Popkultur
Die musikalische DNA von Prince
Es schneite weder am 20. noch am 22. April des Jahres 2016, doch am 21. April ging ein Klagelied durch die Welt: „Sometimes it snows in April / Sometimes I feel so bad, so bad / Sometimes I wish life was never ending / And all good things, they say, never last“. Die Lyrics von Prince‘ Sometimes It Snows in April sollten sich als prophetisch erweisen: An einem Apriltag endete sein Leben. Mit Prince Rogers Nelson starb einer der letzten großen Pop-Stars, eine dieser ebenso charismatischen wie enigmatischen Figuren, wie sie in jeder Generation nur ein paar Mal zu finden sind. „I‘m something you‘ll never understand“, sang er in einem anderen Song – I Would Die 4 U. Besser hätte er es nicht in Worte fassen können.
Hör’ hier in Prince’ musikalische DNA rein:
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In der Figur Prince traf unvergleichliches musikalisches Können auf künstlerische Visionen, die bis heute nichts an ihrer Strahlkraft verloren haben. Er spielte eigenhändig alle 27 Instrumente seines Debütalbums ein – mit nicht einmal 20 Jahren. Natürlich lässt sich eine Erklärung für Prince‘ Interesse an Musik und sein Können finden. Er wuchs in einem musikalischen Elternhaus auf, der Vater war Pianist und Songwriter, die Mutter Jazz-Sängerin. Doch wirklich große Kunst ist nicht allein das Ergebnis von viel Fleiß, sondern auch Ideen, die weit über ein paar clevere Akkordfolgen hinausgehen. Prince hatte diese Ideen. Vor vielen anderen erkannte er das Potenzial von Technologie, angefangen von Drummachines hin zum Internet. Er engagierte sich für die Rechte der schwarzen Bevölkerung der USA und stellte in Frage, was das überhaupt bedeutet: ein Mann zu sein, oder eine Frau zu sein. Prince war lieber etwas, das wir niemals verstehen werden.
Prince war einer der inspirierendsten Pop-Stars seiner Generation, aber auch einer der inspiriertesten. So einzigartig sein unüberschaubares Werk auch ist, so finden sich darin doch deutliche Referenzen auf die Musik seiner eigenen Idole. Dennoch ist seine musikalische DNA eine ganz besondere und selbst, wenn wir sie komplett entschlüsseln könnten – verstehen würden wir ihn danach auch nicht. Das macht ihn doch so großartig. Und jetzt: „Let’s go crazy!“
1. James Brown – (Get Up I Feel Like Being A) Sex Machine Pt. 1 & 2
Funk Machine lautete der Titel des allerersten Prince-Songs, geschrieben im Alter von sieben (!) Jahren auf dem Klavier seines Vaters. Der Knirps wusste offensichtlich schon, wo es einmal hingehen sollte! Nach der Scheidung seiner Eltern heiratete die Mutter neu und mit dem Stiefvater Hayward Baker kam der junge Prince überhaupt nicht gut klar. Immerhin jedoch: Baker nahm das musikbegeistere Kind auf sein erstes Konzert mit. Wer da spielte? Natürlich die Sex Machine überhaupt, James Brown.
Brown brachte seinem Schüler im Geiste nicht nur den Funk bei, sondern auch den passenden Hüftschwung gleich dazu. Er zeigte dem aufstrebenden Musiker ebenso, was es heißt, eine Show zu schmeißen. Das sollte sich an Brown rächen: Als er 1983 erst Michael Jackson und dann Prince zu sich auf die Bühne holte, stahl Prince dem Soul Brother No. 1 ebenso wie dem King of Pop die Show. Nach ein paar funkigen Akkorden gibt er die Gitarre weg, reißt sich das Oberteil vom Leib und tänzelt auf so nonchalante Weise über die Bühne, dass selbst Brown dagegen wie ein Chorknabe aussieht.
2. Michael Jackson – Don’t Stop ‘Til You Get Enough
À propos Michael Jackson: Zum König des Pops pflegte der Prinz aus dem Paisley Park ein kompliziertes Verhältnis. Um nicht zu sagen, dass sich die beiden spinnefeind waren! Dabei gehörten sie doch derselben popkulturellen Revolution an. Ihre Videos zu Little Red Corvette und Billie Jean waren die ersten von schwarzen Künstlern, die in den achtziger Jahren von MTV auf Heavy Rotation gespielt wurden. Kaum zu glauben, aber noch zwanzig Jahre nach Ende der Segregation in den USA war Musikfernsehen noch immer eine fast komplett weiße Angelegenheit!
