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Popkultur

Hozier im Interview: „Ich möchte dem Publikum keine Gimmicks vorsetzen“

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Hozier
Foto: Julia Johnson

Auf seinem Album Unreal Unearth widmet sich der irische Singer/Songwriter Andrew Hozier-Byrne, besser bekannt unter dem Namen Hozier, einem der großen Gedichte der Menschheitsgeschichte: Dante Alighieris Inferno – dem ersten Teil der Göttlichen Komödie.

von Markus Brandstetter

Starker Tobak eigentlich – aber Hozier schafft es, daraus ein zeitloses, eingängiges und nicht verkopftes Werk zu schaffen, in dem er sich die Themengebiete des Gedichts hernimmt und in die Jetztzeit beziehungsweise die Zeitlosigkeit bringt. Wir sprachen mit ihm über sein bemerkenswertes Album und seinen Arbeitsprozess.

 Hier könnt ihr Unreal Unearth hören:

Dantes Inferno als thematischen Eckpfeiler für ein Album herzunehmen, ist durchaus ein abenteuerliches Konzept. Wie kam es dazu?

Dantes Inferno ist ein Gedicht, das ich immer irgendwie im Hinterkopf hatte. Jedes Mal, wenn ich eine Passage daraus las, wollte ich mich endlich mal hinsetzen und es mal ganz lesen. Dann kam die Pandemie und ich hatte plötzlich viel Zeit für mich. Es gab ein paar Gedichte, die ich unbedingt lesen wollte, Beowulf, Werke von Ovid und eben Dante. Ich setzte mich also hin und unternahm den Versuch, Inferno ganz zu lesen. Es gab einige Stellen, die sofort hängenblieben. Etwa die Zeile: „Through me you enter the population of loss“. Es war gerade eine Zeit, in der für so viele Menschen so viel potenzieller Verlust in der Luft hing. Menschen verloren ihre Beziehungen, verloren ihre Arbeit, verloren geliebte Menschen oder waren in Gefahr, geliebte Menschen zu verlieren. Der gesamte Kontext, wie wir unser Leben lebten, wie wir uns sozialisierten, ging in dieser Zeit verloren. Unter diesen neuen Umständen schien es, als ob viele der Themen bei Dante bei mir nachhallten.

Der Kosmos des Gedichtes dreht sich um die neun Kreise der Hölle. Wie bist du ans Schreiben herangegangen?

Als ich anfing, es zu schreiben, gab es noch viel mehr direkte Bezüge zum Text. Der erste Entwurf, einige der frühen Demos, bezogen sich spezifisch auf verschiedene Charaktere. Irgendwann habe ich auch versucht, ein Lied zu schreiben, das diese drei ineinander greifenden Reimschemata des Buches aufgreift. Ich fand dann aber, dass das einfach zu spezifisch war. Es war zu erzählerisch, schon fast wie Musiktheater. Das war der Zeitpunkt, an dem ich einen Schritt zurücktrat und beschloss, mich mehr auf die Themen in diesen Kreisen zu konzentrieren als auf den Text an sich. Ich befürchtete auch, dass ich die Leute von der Musik ausschließen würde, wenn ich mich in den Texten auf diese manchmal doch sehr obskuren Momente im Buch beziehen würde. Schließlich habe ich mich auf die generellen Themenkomplexe verlassen. Ich hatte eine grobe Vorstellung davon, was diese neun Kreise sind, ich wusste, dass ich in diesen Raum hinabsteigen wollte, und ich wollte, dass man aus ihm wieder herauskommt. Aber dann habe ich einfach darauf vertraut, dass ich mich den Themen dieser Kreise nähern und sie mit Referenzen hier und da würzen konnte.


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Bist du beim Schreiben manchmal zum Originaltext zurückgekehrt?

