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Popkultur

Traumatagebuch: Vor 20 Jahren hebt „The Eminem Show“ ihren Vorhang

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Eminem
Foto: Paul Warner/WireImage/Getty Images

Es ist das definierende weiße Rap-Album des 21. Jahrhunderts: Mit The Eminem Show zieht Eminem andere Saiten auf und überrollt alle und alles mit einem knallharten sozialen Kommentar.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr The Eminem Show hören:

„Weiße Jungs bringen’s nicht“ ist ja überwiegend keine falsche Aussage. Gibt aber Ausnahmen. Eine davon ist Eminem. Der ist spätestens mit The Marshall Mathers LP (2000) zum globalen Superstar geworden, zur kontroversen Galionsfigur der Popkultur und zum Underdog aus der Unterschicht. Sein Trailerpark-Image wird zum Trademark, seine Jugend auf der 8 Mile Road in Detroit zum Mythos.

„Ich brauche das Drama“

Eminem ist bis heute ein Künstler, der externen Input braucht, um zu funktionieren. Um provoziert zu werden, inspiriert zu bleiben. Um zu glänzen. Als seine Platte Revival von der Kritik ordentlich ihr Fett weg bekommt und Eminem sinkende Relevanz bescheinigt, wetzt er die Messer, fletscht die Zähne und haut der Welt als Reaktion auf die negativen Reaktionen das brutale, aggressive, starke Kamikaze um die Ohren. „Ich brauche das Drama“, sagte er mal in einem Interview. „Und irgendwie geht mir das nie aus, Mann. Irgend ein Scheiß passiert einfach immer.“

Jim Carrey hat mitgeschrieben

Für The Eminem Show wird Peter Weirs Meisterwerk The Truman Show zum definierenden Einfluss. „Mein Leben wurde in den letzten Jahren zum Zirkus. und ich hatte das Gefühl, unter ständiger Beobachtung zu stehen. Im Grunde hat Jim Carrey dieses Album geschrieben.“ Das mit dem Zirkus nimmt Eminem ernst. Er komponiert eine Rap-Revue, eine Hip-Hop-Oper, eine tighte Freakshow, bevölkert von all den Kreaturen, die dieses kranke Land bevölkern. Im Zentrum steht natürlich er selbst, so ein großes Ego muss natürlich auch befriedigt werden. Er reflektiert seinen Aufstieg zum Ruhm und die zahllosen negativen Effekte, seinen angeblich schlechten Einfluss auf seine damals sechsjährige Tochter Hailie Jade (die in My Dad’s Gone Crazy auch zu Wort kommt). Schon witzig, wie es im Hip-Hop immer auf diese beiden Extreme hinauszulaufen scheint: erst der unbedingte Wille, es zu schaffen, dann die Nörgelei. Ein endlos geflochtenes Band.

Stilsichere Abnabelung

Umgeben von Spiegeln, in denen er sich unendlich widerspiegelt, wird The Eminem Show zur eindeutigen Abnabelung vom Tonus seiner früheren Werke. Ernster, reflektierter, mit grandioser Poesie und stilsicherer Rapkunst: Seine Vierte wird zum Freischwimmen und gleichzeitigen Lossagen von seinem Alter Ego Slim Shady. Kurz: zum wichtigsten weißen Rap-Album des 21. Jahrhunderts. Konzipiert und arrangiert wie eine Rock-Platte mit massiven Beats, ist The Eminem Show für den damals 29-jährigen Rapper ein Tribut an Led Zeppelin, Aerosmith oder Jimi Hendrix – besonders spürbar natürlich im großen Sing For The Moment, das sich bei Aerosmiths Dream On bedient.

Gedisst wird trotzdem

Was bei einem wie Eminem immer negativ mitschwingt, ist sein Hang zu homophober Lyrik. So oft er auch erklärt, das F-Wort eher als allgemeines Schimpfwort wie Dreckskerl einzusetzen, so sehr verletzt er damit jedes Mal Menschen. Wirklich einsichtig ist er nicht, sodass er bis heute von vielen LGBTQIA+-Gruppierungen boykottiert wird. The Eminem Show ist dahingehend immerhin ein gewisser Lichtblick: Seine Lyrik ist mal provokant und mal beleidigend; sie kommt aber deutlich akzeptabler und aufgeräumter daher als noch auf The Marshall Mathers LP. Und das tut den Songs sehr gut.

Gedisst wird auf The Eminem Show natürlich trotzdem. Seine Mutter Debbie, Mariah Carey, Moby („It’s over, nobody listens to techno“), Canibus oder Limp Bizkit bekommen Eminems Furor und Zorn zu spüren, während Eminems Mentor Dr. Dre in Say What You Say mit Rapper Jermaine Dupri abrechnet. Muss wohl sein in diesem Game. Und ist Teil dieses gigantischen Entertainment-Pakets, zu dem Hip-Hop im frühen Dunst des neuen Jahrtausends geworden ist.

Was bleibt, ist ein Meilenstein, überwiegend produziert von Eminem selbst. Ein düsterer Tagebucheintrag aus dem traumatisierten Amerika kurz nach 9/11, eine Bestandsaufnahme kollektiven Gesellschaftsversagens, herbeigeführt von George W. Bush. Und ein Füllhorn an Rap-Ikonen wie Till I Collapse, Without Me, Cleanin’ Out My Clothes oder Sing For The Moment.

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