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Popkultur

Gesprengte Rassenschranken: Wie Motown die Welt eroberte

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Foto: Motown/EMI Hayes Archives

Alle lieben Motown. Unabhängig von Alter, Herkunft, Hautfarbe. Wer behauptet, keinen einzigen Titel aus Hitsville zu mögen, der*die hat einfach noch nicht den richtigen gehört. Ganz zu Beginn jedoch, vor etwa 60 Jahren, hatte Motown es als von einem Schwarzen gegründetes Label gar nicht so leicht – schließlich war die Welt in den Köpfen vieler Menschen noch klar in Weiß und Schwarz unterteilt. Doch gerade die vielen Single-Hits des Labels waren wichtig, um die Dinge ins Rollen zu bringen, um Vorurteile abzubauen und Rassenschranken aufzuweichen und schließlich zu brechen.

von Ian McCann

Wenige Jahre nach der Gründung war Motown bereits der Inbegriff eines Soul- und R&B-Labels. Dabei war es nicht nur die Qualität der Songs, denn das Label ließ wirklich nichts unversucht, um immer noch mehr Menschen zu erreichen – ganz unabhängig von Hautfarbe und ethnischen Wurzeln.

Hört hier die größten Motown-Hits:

Dass „black music“ auch ein weißes Publikum anziehen kann, war schon damals nicht neu: Der Jazz hatte es schließlich vorgemacht. Allerdings wussten viele Menschen kaum etwas über die Wurzeln dieser „schwungvollen“ Musik, und wie auch? Schließlich waren viele der bekanntesten Swing-Orchester der 1930er und 1940er auch komplett mit weißen Musikern besetzt! Was sie nicht wussten: Dass Duke Ellington oder auch Count Basie schon vor ihren Favoriten diese Art von Sound gemacht hatten.

Im Popbereich sah es nun mal so aus, dass das weiße Publikum in der Regel stark verwässerte Versionen der Schwarzen Originale präsentiert bekam; dunkle Hautfarbe hatten allenfalls jene Sängerinnen und Sänger, die auf softere Klänge setzten: Nat King Cole oder Harry Belafonte beispielsweise, die damit sogar Superstars wurden. Nachdem mit Elvis ein weißer Musiker entdeckt worden war, der auch R&B-Einflüsse in seine Hits einfließen lassen konnte (über den Erfolg davon brauchen wir nicht zu sprechen), traten danach auch Künstler wie Little Richard, Fats Domino und Jackie Wilson auf den Plan – die ersten Rocker mit afroamerikanischen Wurzeln, was auch funktionierte. Berry Gordy, Jr. hatte für Jackie Wilson erste Hits geschrieben und nutzte diese Erfahrungen, um ab 1959 sein Label aufzubauen: Motown Records.

Ein vollkommen neuer Sound

Gordy hatte erkannt, dass der begnadete Entertainer Wilson es genau genommen geschafft hatte, auch R&B-Songs einem sehr viel breiteren Publikum schmackhaft zu machen. Während andere Labels, inklusive dem von Wilson, daran arbeiteten, jeden Anflug von Soul durch Altbekanntes zu ersetzen, dachte Gordy die Sache konsequent weiter und landete bei folgender Frage: Was wäre wohl passiert, wenn ein Label Wilson wirklich verstanden und ihn so präsentiert hätte, wie er es selbst wollte? Als Gordy Anfang 1959 sein Tamla-Label gründete, startete er genau diesen Versuch: Er wollte echte Soul-Musik aufnehmen – und damit ganz Amerika erobern, weiße wie Schwarze Fans mit diesem Sound begeistern.

Um das zu schaffen, definierte er Standards – in jeder Hinsicht. Der Look: Sie mussten von Anfang an so umwerfend aussehen, wie die Stars, zu denen sie schließlich werden sollten. Die Attitüde: Haltung war gefragt, Coolness wurde ihnen regelrecht anerzogen. Auch die Tanzschritte wurden ausgearbeitet, und dann natürlich der Sound: Die Aufnahmen klangen so, dass man sie schon bald als Motown-Veröffentlichungen erkennen konnte. Nach ein paar Jahren mussten auch die Inhalte neu definiert werden: Wenn die Künstler*innen in den turbulenten Umwälzungen der Sechziger relevantere oder gar kritische Statements machen und Klartext reden wollten, dann hatte das trotzdem harmonisch zu klingen. Revolutionäres, verpackt als radiofreundliche Single, was die Message nur noch weiter verbreitete – siehe Dancing In The Street von Martha And The Vandellas. Ja, selbst Niedergeschlagenheit klang bei den Four Tops noch so eingängig, dass alle auf die Fläche rannten: um zu Seven Rooms Of Gloom zu tanzen.

