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Life puts the soul in it – Roger Daltrey und sein fantastisches Soloalbum “As Long As I Have You”

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Als in die Jahre gekommener Mensch zurück auf seine Teenage-Zeit zu blicken, zurück zum straffen, blutjungen, vor Energie beinahe implodierenden Selbst, ist ein bittersüßes Vergnügen. Einerseits ist da diese unbändige Kraft der Adoleszenz, die Begeisterung, die jugendliche Überheblichkeit. Eine Schicht drunter jedoch lauert die berechtigte Angst, die Versprechen, mit denen man großspurig antritt, nicht einlösen zu können. Wer weiß als Jugendlicher schon irgendwas vom Leben, von seinen unvermeidbaren Enttäuschungen und Kompromissen?

Wenn der Who-Sänger Roger Daltrey über seine Jugend nachdenkt, dann fällt ihm genau diese Diskrepanz auf zwischen der Rolle als Künstler und seinen damaligen Möglichkeiten, diese mit Leben zu füllen. „Am Anfang, noch bevor wir selbst Songs schrieben, waren wir eine Teenieband, die vor kleinem Publikum in der Kirche spielte. Wir waren eine Soulband. Aber erst jetzt kann ich Soul mit all der Erfahrung singen, die man dafür braucht.“

Daltrey bringt das Dilemma des 19-Jährigen wunderbar auf den Punkt, wenn er sagt: „Life puts the soul in it“ (dt.: “Das Leben haucht dem Ganzen Gefühl ein.”). Auf seinem neuen Album As Long As I Have You, der ersten Solo-Unternehmung seit 1992 (!), gelingt Daltrey nun genau das. Die kleineren und größeren Traumata, die blauen Flecken, die einem das Leben zufügt, sein ganzes Herzblut legt der 74-Jährige in seine Stimme und in die Soulsongs, die er für das Album zusammengestellt hat. Am 1. Juni 2018 wird das Werk erscheinen.


Hier kannst du in den Titelsong des Albums reinhören:

Zur ganzen Single kommst du über “Listen”.


Seit rund vier Jahren arbeitet Daltrey an As Long As I Have You, er hat dafür sowohl eigene Songs geschrieben als auch künstlerische Werke anderer neu arrangiert – allesamt von Künstlern, die Daltrey inspiriert und begleitet haben. Darunter sind so wundervolle Stücke wie Nick Caves Into My Arms, Stevie Wonders You Haven’t Done Nothing, How Far von Stephen Stills oder der berühmte Song von Garnet Mimms, nachdem das Album benannt ist.

Mit As Long As I Have You hat sich Daltrey den Wunsch erfüllt, musikalisch zu seinen Anfangsjahren zurückzukehren, zur „Simplizität des Soul“. Mit dem Album will er seinen Fans Nuancen seiner Stimme zeigen, die sie so noch nicht von ihm kennen.

Daltrey und Townshend: Ziemlich beste Feinde

Und noch eine Rückkehr gibt es auf dem Album zu hören: jenes Zueinanderfinden von Daltrey und seinem Who-Bandkollegen Townshend, der auf dem Album recht überraschend in fast allen Songs Gitarre spielt. Townshend und Daltrey sind gewissermaßen jeweils der favourite worst nightmare des anderen. Bandkollege, Erzfeind, Rivale, Buddy – die Beiden haben so ziemlich jedes Beziehungsstadium durchlebt. Grundproblem sei stets gewesen, dass sie nie richtig miteinander kollaborierten, erklärte Townshend einmal. „Entweder ich sitze am Steuer oder er.“ Auf der kreativen Ebene jedoch habe man nie gleichberechtigt zusammengearbeitet.

„Wir lieben einander aber wir sind keine richtigen buddies wie Bono und Edge (von U2), die ständig über Ideen sprechen und sie gemeinsam weiterentwickeln“, versucht Townshend zu erklären.

Doch offenbar haben die jahrzehntelangen Hahnenkämpfe nun einer gewissen altersbedingten Milde Platz gemacht. Laut Daltrey ist es Townshends Überredungskünsten zu verdanken, dass sein Soloalbum überhaupt das Licht der Welt erblicken wird, hatte Daltrey doch große Zweifel, ob die geplanten Songs überhaupt ein rundes Werk ergeben. Pete sei derjenige gewesen, der darauf bestand, dass das Album super werden würde, erzählte Daltrey zuletzt in einem Interview.

Kennen sich seit Teengertagen: Roger Daltrey und Pete Townshend (eerster und zweiter v.l.)

Dem Bild entsprechend überließ Townshend Daltrey bei dessen Soloalbum das Steuer und begnügte sich mit dem Gitarrenpart, in den er jedoch sein ganzes Herzblut legte. Gleichwohl heißt es, Townshend habe ein paar Bedingungen gestellt, ehe er in eine Zusammenarbeit einwilligte. Welche genau wird wohl ein Geheimnis der beiden frenemies (engl. Friend + Enemy = frenemy) bleiben.

Produziert wurde das Album übrigens von Dave Eringa, der sonst für und mit den Manic Street Peachers arbeitet. Neben Townshend sind alte Freunde und Gäste wie der Keyboarder Mick Talbot von Dexys Midnight Runners oder Gitarrist Sean Genockey von Suede mit von der Partie. Die neuen Songs wurden allesamt während der letzten Jubiläums-Tournee zum 50-jährigen Bestehen von The Who aufgenommen. As Long As I Have You kann seit Mitte März vorbestellt werden, für Fans gibt es eine Orange Vinyl Variante in aufregend limitierter Form zu erstehen.

Mögen sie zahlreich sein, die Momente voller Soul im eigenen Wohnzimmer. An Daltrey dürfte es jedenfalls nicht liegen. Seine Präsenz und Authentizität lassen den Soul mit all den blauen Flecken des Lebens auf As Long As I Have You neu aufleben.


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