Popkultur
Gesprengte Rassenschranken: Wie Motown die Welt eroberte
Alle lieben Motown. Unabhängig von Alter, Herkunft, Hautfarbe. Wer behauptet, keinen einzigen Titel aus Hitsville zu mögen, der*die hat einfach noch nicht den richtigen gehört. Ganz zu Beginn jedoch, vor etwa 60 Jahren, hatte Motown es als von einem Schwarzen gegründetes Label gar nicht so leicht – schließlich war die Welt in den Köpfen vieler Menschen noch klar in Weiß und Schwarz unterteilt. Doch gerade die vielen Single-Hits des Labels waren wichtig, um die Dinge ins Rollen zu bringen, um Vorurteile abzubauen und Rassenschranken aufzuweichen und schließlich zu brechen.
von Ian McCann
Wenige Jahre nach der Gründung war Motown bereits der Inbegriff eines Soul- und R&B-Labels. Dabei war es nicht nur die Qualität der Songs, denn das Label ließ wirklich nichts unversucht, um immer noch mehr Menschen zu erreichen – ganz unabhängig von Hautfarbe und ethnischen Wurzeln.
Hört hier die größten Motown-Hits:
Dass „black music“ auch ein weißes Publikum anziehen kann, war schon damals nicht neu: Der Jazz hatte es schließlich vorgemacht. Allerdings wussten viele Menschen kaum etwas über die Wurzeln dieser „schwungvollen“ Musik, und wie auch? Schließlich waren viele der bekanntesten Swing-Orchester der 1930er und 1940er auch komplett mit weißen Musikern besetzt! Was sie nicht wussten: Dass Duke Ellington oder auch Count Basie schon vor ihren Favoriten diese Art von Sound gemacht hatten.
Im Popbereich sah es nun mal so aus, dass das weiße Publikum in der Regel stark verwässerte Versionen der Schwarzen Originale präsentiert bekam; dunkle Hautfarbe hatten allenfalls jene Sängerinnen und Sänger, die auf softere Klänge setzten: Nat King Cole oder Harry Belafonte beispielsweise, die damit sogar Superstars wurden. Nachdem mit Elvis ein weißer Musiker entdeckt worden war, der auch R&B-Einflüsse in seine Hits einfließen lassen konnte (über den Erfolg davon brauchen wir nicht zu sprechen), traten danach auch Künstler wie Little Richard, Fats Domino und Jackie Wilson auf den Plan – die ersten Rocker mit afroamerikanischen Wurzeln, was auch funktionierte. Berry Gordy, Jr. hatte für Jackie Wilson erste Hits geschrieben und nutzte diese Erfahrungen, um ab 1959 sein Label aufzubauen: Motown Records.
Ein vollkommen neuer Sound
Gordy hatte erkannt, dass der begnadete Entertainer Wilson es genau genommen geschafft hatte, auch R&B-Songs einem sehr viel breiteren Publikum schmackhaft zu machen. Während andere Labels, inklusive dem von Wilson, daran arbeiteten, jeden Anflug von Soul durch Altbekanntes zu ersetzen, dachte Gordy die Sache konsequent weiter und landete bei folgender Frage: Was wäre wohl passiert, wenn ein Label Wilson wirklich verstanden und ihn so präsentiert hätte, wie er es selbst wollte? Als Gordy Anfang 1959 sein Tamla-Label gründete, startete er genau diesen Versuch: Er wollte echte Soul-Musik aufnehmen – und damit ganz Amerika erobern, weiße wie Schwarze Fans mit diesem Sound begeistern.
