Popkultur
Wolfgang Niedecken im Interview: „Bob Dylan ist der wirkungsmächtigste Poet der letzten 60 Jahre“
Wolfgang Niedecken nimmt sich auf seinem neuen Album Dylanreise einmal mehr dem Kosmos Bob Dylans an. Wie wichtig Dylans Werk und Leben für den Kölner Liedermacher und Chef der legendären Gruppe BAP war — und mit welcher Freude sich Niedecken an Dylan ab- und heranarbeitet — ist bekannt: Im Auftrag von ARTE machte sich der Musiker vor einigen Jahren auf Spurenreise in den USA, ehe 2021 eine Art Dylan-Biographie aus der Feder Niedeckens folgte. Aus dem Buch wurde dann eine spontane Konzert- und Lesereise, und daraus wurde nun das Album Dylanreise.
von Markus Brandstetter
Ganz nach dem Motto des letzten BAP-Albums Alles fließt hat sich das ganz einfach so ergeben — genau so, wie es Niedecken am liebsten hat, wie er uns im Interview erklärt. Darin verdeutlicht er unter anderem, wie wichtig es ist, dass man stets auch Fan bleibt, egal ob man Dylan, Niedecken oder wie auch immer heißt — und wie sehr das eigene Leben mit der eigenen Lieblingsmusik verknüpft ist.
Du hast in deiner Kunst etwas Substanzielles geschafft, nämlich eine ganz eigene, unverwechselbare Stimme und Sprache gefunden. Bei Dylan war es in den frühen Jahren so, dass der seine Stimme durch Imitation fand, anfangs ging er ja geradewegs als Woodie-Guthrie-Epigone durch. Wie war das bei dir, als du gerade begonnen hast, noch vor BAP?
Da hat mir Dylan schon sehr dabei geholfen. In meiner ersten Band habe ich, vor lauter Paul-McCartney-Begeisterung, Bass gespielt. Dann kam irgendwann der damalige Sänger und hatte Like A Rolling Stone dabei. Er meinte, dass er mit der Band jetzt aufhören und sein Abitur machen müsse. Er hat den Song laufen lassen — und das war plötzlich etwas ganz anderes. Was da auf einmal an Lyrik kam, das hat mich umgehauen. Vorher kannte ich nur diese Personalpronomen-Songs, wie ich sie immer nenne: Please, Please, Me, I Wanna Hold Your Hand, She Loves You, das waren eben diese Boy-Meets-Girl-Texte. Für uns, die wir Latein auf der Schule hatten und kaum Englisch konnten, hat das gereicht. Das hörte sich nicht nach Peter Alexander an, damit war schon mal alles gut.
Durch Like A Rolling Stone hat sich eine unglaubliche Tür geöffnet. So etwas kannte ich vorher nicht. Ich hatte damals ja weder von den Surrealisten noch von den Beat-Poeten eine Ahnung. Mit 15 Jahren hat mich Bob Dylan für sich begeistert. Es sind natürlich auch noch andere dazu gekommen, an denen ich mich orientiert habe. Sehr früh kam etwa Ray Davies von den Kinks dazu, der ist für mich immer noch wichtig. Leonard Cohen war wichtig, die Beatles waren wichtig. Alleine, was sich bei den Beatles alles geändert hat, nachdem sie von Dylan beeinflusst wurden! Nicht nur Paul McCartney und John Lennon, sondern vor allem George Harrison! Durch Dylan hat die Rock-Lyrik insgesamt einen unglaublichen Schwung aufgenommen. Deswegen ist es auch vollkommen berechtigt, dass er den Literaturnobelpreis bekommen hat. Er ist der wirkungsmächtigste Poet der letzten 60 Jahre, das muss man ganz klar sagen.
Du bist also gleich mit Dylans Rockphase in den Dylan-Kosmos eingestiegen — das war der erste Song, den du von ihm gehört hast?
