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Popkultur

So war’s: Ozzy Osbourne live in Oberhausen 2018

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"Jetzt will er wirklich in den Ruhestand: Unter dem Banner „No More Tours 2“ zieht Ozzy Osbourne noch einmal um die Welt und gibt am 28. Juni 2018 in Oberhausen sein laut Ankündigung letztes Deutschlandkonzert. Nach langer Pause begleitet ihn dabei wieder Gitarrengott Zakk Wylde. Wir haben uns die Show angesehen – und angesichts der großartigen Performance und eines bestens aufgelegten Sängers fast ein Tränchen verdrücken müssen. Let the madness begin!

von Christof Leim

Hier könnt ihr die Setlist des Abends nachhören:


Wenn Ozzy nur eine Show in Deutschland spielt, dann kommen sie von überall: Fans aus Hamburg, Berlin und Süddeutschland reisen in den Pott, gefühlt ist jeder da, der etwas von Krachmusik versteht. Die ungefähr 11.000 Besucher füllen die König-Pilsener-Arena so bis zum letzten Platz hinten oben. Eine deutliche Sprache sprechen dabei die getragenen Shirts: Ozzy ist der König, Black Sabbath sind die königliche Familie, heute feiern die Kenner. Das durchschnittliche Alter liegt deutlich über 30.



Erst am 17. Januar 2017 hatte Ozzy seine finale Deutschland-Show mit Sabbath gegeben, sein letzter Gig hierzulande als Solokünstler fand 20. Juni 2012 im Rahmen der Ozzy & Friends-Tour in Mannheim statt. Es wird also mal wieder Zeit. Doch bevor die Fans ihren Helden bestaunen können, dürfen sie mit Kadavar eine laute Zeitreise in die Siebziger unternehmen. Die drei Berliner fahren einen wuchtigen Retro-Dröhn-Sound mit Stoner-Schräglage, der zu Beginn packt, mit der Zeit allerdings immer mehr ins Monotone abdriftet. Dass die Band für eine Vorgruppe ungewöhnlich eine ganze Stunde spielen darf, hilft da nicht. Doch die drei Bartträger bringen mit viel Einsatz und wehenden Mähnen große Teile des Publikums auf ihrer Seite, vielleicht auch, weil hier einige Nuancen von frühen Black Sabbath mitschwingen. Das geringelte Gitarrenkabel wirkt jedenfalls mehr als authentisch, Nummern wie Die Baby Die machen schon Spaß.

Der Meister selbst begrüßt uns durch ein kleines Filmchen mit Szenen aus seiner Karriere. Ein großes Kreuz dominiert jetzt die Bühne, flankiert von hohen Verstärkerwänden. Als Carl Orffs Carmina Burana ertönt, das obligatorische Intro, wissen die Fans: Es geht los! Ozzy stürmt in einem lilafarbenen Glitzermantel alleine auf die Bühne, rennt zum Mikro, begrüßt die Menge und ruft: „Let the madness begin!“ Bark At The Moon eröffnet den Reigen an Hits, gefolgt von Mr. Crowley und I Don’t Know. Ozzy erweist sich dabei als bestens gelaunt, wirft nach dem ersten Stück den Mantel von sich und fordert in jetzt natürlich komplett schwarzen Klamotten mit Glitzer-Fledermaus auf der Brust die Menge immer wieder lachend zum Armeschwingen und Klatschen auf. Gut singt er heute, selbst wenn er bei manchen Stellen ab und an doch daneben liegt. Macht aber nichts und ist egal.

Credit: Björn Luig

Mit Fairies Wear Boots folgt der erste Black Sabbath-Song, der sich hervorragend ins Set einfügt. Die vertrackte Nummer von 1970 aus der zweiten Reihe der Sabbath-Klassiker hatten sich zwei Dutzend Fans schon nachmittags beim Soundcheck als Teil eines Bonuspakets anhören können. Hier hatte Gitarrist Zakk Wylde kompetent die Vocals übernommen, bevor Ozzy bei Bark To The Moon dazugestoßen war und anschließend Fotos mit den Besuchern gemacht hatte.

Auf der Bühne abends legt Suicide Solution („ein Stück über das Alkoholproblem, das ich mal hatte“) sogar noch eine Schippe drauf. Mittlerweile lassen die Fans nach jedem Song laute „Ozzy! Ozzy!“-Rufe erschallen. Man kann festhalten: Die Stimmung ist bestens in Oberhausen. Das hat auch mit der Band zu tun: An den Drums sitzt Tommy Clufetos, der schon bei Black Sabbath gespielt hatte und erneut ordentlich Wumms bringt. Den Bass bedient Ozzys langjähriger Mitstreiter Rob „Blasko“ Nicholson (ehemals bei Rob Zombie), die Keyboards bedient Adam Wakeman.