Um das zu schaffen, definierte er Standards – in jeder Hinsicht. Der Look: Sie mussten von Anfang an so umwerfend aussehen, wie die Stars, zu denen sie schließlich werden sollten. Die Attitüde: Haltung war gefragt, Coolness wurde ihnen regelrecht anerzogen. Auch die Tanzschritte wurden ausgearbeitet, und dann natürlich der Sound: Die Aufnahmen klangen so, dass man sie schon bald als Motown-Veröffentlichungen erkennen konnte. Nach ein paar Jahren mussten auch die Inhalte neu definiert werden: Wenn die Künstler*innen in den turbulenten Umwälzungen der Sechziger relevantere oder gar kritische Statements machen und Klartext reden wollten, dann hatte das trotzdem harmonisch zu klingen. Revolutionäres, verpackt als radiofreundliche Single, was die Message nur noch weiter verbreitete – siehe Dancing In The Street von Martha And The Vandellas. Ja, selbst Niedergeschlagenheit klang bei den Four Tops noch so eingängig, dass alle auf die Fläche rannten: um zu Seven Rooms Of Gloom zu tanzen.
Übers Ziel hinaus…
Während der langen Hitserie gab es jedoch auch Momente, an denen die Motown-Macher ein wenig übers Ziel hinausschießen sollten – weil sie doch etwas zu sehr auf ein Vegas-Publikum abzielten. So lieferte der Marvin Gaye der Sechziger ein paar extrem sanfte „Jazzy“-Alben ab, die er sich womöglich hätte sparen können, und die Supremes sangen nicht nur Country-Songs, sondern auch etliche Stücke, die man eigentlich von den Beatles kannte. Wirklich innovativ war das nicht, keine Frage. Ebenfalls keine Glanzleistung von Gordy waren ein paar Neuzugänge, die sich gar nicht gut in den Trademark-R&B-Kanon des Labels einfügen sollten: Swing-Veteran Billy Eckstine war kurz unter Vertrag, ja selbst ein britischer Schauspieler wie Albert Finney zierte plötzlich Plattencover. Entscheidungen, die im Nachhinein nur noch deutlicher machen, dass Motown vor allem sich selbst treu bleiben musste, um weiterhin Erfolg zu haben.
Und dann war da ja noch die Sache mit den Sublabels: Rare Earth hieß eines davon, die Rocksparte, gegründet 1969. Mit Get Ready landete die gleichnamige Band, die übrigens auch heute noch aktiv ist (!), einen massiven Hit, was auch für ihre Version von (I Know) I’m Losing You galt. Auch Stoney & Meat Loaf waren dank Rare Earth indirekt bei Motown unter Vertrag, aber der große Erfolg von letzterem kam erst ein paar Jahre später – womit klar war: Die Leute wollten Soul hören, wenn Motown draufstand. Alles andere besorgten sie sich anderswo.
So eingängig die Melodien der klassischen Motown-Ära waren, gab es doch eine etwas knifflige Frage: Wie konnte man die Pop-DJs und Shops dazu bekommen, auch die deutlich politischeren Titel des Labels zu spielen und zu verkaufen? Der Trick bestand darin, dass Motown schon ab Anfang der Sechziger weiße Anwälte, Promoter und Sales-Fachleute engagierte – eine Entscheidung, die von Schwarzen Aktivist*innen durchaus kritisiert wurde. Da es jedoch keine in Stein gemeißelte Regel war, gab es schließlich auch immer häufiger Ausnahmen, und so traten die Künstler*innen und der Labelboss öfter selbst in Aktion: Motown-Stars spielten Instore-Gigs, Mr. Gordy schaute persönlich bei Vertriebsleuten, DJs und Shops vorbei, um die Sache anzukurbeln. Seine Message: „Wir sind ein offizieller Laden, keine Klitsche, die etwas Glück hatte mit ein paar Songs; auf uns könnt ihr zählen!“ – und das konnte man auch.
Gordon 1996. Foto: Kingkongphoto/Wiki Commons
Entertainment für alle
Als Motown schließlich ein Außenbüro in Großbritannien eröffnete, waren die Verantwortlichen so clever, die UK-Kolleg*innen selbst entscheiden zu lassen, was im Königreich unter der Motown-Flagge erscheinen sollte: Die Marke sollte so aufgebaut werden, dass sie zu den lokalen Marktgegebenheiten passte. Doch weil der Sound der ersten Jahre so einzigartig war, benutzten viele Brit*innen den Labelnamen schon beinahe wie einen Künstlernamen: Man hörte halt „Motown“ – oder „Tamla“ –, anstatt von den Miracles oder den Supremes zu reden.