Ich hatte vorher schon einige andere Songs von ihm gehört, aber die hatten mich nicht so gepackt. Wir saßen mal zusammen und einer fragte mich, ob ich Bob Dylan kennen würde. „Keine Ahnung, wer soll das sein?“ „Na, du wirst doch Blowing In The Wind kennen?“ Von Blowing In The Wind kannte ich aber nur die Version von Peter, Paul & Mary und die hatte mich nun wirklich überhaupt nicht umgehauen. Irgendwie scheine ich schon ein Gespür für Authentizität gehabt zu haben, denn Peter, Paul & Mary waren ja eine Castingband. Dylans Manager hat sie gecastet, ihnen einen Namen gegeben, eine blonde, schöne Frau gesucht und die mit zwei Jungs zusammengebracht, die toll singen und Gitarre spielen konnten … und die haben schöne Melodien gesungen, die eben zu jener Zeit passten.
Blowing In The Wind war damals in der Version von Peter, Paul & Mary viel bekannter als in jener von Bob Dylan. Das hat mich überhaupt nicht vom Hocker gehauen. Der Sänger unserer Schülerband, der war der erste, der dylanfest war. Auf dem Pausenhof hat er wie ein Rapper Dylans Talking Blues losgebrettert. Das war schon interessant – aber das erste Ding, das ich auf Platte gehört habe und das mich wirklich komplett geflext hat, war Like A Rolling Stone. Alleine der Anfang mit dem Schlag auf die Snare. Das ist ein Meisterwerk. Es passiert ja nichts Kompliziertes, es sind die Akkorde von La Bamba. Aber das Stück entwickelt einen unglaublichen Sog.
Lass uns auf Dein neues Album Dylanreise zu sprechen kommen. Du hast 2021 — das ist auch der freien Zeit geschuldet, die du durch die Corona-Pandemie plötzlich hattest — ein Buch über Dylan geschrieben, dann bist du relativ spontan auf Lese-/Konzertreise gegangen.
Das hat sich so, wie ich es am liebsten habe, ergeben: Es hat sich sehr organisch entwickelt. Ich stellte fest, dass ich 2020 plötzlich Zeit hatte, dieses Buch zu schreiben. Ich stand die ganze Zeit im Wort, dass ich in dieser KiWi-Musikreihe ein Buch über Dylan schreiben würde. Ich habe Helge Malchow, dem früheren Chef von Kiepenheuer & Witsch, gesagt: „Ich mache das gerne, aber ich weiß nicht, wann ich dazu komme.“ Er meinte: „Das ist egal, Hauptsache du schreibst es.“ Im Sommer 2020 hatte ich plötzlich Zeit, dann habe ich es geschrieben. Mein roter Faden dafür war diese Reise, die wir im Auftrag von ARTE auf den Spuren von Bob Dylan 2017 gemacht haben, kreuz und quer durch die USA. Wir haben damals mit Leuten geredet, die mit Dylan gearbeitet haben, Leute, die ihn in gewissen Situationen erlebt haben. Fotografen, die seine ersten Cover fotografiert haben. Es waren wunderbare Gespräche, wunderbare Leute, die wir kennenlernen durften. Wir haben Originalschauplätze gesehen, waren in den Wäldern von Woodstock und im “Big Pink”, wo sie die Basement Tapes aufgenommen haben. Das war nicht nur eine großartige Reise, sondern auch ein großartiger roter Faden, an dem ich mich entlang arbeiten konnte. So hat sich eines aus dem anderen ergeben.
Wolfgang Niedecken vorm “Big Pink”
Als das Buch erschienen war, rief die Elbphilharmonie an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, zu Bob Dylans Geburtstag ein Programm zu spielen. Das Naheliegendste war, dass ich aus dem Buch vorlese und die Songs spiele, die darin vorkommen. Das alleine wäre mir aber zu langweilig gewesen, und so habe ich meinen Freund Mike Herting angerufen — ein fantastischer Jazzpianist — und gefragt, ob er Lust hätte mitzumachen. Wir haben das Programm erarbeitet und dabei fiel es uns wie Schuppen aus den Augen: Warum machen wir das eigentlich nur einmal? Da können wir doch mehr daraus machen! So wurde daraus eine Tournee mit insgesamt 45 Auftritten. Gegen Ende der Tournee wurden immer mehr Stimmen laut: „Das wird’s doch wohl auf Tonträger geben, oder?“ Ich fragte: „Wie soll das gehen?“ Wir waren ja wirklich mit Minimalbesteck unterwegs, mit zwei PKWs, zwei Kombis — einen hat meine Frau gefahren, den anderen der Toningenieur. Das bisschen Equipment, das wir hatten, war hinten drin — und so sind wir von Stadt zu Stadt gefahren und haben einen wunderbaren Sommer verlebt. Viele Auftritte in Schlosshöfen, Burghöfen, in schönen Parks, das war eine tolle Geschichte.