Manchmal tat ich das. Aber sobald ich die Entscheidung getroffen hatte, mich nicht mehr direkt auf den Text zu beziehen, hat mich das befreit. Ich hatte eine Vorstellung davon, welche Dinge ich behandeln wollte, was mich bewegt. Aber auch davon, was man auslassen kann. Es wäre zum Beispiel nicht wahnsinnig fesselnd gewesen, über den florentinischen Kaufmann im Buch zu sprechen. Der war zu Dantes Zeit relevant, aber nicht in unserer. Es gibt aber diese universellen Dinge, die auftauchen. Die Bestrafungen, diese wirklich erfinderischen, interessanten Bilder. Dantes Inferno ist ja sehr visuell.

Gab es Themenkomplexe, deren Beschreibung dir leichter fielen als andere?

Ich bemerkte, dass ich für einige Themenbereiche mehr als einen Song hatte. Für den Kreis der Gewalt hätte ich durchaus mehr gehabt, auch für jenen der Ketzerei. Bei diesen Kreisen der Hölle kommt es auch darauf an, wie man diese interpretiert. Wie definiert man etwa den Begriff Ketzerei – nimmt man die ursprüngliche Bedeutung oder überträgt sie in aktuelle Gefilde? Ich würde nicht sagen, dass manche Themengebiete schwieriger zu beschreiben waren – es war eher die Auswahl, die manchmal kniffliger war.

Besonders bemerkenswert finde ich den Song Butchered Tongue, in dem es um den Verlust der eigenen Sprache und damit auch der Identität geht. 

Butchered Tongue reflektiert aus meiner Perspektive die irische Geschichte und den Verlust der irischen Sprache. Was steckt hinter der Zerstörung, der Illegalisierung, der Dekonstruktion einer Sprache? Was sind die ausschlaggebenden Momente? Und wie lässt sich das auf andere Teile der Welt übertragen? Ich reiste durch andere Teile Nordamerikas und Australiens, fragte Leute nach der Bedeutung von Ortsnamen in ihrer ursprünglichen Sprache. Viele wussten es gar nicht mehr und das fand ich bezeichnend. In Irland gibt es so viele Ortsnamen mit jeder Menge Geschichte dahinter, derer wir uns gar nicht mehr bewusst sind. Wir haben aber eine sehr gut dokumentierte Geschichte, die Quellen sind alle da. Es gibt diese Schatzkiste immer noch – und sie ist uns zugänglich. Viele Kulturen haben dieses Glück nicht mehr.

Du singt zum ersten Mal auf Irisch. Wie war das für dich?

Es hat wirklich Spaß gemacht. Ich war super stolz, dass ich das gemacht habe. Ich habe aufgehört, die irische Sprache zu lernen, als ich die Schule verlassen habe. Für die Übersetzungen habe ich mir Hilfe geholt, um sicherzugehen, dass sie hundertprozentig akkurat sind. Es war eine tolle Erfahrung, in Los Angeles mit einem Gospelchor diesen Song aufzunehmen und ihnen die Phonetik, die Aussprache und die Bedeutung dessen zu erklären, was wir gerade singen. Es war ein toller Austausch und es ist schön, weit weg von Zuhause zu sein und dem Publikum dabei zuzuhören, wie es Irisch singt.

Deinen Durchbruch hast du 2013 mit dem Song Take Me To Church gefeiert, hast seitdem eine bemerkenswerte Karriere hingelegt – und warst mit anspruchsvoller Musik sehr erfolgreich. Das ist schon bemerkenswert.  

Das macht mich sehr glücklich: Dass ich die Musik rein aus Liebe und nach meinen Vorstellungen und Bedingungen gemacht habe. Ich habe immer das gemacht, was sich zum jeweiligen Zeitpunkt gut angefühlt hat. Es kann hart sein, eine konsequente, langlebige Karriere aufzubauen. Ich wollte dem Publikum einfach keine Gimmicks vorsetzen, sondern ehrlich und authentisch sein. Ich bin sehr glücklich, dass ich auf der ganzen Welt ein Publikum gefunden habe, das auf dieser Reise mit dabei ist.

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