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Popkultur

Der Pop wird lysergisch: Wie LSD die Meisterwerke der Musikgeschichte geformt hat

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Foto: Cover

Kunst und Rausch sind seit Jahrtausenden untrennbar miteinander verbunden. Insbesondere der Droge LSD sind in den Sechzigern und Siebzigern einige der wichtigsten Pop-Platten aller Zeiten zu verdanken – von den Beatles über Jimi Hendrix bis zu den Beach Boys.

von Björn Springorum

Um sich den Einfluss von LSD kurz und bündig vor Augen zu führen, reicht der vergleichende Blick auf zwei Albencover: Einmal Please Please Me von 1963 und dann Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band von 1967, gerade mal vier Jahre danach. Links: Frech feixende Pilzköpfe in adretter Klamotte. Rechts: Bärtige Zirkusdirektoren in knallbunten Uniformen, umringt von allerlei toten und lebendigen Freunden. LSD hat Mitte der Sechziger auch die Beatles erreicht. Erst John Lennon und George Harrison (die unvergessen bei einer Dinnerparty ihres Zahnarztes erstmals in Kontakt mit dem Stoff kamen), zu guter Letzt dann auch noch den braven Paul McCartney und Ringo Starr. Die psychoaktive Droge, so werden die Beatles später sagen, hat sie enger zusammengebracht. Endlich teilen sie wieder eine gemeinsame Vision.

Das leise Summen einer Sitar

Dies soll kein Artikel sein, der die Droge LSD glorifiziert. Aber auch keiner, der sie verteufelt. Denn allein das obige Beispiel zeigt exemplarisch, welchen Einfluss das 1943 zufällig von dem Schweizer Doktor Albert Hofmann entdeckte Mittelchen auf den Geist und die Kreativität der Sechziger und Siebziger hat. Kaleidoskopische und mantraeske Melodien ziehen in die Musik ein, befeuert von den neuen technischen Möglichkeiten der Studios. Psychedelische Farbwirbel, Spiritualität und das leise Summen einer Sitar sind ab sofort die Insignien von Rock und Pop. Konzerte von The Grateful Dead, so berichten Zeitzeugen, waren okay, wenn man sie ohne LSD besuchte. Auf LSD wurden sie zu wundersamen Astralreisen, zusätzlich verfeinert mit speziellen Rückzugsorten in den Konzertlocations, wo man es sich bei einem besonders heftigen Trip gemütlich machen konnte.

Wann und wo LSD erstmals unter Musikerkreisen weitergereicht wird wie ein besonders kostbares Geheimnis, ist nicht ganz klar. Als LSD-Prophet und wohl größter Advokat der lysergischen Substanz an der US-amerikanischen Westküste darf aber Timothy Leary gelten. Der unterrichtet eigentlich an der Harvard University, wird aber hochkant rausgeworfen, als herauskommt, dass er Experimente mit psychoaktiven Substanzen an Studenten durchgeführt hat. Er schart in San Francisco Jünger um sich, Aussteiger und Hippies, die damals in immer größeren Zahlen in die Stadt strömen und sich rund um Haight-Ashbury breitmachen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Der erste LSD-Magnat und die dankbaren Toten

Die psychedelische Ära erreicht 1966 einen ersten Höhepunkt. Die Droge greift so weit um sich, dass sie noch vor Jahresende in den USA für illegal erklärt wird. Daran ist vor allem Owsley Stanley schuld, der erste LSD-Magnat der Westküste. Als Tontechniker sorgt er nicht nur für den dröhnenden Sound von The Grateful Dead, sondern auch für deren halluzinogenen Nachschub. Stanley ist es auch, der die Beatles während den Dreharbeiten zu Magical Mystery Tour mit LSD versorgt. Sein Einfluss ist so groß, dass ihn Frank Zappa und Jefferson Airplane in ihren Lyrics erwähnen.

Als Droge der Gegenkultur, als Pfad zur Erleuchtung, als Möglichkeit, mit der Substanz des Kosmos in Kontakt zu treten, ist LSD auch nach dem Verbot allgegenwärtig. Längst nicht nur in der Musik, ebenso in der Literatur, den Filmen, der Kunst. Es ist aber insbesondere die Musik, in der LSD seine größte Wirkung entfalten kann, die innigste Verbindung zwischen berauschtem Schöpfer und berauschtem Konsumenten. Denn selbst wenn ein Acid-Head meilenweit high auf LSD durchaus ein Stück Weltliteratur aus den verworrenen Labyrinthen seines Geistes herauslocken kann, fällt es einem Menschen auf LSD durchaus schwer, das Buch auch konzentriert zu lesen und nicht nur den Buchstaben zuzusehen, wie sie langsam von der Seite fließen.