Wir beschlossen, am letzten Tag des Jahres ins Riverside Studio zu gehen und das Programm zum 46. Mal zu spielen, nur diesmal nahmen wir es auf. Zuerst dachten wir, dass wir vielleicht Freunde und Bekannte einladen können, um eine Konzertsituation entstehen zu lassen. Aber irgendwann war die Coronasituation so, dass wir uns auch das abschminken mussten. Wir haben das aber gut gelöst, wir haben zwar die Albernheiten weggelassen, aber es ist trotzdem sehr stimmungsvoll geworden. Ich habe es selber ja kontrollgehört und bin da selbst gleich wieder ganz eingetaucht. Ich empfehle, das Kaltgetränk seiner Wahl in die Hand zu nehmen, Kopfhörer aufzusetzen und dann zweieinhalb Stunden mal nicht an Corona und Ukraine zu denken und sich etwas Seelenproviant zu holen.
Es wurde alles live eingespielt?
Ja, alles. Wir sind da gesessen, ich an der Gitarre, Mike hatte einen perfekt gestimmten Flügel vor sich stehen — und wir haben einfach gespielt. Diese Lesepassagen habe ich gesondert aufgenommen.
War die Arbeit am Buch so vergnüglich, wie es sich liest? Du selbst meintest, dein Anspruch wäre es ja nicht gewesen, die 3000. Dylan-Biografie zu schreiben — sondern eine Hymne auf ihn zu verfassen, extrem verflochten mit deinem eigenen Leben.
Es war wunderschön. Da, wo ich jetzt während dieses Interviews sitze, habe ich es geschrieben. Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich den Rhein vorbeifließen. Ich habe mich morgens nach dem Sport hingesetzt und habe geschrieben. Irgendwann hat einer gerufen, ob ich nicht mal was essen wollte. Abends habe ich gemerkt, dass ich ganz schön geschafft bin — und habe mich schon aufs Weiterschreiben am nächsten Tag gefreut. Das letzte BAP-Album heißt nicht umsonst Alles fließt. Es ist optimal, wenn ich so arbeiten kann, dass sich eines aus dem anderen ergibt. Auch bei der Dylan-Reise hat sich alles ergeben. Diese Dylan-Reise für ARTE hat ja vor fünf Jahren stattgefunden, damals hätte sich niemand gedacht, dass da mal ein Album daraus entsteht. Ich habe auch überhaupt keine Lust auf zwei, drei Jahre hinweg etwas zu planen. Auf der anderen Seite ist das auch nur zu machen, wenn man flexibel ist. Ich weiß, dass ich mich in gewissen Situationen auf meine Spontaneität verlassen kann.
Mit einer großen Band wie BAP ist die Planung sicher weitaus weniger flexibel, oder?
Diese zwei Corona-Jahre waren frustrierend und ich hoffe, dass es die zwei einzigen bleiben und dass es nächstes Jahr nicht wieder los geht. Es war schwer: Man hat viel geplant, organisiert, die Verfügbarkeiten der einzelnen Musiker, der Crew immer wieder abgefragt. Im Endeffekt merkt man: Das kann man wieder in die Tonne treten. Die Hälfte von allem, was wir gearbeitet haben, war für die Tonne. Aber das ist halt so, dann atmet man tief durch und fragt sich: Wie geht es anders? Dann versucht man eben, einen anderen Weg zu finden. Aber ich muss zugeben, es gab viele frustrierende Momente.
