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Popkultur

Tanz am Abgrund: Zum Jubiläum von Elliott Smiths selbstbetiteltem Album

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Elliott Smith
Foto: Lex van Rossen/MAI/Redferns/Getty Images

Eine Akustikgitarre, und immer diese brüchige Stimme: Mehr braucht Elliott Smith Mitte der Neunziger nicht, um eines der berührendsten, aber auch niederschmetterndsten Alben seiner Zeit aufzunehmen. Zu ihrem 25. Jubiläum erscheint die Platte, die seinen Namen trägt, in neuem Gewand – Zeit, uns ihre Entstehung genauer anzusehen.

von Victoria Schaffrath

Hört Elliott Smith in voller Länge:

Elliott Smith zählt zu diesen tragischen Figuren des Musikgeschäfts, die mit ihrer Dunkelheit faszinieren. Als er sich 1994 anschickt, ein zweites Solo-Album aufzunehmen, kann der 25-Jährige bereits auf zehn Jahre Alkohol- und Drogenmissbrauch zurückblicken. Der Grund: eine ruhelose, möglicherweise von Missbrauch geprägte Kindheit. Erleichterung findet er im Rausch – und in der Musik.

Bei Heatmiser spielt er nach dem widerwilligen Collegeabschluss ab 1991 Rock, schreibt aber parallel Songs, die seiner Meinung nach nicht dorthin passen. „Meine eigenen Lieder zu spielen, kam mir gar nicht in den Sinn“, gibt der damalige Wahl-Washingtoner einige Jahre später zu. „Der Nordwesten gehörte Mudhoney und Nirvana, und an eine Akustik-Show war quasi nicht zu denken.“

Folk-Held in der Grunge-Ära

Und doch spielt er am 17. September des Jahres sein folkiges Material im Umbra Penumbra in Portland. Diesen ersten Solo-Auftritt schneidet man mit; er erscheint nun, 25 Jahre nach der Premiere von Elliott Smith, als Erweiterung des Jubiläums-Packs erstmals auf Platte. Die Aufnahmen rekonstruierte der Produzent und musikalische Nachlassverwalter Larry Crane in mühsamer Kleinarbeit von alten Kassetten: „Wenn die Leute hören, was ich aus den Original-Tapes rausholen konnte, werden sie umfallen.“

Zunächst ergibt sich aus diesen ersten Gehversuchen auf dem Solo-Parkett das Debütalbum Roman Candle. Zu Smiths allgemeiner Verwunderung kommt seine Musik trotz Grunge-Welle an: „Ich dachte, sie würden mir vor dem Hintergrund der Grunge-Bewegung den Kopf abreißen… Das Album kam aber wirklich gut an, was ein Schock war, und stellte leider auch den Erfolg von Heatmiser in den Schatten.“ Das stößt bei der Band natürlich sauer auf. Aber Smith kann und will nicht aufhören, solo zu musizieren; der Konsum und die mentalen Probleme nehmen immer weiter zu.

Metaphern für die Abhängigkeit

So wundert es nicht, dass sich auf Elliott Smith, das zu dieser Zeit entsteht, viele Anspielungen auf die Drogen finden. Zwar beteuert der auf den Namen Steven getaufte Musiker, die solle man eher als Metaphern für die Abhängigkeit verstehen, aber gewisse Textzeilen sprechen für sich: In Needle In The Hay singt der junge Mann „Strung out and thin / Calling some friend trying to cash some check“ und „I’m taking the cure so I can be quiet“; erzählt in Good To Go von einem „low riding junkie girl“. St. Ides Heaven müsste man in Gänze zitieren. Needle dient im Film The Royal Tenenbaums gar als Untermalung für einen Suizidversuch.

Sein düsteres Weltbild verpackt er aber auch subtiler. Mit Clementine verarbeitet er eine alte Folk-Ballade und die Entscheidung einer guten Freundin, nach einigen Ausflügen in die Welt des Rock lieber eine Karriere in der Buchhaltung zu verfolgen – ein Phänomen, dass sogar Rockstars wie Lou Reed nicht ganz fremd ist. Im Closer The Biggest Lie findet sich die verletzliche Direktheit, die Smiths Musik so einzigartig macht: „Everything you do makes me want to die“. Zeilen wie diese begleitet nur eine Akustikgitarre, seltener findet sich ein Cello oder eine Mundharmonika. Fast alle Instrumente spielt der Autodidakt selbst.

Lieder über den Zerfall einer Seele

Freilich, als der Langspieler am 21. Juli 1995 erscheint, schlägt er keine großen Wellen. Die wenigen, die ihn hören, zeigen sich jedoch begeistert. Der Rolling Stone schreibt später, es handle sich um „einige der wunderbarsten Lieder über den Zerfall einer Seele“, und auch Smith weiß: „Düsterer als auf dieser Platte kann ich nicht werden.“ Einen Wendepunkt markiert sie aber nur bedingt.

Immerhin verschreibt sich der melancholische junge Mann eine Art musikalische Zwangstherapie, erweitert seine Songs thematisch und zeigt auch bei den Instrumenten mehr Experimentierfreude. Es ist diese Veränderung der Perspektive, die auf dem Nachfolgewerk Either/Or (1997) überzeugt und zu Erfolgen wie dem Good-Will-Hunting-Soundtrack und der daraus resultierenden Oscar-Nominierung führt.

Elliott Smith: fragile Texte, komplexe Melodien

Mental vermag Smith sich nicht zu helfen. Antidepressiva und andere Medikamente zeigen wenig Wirkung, der geniale Musiker rutscht in eine tiefe Depression. Die Suizidgedanken betäubt er mit immer mehr Drogen und Alkohol, zeigt schließlich Zeichen von Paranoia. Nachdem er 2002 augenscheinlich die Kurve kriegt und abstinent lebt dann 2003 die furchtbare Nachricht: Elliott Smith verstirbt mit nur 34 Jahren an mehreren Stichverletzungen. Ob selbstbestimmt oder durch Fremdeinwirkung bleibt bis heute ungeklärt.


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Es bleiben diese fragilen Texte, komplexe Melodien und Eindrücke eines Menschen, der Zeit seines Lebens am Abgrund tanzt. Genau diese Eindrücke fängt JJ Gonson, der seinerzeit das Albumcover fotografiert, in einem Bildband ein, der dem Jubiläums-Release von Elliott Smith beiliegt. Nach einem versöhnlichen Zitat zum Abschluss sucht man auf der LP natürlich vergebens.

Depressiv? Hier bekommst du Hilfe: Wenn du selbst depressiv bist oder Selbstmordgedanken hast, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du Hilfe von Beratern, die dir Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

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