummer eins – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Mexiko, Neuseeland, Schweden, Norwegen und Polen. Die Nummer logiert sogar drei Wochen in den britischen Charts auf Platz eins und klettert in die US-Billboard-Charts auf einen stolzen zweiten Platz.

„Carlo war ein Rockpoet, der es verstand Texte zu schreiben und Musik zu komponieren, die einen sofort mit auf eine Reise nehmen.“ So erinnert sich Nena-Drummer Rolf Brendel an seinen Bandkumpel Carlo Karges und ergänzt: „Für mich ist 99 Luftballons einer der besten deutschen Songtexte, die ich kenne. Da stimmt jeder Satz, das ist hohe Dichtkunst, und im Vergleich zu vielen anderen NDW-Trivialtexten schon fast Weltliteratur. Carlo war der Älteste von uns, hatte schon viel erlebt und konnte seine privaten Geschichten gut ausdrücken.“ 

Weiter, egal wie

Die Hitmaschine ist angeworfen, Plattenfirma und Management wollen das Quintett immer wieder zu neuen Höchstleistungen antreiben. Die Band gibt zig Interviews, gastiert ständig bei TV-Shows, es folgen Tourneen in Japan und im europäischen Ausland folgen. Jeder innerhalb der Mannschaft macht den Druck für sich anders aus: Rolf Brendel flüchtet in den Buddhismus, Nena verwandelt sich hinter der Bühne in eine zickige und launische Diva, die im Minutentakt neue Extrawürstchen fordert, und Carlo spült seinen Stress mit viel Alkohol runter. Denn die Maschine muss weiterlaufen.

Aus Carlo fließen noch weiterhin tolle Songs: Irgendwie, irgendwo, irgendwann etwa, Rette mich sowie Vollmond werden von ihm getextet und komponiert. Aber das Tempo hat Konsequenzen: Schlaflosigkeit und Konzentrationsschwäche machen sich breit. Bei einem Konzert in Kaiserslautern begrüßt Karges 1984 die anwesenden 4.000 Fans mit „Hallo Karlsruhe!“ Auch die Plattenverkäufe sinken. Nachdem das Debütalbum Nena (1983) 800.000 Mal verkauft wird, geht der Nachfolger Fragezeichen (1984) noch 550.000 Mal über die Ladentheke. Als ein Jahr später das Album Feuer und Flamme „nur“ noch 250.000 Platten umsetzt, bekommt das Bandgefüge immer tiefere Risse.

Eifersucht & dubiose Immobiliengeschäfte

„Die Luft war einfach raus“, sagt Rolf Brendel, „denn wir hatten zu viel in wenigen Jahren gemacht. Alle waren satt und gestopft: vom Welterfolg, von Tourneen und TV-Shows. Wir waren müde von der gegenseitigen Nähe. Wir hätten ein paar Jahre lang Pause machen sollen, um danach einen neuen Anfang zu wagen.“ Intern gab es zudem einen Streit, da jedes Bandmitglied mit einem dubiosen Immobiliengeschäft im Berliner Grunewald mehr als eine Million D-Mark verloren hatte. Nena geht in einem Interview sogar noch einen Schritt weiter: „Es wurde alles an meiner Person aufgehängt. Einerseits gab es Eifersucht, weil ich im Mittelpunkt stand. Andererseits wurde ich für alles verantwortlich gemacht. Das war die einfachste Lösung. Irgendwann habe ich den Schlussstrich gezogen.“ 

Die Nena-Band in guten Zeiten. Ganz rechts: Carlo Karges Foto: Promo

Beginn einer Talfahrt

Karges probiert sich ein neues Standbein neben der Musik aufzubauen und eröffnet am 31. August 1985 in Berlin ein Musikercafé namens Café Carlo, was aber bereits im September 1986 wieder seine Türen schließt. Die Kundschaft bleibt aus, und der Gitarrist wird immer mehr sein bester Kunde. Mitte 1987 gründet Karges die Band Café Carlo und spielt danach in Gruppen wie Füll Service oder La Vida, die aber wegen Erfolglosigkeit schnell wieder verschwinden. Kai Havaii von Extrabreit erinnert sich nur an seinen alten Freund Carlo: „In rasendem Tempo war er zum lebenden Klischee eines Popstars geworden. Unsere Unterhaltungen hatten im Gegensatz zu früher manchmal etwas Steifes und Gewolltes. Mit der Trennung der Nena-Band begann die Talfahrt von Carlo. Als die Plattenfirma Sony seine neuen Projekte ablehnte, schickte er dem Chef der Company ein riesiges Paket mit seinen zahlreichen Gold- und Platinplatten, die er zuvor mit einem Beil zu Kleinholz gehauen hatte.“ Im Jahr 1989 kommt es zum vorläufigen Bruch zwischen Carlo und Nena, da Karges nach dem Tod ihres ersten Sohnes in der Zeitschrift Quick einen offenen Brief an Nena veröffentlicht. Es dauert ein paar Jahre bis sich beide wieder leiden können. 

