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Popkultur

50 Jahre „Thick As A Brick“: Wie Jethro Tull zu den Monty Python des Prog Rock wurden

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Jethro Tull
Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Ursprünglich als Parodie auf den überbordenden Prog-Hochmut von Yes und Emerson, Lake & Palmer gedacht, entwickelte sich Jethro Tulls Thick As A Brick selbst zum kongenialen Referenzwerk des Progressive Rock. Eine Lobrede zum 50. Geburtstag eines frechen Jahrhundertwerks.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Thick As A Brick hören:

Bis heute kann und will Ian Anderson nicht verstehen, weshalb der Rest der Welt Aqualung als Konzeptalbum begreift. Für ihn ist die vierte (und erfolgreichste) Platte von Jethro Tull einfach eine lose Aneinanderreihung von Songs, die hin und wieder vielleicht durch ähnliche thematische Fahrwasser kreuzen. Exzentrischer Brite, der er nun mal ist, nimmt er sich bald nach der Veröffentlichung des Albums im März 1971 deswegen etwas vor: Das nächste Album, das wird definitiv ein Konzeptalbum. Und was für eins.

Die Konzeptalbum-Parodie des Jahrhunderts

Dies ist die Geschichte von Thick As A Brick. Dies ist die Geschichte der genialsten Konzeptalbum-Parodie des letzten Jahrhunderts. „Was mir vorschwebte, war die Mutter aller Konzeptalben“, so sagte Anderson mal. Und das meint er ernst. Angestachelt von den barock ausstaffierten, überfrachteten Konzeptepen von Yes oder Emerson, Lake & Palmer und inspiriert vom absurden Witz der Komikertruppe Monty Python tüftelt der Kranich im Herbst 1971 an verschiedenen Motiven, Abschnitten und Ideen, die sich langsam zu dem fügen, was am 3. März 1972 als Thick As A Brick erscheinen wird.

Allein inhaltlich übertrifft sich Anderson: Er denkt sich die Geschichte des achtjährigen Genies Gerald Bostock aus, dessen bahnbrechendes episches Gedicht er auf diesem Album musikalisch interpretiert. „Ich glaube, mir gelang damit ein ganz guter Spagat zwischen einer gewissen Glaubwürdigkeit und absolutem Nonsens“, bemerkt Anderson viele Jahre später. In der Tat: Nicht wenige nahmen seine herrlich absurde, wunderbar ironische Geschichte für bare Münze.

Ein Meisterwerk, geschrieben unter Zeitdruck

Geschrieben im Herbst 1971, von der Band komplettiert und zusammengesetzt im Studio der Rolling Stones im Londoner Stadtteil Bermondsey: Die beiden ausufernden Songs des Meisterwerks kamen erstaunlich schnell zusammen. So ist das eben, wenn man das Studio bucht, bevor man etwas fertig geschrieben hat. „Ich wachte also morgens auf und hatte ungefähr drei fiebrige Stunden Zeit, um irgendwas zu Papier zu bringen. Dann sah ich zu, dass ich so schnell wie möglich in das Studio der Rolling Stones in Bermondsey kam, um mit der Band daran zu arbeiten. Nach zwei Wochen hatten wir das Ding drauf und nahmen es dann im Dezember in acht oder zehn Tagen in den Morgan Studios auf.“

Große Kunst braucht nicht immer viel Zeit. Manchmal aber schon: Das Artwork, so Anderson, braucht doch tatsächlich länger für die Fertigstellung als die gesamte Musik! Hat natürlich gute Gründe, denn was Ian Anderson gegen den Willen seiner Plattenfirma durchsetzt, ist eine komplette fiktive Tageszeitung aus einer englischen Kleinstadt, bestückt mit allerlei surrealen, irrwitzigen und humorigen Artikeln über seltsame Menschen, hinter denen sich die Band und ihre Crew verbergen.

Unerreichbar verschroben

Auf dem Cover der auf den 7. Januar 1972 datierten Zeitung ist der geniale Kinderpoet Bostock zu sehen, dazu erhebt ein Artikel die Anschuldigung, er sei der Vater des Kindes seiner 14-jährigen Tochter Julia. Geschrieben von Anderson, Basser Jeffrey Hammond and Keyboarder John Evan, enthält die Zeitung zudem das komplette Gedicht und gleich noch einen passenden Artikel darüber, dass Bostock der erste Preis bei einem Poesiewettbewerb aberkannt wurde, weil das Gedicht anzüglich und sein Verfasser psychisch instabil sei.

Kurz: Thick As A Brick ist bis ins kleinste Detail ein Beweis für die unerreichbare Verschrobenheit seines genialen Schöpfers. Das gilt natürlich auch für die Musik: Die beiden jeweils über 20 Minuten langen Teile markieren den endgültigen Übergang von Jethro Tull zur Prog-Rock-Band. Und das ironischerweise mit einem Album, das ja eigentlich ebenjene Musik und ihre spleenigen Eigenheiten aufs Korn nehmen sollte.

40 Jahre später

Der bis dato psychedelisch angehauchte, kernig und hart daherkommende Blues Rock wandelt hier endgültig die Gestalt, nutzt Flöte, Hammondorgel, Geigen und ein Glockenspiel und tänzelt leichtfüßig als Suite mit wiederkehrenden Motiven und Intermezzi daher. Erst zur Neuauflage zum 40. Jubiläum vor zehn Jahren wurden die beiden langen Songs in ihre offiziellen Bestandteile zerlegt, die so klangvolle Namen wie The Poet And The Painter oder You Curl Your Toes In Fun tragen.

Im selben Jahr erschien mit Thick As A Brick 2 (Whatever Happened to Gerald Bostock?) die offizielle Fortsetzung des Albums, auf dem sich Anderson in den fünf Songs fünf verschiedene Szenarien ausmalt, was 40 Jahre später aus Bostock geworden ist. Ganz ehrlich, was würden wir nur ohne einen wie Ian Anderson machen?

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