Der Startschuss für die britische Dependance fiel 1965, und die UK-Kultsendung Ready Steady Go! widmete Motown auch gleich ein TV-Special. Inspiriert von den hohen Wellen, die dieses Special schlagen sollte, kümmerte sich Gordy auch daheim um mehr TV-Präsenz: Ein Resultat davon hieß TCB (für Taking Care of Business), ein hauseigenes Format, in dem ein paar Jahre später Diana Ross, The Supremes und The Temptations glänzten. Ein Comic-Format war es dann zu Beginn der Siebziger, das den Erfolg einer anderen Gruppe noch weiter ankurbelte: The Jackson 5ive hieß die (beinahe) gleichnamige Sendung, die sich über 23 Folgen erstreckte und dem Publikum mit jeder neuen Episode zwei neue Hits von Michael Jackson & Co. servierte.
Jede dieser Maßnahmen machte die Songs der Motown-Künstler*innen noch bekannter, und das Element, das sie verbindet – nennen wir es mal: Soul – hat immer wieder dazu beigetragen, Menschen zusammenzuführen, Vorurteile abzubauen, Rassenschranken obsolet zu machen. Funktionieren konnte das gerade deshalb so gut, weil Gordy und seine Künstler*innen eine Sache selbst bei den klar politischen Titeln nie aus den Augen verloren haben: den Unterhaltungs-Faktor. Den nämlich haben alle gespürt, ganz egal, welche Hautfarbe sie hatten…
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Rock Me: 10 Schwarze Künstler*innen, die die Rockmusik für immer verändert haben

Popkultur
Zeitsprung: Am 7.6.1993 ändert Prince seinen Namen in ein unaussprechliches Symbol.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 7.6.1993.
von Christof Leim
An seinem 35. Geburtstag ändert Prince seinen Namen in ein unaussprechliches Symbol. Damit will er gegen seine Plattenfirma protestieren, von der er sich künstlerisch eingeschränkt fühlt. Der Rest der Welt wundert sich…
Hört hier in die besten Prince-Songs rein:
Seinen ersten Plattenvertrag unterschreibt Prince Rogers Nelson 1977. Darin einigt sich der 18-Jährige mit Warner Bros. Records darauf, die völlige kreative Freiheit zu behalten und sämtliche Alben selbst zu produzieren. Das funktioniert für alle Beteiligten gut, macht Prince zum Star und bringt Warner Millionenseller wie Purple Rain (1984) und Sign O’ The Times (1987). Deshalb stört es auch niemanden, wenn der Mann zwischendurch zum Beispiel ein fertiges Album in die Tonne kloppt und schnell mal eben ein neues aufnimmt (siehe Lovesexy, 1988). 1992 wird der Deal sogar verlängert.
Grundlegende Meinungsverschiedenheit
Dem unglaublich produktiven Künstler liegt Anfang der Neunziger viel daran, seine unzähligen unveröffentlichten Songs – angeblich über 500 – so schnell wie möglich unter die Leute zu bringen. Verständlich, denn dafür hat er das Zeug ja geschrieben. Die Plattenfirma lehnt das jedoch ab, denn sie legt (nicht weniger verständlich) Wert darauf, nur das beste Material in die Läden zu stellen und vor allem den Markt nicht zu überschwemmen. Prince macht keinen Hehl daraus, dass ihm das so gar nicht gefällt und malt sich für öffentliche Auftritte das Wort „Slave“ (dt.: Sklave) ins Gesicht. Nur nützt ihm das nichts, denn Warner Bros. besitzen die Rechte an Princes Künstlernamen und kreativem Output, wie es für Plattenverträge völlig üblich ist. Kurz gesagt: Warner wollen nicht einfach Hunderte an Liedern raushauen, Prince will nicht nur eine Marke sein, mit der die Firma Geld verdient.