Vor allem einer aber verpasst dem Sound seine Godzilla-Größe: Gitarrist Zakk Wylde, der zurückgekehrte Ziehsohn, der 1987 als 20-Jähriger in Ozzys Band eingestiegen, aber zuletzt nicht mit seinem Chef unterwegs gewesen war. Wylde sieht mit seinem Zottelbart und der wilden blonden Mähne zwar aus wie ein Wikinger, der nach ordentlich Met und Brandschatzen in einer Hecke übernachtet hat und jetzt wieder angreifen will. Doch an seinem Instrument ist er ein Ass, ein hochkompetenter Musiker mit Ausdruck, Bühnenpräsenz und beängstigenden technischen Fähigkeiten. Sein Solo bildet sogar einen Höhepunkt des epischen und laut mitgesungenen No More Tears, daneben zockt der Mann das Material seiner Vorgänger Randy Rhoads und Jake E. Lee souverän und mit Extrapfund runter. Während er bei seiner eigenen Band Black Label Society den Gitarrenwahnsinn oft überdreht, bleibt er hier songdienlich nah an den Vorlagen. Und an den Schottenrock gewöhnt man sich irgendwann.



Mit Road To Nowhere steht die erste Ballade auf der Setlist: Dazu bewegen sich Tausende gereckte Arme im Takt, unzählige Handylichter schmücken das Auditorium, und so ziemlich jeder singt mit. Wie die Leute anschließend im Sabbath-Schlachtross War Pigs die markanten ersten Zeilen („Generals gathered in their masses“) mitmachen, kommt ebenfalls sehr, sehr cool.

Danach richten sich die Spots auf Zakk für das große Gitarrensolo: Wilde Läufe und quietschende Licks bilden ein Feuerwerk an Tönen, befeuert durch ein Vibrato so groß wie die Stadt, mit den Zähnen gespielt oder mit der Axt hinter dem Kopf – der Mann gibt Gas. Dafür steigt er sogar in den Graben, so nah ans Publikum wie möglich – „taking drink orders“ nennt er das selbst. Das beeindruckt zunächst, doch den Punkt, an dem das langweilig wird, überfährt er einfach. Immerhin baut der Meister noch ein paar Riffs ein, die heute Abend nicht zum Zuge kommen, etwa Miracle Man, Perry Mason und Crazy Babies, bevor Tommy Clufetos noch ein kompetentes Drumsolo raushaut. Überhaupt fehlen natürlich einige Ozzy-Alben auf der Setlist, etwa Zakks Einstand No Rest For The Wicked (1988) und alles nach No More Tears (1991). Kein Song ist heute jünger als 27 Jahre.



Mit I Don’t Want To Change The World (mitgeschrieben von Lemmy Kilmister höchstselbst!) kehrt Ozzy auf die Bühne zurück. Er stellt seine Band vor, nennt Zakk den Mann, „der die Schallmauer an der Gitarre durchbrochen hat“, und fordert die Fans auf, nochmal „extra fucking crazy“ abzugehen. Das fällt bei Shot In The Dark und dem Überhit Crazy Train als Abschluss des regulären Sets gar nicht mal schwer, Mitsingalarm und fette Flammenprojektionen im großen Kreuz eingeschlossen. Dabei schüttet Ozzy wie früher eimerweise Wasser in die Menge, geht anschließend auf die Knie und verbeugt sich vor seinem Publikum. Das kommt der Bitte, ordentlich laut „One more song!“ zu fordern, gerne nach, also kehrt die Band für Mama, I’m Coming Home auf die Bühne zurück. Jetzt bietet sich wieder die Gelegenheit für die Feuerzeuge (oder Handylichter), daneben verleihen bunte Laser der Arena ein fast festliches Antlitz. Das obligatorisch abschließende Paranoid knallt nochmal alles weg, bevor Ozzy und seine Band sich nach 90 Minuten verabschieden.



Damit endet ein überraschend grandioses Konzert, durchschlagend in Darbietung und Produktion, voll von Freude an guter Musik, aber ohne Muss-man-halt-nochmal-gesehen-haben-Abstriche. Und das soll also nun die letzte Ozzy-Show in Deutschland gewesen sein? Man kann hier durchaus auf die kleine „2”  in „No More Tours 2“ hinweisen und anmerken, dass unser liebster Madman vor gut 20 Jahren schon mal seinen Ruhestand angekündigt hatte. Der hielt aber nicht lange, es folgte ziemlich rasch die „Retirement Sucks“-Tour. Doch im Dezember 2018 wird der Meister 70, irgendwann muss leider Schluss sein. Black Sabbath haben bereits aus gesundheitlichen Gründen die Instrumente an den Nagel gehängt, und solo kann unser Mann ebenfalls nicht ewig weitermachen. Wenn er und seine Band dermaßen in Form sind, dann ist das echt schade. Heute Abend hat er selbst auf der Bühne erklärt: „Das Beste ist und war immer, dass ich für euch spielen durfte! Ich liebe euch alle!“ Wir dich auch, Ozzy.


