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Popkultur

Zeitsprung: Am 15.7.1989 spielen Pink Floyd in Venedig. Mit Folgen.

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Albert Watson/Promo

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 15.7.1989.

von Timon Menge und Christof Leim

Am 15. Juli 1989 spielen Pink Floyd ein Konzert in Venedig. Weltweit schauen 100 Millionen Leute zu, die Fans strömen zu Hunderttausenden in die Stadt. Das hat Folgen. Schauen wir uns an, wie das Konzert sogar den Rücktritt des gesamten Stadtrates verursacht.

Hier könnt ihr euch Momentary Lapse Of Reason anhören: 

Venedig, 1989: Der Tourismus boomt. Seit Anfang der Achtziger erlebt der venezianische Karneval ein Revival, Besucher aus der ganzen Welt strömen in die vormals reiche Stadt. Klima und Zeit haben allerdings dazu beigetragen, dass die Mittelmeermetropole vor allem eines ist: baufällig. Die Anwohner haben längst genug von den Menschenmassen, doch wo es Touristen gibt, gibt es immerhin auch Geld. Und das braucht Venedig dringend, um die fragil gewordenen Bauten generalüberholen zu können. Angeführt von Bürgermeister Antonio Casellati kommt der hiesigen Politik ein Vorschlag des italienischen Fernsehsenders RAI gerade recht: Durch ein in mehr als zwölf Länder ausgestrahltes Rockkonzert soll Venedig auch für junge Leute interessant gemacht werden. Die Wahl fällt auf Pink Floyd.

Pink Floyd im Jahr 1987 — ohne Roger Waters – Pic: Dimo Safari/Promo

Nach dem lauten und unbequemen Ausstieg von Songwriter und Bassist Roger Waters übernimmt Gitarrist David Gilmour ab 1985 das kreative und gesangliche Ruder innerhalb der Band, holt Keyboarder Richard Wright zurück ins Boot und setzt die Segel Richtung neues Album. A Momentary Lapse Of Reason (1987) entsteht jedoch unter mehr als schwierigen Voraussetzungen: Trommler Nick Mason empfindet sich als aus der Übung und spielt statt Schlagzeug lieber an den Soundeffekten herum, Gilmour bastelt mit externen Schreibern an Texten, die eigentlich für sein drittes Soloalbum geplant waren, und Waters rüttelt öffentlich und rechtlich an den Grundfesten der Band. Als die Platte erscheint, nennen Kritiker sie „vorhersehbar“ und werfen ihr vor, ein Egoprojekt Gilmours zu sein. Die Öffentlichkeit hingegen zeigt sich begeistert und macht aus der zugehörigen Tour im Handumdrehen eine der erfolgreichsten des Jahrzehnts.

Der TV-Sender RAI und die venezianischen Lokalpolitiker wittern ihre Chance. Pink Floyd konnten bereits 1972 mit ihrem Konzertfilm Live At Pompeii Musikgeschichte schreiben und der Sehenswürdigkeit eine Menge guter Presse bescheren. Dennoch stehen die Bewohner Venedigs dem geplanten Konzert auf der Piazza San Marco mehr als skeptisch gegenüber, befürchten Schäden an der Struktur der Gebäude und Denkmäler, ausgelöst durch laute Musik. So kommt es, dass die Band letztlich auf einer Barkasse spielt, die im nahegelegenen Kanal vor Anker liegt. Die üblichen 100 Dezibel muss die Gruppe auf 60 reduzieren. Die Planung sieht außerdem vor, dass das Tour-Set für die Live-Übertragung signifikant gekürzt wird. 

Erscheint später auch als DVD: Pink Floyd In Venice

Am 15. Juli, einem Samstag, strömen die Fans in die Stadt. Wo die Veranstalter mit einem Publikum von 100.000 Menschen gerechnet haben, stehen plötzlich 200.000 – ein Problem, da die zuvor von der Regierung und den Veranstaltern versprochene Infrastruktur schlicht nicht vorhanden ist. Mangels Sanitäranlagen „erleichtern“ sich die Zuschauer an Häuserwänden und Monumenten. Es kommt zwar zu keinen Auseinandersetzungen, die Bewohner Venedigs bleiben jedoch auf 300 Tonnen Müll und 500 Kubikmetern leeren Flaschen und Dosen sitzen. 

Obwohl das Konzert mit einer globalen Reichweite von 100 Millionen Zuschauern als voller Erfolg gewertet wird, fällt der postwendende Aufschrei der Venezianer groß aus.

Gilmour erinnert sich später an die völlige Verweigerung der Veranstalter, ihren Pflichten nachzukommen. Die Gesamtbilanz: minimale, aber doch vorhandene strukturelle Schäden an Denkmälern sowie sich auf 25.000 Pfund belaufende Reinigungs- und Aufräumkosten. Das dürfte sich das italienische Tourismus-Gremium etwas anders vorgestellt haben. Bürgermeister Antonio Casellati beruft sich auf den immensen Druck, den der Fernsehsender RAI auf die Lokalregierung ausgeübt habe und deutet Interessenskonflikte und gar Korruption in der Regierung an. Venedigs Einwohner lassen sich nun noch weniger beschwichtigen, sodass noch vor Ablauf der folgenden Kalenderwoche der gesamte Stadtrat das Amt niederlegt, mit ihm auch Casellati. 

Pink Floyd spielen im Rahmen ihrer A Momentary Lapse Of Reason-Tour noch eine weitere Show in Marseille. Im Anschluss an die zweijährige Tour mit einem derart aufregenden Abschluss gönnen sie sich aber eine wohlverdiente Pause.

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