Wir hängen ja jetzt schon wieder vor einer frustrierenden Situation: Die Coronazahlen gehen wieder hoch, Köln hat durch den Karneval jetzt schon wieder Rekordzahlen. Die Lockerungen werden jetzt zum Peak der Corona-Entwicklungen kommen. Ich hoffe, dass im Laufe des Sommers die Impfpflicht kommt, sonst haben wir die gleiche Scheiße im Herbst schon wieder. Wir können die Herbsttermine eigentlich jetzt schon wieder absagen, wenn keine Impfpflicht kommt. Die Toten Hosen und Grönemeyer haben es richtig gemacht: Die haben nur Open-Air-Konzerte im Sommer anberaumt. Wir waren halt wieder so blöd und haben darauf gebaut, dass die Leute vernünftig sind. Aber das ist auch ein Luxusproblem. Alle Möglichkeiten der Welt wären da, du hast für jeden Typen den richtigen Impfstoff. Einem Teil der Leute geht das aber offensichtlich am Arsch vorbei. Ich kann mich da nur bedingt reinversetzen. Ich versuche immer, respektvoll mit den Impfverweigerern umzugehen, denn ich möchte niemanden zu nahe treten. Aber es fällt mir zunehmend schwer.
Kommen wir nochmal zurück zu Dylan. Dein Freund Bruce Springsteen meinte ja mal, Elvis habe den Körper befreit und Bob Dylan den Geist. Was bewunderst du an Dylan eigentlich am meisten?
Am meisten bewundere ich, wie sehr er sich treu geblieben ist. Gut, es gab auch bei Dylan Phasen, in denen er ratlos war, nicht wusste, wie es weitergeht. Verzweifelte Phasen, die wahrscheinlich mit seinem Privatleben zu tun hatten. Ich glaube, es gab auch eine Alkoholphase, Mitte der 80er – damals sind drei Alben hintereinander erschienen, nach denen ich dachte: „Das wird es wohl gewesen sein, da kommt nichts mehr.“ Und dann kam Gott sei Dank Daniel Lanois und durch ihn ging es weiter. Übrigens durch Bonos Vermittlung. Das beschreibt Dylan ja auch in seinem Buch Chronicles, ein sehr schönes Buch, von dem ich damals das Hörbuch gelesen habe. Dylan ist sich treu geblieben, mit allen Irrungen und Wirrungen. Er hat sich nicht vereinnahmen lassen, hat zu dem gestanden, was er gemacht hat.
Es ist ein unglaubliches Werk. Manchmal notiere ich mir Stücke und denke mir: „Das müsste ich endlich mal übersetzen, um da dahinter zu kommen.“ Ich komme am besten hinter einen Dylan-Song, indem ich ihn bearbeite. Dann komme ich in jedes Detail rein. Zuletzt arbeitete ich an Not Dark Yet. Ich war auf Kreta, hatte mir eigentlich gar nicht vorgenommen zu arbeiten. Aber dann dachte ich mir: „Guckst du mal, ob du Not Dark Yet so hinkriegst, dass du damit zufrieden bist.“ Es gibt noch jede Menge Songs auf dieser Liste. Das wird ein Langzeitprojekt.
Wie muss denn eine gute Dylan-Übersetzung sein? Carl Weissner hat ja bekannterweise Dylans Texte ins Deutsche übersetzt.
Der arme Carl Weissner musste im Reim bleiben. Er war vertraglich gezwungen, dass es gesungen werden kann und gereimt ist, das hatte er unterschrieben. Während Gisbert Haefs diese Sachen unabhängig vom Reim übersetzte, da kann ich deutlich mehr damit anfangen. [Niedecken holt Haefs Dylan-Band aus dem Regal, Anm.]. Das ist großartig und hilft natürlich, wenn man ins Detail gehen will. Aber das kann man natürlich nicht singen. Meine eigene Sprache hilft dabei sehr. Kölsch ist viel geeigneter für Rock-Lyrik als Hochdeutsch. Hochdeutsch ist eckig, du kannst keine Wortendungen ineinander verschleifen. Auf Kölsch geht das. Kölsch ist lässiger.
Du hast mal von deinem ersten Treffen mit Dylan erzählt — und das deckt sich ganz gut mit der Beschreibung von Dylans Ex-Gitarristen G.E. Smith, der mal meinte: „Bob doesn’t shake hands, Bob hands you the fish”.