Das hielt Prince und Jackson aber nicht davon ab, einander anzugiften. Besser gesagt: Es war Prince, der Jackson auf dem Kieker hatte. Die einseitige Fehde lief über Jahrzehnte. Noch 2006 machte sich Prince einen Spaß draus, Jackson eins reinzuwürgen – beinahe buchstäblich! Als der Thriller-Sänger ein Konzert von Prince in Las Vegas besuchte, ging der mit seinem Bass auf den Sitz Jacksons zu und spielte direkt vor seinem Gesicht harten Slap-Bass. Solcherlei Anekdoten gibt es dutzende, sogar bei einem Tischtennisspiel soll Prince ihn gegängelt haben, indem er den Ball ständig auf den Schritt des Kontrahenten schlug… Doch immerhin: Nach dem Tod Jacksons im Jahr nahm er kommentarlos zwei von dessen Stücke – Shake Your Body und Don’t Stop ‘Til You Get Enough – in seine Live-Sets auf. Eine kleine, aber wichtige Geste.
3. Funkadelic – Maggot Brain
So leidenschaftlich Prince auch hassen konnte, so glühend konnte er lieben. George Clinton gehört neben James Brown und Sly Stone zu einem der ganz großen Funk-Pioniere. Mit dem Parliament-Funkadelic-Kollektiv definierte er einen neuen, psychedelischen Funk-Sound, der vor kosmischen Vibrationen nur so strotzte. Dreckig und transzendental zugleich! Das war selbstverständlich voll nach dem Geschmack von Prince, der sogar einige Soloalben des genialen Musikers auf seinem Paisley Park-Label veröffentlichte und mit ihm gemeinsam das Stück We Can Fuck schrieb. Äh, We Can Funk. Je nach Version hat der Song einen anderen Titel…
Prince hat im Laufe seiner Karriere immer wieder auf den kosmischen Überbringer der funkigen Botschaft verwiesen und war ihm auch persönlich sehr zugeneigt, wie ein handschriftlicher Brief beweist, der im Archiv von Prince gefunden wurde. „Mann, ich bin so froh, an deiner Seite zu sein“, schreibt er. „Muss wohl Mondstaub durch die Gegend gewirbelt sein, als du geboren wurdest, denn verdammt soll ich sein, wenn du von diesem Planeten Erde bist!“ Poetische, zärtliche Worte für einen der ganz großen Helden der Funk-Musik.
4. Little Richard – Tutti Frutti
Das flamboyante Auftreten Clintons ist sein Markenzeichen. Regenbogenfarbene Dreadlocks, aufwändige Kostüme – der Mann lässt nichts aus. Auch Prince war als Gestaltenwandler bekannt, bekanntlich stand ihm – neben der Farbe Lila – sogar das Adamskostüm ausgesprochen gut. Seine – wortwörtlich gesprochen – Offenheit sorgte für so manche Controversy, wie eines seiner Alben nicht ohne Grund betitelt ist. „You don‘t need no money, you don‘t need no clothes / The second coming, anything goes / Sexuality is all you‘’ll ever need / Sexuality, let your body be free“, heißt es im Song Sexuality. Ein programmatischer Text!
Mehr noch als andere vor ihm wie etwa David Bowie stellte Prince herkömmliche Vorstellungen von Männlichkeit auf den Kopf. Er hatte dabei allerdings Vorbilder. Den Hüftschwung lieh er sich von James Brown, das Make-Up inklusive aufgemaltem Schnauzer aber von Little Richard. Der 1932 geborene Tutti Frutti-Sänger musste sich zeitlebens immer wieder Diskriminierung ausgesetzt sehen und umschiffte Fragen nach seiner Sexualität stets. Als „omnisexuell“ bezeichnete er sich beispielsweise. Was das wohl heißt? Von Prince zumindest sind vor allem Beziehungen zu Frauen bekannt und zum Ende seines Lebens bekannte er sich als zölibatär. Doch für Jahrzehnte stand er an der Speerspitze einer Revolution, die immer auch eine sexuelle war und die Normen durcheinander wirbelte.
5. Jimi Hendrix – Red House
Somit steht Prince ebenfalls in der Tradition der Woodstock-Generation, deren Verlangen nach freier Liebe auf unzähligen Platten festgehalten wurde. Kein Wunder, dass er auch von dort seine musikalische Inspiration bezog! Als er 2004 für die Tribute-Compilation Power of Soul: A Tribute to Jimi Hendrix ein Cover von dessen Song Red House – der natürlich bei Prince Purple House hieß – beisteuerte, kam endlich zusammen, was zusammen gehörte. Denn Hendrix war ein ähnlicher Visionär wie später das Kid aus dem Paisley Park.
