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Popkultur

Motown Records: Vom Party- zum Protest-Sound einer ganzen Generation

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Das Label Motown feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag. Es waren sechs turbulente Jahrzehnte, in denen die einst in Detroit gegründete „Hitfabrik“ die Welt mit immer neuen Hitsingles versorgt hat – dabei war kein Jahrzehnt so turbulent wie die Anfangstage. Gerade wenn man wie Gründer und Labelboss Berry Gordy den „Sound Of Young America“ prägen und definieren wollte, musste man natürlich den Geschmack dieser jungen Generation immer wieder treffen. Nur änderte der sich radikal in jenen Tagen – Stichwort: Bürgerrechtsbewegung. Die 68er. Die chart- und tanzflächenerprobte Hitformel von Motown und die politische Agenda jener Tage gingen nicht immer Hand in Hand, aber wenn diese Elemente zusammenkamen, entstand etwas wirklich Explosives.

von Ian McCann

Im Januar 1959 gegründet, konzentrierten sich Berry Gordy & Co. mit Motown Records zunächst auf astreine Gute-Laune-Hits: Die Kids sollten zu den Aufnahmen, die in seiner Hitfabrik bekanntermaßen Tag und Nacht gemacht wurden, vor allem tanzen, sich amüsieren. Dancing In The Street hieß es denn auch 1964 bei Martha & The Vandellas – seit über 50 Jahren einer der größten Songs der Musikgeschichte, der nicht selten als Protesthymne angeführt wird. An die Straßenproteste, die bald darauf folgen sollten, hatten die Autoren dabei noch nicht gedacht.


Hört hier in die Playlist Motown: What’s Going On rein:

Für die ganze Playlist klickt auf „Listen“.

Krieg, Krisen und Umbrüche

Im Amerika der Sechziger gab es vieles, wogegen man Stellung beziehen und protestieren konnte: Rassentrennung, Polizeigewalt, mangelnde Chancengleichheit und natürlich den Vietnamkrieg, weshalb auch etliche Motown-Veröffentlichungen davon handelten, dass Sängerinnen ihre bessere Hälfte vermissten – die nämlich war Soldat und neuerdings am anderen Ende der Welt stationiert. You’re Gone (But Always In My Heart) hieß es 1967 bei den Supremes, bei Martha & The Vandellas im selben Jahr Jimmy Mack. Hier ist es der Marschrhythmus, der als Anspielung auf die US Army gelten darf. Waren Edwin Starrs Songs War und Stop The War Now im Jahr 1970 schon sehr viel klarer formuliert, fasste in jenen Tagen auch Marvin Gaye den Entschluss, das Thema Liebe ad acta zu legen und stattdessen auf Protest zu setzen.

Der viel zu früh verstorbene US-Musiker, der im Frühjahr 2019 seinen 80. Geburtstag gefeiert hätte, legte mit What’s Going On einen Album-Meilenstein vor, der seither von vielen als ultimatives Soul-/R&B-Protestalbum eingestuft wird. Die Tatsache, dass viele seiner Fans mit dem kritischeren Gaye dann doch nicht so viel anfangen konnten, sollte im Jahr 1972 dafür sorgen, dass das geplante Album zur Single You’re The Man in der Schublade landete – und es erst jetzt, mit fast 50 Jahren Verspätung erscheint. Mit dem romantischeren Let’s Get It On-Longplayer kehrte der damals 35-Jährige dann auch zurück zu anderen Themen, was ihm den größten Verkaufshit seiner ganzen Karriere bescheren sollte.

Früher oder später richteten die meisten Motown-Acts ihren Blick nicht mehr nur durch die rosarote Brille, sondern beleuchteten auch weniger schöne Themen – wie Drogenexzesse oder zerrüttete Familienverhältnisse (man denke etwa an Papa Was A Rolling Stone von den Temptations). Schon ab 1968 rückte besonders das Thema „zerrüttete Familien und häusliche Schwierigkeiten“ in den Fokus der Songwriter: So war beispielsweise der Song Love Child ganz bewusst den Supremes auf den Leib geschrieben worden, weil sie mit dieser Hymne über alleinerziehende Mütter den Zeitgeist der 68er transportieren sollten.