Setlist:
Bark at the Moon
Mr. Crowley
I Don’t Know
Fairies Wear Boots
Suicide Solution
No More Tears
Road to Nowhere
War Pigs
Guitar Solo
Drum Solo
I Don’t Want to Change the World
Shot in the Dark
Crazy Train
+++++++++
Mama, I’m Coming Home
Paranoid


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Popkultur

Zeitsprung: Am 24.9.1991 zelebrieren die Red Hot Chili Peppers „Blood Sugar Sex Magik“.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 24.9.1991.

von Christof Leim

Kontrollierter Wahnsinn: Als die Red Hot Chili Peppers sich auf die Essenz ihres Sounds besinnen, passt plötzlich alles zusammen. Mit Blood Sugar Sex Magik schafft das kalifornische Quartett 1991 den höchst erfolgreichen Spagat zwischen hartem Groove und großen Songs. Eine Geschichte über Funk, Punk, Drogen und die Reduktion aufs Wesentliche.


Hört hier in Blood Sugar Sex Magik rein:

Klickt auf „Listen“ für das ganze Album.

1991 war ein wichtiges Jahr für harte Musik. Alternative und Crossover vertreiben damals den pompösen Hard Rock der Achtziger vom Thron, eine Zeitenwende, die vor allem drei wichtige Werke begleiten: Nevermind von Nirvana inspiriert all das schöne Geschrammel der Neunziger. Metallica schießen mit ihrem schwarzen Album den Metal in den Mainstream, was viele ihrer Kollegen zu härteren Sounds im Untergrund inspiriert. Für den groovigen Stoff mit Crossover-Qualitäten schließlich legt vor allem Blood Sugar Sex Magik von den Red Hot Chili Peppers einen immens wichtigen Grundstein. Alle drei Platten erscheinen innerhalb von wenigen Wochen, zwei sogar am gleichen Tag, und allesamt werden sie zu Millionensellern. Dies ist die Geschichte des verrücktesten, wildesten und buntesten Albums der drei.

Strategisch platzierte Socken

Bis zu diesem Album hatten die 1983 in Los Angeles gegründeten Red Hot Chili Peppers als wildes Punk-Funk-Acid-Rock-Quartett lediglich Achtungserfolge einfahren können, immerhin aber mit der Angewohnheit geglänzt, sich nur mit einer Socke zu kleiden – und zwar nicht an den Füßen. Sänger Anthony Kiedis und Bassist Michael „Flea Balzary” kennen sich schon aus der High School und legen mit Gitarrist Hillel Slovak die stilistischen Grundlagen, die harten Rock mit Funk und schrägen Tönen kombiniert. Leider gehören harte Drogen bei der durchgeknallten Bande zum Alltag: Slovak stirbt am 25. Juni 1988 mit 26 Jahren an einer Heroin-Überdosis. Das wiederum stürzt Drummer Jack Irons in eine tiefe Depression. Er verlässt die Band und taucht erst Jahre später wieder bei Pearl Jam auf. Für ihn kommt Chad Smith.

Immer gut gekleidet und ernsthaft bei der Sache: Die Red Hot Chili Peppers

Die Gitarre übernimmt der gerade mal 18-jährige John Frusciante, ein begnadeter Musiker und großer Peppers-Fan, aber auch ein schwieriger Charakter, wie sich noch rausstellen sollte. Über sich selbst sagt er: „Bevor ich zur Band gekommen bin, war ich kein Funk-Gitarrist. Wie ich gut mit Flea zusammenspiele, habe ich komplett von Hillel gelernt – und das habe ich dann auf den Kopf gestellt.“ Mit Smith und Frusciante steht das Line-up, mit dem die Red Hot Chili Peppers ihre größten Erfolge feiern würde. Auf dem vierten Album Mother‘s Milk (1989) zündet das zunächst nicht, vielleicht auch, weil Produzent Michael Beinhorn (Soundgarden) der Scheibe einen breiten, verzerrten Gitarrenton mit wenig eigener Note verordnet.



Der wahre Pfeffersound

Erst zwei Jahre später findet der Vierer seinen Sound: Vorher mögen sie ungestüm geklungen haben, später zu poppig und beliebig. Blood Sugar Sex Magik jedoch explodiert punktgenau, knackig, groovig, wild, aber doch melodisch lecker. Das liegt vor allem an Produzent Rick Rubin, der das tut, womit er noch vielen Musikern helfen sollte: Er reduziert die Band auf ihre Essenz. Zudem schätzen die Peppers ihn im Gegensatz zu seinen Vorgängern genug, um ihn nach Ideen und Rat zu fragen, wenn es nicht weiter geht. Wie Kiedis in seiner Biografie Scar Tissue schreibt, hilft Rubin oft bei den Schlagzeugarrangements, Gitarrenmelodien und sogar Texten. Das Ergebnis zeichnet sich insbesondere durch einen wesentlich aufgeräumteren, gerade zu furztrockenen Klang aus, der auf Reverb und Distortion verzichtet. Zum anderen entdecken die vier Musiker die Welt der Melodien und Hooklines. Kiedis erinnert sich: „Wir waren nie so produktiv wie mit Rick. Meistens haben wir den ganzen Tag gejammt, irgendwann kam er dann vorbei, legte sich stundenlang auf‘s Sofa und machte Notizen.“ Die Maxime lautet klar: Weniger ist mehr. „Sein wichtigster Einfluss lag darin, uns zu sagen, was wir nicht machen sollten“, fasst Flea zusammen. „Er hat uns beigebracht, uns auf den Song zu fokussieren.“ Vor allem bei Frusciante rennt Rubin offene Türen ein: Der Gitarrist spielt fast clean und sagenhaft reduziert, aber nie zu wenig oder gar zu viel.



