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Popkultur

Review: Taylor Swift feiert mit „The Tortured Poets Department“ den Tod der Romantik

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Taylor Swift
Foto: Getty Images / Ashok Kumar

In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt. Auf The Tortured Poets Department singt Taylor Swift davon, was passiert, wenn aus dem ersten das zweite wird. Und entfesselt das große Trennungsalbum unserer Zeit.

von Björn Springorum

Wir alle tragen die Scherben früherer Beziehungen in uns. Wir alle wurden verletzt, wir alle haben verletzt, bewusst oder unbewusst, lieben heißt immer auch leiden. Das weiß natürlich auch eine Taylor Swift, Queen der Teenage Romance, erfolgreichste und einflussreichste Künstlerin unserer Zeit. Hinter all dem Ruhm, all dem Glamour, das wissen Swifties natürlich längst, steckt eine gepeinigte Poetin. Die haben wir schon oft zu Gesicht bekommen, zuletzt auf ihrem letzten Album, dem nächtlich schillernden Midnights von 2022.

The Tortured Poets Department geht einen großen Schritt weiter, ist schonungslos, erbarmungslos, hoffnungslos. Ein archetypisches Revenge-Album, auf dem sie mit allem abrechnet. Mit ihren Ex-Partnern, mit der Industrie und immer wieder auch mit sich selbst.

16 Songs tragen The Tortured Poets Department über die Marke von einer Stunde. Doch damit nicht genug: Zwei Stunden nach der Veröffentlichung überraschte Taylor Swift mit 15 (!) weiteren Songs. Die Platte ist eigentlich ein Doppelalbum! Es gab eben viel zu schreiben und zu singen für die gepeinigte Poetin. Eklatant wirkt dabei die Abwesenheit jeglicher Hits. Swift hat ein Album über die Schattenseiten der Liebe geschrieben. Und dabei vollkommen drauf gepfiffen, ob große Radionummern dabei sind. Das kann sie sich erlauben, sie ist die meistgestreamte Künstlerin bei Spotify und die erste Milliardärin, die ihre Kohle mit Musik gemacht hat. Dennoch zeigt es eine Furchtlosigkeit, die sich niemand sonst erlaubt.

Triumph über ein gebrochenes Herz

Taylor Swift ist 2024 aus musikalischer Sicht mehr denn je Stevie Nicks, aus textlicher Sicht Dylan Thomas, in Sachen Attitüde Patti Smith. Kein Wunder, dass sie alle drei auf The Tortured Poets Department besingt. Irgendwo zwischen dem ätherisch-melancholischen Folk-Vibe von Folklore und dem Pop-Nokturn Midnights siedelt sie ihre neuen Songs an. Gern lang sind sie geworden, erinnern mal an Cigarettes After Sex, mal an Nightcall von Kavinsky. Sehr fließend klingt das alles, klanglich bewusst uniform gehalten. Denn: Ihre Stimme und ihre Texte sind wichtiger denn je. Hier geht es um alles. Und Taylor Swift nimmt kein Blatt vor den Mund.

Zu den großartigsten Momenten eines ganz und gar einnehmenden Albums zählen Florida!!!, ein düsteres Duett mit Florence Welch, So Long, London und Who’s Afraid Of Little Old Me?, aber auch Fortnight, ein Achtziger-Banger mit Post Malone. Oder But Daddy I Love Him. Mit jedem neuen Anspielen, bei jedem Durchlauf entfaltet sich die eigentliche Stärke dieses Albums mehr: Mit 34 ist Taylor Swift in der harschen Realität angekommen. Und zeigt ungeschminkt, was die Liebe mit uns allen macht. Sie ruiniert uns, macht uns verletzlich, angreifbar. Daraus zieht sie ihre größte Stärke. Und triumphiert über ihr gebrochenes Herz – eben gerade weil sie so offen und ungefiltert davon erzählt.

Gotische Trennungsballaden

Das Album wogt und wallt, die Songs bauen sich langsam auf, verzichten auf die großen Gesten. Eher ein Gedicht als Pop. Angelehnt ist es lose an die fünf Stufen der Trauer von Elisabeth Köbler-Ross: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression, Zustimmung. Swifties auf der ganzen Welt werden die nächsten Wochen Lyrics entschlüsseln, Botschaften herauslesen oder hineininterpretieren. Das ist wichtiger als ein Hit wie Cruel Summer. Größer kann Taylor Swift nicht werden. Also residiert sie oben und einsam an der Spitze. Und lädt zur großen Nabelschau.

Selbstzentriert könnte man das alles nennen, ein Album, das voller Trotz und verletztem Stolz ist. Aber das Schöne ist ja: Genau das soll es sein. Die Hater werden es eh hassen. Die Fans werden es lieben. Und jeder, der auch nur einen Funken Interesse an versengender Pop-Poesie hat, wird in  The Tortured Poets Department ein überraschendes Lieblingsalbum finden. Taylor Swift ist die wichtigste Songwriterin unserer Zeit. Und unterstreicht diesen Status mit den introspektiven, gotischen, dräuenden Balladen ihres elften Albums.

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