1994 steuert er dann nach seiner Versöhnung mit Nena als Songschreiber wieder zwei Titel (Vor deiner Tür und Ich bin die Liebe) zu deren Soloalbum Und alles dreht sich bei, an zwei weiteren Liedern ist er als Co-Autor beteiligt. Ebenso wirkt Karges als Texter am ZDF-Soundtrack-Album Nena und die Bambus-Bären-Bande (1996) mit. In den letzten Jahren gelingt Carlo jedoch nicht mehr viel. Er spielt bei der Coverband Timebandits und zeitgleich bei einer Combo namens Taxi. Sein Alkoholismus hat mittlerweile sein musikalisches Talent in Gefangenschaft genommen: Er stirbt in Hamburg am 30. Januar 2002 mit nur 51 Jahren an Leberversagen.

Jedes Leben ist endlich

Am 15. Februar 2002 wird er in Hamburg auf einer Wiese des Olsdorfer Friedhofs mit anonymen Gräbern beigesetzt, seine Mutter besucht täglich seine Grabstelle. Auch Nena setzt der Tod von Karges zu: „Es gibt keine Sicherheit, und das Leben ist endlich. Das Thema Tod ist für mich nicht easy, denn das Leben ist ja eine Vorbereitung auf den Tod. Aber wir reden leider wenig darüber“, sagt sie prophetisch. 

Doch die Erinnerung an die vielen Songs von Carlo Karges bleibt. 99 Luftballons und Irgendwie, irgendwo, irgendwann werden noch eine ganze Weile gesungen, gespielt und gehört werden. Ruhe in Frieden.

Zeitsprung: Am 14.1.1983 erscheint „Nena“ – und die Luftballons fliegen bis nach Amerika.

 

Popkultur

„Atomic City“: Neuer U2-Song feiert die Post-Punk-Jahre

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U2 HEADER
Foto: Jason Kempin/Getty Images

Und plötzlich ist ein brandneuer Song von U2 gelandet: Auf Atomic City schwelgen die Iren im Sound früherer Jahre und läuten zugleich eine furiose neue Ära ein. Hier bei uns gibt es Song samt Video!

U2 fahren die Motoren langsam hoch. Kürzlich erst gaben sie einen Überraschungsauftritt mitten auf dem Strip in Las Vegas, um ihre furiose Residence im Sphere zu bewerben. Die startet am heutigen Freitag und verspricht ein revolutionäres Konzerterlebnis: 160.000 Lautsprecher und 260 Millionen Videopixel läuten dieses Wochenende eine neue Ära in Sachen Livemusik ein.

Hommage an Las Vegas

Passend dazu erscheint heute die brandneue Single Atomic City. Produziert wurde der Song von Jacknife Lee und Steve Lillywhite und ist als Hommage an Las Vegas zu verstehen – die Stadt wurde in den fünfziger Jahren als Atomic City bezeichnet. Musikalisch ist der Song ein Kniefall vor dem magnetischen Geist des Post-Punk der Siebziger und Bands wie Blondie oder The Clash, die U2 beide stark beeinflussten. Hier gibt es die starke Nummer zu hören:

Aufgenommen wurde die Single in Los Angeles und erscheint passend vor den anstehenden Terminen der Band im Sphere in Las Vegas, wo sie ihr bahnbrechendes Album Achtung Baby aus dem Jahr 1991 zelebrieren. Der Frontmann Bono selbst sagt über die Single: „Es ist ein Liebeslied an unser Publikum: Where you are is where I’ll be.“ Das dazugehörige Musikvideo wurde unter der Regie von Ben Kutchins gedreht und zeigt U2s nächtlichen Überraschungsauftritt des Songs in Downtown Las Vegas letzter Woche. Da hat sich mal jemand mit Schnitt und Post-Production beeilt.

Jetzt können wir nur noch warten und morgen schon die Bilder dieser grandiosen neuen Show mit Ersatzschlagzeuger Bram van den Berg bestaunen. Oder doch vielleicht eher gleich Flüge buchen?

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Popkultur

„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge

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Tom DeLonge HEADER
Foto: Christopher Polk/Getty Images

Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:

… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …

Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan

Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?

DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …

Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?

In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.

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blink-182: Alle Studioalben im Ranking

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Popkultur

Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.

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Foto: Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.

von Christof Leim

In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.

Hier könnt ihr das Album hören:

Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still. 

Neues Spielzeug

Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“  singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.

Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo

Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.

Fünf Minuten mindestens

Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.

Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.

Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…

Filme und Bücher als Inspiration

Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.

Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel. 

Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool

Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.

Ein Cover wie ein Bildband

Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch. 

Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs

Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“  und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.

…und die Rückseite ist genauso bombastisch.

Auf die Straße. Natürlich.

Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit. 

Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images

So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.

Zeitsprung: Am 28.4.1988 starten Iron Maiden ihre Welttournee in einem Kölner Club.

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