Losgelassen

Blood Sugar Sex Magik erscheint am 24. September 1991, am gleichen Tag wie Nevermind, und stellt satte 17 Songs lang eine offensichtliche Weiterentwicklung des Chili-Sounds dar. Inhaltlich dreht sich alles um Sex, Drogen, Tod, aber auch Hedonismus, Lust und Ausgelassenheit. Die Sause beginnt mit dem vehementen The Power Of Equality, das auf einem bemerkenswert einfachen und komplett unverzerrten Riff basiert, das wie ein Sample durchläuft und zusammen mit der ballernden Rhythmusfraktion eine vehemente Wirkung entfaltet. Zusammen erinnert das an die Unnachgiebigkeit von Hip Hop-Grooves und sollte typisch für Crossover werden. If You Have To Ask lässt mit furztrockenem Midtempo-Rhythmus unerbittlich jeden Kopf nicken, mit knackig akzentuierter Gitarre links im Mix und mitreißenden Bassläufen rechts. Kiedis kommt mit Sprechgesang aus, im Chorus tönt ein Falsett-Background mit Ohrwurmqualitäten, und Frusciante spendiert ein fuzzbetontes Solo aus der Hendrix-Schule.


If You Have To Ask wird als letzte von fünf Singles veröffentlicht und sollte fortan an so ziemlich jeder Tour zum Einsatz kommen. In eine ähnliche Kerbe schlagen viele der Nummern, etwa Mellowship Slinky In B Major oder der herrliche Off-Beat-Stampfer Funky Monks. Hier lohnt es sich, den clever verzahnten Einsätzen von Bass und Drums Gehör zu schenken. Doch die Chili Peppers wissen neuerdings auch mit Melodie umzugehen: Das akustische Breaking The Girl könnte genauso gut von Led Zeppelin stammen. Kiedis singt dazu von seinem unsteten Liebesleben und der Befürchtung, als Womanizer in Einsamkeit zu enden. Der Song wird die vierte Single und verkauft dank der einprägsamen Gesangsmelodie ausgesprochen gut. Ganz zart klingt auch I Could Have Lied, eine Akustiknummer über die kurze Beziehung des Sängers zur irischen Musikerin Sinéad O’Connor.



Nina Hagen hilft

Doch das Quartett langt auf der Scheibe vor allem kräftig hin: So sorgt Suck My Kiss für richtig Druck. Erwartungsgemäß handelt das ebenfalls ausgekoppelte Stück von geschlechtlichem Nahkampf und gehört zu den bekanntesten Nummern der Band. Noch dicker kommt‘s mit der Vorabveröffentlichung Give It Away: Wer hier nicht hüpft, kopfnickt oder zumindest den Fuß bewegt, kommt vermutlich lebenslang mit Yoga-Ambient-Sounds aus. Die Nummer basiert auf einem zappeligen Bass-Riff von Flea und schiebt in der Strophe wie ein Traktor. Entstanden war die Nummer aus einer Jam-Session, der Kiedis spontan die Zeile „Give it away, give it away, give it away, give it away now“ beisteuerte. Wie er es schafft, dabei das „R“ zu rollen, obwohl in der Zeile keines vorkommt, wird wohl ein Mysterium bleiben. Textlich stand hier übrigens die deutsche Punk-Ikone Nina Hagen Pate, die ihrem zeitweiligen Lover Kiedis neue Einblicke in den Wert von Selbstlosigkeit und der Nutzlosigkeit materieller Besitztümer eröffnete. In den Strophen singt der dann noch über seinen langjährigen Kumpel River Phoenix, über Bob Marley und natürlich über Sex. Im Mainstream findet Give It Away  zunächst kaum Beachtung. Angeblich ließen mehrere Radiostationen durchblicken, dass die Band sich doch bitte wieder melden solle, wenn es eine Melodie in dem Song gäbe. Ein Sender aus Los Angeles namens KROQ beginnt allerdings, das Lied gleich mehrmals am Tag zu spielen und sorgt damit für den Durchbruch. Noch heute gehört Give It Away zu den beliebtesten Nummern im Werk der Band.



Die von Rick Rubin heraufbeschworene Macht der Reduktion zeigt sich schließlich im Titelstück Blood Sugar Sex Magik, das groovt wie Hölle. Es fehlt nichts, es ist alles da und lässt die Köpfe nicken. Man kann sich fast vorstellen, dass das sogar den Jungs von AC/DC gefallen könnte.

