------------

Popkultur

„Destroyer“: Wie Kiss 1976 ein Hard-Rock-Juwel schufen

Published on

Kiss Destroyer Cover

Mit Destroyer schaffen Kiss 1976 ein Juwel ihres Kataloges und etliche Klassiker des Hard Rock generell. Dabei spielen die vier geschminkten Helden auf der Platte beileibe nicht nur lauten Rock’n’Roll. Was ein tödlicher Unfall, Beethoven und nölende Musikerfrauen mit den Songs zu tun haben, könnt ihr in der Geschichte des Albums nachlesen, die wir anlässlich der spektakulären Neuauflage Revue passieren lassen.

von Christof Leim

Hier könnt ihr euch Destroyer anhören:

Als Kiss sich an die Arbeit für ihr viertes Album Destroyer machen, stehen sie ziemlich gut da. Nach drei Studioplatten in anderthalb Jahren und rastlosem Dauertouren hatten sie das Livealbum Alive! mitgeschnitten, das dank des Mitschnitts von Rock and Roll All Nite den Durchbruch bringt und die vier New Yorker zu veritablen Superstars macht.

Jetzt wollen sie den “nächsten Schritt” gehen, einen draufsetzen und sich weiterentwickeln. Womöglich liebäugeln sie damit, endlich mal in der Musikkritik positiv anzukommen, denn oft werden Kiss noch als substanzlose Showkapelle abgetan. Deshalb engagieren sie den Produzenten Bob Ezrin, der bis dato viel mit Alice Cooper gearbeitet und zuletzt das Konzeptalben Welcome To My Nightmare (1975) betreut hatte.

Harte Arbeit

Und Ezrin nimmt die Band erstmal richtig ran: 15 neue Songs hat die Band schon als Demos aufgenommen, aber der neue Chef lehnt das meiste davon ab oder nimmt es grundlegend auseinander. Außerdem setzt er die vier Musiker auf den Popo und bringt ihnen wie in der Schule musikalische Grundlagen bei. Drei der vier Schminkemonster sind da erst Mitte Zwanzig, nur Drummer Peter Criss hat die 30 schon überschritten. Eine formale musikalische Ausbildung hat keiner.

Sänger/Gitarrist Paul Stanley bezeichnet die erste Zeit mit Ezrin später als “Boot Camp”, gewissermaßen als militärisches Ausbildungslager, gibt aber dazu, dass das die Band dadurch ein „viel schlauer“ wurde. Auch Bassist Gene Simmons bestätigt: „Das war genau das, was wir zu dem Zeitpunkt brauchten.“ Bei den eigentlichen Aufnahmen legt Bob Ezrin ebenfalls hohe Ansprüche an und bringt die Mannschaft mit einer Trillerpfeife auf Spur. Keine Frage: Der Produzent hält die Zügel in der Hand und trifft grundlegende Entscheidungen.

Klangerweiterung

Herauskommt das vielseitigste Album in Kiss’ bisheriger Karriere: Destroyer basiert  weiterhin auf Hard Rock, verlässt diese Spur aber öfter und bietet dann Pomp, Epik und Balladen. Neben Gitarre, Bass, Schlagzeug ertönen jetzt an den richtigen Stellen Soundeffekte, Streicher, schreiende Kinder, ein Chor und sogar die New York Philharmoniker. Zum ersten Mal kollaborieren Kiss mit externen Songwritern, etwa Runaways-Manager Kim Fowley, auch Ezrin bekommt bei sieben von neun Stücken einen Credit. Einige Gitarrenspuren spielt Dick Wagner aus der Band von Alice Cooper ein.

Destroyer erscheint am 15. März 1976, erreicht Platz elf in den USA und Rang 36 in Deutschland. Bis zum August des gleichen Jahres werden ganze fünf Singles auskoppelt, darunter einige der größten Kiss-Hits: Detroit Rock City, Shout It Out Loud, God Of Thunder und Beth.