Alben wie Are You Experienced oder Electric Ladyland nutzten die neue Studiotechnik der späten sechziger Jahre als Instrument, wie auch Prince in den Folgejahren Drummachines und andere technologische Neuerungen in seine Musik einbringen sollte, lange bevor sie zum Standard wurden. Ob der Einfluss sich auch auf Prince‘ Gitarrenspiel erstreckte? Nein! „Das wird nur gesagt, weil er schwarz ist. Das ist dann schon alles, was wir gemein haben“, sagte ein erboster Prince im Jahr 1985 dem Rolling Stone-Magazin. „Er spielte ganz anders als ich. Wenn überhaupt dann ist in meiner Musik eher ein Santana-Einfluss auszumachen. Hendrix spielte bluesiger, Santana hübscher. Du kannst nicht einfach zwei Menschen miteinander vergleichen – es sei denn, der eine klaut beim anderen.“ Amen!
6. Miles Davis – Blue in Green
Dennoch: Zumindest den Innovationsgeist teilten sich Hendrix und Prince. Auch ein anderer Prince, nämlich der Prince of Darkness, Miles Davis, zeigte sich zu seinen Hochzeiten aufgeschlossener als viele andere. Als Davis auf Synthesizer umstieg, brach er damit in der Jazz-Welt ein Tabu. Seine Starrhalsigkeit war berüchtigt, doch Prince fand genau daran seinen Gefallen. Beide verehrten einander und nahmen sogar gemeinsame Stücke auf. Oder zumindest sind sie auf denselben Aufnahmen zu hören, denn gemeinsam im Studio standen sie nie. Dafür aber auf der Bühne.
Der Prince-Saxofonist Eric Leeds erinnerte sich an denkwürdige Momente: „Wir spielten ein Konzert im Paisley Park. Das war die Silvesternacht 1987“, erzählte er dem Magazin Uncut. „Miles war ein Gast und kam auf die Bühne, um bei einem Song mitzuspielen. Soweit mir bekannt, war dies das einzige Mal, dass die beiden gemeinsam spielten. Sie freundeten sich aber an und blieben in Kontakt.“ Da wären wir gerne eine Fliege an der Wand gewesen! Zumindest können wir noch darauf hoffen, dass die Aufnahmen eines Tages noch aus dem Tresor des Paisley Parks heraus ihren Weg in die Öffentlichkeit finden…
7. Madonna – Love Song
Während Miles Davis zwar ungemein erfolgreich war, so blieben ihm doch große kommerzielle Erfolge verwehrt. Prince indes schaffte es, innovative und abenteuerliche Musik zu machen und dennoch die Charts zu stürmen. Nicht nur mit seinen Texten und seinem Auftreten schließlich brach er mit den Konventionen, auch mit seiner Musik. Wie ein guter Pop-Song zu funktionieren hatte, war ihm aber genauso bewusst. So verwundert es auch kaum, dass er selbst in der Nähe von Madonna zu glänzen wusste. Für ihr Album Like a Prayer spielte er ein paar Gitarrenparts ein.
Gut, das mag vielleicht auch daran gelegen haben, dass die beiden mehr als nur ein Studio teilten – für eine kurze Zeit waren sie liiert. Doch auch diese Beziehung zerbrach und es wurde, nun ja, ziemlich hässlich. Welch Ironie des Schicksals, hatte Prince doch ausgerechnet beim Love Song seine Finger im Spiel! 2015 aber sollen sie sich doch zusammengerauft haben. Bei einem der legendären Privatkonzerte im Paisley Park spielten sie angeblich sechs gemeinsame Songs, bevor Prince der Kollegin etwas ins Ohr flüsterte und diese sich dann von der Bühne verabschiedete. Was da wohl auf und vielleicht sogar hinter der Bühne gesagt wurde…?
8. Ice Cube – What Can I Do?
Nicht nur durch seine Kollaborationen mit Madonna bewies Prince, dass er den Sounds der Zeit stets aufgeschlossen war. Auch mit Hip Hop experimentierte er viel und das, obwohl er selbst als ein oft gesampelter Künstler im Hip Hop-Kanon verewigt wurde. „Hat jemand meine Kindheit gesehen?“, twitterte Ice Cube bestürzt, als die Nachricht von Prince‘ Tod die Runde machte. Prince lieferte ihm viel Inspiration, aber auch mehr als das. 1996 kam ihm die Ehre zuteil, vom Kid selbst gesampelt zu werden.
