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Popkultur

45 Jahre „Lust For Life“: Iggy Pop verlässt den Schatten von David Bowie

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iggy pop david bowie
Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Mitte der Siebziger sind Iggy Pop und David Bowie in Westberlin angekommen. Im Schatten der Berliner Mauer nehmen sie Lust For Life auf – Iggy Pops vielleicht bestes Album. Für ihn ist es bei aller Freundschaft der verzweifelte Versuch, sich von David Bowie zu befreien.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch  Lust For Life anhören:

Iggy Pop muss von den Drogen wegkommen. Das hat er 1976 auch selbst geschnallt. Warum er dann ausgerechnet auf die Idee kommt, David Bowie auf seiner Isolar Tour zu begleiten, wirft Fragen auf: Eine große, ausschweifende Rock-Konzertreise mitten in den Siebzigern ist gewiss nicht der ideale Ort, um den Drogen abzuschwören.

Neuanfang in Berlin

Egal, Pop geht dennoch mit Bowie auf Reisen und bleibt nach Ende der Tour im Mai 1976 gleich mit seinem Kumpel in Frankreich. Dort, im sagenumwobenen, von allerlei Geistern und Spektren heimgesuchten Château d’Hérouville, entsteht Iggy Pops Solodebüt The Idiot, bald danach ziehen die beiden in eine WG in der Hauptstraße 155 in Schöneberg. Pops Erstling klingt dann aber so sehr nach einer Bowie-Platte mit Pops Gesang, dass dem ehemaligen Frontmann der Stooges eins klar ist: Nächste Mal muss mehr kreative Kontrolle her!

Nach seiner ersten anständigen Tour als Solitär (mit einem Bowie ganz unscheinbar hinter den Keyboards versteckt) ist Iggy Pop voller neuem Selbstbewusstsein: Er kann es schaffen ohne den Backup der Stooges! Und vielleicht gar sogar ohne Bowie? Scheint so: Nach dem Ende der Tour kehren beide in ihre Berliner Wohnung zurück, doch Pop zieht kurz danach aus. Gut, so halb schmeißt ihn Bowie wohl raus, aber von richtigem Zank kann keine Rede sein: Iggy Pop zieht einfach in eine andere Wohnung im selben Haus ein, damals gibt es reichlich Leerstand in Berlin.

Die Mauer zum Greifen nah

Gemeinsam mit Gitarrist Ricky Gardiner, der auch auf Pops erster Tour spielte, schreiben die beiden immer wieder an neuen Songs. Die Klassiker Lust For Life und The Passenger entstehen in diesen Schönefelder Sessions. In den Hansa Studios, kaum mehr als 100 Meter von der Berliner Mauer entfernt, entsteht ab Mai 1977 Iggy Pops zweite Soloplatte. Und eigentlich ist sie seine erste: Bowie schraubt seine Rolle mekrlich zurück, konzentriert sich wie auf Tour überwiegend auf die Keyboards. Überhaupt leben die Aufnahmen von einem echten Live-Gefühl, möglich gemacht durch die Besetzung, die fast identisch mit Pops Bühnenmusikern ist.

Inspiration für Bowies Heroes

Wirklich entspannt war es für Iggy Pop trotzdem nicht: Weil David Bowie so schnell arbeitet, kann Pop kaum schlafen während der Aufnahmen. Er will bei allem dabei sein, sägt sogar einige von Bowies Kontributionen ab, um eines sicherzustellen: Das hier ist wirklich seine Platte! „Bowie ist teuflisch schnell“, sagte er mal. „Ich musste also schneller sein, wenn ich wollte, dass das mein Album ist.“ Also schreibt er nicht mal vollständige Texte, bevor es ans Aufnehmen geht. Den Rest improvisiert er einfach. Und kann dadurch sogar zum Vorbild für Bowie selbst werden: Auf Heroes macht der es einfach genauso.

Nur acht schmale Tage brauchen sie, um Lust For Life zu komponieren, aufzunehmen und zu mixen. Das Ergebnis klingt roh, körperlich, live. Nach dem Art Rock seines Debüts The Idiot ist das hier viel näher an Iggy Pop und seiner Vergangenheit bei den Stooges. Dennoch ist es kein Aufguss: Sengender Post-Punk, Hard Rock und Punk flirten mit Soul, Blues und experimentellen Keyboard-Riffs.

Morsecode und S-Bahnen

Das fiebrige Lust For Life reißt gleich zu Beginn der Platte mit stampfender Härte und furiosem Übermut mit, Inspiration für das infektiöse Riff holt sich Bowie beim Morsecode des US-amerikanischen Militärradios in Berlin. The Passenger ist ein verwunschenes Großstadtmärchen, getaucht in die schwarzweißen Fassaden eines dunklen Berlins und inspiriert von Jim Morrison, S-Bahn-Fahrten durch die Nacht und gemeinsame Autofahrten. Tonight und Turn Blue thematisieren hingegen Pops Heroin-Missbrauch, die Wolken hängen tief in diesen Songs. Insbesondere auf Turn Blue lässt Iggy Pop, unterstützt von einem Gospelchor, die Hosen runter: Er erzählt von einer abgebrochenen Aufnahmesession mit Bowie, die er aufgrund seines Zustandes abbrechen musste.

Bei Release im August 1977 wurde das Album von Pops Label RCA erstaunlicherweise kaum promotet. Er geht wieder auf Tour, schiebt eine Live-Platte hinterher, um seinen Vertrag zu erfüllen. Und kehrt zurück in die USA. Die Zusammenarbeit mit Bowie ist erst mal vorbei. Die mit dem Heroin leider nicht. Was bleibt, ist die beste Zusammenarbeit von Iggy Pop und David Bowie. Und ein zeitloses, viszerales Rockalbum mit zwei übergroßen Klassikern.

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