Songs In The Key Of Life

Gegen Ende des Jahrzehnts wurde es so gut wie allen Künstlern des Labels mindestens nahegelegt, sich doch auch mit jenen Themen zu befassen, die ein paar Jahre zuvor noch als eher unpassend und „haarig“ gegolten hätten. Der schon im zarten Alter von elf Jahren entdeckte und als einziger Künstler nach wie vor bei Motown unter Vertrag stehende Stevie Wonder spielte eine der wichtigsten Rollen auf dieser zunehmend politisierten Bühne. Ende der Sechziger wollte er das Label eigentlich verlassen, weil sich beide Seiten nicht mehr so ganz sicher waren, wie eine gemeinsame Zukunft aussehen konnte. Er blieb Barry Gordys Label erhalten – und sagte ab 1970 immer deutlicher, was er wirklich dachte. Schon auf Where I’m Coming From (1970) nahm er kein Blatt vor den Mund, und die darauf folgenden Karrieremeilensteine, angefangen bei Talking Book von 1972, über Songs wie He’s Misstra Know-It-All und Living For The City von Innervisions (1973), bis hin zu Village Ghetto Land und Pastime Paradise auf Songs In The Key Of Life (1976), sind allesamt von klaren politischen Ansagen geprägt.

Ein klares Highlight dieser Verschmelzung von Songwriting und politischem Aktivismus war ein Geburtstagsgruß: Die Single Happy Birthday, mit der Stevie Wonder ab dem Jahr 1980 jene große Kampagne anschieben sollte, die schließlich dazu führte, dass der Geburtstag des Bürgerrechtlers Martin Luther King im Jahr 1986 zum Feiertag in den Vereinigten Staaten erklärt wurde. Angekurbelt vom Erfolg der Single hatten sechs Millionen Menschen die Petition unterzeichnet – mehr als jede andere Petition in der US-Geschichte.



Das Black Forum

Auch wenn Stevie Wonders Happy Birthday als erfolgreichster politischer Song aus dem Motown-Backkatalog gelten muss, gab es schon ab den frühen Siebzigern ein eigenes Sublabel von Motown – Black Forum –, das noch klarer politisiert war: Spoken-Word-Aufnahmen von aufstrebenden Dichtern jener Tage waren das Spezialgebiet von Black Forum, u.a. das Album It’s Nation Time von Amiri Baraka (LeRoi Jones), das in der Tat sehr wenig gemein hatte mit den anfänglichen Popmelodien aus der Hitfabrik. Sogar Elaine Brown, die einzige weibliche Führerin der Black Panther Party, veröffentlichte mit Until We’re Free ihr zweites und letztes Studioalbum bei dem Sublabel. Allerdings sollte Black Forum im Jahr 1973, nach nur vier Jahren, schon wieder eingestellt werden.

Das Mutterschiff Motown, das dieser Tage seinen 60. Geburtstag feiert, setzte seinen Balanceakt zwischen Mainstream-Charterfolg und politischen Messages mit Veröffentlichungen wie People… Hold On (Eddie Kendricks) fort. Während manche Aufnahmen erst jetzt das Licht der Welt erblicken – wie die Archiv-Veröffentlichung von Marvin Gayes You’re The Man, mit dem das Label die Jubiläumsfeierlichkeiten einläutet –, laufen andere Motown-Klassiker seit Jahrzehnten rauf und runter. Sie sind dermaßen omnipräsent geworden, dass man beinahe vergessen könnte, wie neu und revolutionär ihre Inhalte ursprünglich waren. Weniger eingängig oder tanzbar macht sie das keineswegs.


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