Gekauter Sellerie als Schlagzeug

Bei LSD und Musik ist das fundamental anders. Als würde man sich in den geistigen Zustand der Erschaffer einloggen, erlebt man die Musik mit anderen Sinnen, auf vollkommen andere Weise. Das machen sich ab den späten Sechzigern mehr und mehr Bands zu beiden Seiten des Atlantiks zunutze. Die bewusstseinserweiternde Wirkung von LSD führt in der Musik zu einem vollkommen neuen, experimentellen Ansatz. Ebenso wie man die Welt anders wahrnimmt, versucht man sich auch in der Musik an radikalen neuen Denkweisen. Gitarren werden rückwärts aufgenommen, The Grateful Dead nehmen sogar verschiedene Arten von Luft (feucht, trocken) auf, weil sie denken, das würde ihren Sound Tiefe verleihen. Brian Wilson lässt Paul McCartney eine Selleriestange kauen, die dann als Percussion der Nummer Vegetables verwendet wird. Das ist schon was anderes als vier Typen, die im Studio stehen und live ein neues Album einspielen.

Improvisation wird zum Zauberwort der Acid-Jünger. Pink Floyd brechen mit jeglichen Pop-Konventionen und leben sich in progressiven Kaleidoskopen und psychedelischen Wundergärten aus, die Doors und Jimi Hendrix definieren mit ihren verschleppten, leiernden, mystischen und kosmischen Klängen das, was man als „trippigen“ Sound bezeichnet. Verzerrung, Hall und merkwürdige Rhythmen, wabernde Sounds, blubbernde Orgeln und indische Instrumente ersetzen die einfachen Mitklatsch-Beats der frühen Sechziger. Die Musik wurde dechiffriert und zu Ehren der lysergischen Musen neu zusammengesetzt. Auch die Texte werden philosophischer und vertrackter, spielen mit Drogen-Anspielungen und Metaphern. Geeint wird das von einem sehr distinguierten Sinn für das Visuelle. LSD als Droge ist enorm stimulierend und reagiert auf optische Reize ebenso wie auch klangliche. Entsprechend bunt, verwunschen und geheimnisvoll werden die Artworks der Platten, auf denen zuvor meist nur die Bandmitglieder abgebildet waren. Ob man das nun möchte oder nicht: Psychedelic Rock ist ohne LSD undenkbar.

Gegen den Krieg, für die Liebe

Nicht alle kommen damit zurecht. Brian Wilson von den Beach Boys verliert durch die Drogen die Bodenhaftung und büßt seine geistige Gesundheit ein, in Woodstock gibt es ganze Zelte voller Menschen auf schlechten Trips. Horrormeldungen über Menschen, die im LSD-Rausch aus dem Fenster springen, machen bald die Runde. Doch wie auch die unterhaltsame und unbedingt sehenswerte Netflix-Doku Have A Good Trip betont, seien das nur Einzelfälle gewesen. In dieser Doku erzählen unter anderem Sting, Donovan und Carrie Fisher von ihren eindringlichsten Trip-Erfahrungen. Und das durchaus augenöffnend.

Noch mal: Wir wollen hier nichts glorifizieren. Doch in den späten Sechzigern hat der Konsum von LSD eben auch dazu geführt, dass die Menschen gegen den Krieg auf die Straße gegangen sind. Weil sie unter dem Einfluss der Droge erkannt haben, wie sinnlos Kriege sind. Und dass es im Grunde nur um die Liebe geht. Dieser Einfluss lebt bis heute fort: In den vielen Neo-Psychedelia-Bands, aber auch in der Rave-Kultur, die ja eh eine Art zweite Hippie-Bewegung ist. Mit Beats statt Gitarren. Der geneigte Musikliebhaber hat, so scheint es also, dieser Droge eine Menge zu verdanken. Und das Gute ist: Er muss sie dafür nicht mal selbst genommen haben.

Wenn du selbst ein Problem mit Drogen hast, findest du unter anderem hier Hilfe.

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