Also lässt sich unser Mann etwas einfallen: Er verkündet am 7. Juni 1993, seinem 35. Geburtstag, dass er von nun an nicht mehr den Namen Prince nutze, sondern ein Symbol, das aussieht wie ein Mashup aus den astrologischen Zeichen für Mann und Frau. „Es ist ein unaussprechliches Symbol, dessen Bedeutung nicht erklärt wurde“, heißt es in einer kryptischen Erklärung des Künstlers. „Es geht darum, in neuen Wegen zu denken.“ Prince lässt sich das Ding als „Love Symbol #2“ schützen, packt es auf das Cover seines 1992er-Albums und nutzt es fortan als Bezeichnung für sich selbst.
Ändert aber nix…
Das ist natürlich alles ein bisschen unpraktisch. Zum einen kann man das „Symbol“ nicht schreiben, weshalb Warner Floppy Disks mit einer Grafikdatei an die Medien verschickt. Außerdem weiß niemand, wie man dass denn nun jetzt aussprechen soll. MTV lösen das Problem angeblich, indem sie in ihren Sendungen immer ein metallisches „Klonk!“ einspielen, wenn das „Symbol“ genannt werden müsste. Doch es hilft alles nichts, ein Name muss her. Irgendwann einigt man sich auf „The Artist formerly known as Prince“ oder „TAFKAP“. Das ist offensichtlich ziemlich bescheuert, und für die Fans bleibt ihr Held ohnehin Prince. Vor allem aber: Der Vertrag mit Warner gilt natürlich trotzdem weiter, und juristisch, also „in echt“, heißt der Mann weiterhin Prince Rogers Nelson. Und beides weiß er auch.
Added to my collection: 3.5″ floppy given to press when Prince changed his name. Contains a font w/ one symbol in it. pic.twitter.com/mNL0eOHDGI
— Anil Dash (@anildash) 23. Juni 2014
Viele in der Musikindustrie halten die Aktion für verrückt, die Fans wundern sich, aber immerhin bringt „TAFKAP“ seinen Standpunkt deutlich zum Ausdruck. Die folgenden Alben und Singles gelten allerdings nicht als Höhepunkte seines Schaffens, die Verkaufszahlen gehen deutlich zurück.
Erst im Jahr 2000, als der Vertrag mit Warner ausläuft, nutzt Prince wieder seinen alten Namen. Statt sich erneut an eine Firma zu binden und die herkömmlichen Wege für Vertrieb und Vermarktung zu wählen, agiert er als sein eigener Herr, setzt auf das Internet und baut eigene Strukturen auf. In einem Interview mit Larry King erklärt sich Prince beziehungsweise „TAFKAP“ beziehungsweise „Klonk!“.
2014 jedoch setzt sich der Künstler wieder mit Warner an einen Tisch, weil sein Erfolgsalbum Purple Rain zum 30. Jubiläum neu aufgelegt wird. Das Einlenken lohnt sich, denn Prince gewinnt die Rechte an all seinen alten Platten zurück. Leider stirbt der Ausnahmemusiker am 21. April 2016 mit nur 57 Jahren.
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Zeitsprung: Am 10.5.1988 veröffentlicht Prince das kurzfristig aufgenommene „Lovesexy“.
Popkultur
Von Woodstock bis zum Fyre Festival: Die größten, besten und schlimmsten Festivals aller Zeiten
Die Sonne knallt, die ersten Mega-Festivals sind schon über die Bühne gegangen. Zum Start der Freiluftsaison stellen wir Open-Air-Festivals vor, die in die Geschichtsbücher eingegangen sind – positiv wie negativ.
von Björn Springorum
Sommer, Sonne, Bier in der Hand und eine Band unter freiem Himmel sehen: Seit über 50 Jahren sind Musikgfestivals ein integraler Bestandteil des Sommers und ein Übergangsritus für unzählige Generationen. Manche Festivals sind bis heute unvergessen, manche würde man lieber sofort wieder vergessen – Bühne frei für unsere Top 10 der denkwürdigsten Festivals aller Zeiten.