Die Brücke zur Hitsingle

Doch wirklich durch die Decke geht es mit Under The Bridge, der Megaballade und zweiten Single des Albums. Dabei hegt die Band zunächst so große Zweifel am Potenzial der Nummer, dass Mitarbeiter von Warner Records ein Peppers-Konzert besuchen, um die beste Auskopplung zu finden. Ausgerechnet bei Under The Bridge verpasst Kiedis seinen Einsatz – und das gesamte Publikum übernimmt. Der Sänger entschuldigt sich hinterher, doch die Warner-Leute lachen nur: „Wenn jeder einzelne Zuschauer einen Song singt, dann ist das unsere nächste Single.“ Die Entscheidung zahlt sich aus: Ab Mai 1992 kann man Under The Bridge auf MTV und im Rockradio nicht aus dem Weg gehen. Das Ding explodiert, und die Red Hot Chili Peppers haben es endgültig an die Spitze und in den Mainstream geschafft.



Die Nummer ist aber auch zu schön: Hinter der bittersüßen Melodie steckt ein Gefühl der Einsamkeit, das Kiedis zu Beginn der Aufnahmen beschleicht, weil er sich – mittlerweile clean von Drogen – von den dauerkiffenden Flea und Frusciante entfremdet fühlt. Lediglich seine Heimatstadt scheint noch sein Freund zu sein, was ihn an seine schlimmsten Junkie-Zeiten und die gescheiterte Beziehung zur britischen Schauspielerin Ione Skye erinnert: „Ein wundervolles Mädchen. Doch anstatt bei ihr zu sein, habe ich unter einer Brücke gestanden und mir mit irgendwelchen verdammten Gangstern Heroin gespritzt.“ Der Song bleibt besinnlich und endet auf Rubins Anraten mit einem epischen Chor, den Frusciantes Mama Gail und ihre Freunde einsingen. Wo genau die besagte Drogen-Brücke allerdings steht, hat Kiedis nie verraten, zu sehr beschämt und schmerzt ihn diese Episode. Aus Interviews und Hinweisen in Kiedis Autobiografie Scar Tissue hat der Autor Mark Haskell Smith jedoch geschlossen, dass es sich um die Brücke im übel beleumdeten MacArthur Park in Downtown Los Angeles handeln soll. Wer übrigens regelmäßig auf Partys an der Akustikgitarre brilliert, sollte Under The Bridge lernen und mal die Strophe von Green Days When I Came Around darüber singen. Die passt nämlich auch – zwei Songs in einem, sehr praktisch.

Die restlichen sechs Stücke der Platte bieten dann mehr vom gleichen Stoff. Interessant ist zumindest das lyrische Konzept hinter The Greeting Song, für den Rubin einen Text ausschließlich über Autos und Mädels fordert. Was für Mötley Crüe ein normales Tageswerk darstellt, findet bei Kiedis jedoch überhaupt keinen Anklang. Den Abschluss bildet They‘re Red Hot, ein von Blues-Urvater Robert Johnson adaptierter Ragtime, den die Band morgens um zwei auf einem Hügel in der Nähe des Studios aufnimmt.

Probleme auf Tour

Nach Veröffentlichung geht es natürlich auf die Straße: Die Blood Sugar Sex Magik-Tour zieht äußerst erfolgreich durch volle Hallen und sorgt durch die Wahl der Vorgruppen – Pearl Jam, The Smashing Pumpkins und Nirvana – für Sternstunden des Alternative Rock. Alle drei Support Acts sollten binnen Jahresfrist selbst zu Stars des Genres werden. Doch für John Frusciante ist das alles zu groß, zu erfolgreich, zu viel. Der exzentrische Gitarrist verärgert seinen Sänger, weil er während eines TV-Auftritts bei Saturday Night Live – angeblich – absichtlich schief spielt und singt. Am 7. Mai 1992 schmeißt Frusciante nach einer Show im japanischen Saitama dann endgültig hin.

„Wir haben die ganzen Achtziger damit verbracht, irgendwie ein paar Platten zu verkaufen“, erinnert sich Kiedis später. „Sobald John dabei war, hat das auch geklappt, aber er hat das anders wahrgenommen als der Rest. Wir waren dicke Freunde, aber letztlich endete das alles im Streit wie bei einem Liebespaar. John stand damals vor einer sehr düsteren und verdrogten Phase seines Lebens, und das kann keiner aufhalten. Wenn die Seele das verlangt, passiert es.“ Während Frusciante für sechs Jahre von der Bildfläche verschwindet und droht, ein weiteres Heroinopfer zu werden, macht die Band kurzzeitig mit dem Gitarristen Arik Marshall weiter, engagiert aber schon im September 1993 Dave Navarro von Jane‘s Addiction. Erst Ende der Neunziger stößt Frusciante wieder zur Band und bleibt nochmal zehn Jahre. Californication (1999) und weitere Bestseller etablieren die Chili Peppers als eine der größten Rockbands der Welt mit 80 Millionen verkauften Alben weltweit. Die ehemalige kalifornische Chaotentruppe gewinnt sogar sieben Grammys und wird 2012 in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Den Grundstein für diesen Siegeszug haben sie mit Blood Sugar Sex Magik gelegt.