Der Track Mr. Happy auf Prince‘ Album Emancipation spielt mit einer Line aus dem Ice Cube-Track What Can I Do?: „bought a house next to Prince“. Ein augenzwinkernder Verweis auf den Fan, der selbst zum Vorbild wurde. Die beiden kannten sich nämlich persönlich: 1994 hatte Ice Cube beim Dreh für das Video zum Prince-Song Love Sign Regie geführt. „Er machte sonst vor allem Performance-Videos, weshalb es echt cool war, ihn zum Schauspielern zu bringen“, erinnerte sich Ice Cube. „Wir drehten also dieses Video, in dem er einen DJ darstellte und dann kam eine Auftragsmörderin, um ihn umzubringen. Sie verliebte sich aber bei seinem Anblick sofort in ihn und sie hauten gemeinsam ab um zu machen, was Prince halt so macht.“ Zugegeben, oscarreif klingt das nicht wirklich…
9. Sheila E – The Glamorous Life
Aber sei’s drum, Prince‘ Hauptmedium war eben die Musik. Die ersann er oftmals ganz allein und nicht selten legte er im Studio Hand an, wenn es gar nicht notwendig war. Selbst mit großen Plattenfirmen im Rücken, die ihm Geld genug für eine Bande von Session-Musikern vorstreckten, erledigte Prince den Job meistens alleine. Sicher ist sicher! Doch nicht nur seine Band The Revolution, sondern auch andere Figuren aus seinem Umfeld genossen sein vollstes Vertrauen. Seine engste Begleiterin war wohl Sheila E, die Ausnahmeschlagzeugerin, die gerne als die Queen of Percussion bezeichnet wird.
Die beiden kannten sich schon, bevor Sheila E mit The Glamorous Life eine überaus erfolgreiche Solo-Karriere startete. 1978 soll Prince sie nach einem Konzert Backstage abgepasst haben. Er und Bassist Andre Cymone hätten „sich gerade darüber gestritten, wer von uns als erster dein Ehemann wird“, soll er ihr angeblich gesagt haben! Es kam nie dazu, obwohl er ihr 1987 sogar tatsächlich einen Antrag machte. 1989 trennten sich ihre Wege in professioneller Hinsicht, bevor sie ab 2008 seiner Band hin und wieder den richtigen richtigen Groove verpasste. Ihre musikalische Symbiose war wie keine andere, ihre gegenseitige Liebe rostete über all die Jahre ebenfalls nicht.
10. Sinéad O’Connor – Nothing Compares 2 U
Wie viel Prince der Musikwelt geschenkt hat, ist kaum auszumessen. Funk, Soul, R’n’B. Pop, Hip Hop, sogar bis hin in die weiten Gefilde elektronischer Tanzmusik von House bis Techno: Er hat überall seine Spuren hinterlassen. Songs wie Purple Rain, Sometimes It Snows In April, Kiss, If I Was Your Girlfriend und so viele andere bleiben auf immer unvergesslich. Manche seiner größten Hits allerdings wurden von anderen bekannt gemacht. Wusstet ihr beispielsweise, dass Prince Manic Monday von den Bangles geschrieben hat? Verrückt, oder? Und da wäre natürlich noch ein ganz besonderer Song mit einem ganz besonderen Video, für den Prince die Vorlage lieferte…
Ursprünglich hatte Prince das Stück Nothing Compares 2 U für sein Nebenprojekt The Family geschrieben, bekannt machte ihn aber die Irin Sinéad O‘Connor mit ihrer etwas aufgepeppten Version der Power-Ballade, die in der Originalversion mit kosmischen Synthesizer-Sounds und einem irren Saxofon-Solo aufwartet. Prince war überhaupt nicht glücklich mit dem Erfolg des Stücks und konnte auch O‘Connor nicht leiden. „Nach Nothing Compares 2 U zitierte er mich zu sich nach Hause“, erinnerte sich die Sängerin. „Ich hatte das Stück ohne ihn gemacht. Ich hatte ihn nie getroffen. Er zitierte mich also zu sich nach Hause – und es ist echt dämlich, das einer irischen Frau anzutun – und teilte mir mit, dass er meinen Tonfall in Interviews nicht mögen würde. Also habe ich ihm gesagt, dass er mich mal kreuzweise kann!“ Ja, ja: Einfach war er nicht, dieser Prince. Aber einzigartig.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
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