Der Pionier: Monterey Pop Festival (1967)
Bei der Mutter aller Festivals denken alle immer gleich an Woodstock, und das aufgrund der Symbolkraft auch nicht zu Unrecht. Der eigentliche Pionier der Gegenkulturfestivals findet aber im Juni 1967 statt – also rund zwei Jahre vor Woodstock. In Nordkalifornien wird Musikgeschichte geschrieben, als Jimi Hendrix sein US-Debüt gibt (nur echt mit brennender Gitarre), als The mamas And The Papas, Eric Burdon And The Animals, The Who, The Byrds oder Big Brother And The Holding Company das Zeitalter von Aquarius herufbeschwören. Sogar der offizielle Werbesong San Francisco (Be Sure To Wear Flowers In Your Hair) von Scott McKenzie wird zur Legende.
Der Mythos: Woodstock (1969)
Vieles ging schief bei Woodstock. Die Organisatoren waren nicht auf die Massen vorbereitet, statt der geschätzten 50.000 kamen 400.000 überwiegend junge Menschen. Es regnete, alles versank im Schlamm, der Zaum ums Gelände wurde nicht rechtzeitig fertig, die PA war schwach und das Essen ging aus. Alles egal: Woodstock ist dennoch die Urmutter aller Festivals, der Aufschrei des jungen Amerikas gegen den Vietnamkrieg. Fast schon nebensächlich, wer da auf der Bühne spielte (unter anderem Jimi Hendrix, Santana, Jefferson Airplane, The Who, Sly & The Family Stone, Crosby, Stills, Nash & Young, Mountain, The Grateful Dead, Creedence Clearwater Revival und Janis Joplin). Als Jimi Hendrix die Nationalhymne verzerrt besessen spielte, waren nur noch 40.000 Menschen da. Der Hippietraum war bald darauf vorbei, auch Woodstock konnte ihn nicht retten. Der Mythos, der wird aber für immer derselbe bleiben.
Der Riese: Isle Of Wight Festival (1970)
Ein Jahr nach Woodstock ist der Vietnamkrieg immer noch nicht zu Ende. Also kommen auf der Isle Of Wight bei bestem englischen Sommerwetter (nasskalt, windig, grau) 600.000 Besucher zusammen – die bis dato größte Menschenansammlung in Europa. Jimi Hendrix und Joan Baez verbreiten auch in Europa ihre Botschaft des Friedens, außerdem spielen Miles Davis, The Doors, The Who, Lighthouse, Ten Years After, Emerson, Lake & Palmer, Joni Mitchell, The Moody Blues, Leonard Cohen oder Jethro Tull. Ausgerechnet nach dem Event 1970 ist erst mal Schluss mit dem Isle of Wight Festival – bis 2002.
Der Anarchist: Love-And-Peace-Festival
Die Ostseeinsel Fehmarn geht im September 1970 in die Geschichtsbücher ein: Hier spielt Jimi Hendrix sein letztes Konzert vor seinem Tod am 18. September. Der Auftritt ist allerdings lustlos, unmotiviert, überhaupt läuft auf dem Festival nichts wirklich rund: Das Wetter ist schlecht, die Organisation mangelhaft, zudem zwingen 180 Rocker der Bloody Devils die Veranstalter dazu, als Security eingesetzt zu werden. Ganz miese Idee. Procol Harum und Ten Years After sagten ab, die Besucher bauten sich aus den Türen der Latrinen Windschutz. Am Ende spielen Ton Steine Scherben (damals noch als Rote Steine). Während sich die veranstalter mit der Tageskasse aus dem Staub machten, spielte die Band Macht kaputt, was euch kaputt macht – und die Besucher nahmen das sehr ernst. Man kann also sagen, dass das desaströse Festival nicht gerade seinem Namen gerecht wurde.
Der Millionenflop: US Festival (1983)
Schon das erste US Festival 1982 von Apple-Gründer Steve Wozniak wird trotz Fleetwood Mac, The Grateful Dead, The Police oder Tom Petty zum Mega-Flop, der den Veranstalter zwölf Millionen US-Dollar kostet. Hält Wozniak nicht ab, es im nächsten Jahr gleich noch mal zu versuchen. Diesmal kamen Stevie Nicks, David Bowie oder Van Halen (die allein 1,5 Millionen US-Dollar kosteten), doch selbst die 670.000 Besucher können einen weiteren katastrophalen Flop nicht verhindern. Am Ende bricht Chaos aus, es wird randaliert, zwei Menschen sterben. Zu einer dritten Auflage kommt es nicht.