Übers Ziel hinaus…

Während der langen Hitserie gab es jedoch auch Momente, an denen die Motown-Macher ein wenig übers Ziel hinausschießen sollten – weil sie doch etwas zu sehr auf ein Vegas-Publikum abzielten. So lieferte der Marvin Gaye der Sechziger ein paar extrem sanfte „Jazzy“-Alben ab, die er sich womöglich hätte sparen können, und die Supremes sangen nicht nur Country-Songs, sondern auch etliche Stücke, die man eigentlich von den Beatles kannte. Wirklich innovativ war das nicht, keine Frage. Ebenfalls keine Glanzleistung von Gordy waren ein paar Neuzugänge, die sich gar nicht gut in den Trademark-R&B-Kanon des Labels einfügen sollten: Swing-Veteran Billy Eckstine war kurz unter Vertrag, ja selbst ein britischer Schauspieler wie Albert Finney zierte plötzlich Plattencover. Entscheidungen, die im Nachhinein nur noch deutlicher machen, dass Motown vor allem sich selbst treu bleiben musste, um weiterhin Erfolg zu haben.

Und dann war da ja noch die Sache mit den Sublabels: Rare Earth hieß eines davon, die Rocksparte, gegründet 1969. Mit Get Ready landete die gleichnamige Band, die übrigens auch heute noch aktiv ist (!), einen massiven Hit, was auch für ihre Version von (I Know) I’m Losing You galt. Auch Stoney & Meat Loaf waren dank Rare Earth indirekt bei Motown unter Vertrag, aber der große Erfolg von letzterem kam erst ein paar Jahre später – womit klar war: Die Leute wollten Soul hören, wenn Motown draufstand. Alles andere besorgten sie sich anderswo.

So eingängig die Melodien der klassischen Motown-Ära waren, gab es doch eine etwas knifflige Frage: Wie konnte man die Pop-DJs und Shops dazu bekommen, auch die deutlich politischeren Titel des Labels zu spielen und zu verkaufen? Der Trick bestand darin, dass Motown schon ab Anfang der Sechziger weiße Anwälte, Promoter und Sales-Fachleute engagierte – eine Entscheidung, die von Schwarzen Aktivist*innen durchaus kritisiert wurde. Da es jedoch keine in Stein gemeißelte Regel war, gab es schließlich auch immer häufiger Ausnahmen, und so traten die Künstler*innen und der Labelboss öfter selbst in Aktion: Motown-Stars spielten Instore-Gigs, Mr. Gordy schaute persönlich bei Vertriebsleuten, DJs und Shops vorbei, um die Sache anzukurbeln. Seine Message: „Wir sind ein offizieller Laden, keine Klitsche, die etwas Glück hatte mit ein paar Songs; auf uns könnt ihr zählen!“ – und das konnte man auch.

Gordon 1996. Foto: Kingkongphoto/Wiki Commons

Entertainment für alle

Als Motown schließlich ein Außenbüro in Großbritannien eröffnete, waren die Verantwortlichen so clever, die UK-Kolleg*innen selbst entscheiden zu lassen, was im Königreich unter der Motown-Flagge erscheinen sollte: Die Marke sollte so aufgebaut werden, dass sie zu den lokalen Marktgegebenheiten passte. Doch weil der Sound der ersten Jahre so einzigartig war, benutzten viele Brit*innen den Labelnamen schon beinahe wie einen Künstlernamen: Man hörte halt „Motown“ – oder „Tamla“ –, anstatt von den Miracles oder den Supremes zu reden.

Der Startschuss für die britische Dependance fiel 1965, und die UK-Kultsendung Ready Steady Go! widmete Motown auch gleich ein TV-Special. Inspiriert von den hohen Wellen, die dieses Special schlagen sollte, kümmerte sich Gordy auch daheim um mehr TV-Präsenz: Ein Resultat davon hieß TCB (für Taking Care of Business), ein hauseigenes Format, in dem ein paar Jahre später Diana Ross, The Supremes und The Temptations glänzten. Ein Comic-Format war es dann zu Beginn der Siebziger, das den Erfolg einer anderen Gruppe noch weiter ankurbelte: The Jackson 5ive hieß die (beinahe) gleichnamige Sendung, die sich über 23 Folgen erstreckte und dem Publikum mit jeder neuen Episode zwei neue Hits von Michael Jackson & Co. servierte.

Jede dieser Maßnahmen machte die Songs der Motown-Künstler*innen noch bekannter, und das Element, das sie verbindet – nennen wir es mal: Soul – hat immer wieder dazu beigetragen, Menschen zusammenzuführen, Vorurteile abzubauen, Rassenschranken obsolet zu machen. Funktionieren konnte das gerade deshalb so gut, weil Gordy und seine Künstler*innen eine Sache selbst bei den klar politischen Titeln nie aus den Augen verloren haben: den Unterhaltungs-Faktor. Den nämlich haben alle gespürt, ganz egal, welche Hautfarbe sie hatten…

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