Klassiker des Hard Rock

Mit der Eröffnungsnummer Detroit Rock City zollt Paul Stanley der Stadt Tribut, die Kiss von Anfang mit offenen Armen aufgenommen hatte. Im Text singt er aus der Perspektive eines Fans, der auf dem Weg zu einer Show ums Leben kommt und bezieht sich damit auf einen realen Unfall bei einem Kiss-Konzert in Charlotte, North Carolina. Das bedrohlich klingende God Of Thunder zählt heute zu den „signature songs“ von Gene Simmons, doch eigentlich stammt die Nummer von Paul, der von sich selbst als Rock’n’Roll-Held singen wollte und dabei nicht zuletzt Sex im Kopf hatte. Bob Ezrin allerdings interveniert, verringert das Tempo und stellt Gene ans Mikro, der nach ein paar strategischen Textänderungen perfekt den Dämon geben kann.

Ezrins Einfluss zeigt sich auch in Great Expectations, als er eine Idee von Gene um Pianoklänge erweitert und sogar das Hauptmotiv von Beethovens Klaviersonate Nr. 8 (Pathétique) Note für Note einbaut. Eine Legende rankt sich um das rockige Sweet Pain, dessen Solo von Dick Wagner aus der Band von Alice Cooper übernommen wird. Angeblich soll der etatmäßige Leadgitarrist Ace Frehley den Destroyer-Sessions öfter mal ferngeblieben sein, unter anderem weil er zu einem Kartenspiel verabredet gewesen sei. Für Sweet Pain nimmt er allerdings durchaus ein Solo auf, dass er 35 Jahre später auf der neu abgemischten Wiederveröffentlichung Destroyer Resurrected veröffentlich wird. Als erste Single wird damals Shout It Out Loud unter die Leute gebracht. Den Versuch, eine weitere Hymne im Stil von Rock And Roll All Nite zu produzieren, darf man durchaus als gelungen betrachten. Die Nummer entwickelt sich zu einem Dauerbrenner auf der Setlist und wird sogar von James Last.

Überraschung mit Orchester

Die große Überraschung heißt jedoch Beth, eine herrlich melodramatische Pianoballade mit Orchester, Streichern und allem Schmalzpipapo, aber ohne jedwede Krachgitarre. Die Grundlagen dafür hatte Peter Criss aus seiner früheren Band Chelsea mitgebracht; da hieß das Stück noch Beck und greift die Diskussionen eines Mitmusikers auf, der wegen seiner ständigen Abwesenheit im Namen des Rock’n’Roll andauernd mit seiner Ehefrau Becky diskutieren muss. Weil Beth so gar nicht Kiss klingt, wird das Lied erstmal nur auf die B-Seite von Detroit Rock City gepackt, erfreut sich aber großer Beliebtheit, als die DJs die Single einfach umdrehen. Beth erscheint schließlich als eigenständige Auskopplung und wird zum bis heute kommerziell erfolgreichsten Kiss-Song mit Platz sieben in den Billboard-Charts, Goldauszeichnung und People’s Choice Awards 1977.

Destroyer führt den damals unaufhörlichen Aufstieg von Kiss fort und gilt heute als eines der Schlüsselalben im Gesamtwerk der Band. Die unweigerlich folgende Tour führt Kiss dann endlich nach Europa; das erste Konzert in Deutschland spielen sie am 18. Mai 1976 in Mannheim, im Vorprogramm eine aufstrebende einheimische Band namens Scorpions.

Zum 45. Jubiläum gibt es Destroyer ab 10. Dezember 2021 als Neuauflage und Boxset mit üppigem Bonusmaterial. Alle Informationen dazu finden sich hier.


Jetzt in unserem Shop erhältlich:

Kiss - Destroyer 45
Kiss
Destroyer 45
Exclusive Super Deluxe Box, Deluxe Edition 2LP, Deluxe Edition 2CD,

HIER BESTELLEN


Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!

Zeitsprung: Am 21.2.1977 geben Kiss ihr Blut – für einen Comic.

Don't Miss