Zeitsprung: Am 10.8.1984 veröffentlichen die Red Hot Chili Peppers ihr Debüt.

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Popkultur

Zeitsprung: Am 23.9.1930 wird der Hohepriester des Soul geboren: Ray Charles.

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Ray Charles
Ray Charles auf der Bühne, 1988 - Foto: Rita Barros/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 23.9.1930.

von Jana Böhm und Christof Leim

Am 23. September 1930 erblickt Raymond Charles Robinson das Licht der Welt, bis es für ihn im Alter von sieben Jahren durch eine Glaukom-Erkrankung für immer erlischt. Seine Mutter hält ihn zur Unabhängigkeit an, denn als blinder Schwarzer Mensch ist man im Amerika der Dreißiger Jahre verloren. Ray verinnerlicht die Worte seiner Mutter. Der Multiinstrumentalist wird zum Hohepriester des Soul und sein musikalischer Einfluss prägend für Blues, Country und Soul-Musik. Blicken wir auf sein beeindruckendes Leben zurück.

Hört euch hier Ray Charles’ Greatest Hits an: 

Als Raymond Charles Robinson im September 1930 in Albany, Georgia auf die Welt kommt, ist der Staat von der Rassentrennung zerfurcht. Die Schwarze Bevölkerung hat wenig Rechte und lebt in meist sehr ärmlichen Verhältnissen. Ray und seine Mutter Aretha ziehen bald nach Greenville in Florida, dort wächst er dann zusammen mit seinem jüngeren Bruder George auf. 

Das Schicksal schlägt zu

Mit Rays fünftem Lebensjahr legt sich ein Schatten über sein Leben, der bald zu tiefster Dunkelheit wird. Durch ein angeborenes Glaukom, auch Grüner Star genannt, beginnt er, sein Augenlicht zu verlieren. Im selben Jahr muss Ray hilflos mit ansehen, wie sein jüngerer Bruder George ertrinkt. Trotz der Armut und herben Schicksalsschlägen drängt seine Mutter ihn zur Selbstständigkeit, denn ihr ist sehr wohl bewusst, dass man schwarz, blind und hilflos in diesem Land kaum eine Chance hat. „Lass dich durch nichts und niemandem zu einem Krüppel machen“, impft sie ihm immer wieder ein. Mit sieben Jahren ist Ray Charles vollständig erblindet.

Die Musik gibt dem jungen Ray Charles Halt. Beim Singen von Gospels in der Kirche fühlt er sich sicher. An einem alten Klavier im Red Wing Café eröffnet ihm der Besitzer, der alte Wylie Pitman, eine neue Welt. Ray lernt schnell, selbst zu spielen. „Klavierspielen kann man lernen, aber nicht das Gefühl dafür. Das ist da oder nicht. Ich glaube, dass ich damit geboren wurde“, erzählt er Jahrzehnte später. Eine umfassende musikalische Ausbildung wird ihm an der St.-Augustine-Schule für Gehörlose und Blinde zuteil. Ray lernt, Musik zu lesen und Frederic Chopin, Ludwig van Beethoven und Johann Strauss zu spielen. Er besucht die Schule bis zum Tod seiner Mutter. Ihr Tod bringt Ray seelisch ins Wanken.

Der eigene Stil

Als er fünfzehn Jahre alt ist, verlässt der Junge die Schule. Er will professioneller Musiker werden. Zuerst macht er sich im nahegelegenen Jacksonville einen Namen, dann in Orlando, Florida. Ray gilt als ein vielseitiger Arrangeur, Pianist und Saxofonist, der neben Blues, Jazz, Boogie-Woogie und Swing auch Hillbilly drauf hat. Charles imitiert den sanften Gesang von Größen wie Nat King Cole und Charles Brown. Einen eigenen Gesangsstil entwickelt er erst über ein Jahrzehnt später.

1947 zieht Ray Charles nach Seattle, er verspricht sich bessere Karrierechancen an der Westküste. In der neuen Heimat beginnt Raymond Charles Robinson an seiner Show Business-Persönlichkeit zu feilen. Um nicht mit dem Boxer „Sugar“ Ray Robinson verwechselt zu werden, nennt er sich fortan nur Ray Charles und beginnt, stets eine schwarze Sonnenbrille zu tragen, die zu seinem Markenzeichen wird. Außerdem und viel wichtiger: Als Mitglied des Maxin Trios nimmt er seine erste Schallplatte auf. Die Single Confession Blues erreicht 1949 Platz zwei der Rhythm & Blues-Hitparade. Im selben Jahr ändert die Band ihren Namen in Ray Charles Trio und mausert sich ein Jahr später zum Ray Charles Orchestra.

Der Durchbruch

1952 erhält der aufstrebende Musiker einen Vertrag bei Atlantic Records, dem bis dato größten Rhythm & Blues-Label. Mit seiner Band findet er nun auch seinen eigenen Stil. Er wird zum Prediger der Lebenslust, auf die Melodie eines alten Gospelsongs schreibt er I’ve Got A Woman – ein Lied über die Liebe. Das kommt bei vielen schwarzen Gläubigen nicht besonders gut an, man wirft ihm sogar Gotteslästerung vor. Doch Ray Charles hat damit Erfolg, sogar die Weißen finden seine Musik gut, und das ist damals eine Seltenheit. 