Der Hipster: Coachella (1999)
Die erste Ausgabe von Coachella ist 1999 ein massiver Flop: Die Veranstalter hofften auf 70.000 Besucher, bekamen gerade mal die Hälfte und verloren eine knappe Million US-Dollar. Am Line-Up mit unter anderem Beck, Tool, Rage Against The Machine, The Chemical Brothers und Morrissey kann es zumindest nicht gelegen haben, so oder so sah alles danach aus, dass das erste Coachella gleich auch das letzte Coachella bleiben würde. Nach zwei Jahren Pause war Coachella wieder da – und wurde dann sehr schnell das beliebteste Festival der USA. Nur Rage Against The Machine treten hier mittlerweile wahrscheinlich nicht mehr auf.
Der Gewalttätige: Woodstock 1999 (1999)
30 Jahre nach Woodstock wird das zweite Sequel des Hippe-Jahrhundertereignisses zur Katastrophe: Über 200.000 Leute kommen in den Bundesstaat New York, doch statt love, peace and music wird das Festival zum Kriegsgebiet: Essen und Getränke sind extrem teuer, die sanitären Anlagen in schlechtem Zustand, es kommt zu zahlreichen Vergewaltigen, sexueller Nötigung, Diebstahl, Plündereien, Brandstiftung und brutaler Gewalt. Der Name Woodstock wurde 1999 für immer beschmutzt
Der Kriminelle: Fyre Festival (2017)
Auch dank der Netflix-Doku ging das Fyre Festival als größter Betrug in die Festivalgeschichte ein. Gepusht von Influencern als paradiesisches Glamour-Event auf den Bahamas, fanden die Festivalbesucher Notzelte und verpackte Sandwiches statt Strandvillen und Gourmetküche vor. Das Festival wurde angesagt, Veranstalter Billy McFarland musste für sechs Jahre ins Gefängnis und wurde zu 26 Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt. Im April 2023 verkündete er dann tatsächlich, dass es Fyre Festival II geben soll. Das kann ja was werden.
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Zeitsprung: Am 28.5.1983 bringt das 2. US Festival tolle Bands und verheerende Kosten.
Popkultur
45 Jahre „The Cars“: Wie eine Bostoner Band die Zukunft der Rockmusik erfand
Das selbstbetitelte The-Cars-Debüt klingt ein bisschen so wie David Bowie und Queen auf einem Roadtrip durch die USA. Auch 45 Jahre nach der Veröffentlichung hat das visionäre The Cars nichts von seinem melodischen Zauber verloren.
von Björn Springorum
Die späten Siebziger sind für die klassische Rockmusik keine einfache Zeit. Links wird sie von räudigem, schnoddrigen Punk überholt, rechts scheren schon die Synthesizer aus, um Wave und Synth-Pop in Position zu bringen. Mittendrin: The Cars aus Boston, die mit ihrem wegweisenden Debüt The Cars den Verlauf der Musik ändern sollen.
Aller Anfang ist schwer
Die Bandgründer Ric Ocasek und Benjamin Orr sind damals alles andere als Greenhorns. Beide über 30, beide schon in diversen Bands in Ohio oder Michigan gewesen. Auf die synthetische Zukunft der Rockmusik haben sie aber erst mal keinen Bock: Sie spielen in der Folk-Band Milkwood, die nach Crosby, Stills And Nash duftet und 1972das Album How’s The Weather hervorbringt. Die Musikwelt interessiert sich damals dafür nicht – und das eigentlich zu Unrecht, wie man hier hören kann:
Mit Folk wird es anscheinend nichts, also versuchen sie es erst mit der Band Richard And The Rabbits und dann mit dem Akustikduo Ocasek And Orr. Man kann also auch sagen, dass sie einfach so lang alle Genres abgrasen, bis mal irgendwas auf offene Ohren stößt. Nächste Station: Cap’n Swing, ebenfalls eine weitgehend vergessene Band, in der aber immerhin auch der spätere The-Cars-Gitarrist Elliot Easton spielt. Irgendwann hat Ocasek genug vom ganzen Misserfolg und den ganzen vergeblichen Anstrengungen. Kostet ja auch Zeit und Kraft. Also holt er sich den Keyboarder Greg Hawkes in die Band und entwickelt ein neues Konzept.