Ich will nicht despektierlich klingen, aber Dylan hat wirklich einen Händedruck wie ein Waschlappen. Er hat in dem Moment, in dem ich ihm zum ersten Mal die Hand geschüttelt habe — und zum einzigen Mal, denn beim zweiten kam er mit der Ghettofaust an — gezuckt, als hätte ich ihm die Hand gebrochen. Ich denke, er hat auch irgendwas mit den Händen, deswegen sieht man ihn auch nicht mehr beim Gitarre spielen. Dylan ist aber in erster Linie schüchtern. Das, was man im als Arroganz anhängt, ist Schüchternheit. Ich habe im Buch auch darüber geschrieben: Da gab’s diesen Moment, als ihm Obama diesen Orden umhängt. Dylan sagt kein Wort, Obama tätschelt ihm die Schulter – und was macht Dylan? Er tätschelt ihn zurück. Das habe ich als Foto in meinem Arbeitszimmer hängen. (lacht)
Was ich lustig fand: Dylan geht ja selbst ab und an auf Celebrity Sightseeing und besuchte unter anderem das Geburtshaus von Neil Young oder machte sich auf die Suche nach Bruce Springsteens Geburtshaus.
Ja und dabei haben sie ihn erwischt. Sie dachten, er wäre ein Einbrecher und haben die Polizei gerufen. Das schönste, was ich gehört habe, war von einer befreundeten Hamburger Musikerin, die Leute an jene Stellen führt, an denen die Beatles in den 60er-Jahren gewohnt oder gespielt haben. Die machte irgendwann eine Führung und stellte fest: In der hintersten Reihe steht ein Typ mit dunkler Sonnenbrille und Hoodie, der sieht aus wie Bob Dylan. Irgendwann stellte sie fest: Das ist Bob Dylan. Das musst du dir mal vorstellen! Aber das zeigt eins: Wer selbst kein Fan mehr ist, sollte keine Musik mehr machen. Bob Dylan ist immer Fan geblieben.
Findest du wichtig, dass es bei Rock diese Mythologie, dieses Spurenwandern gibt? Glaubst du, dass sich die Relevanz durch diese heutige Verfügbarkeit ändert oder abschwächt?
Im Moment, als ich erfahren habe, dass Charlie Watts gestorben ist, ist mir bewusst geworden, dass eine Epoche zu Ende gegangen ist. Die Epoche dieser großen, wichtigen Bands, ist erstmal vorbei. Andererseits kann ich mich glücklich schätzen, dass ich diese Epoche in vollem Bewusstsein erlebt habe. Das ist ein Privileg. Ich habe ja auch fast alle gesehen — bis auf John Lennon habe ich sogar alle Beatles zumindest in anderen Konstellationen erleben dürfen. Für die Generation, die jetzt zwischen 17 und 28 ist, sind andere Sachen wichtig, die an mir komplett vorüber gehen. Teilweise sehe ich heute im Fernsehen Künstler, bei denen ich mich frage: Was ist daran interessant? Andererseits gab es auch viele, die das damals bei den Beatles gesagt haben: Was ist an denen interessant? Das ist einfach der Lauf der Dinge und das muss man akzeptieren. Man muss das der nächsten Generation zugestehen, dass sie ihren eigenen Stil findet.
Ich bin glücklich, dass ich das so erlebt habe — und ich bin glücklich, wenn ich sehe, dass es immer wieder junge Rockbands gibt, die davon was übernommen haben und die das begriffen haben. Ich würde jedem jungen Songwriter raten, sich mit Bob Dylan und Leonard Cohen auseinanderzusetzen, weil man von denen wirklich was lernen kann. Wenn ich sehe, dass es weitergeht, bin ich happy. Es war und wird hoffentlich immer ein Ausdruck von Kultur sein. Rock’n’Roll ist die Volksmusik der letzten 70 Jahre, wenn ich von Buddy Holly und Little Richard an rechne. Es ist eine sehr lange Epoche, die immens wichtig war und hoffentlich wichtig bleibt.
Was steht als nächstes an? Die Dylanreise geht ja potenziell weiter.
Ja, die könnte potenziell weitergehen. Wir sind flexibel, das kann auf Zuruf gehen. Aber jetzt hoffen wir erstmal, dass wir mit BAP touren können.
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70 Jahre Wolfgang Niedecken: 7 Geschichten des kölschen Bob Dylan

Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
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