Ray Charles Welthit „What’d I Say“

Mit What’d I Say landet er einen Welthit, Klassiker wie Hit The Road, Jack und I Can’t Stop Loving folgen. Ab 1955 beginnt Charles im Stile der Gospelgruppen mit weiblichen Backgroundstimmen zu experimentieren und ergänzt seine Truppe um einen Frauenchor: die Raeletts. Der eigene Stil ist gefunden: eine schroffe Stimme, ein ausdrucksstarkes Piano, hervorragende musikalische Begleitung und Frauengesang im Hintergrund.

Prediger der Lebenslust

Das Ekstatische seiner Auftritte spiegelt sich in Rays Privatleben wieder: Den vielen Frauen kann er einfach nicht widerstehen. Zwar ist Ray verheiratet und hat drei Kinder, doch mit all den Geliebten setzt er mindestens neun uneheliche Kinder in die Welt. Man kann sagen, Ray Charles genießt das Leben in vollen Zügen und ist auch Alkohol und Marihuana nicht abgeneigt. In den Fünfzigern gerät er jedoch an härteren Stoff. Heroin wird ihm zum Verhängnis und führt in den kommenden zwanzig Jahren auch mehrfach zu Verhaftungen. Ab 1970 lebt er clean.

Ray Charles wird als erster Kulturschaffender in die Georgia Music Hall Of Fame (1979) aufgenommen. Außerdem ehren ihn die Blues Hall Of Fame und die Rock And Roll Hall Of Fame geehrt. Seine musikalischen Einflüsse sind stilprägend für die Entwicklung von Rhythm And Blues, Blues, Country und Soul. 

1980 setzt der Weltstar seinem Ruhm noch einen drauf: Mit seiner Rolle im legendären Film Blues Brothers erreicht er im Jahre 1980 eine neue und junge Generation von Fans. 2004 stirbt Ray Charles in Beverly Hills. Niemand Geringeres als Frank Sinatra erweist ihm die letzte Ehre.

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Zeitsprung: Am 26.3.1944 wird Soul-Legende Diana Ross geboren.

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Popkultur

„Tage wie diese“ von den Toten Hosen: Als sich Angela Merkel bei Campino entschuldigte

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Die Toten Hosen Header
Foto: Marco Prosch/Getty Images

Im Jahr 2011 passiert den Toten Hosen etwas, wovor sich jeder Musiker fürchtet: Sie möchten ein neues Album schreiben — und ihnen fällt absolut nichts ein. Doch aus der Kreativlosigkeit der Düsseldorfer entsteht unter anderem ihr größter Hit: Tage wie diese. Das ist die Geschichte der Nummer. Eine Telefonat mit Angela Merkel ist auch dabei.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Scheiss Wessis von den Toten Hosen anhören:

Im Demostadium heißt der Song noch Kreise drehen. Am Text kann man es ablesen: „Wir lassen uns treiben, tauchen unter, schwimmen mit dem Strom / Drehen unsere Kreise, kommen nicht mehr runter, sind schwerelos“. Hosen-Gitarrist Kuddel nimmt das Stück im Jahr 2010 zuhause auf und lässt sich dafür von Black Betty inspirieren, einem Worksong des 20. Jahrhunderts — allerdings in der Version der Siebziger-Rockband Ram Jam. Begeistert ruft er Sänger Campino an, der Kreise drehen ebenfalls mag. Doch gleich am nächsten Tag klingelt Kuddel noch einmal durch. Sein Sohn Tim findet das Lied nicht gut. Auch bei Tochter Chelsea springt der Funke nicht über. Enttäuscht legen die Hosen das Stück beiseite. Doch im Sommer 2011 geht Campino mit einer alten Freundin schwimmen — und ihr kommen die zündenden Ideen.

Campino und Birgit Minichmayr: eine alte Freundschaft ebnet den Weg zum größten Hit

Bereits im Jahr 2006 hatten Campino und Birgit Minichmayr gemeinsam auf der Bühne des Berliner Admiralspalastes gestanden. Der Anlass: Rainer Maria Brandauers Inszenierung von Bertold Brechts Dreigroschenoper, in der Campino den Mackie Messer gegeben hatte und Minichmayr dessen Partnerin Polly. Seitdem sind die beiden in gutem Kontakt geblieben und nun, da die Hosen mit dem Songwriting für das Album zu ihrem 30. Jubiläum im Morast feststecken, ruft Campino seine Kollegin Minichmayr zur Hilfe. Er bittet sie darum, sich das neue Material einmal anzuhören. Zügig treffen sich die beiden in Österreich. Campino bringt eine CD mit den neuen Ideen mit. Kreise drehen möchte er Minichmayr eigentlich gar nicht vorspielen, doch als sie den Song hört, lobt sie ihn. Das sei das bisher beste Stück und man müsse nur noch ein wenig am Text schrauben. So passiert es dann auch.