Mit Rockabilly und Punk in die Zukunft
Unter den Namen The Cars gründet sich 1976 eine Band, die aus dem Rockabilly der Fünfziger, dem Minimalismus des Punk und den ungeahnten Möglichkeiten der neuen Synthesizer einen neuen Sound macht. The Cars klingen in ihren frühen Tagen stark nach David Bowie oder Queen, aber eben hinter dem Steuer eines US-amerikanischen Cabrios auf einem Roadtrip durch die Harmonien des Great American Songbook. Hier entsteht Musik, die so klingt wie die Vergangenheit und die Zukunft der Rockmusik.-
Und irgendwie funktioniert alles plötzlich ganz schnell. Am Silvesterabend 1976 spielen sie ihre erste Show auf einer Air Force Base, bei einer ausgedehnten Frühjahrstour 1977 durch New England entwickeln sie im Pink-Floyd-Stil die Songs ihres Debüts. Und die erzeugen schnell einen ordentlichen Buzz um diese neue Band: Ein Demotape wird von Bostoner Radiosendern praktisch im Loop gespielt, schnell ist auch das Interesse großer Plattenfirmen da. Hier war etwas Neues im Busch, da will niemand zu spät auf den Zug aufspringen. Aus Businesssicht sind The Cars damals schon recht clever: Sie entscheiden sich für einen Deal mit Elektra Records (damals auch die Heimat der übermächtigen Eagles), weil das Label im Vergleich zum Mitbewerber Arista Records keine New-Wave-Acts unter Vertrag hat. Man würde, so schlussfolgert die Band, folglich mehr herausstechen.
Aufgenommen wird in London
Und der Plan geht so was von auf: Nach den Aufnahmen in London mit Queen-Hitmaker Roy Thomas Baker erscheint am 6. Juni 1978 The Cars und kann bis auf Rang 18 der erbittert umkämpften US-Charts klettern. Alle Singles charten ebenfalls, aus Radios im ganzen Land dröhnen sehr bald Good Times Roll oder Just What I Needed. Aber warum eigentlich? Warum verkauft sich The Cars über sechs Millionen Mal und bekommt sechsfach Platin? Weil die Rockmusik im Wandel ist. Und The Cars als einer der Zukunftsboten auf den Plan treten.
Das Album erscheint in einer Übergangsphase, in einer Zäsur. Zwar haben AC/DC gerade erst Powerage veröffentlicht, aber zur selben Zeit kommen eben auch Kraftwerk mit ihrem Maschinenmanifest Die Mensch-Maschine und die Rolling Stones mit dem wavigen Some Girls um die Ecke. Es passiert was in der Rockmusik, das klassische Line-Up aus Gitarre, Bass, Drums wird zunehmend weniger nachgefragt. Da passen The Cars mit ihrem eklektischen Sound perfekt.
Jeder Song sitzt
Die Harmonien des Pop, die Melodien des Radio-Rock, die Extravaganz des New Wave und der Simplizismus des Punk erschaffen einen originellen, frischen, eingängigen Sound, der der Band endlich die erhoffte Aufmerksamkeit bringt. Auch nicht unwichtig: Die Songs sind allesamt grandios geschrieben und arrangiert. Und funktionieren bis heute. „Wir scherzten früher, dass wir unser erstes Album eigentlich The Cars Greatest Hits nennen sollen, so meinte Gitarrist Elliot Easton mal.
Das Spannende ist aber auch, wie brückenbauend The Cars damals sind: Die übliche Kluft zwischen Rockern und Poppern wird von ihnen mühelos überbrückt. Für Rocker ist The Cars gerade noch hart und gitarrenlastig genug, für New-Waver sind die Songs in Sachen rockiger Härte gerade noch erträglich.
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