Als Campino und Minichmayr fertig sind, heißt das Stück Tage wie diese. Minichmayr hat das Potenzial des Songs erkannt, den die Hosen beinahe aussortiert hätten. Nach der Veröffentlichung wird das Stück schnell zum Selbstläufer. Platz eins in den Single-Charts, drei Wochen lang die Pole Position in den Airplay-Charts, „Hit des Jahres“ bei der Echo-Verleihung 2012, Deutscher Musikautorenpreis 2013: Tage wie diese schlägt unerwartet heftig ein. Es soll der bekannteste Song der Toten Hosen werden. Was diesmal anders ist? Vielleicht zum allerersten Mal sei es egal, ob das Lied von den Hosen komme oder nicht, mutmaßt Campino in einem Interview. Bisher hätten viele Fans die Songs der Band gemocht, weil sie Anhänger der Hosen seien. An Tage wie diese fänden auch Nicht-Hosen-Fans Gefallen — obwohl der Song von den Hosen komme. Es sei ein großes Glück, nach 30 Jahren Bandgeschichte noch solch einen Hit zu landen, findet er. Er wisse nicht, ob die Hosen in jungen Jahren mit so viel Erfolg zurechtgekommen wären.

Tage wie diese: ein Song begeistert Deutschland

Die Beliebtheit des Songs bekommen die Hosen gleich in mehrfacher Hinsicht zu spüren. Zum einen klingelt die Kasse; zum anderen kommt es zu mehreren Coverversionen. Eine der neuesten (von 2023) stammt von der US-amerikanischen Sängerin Anastacia.

Schon vor Jahren hatte Campino den Text des Songs ins Englische übersetzt. Best Days heißt die US-Variante und sie ist auf Anastacias Album „Our Songs“ zu finden. Auch Schlager-Megastar Helen Fischer singt Tage wie diese im Rahmen ihrer Sommertour 2013. Eine Veröffentlichung ihrer Version auf CD unterbinden Campino und Co. allerdings. Eigentlich hatten sie ja auch der CDU verboten, den Song zu nutzen …

Beste Feinde: Die Toten Hosen und die CDU

Nach 40 Jahren Bandgeschichte haben sich die Toten Hosen einen Ruf erspielt. Als Krachmacher der Nation kennt man sie vor allem als Punk-Vertreter und Störenfriede, die sich auf und abseits der Bühne gerne gesellschaftskritisch äußern. Ein einziges Campino-Interview reicht, um zu wissen: CDU-Fan ist er nicht. Dennoch singt die Union am 22. September 2013 in ihrer Berliner Zentrale ausgerechnet den Hosen-Song Tage wie diese, um ihren Erfolg bei der jüngsten Bundestagswahl zu feiern. Kanzlerin Angela Merkel weiß zu jener Zeit noch nicht einmal, dass es sich um ein Lied der Toten Hosen handelt.

Es ist schon ein skurriles Bild: CDU-Fraktionschef Volker Kauder gibt mit einem Mikro in der Hand Tage wie diese von den Toten Hosen zum Besten; Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Armin Laschet wippen (mehr oder weniger) im Takt mit. Viele Deutsche dürften sich über diesen Auftritt im September 2013 gewundert haben, steht die CDU doch nicht unbedingt für die Werte, die Campino und Co. üblicherweise propagieren. Entsprechend verärgert ist die Band über die eigenwillige Nutzung ihres Songs. „Uns persönlich kam die Darbietung eher wie ein Autounfall vor“, schreiben die Düsseldorfer nach der CDU-Performance in einem Statement auf ihrer Facebook-Seite. „Nicht schön, aber man schaut trotzdem hin.“ Darüber hinaus sei das grausam vorgetragene Lied aber immer noch die beste Leistung, die die CDU in letzter Zeit hervorgebracht habe. Deutliche Worte.

Anruf von Angela — Als die Kanzlerin Sorry sagte

Die Verärgerung der Toten Hosen entgeht Angela Merkel nicht — weshalb sie ein paar Tage später zum Telefonhörer greift, um sich zu entschuldigen. „Lieber Herr Campino, ich rufe an, weil wir ja am Wahlabend so auf ihrem Lied herumgetrampelt sind“, sagt sie zu dem Sänger. Sie fände Tage wie diese sehr schön, doch Campino müsse sich keine Sorgen machen, dass der Song nun die nächste CDU-Hymne werde. Außerdem hätten die Hosen die Nutzung des Liedes zwar für Wahlkampfveranstaltung untersagt, doch Siegesfeiern seien ja kein Wahlkampf. Am Ende bleibt sie eben doch Politikerin.

Diese Geschichte ist eine von vielen aus dem Buch Die Toten Hosen – über 40 Jahre Punkrock: Von Pionieren des Punks zur Kultband von Timon Menge. Die Anekdotensammlung erscheint am 24. Oktober 2023 im Riva Verlag.

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Helau, Buenos Aires: Die erste Show der Toten Hosen in Argentinien

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