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Popkultur

Ist Phil Collins wieder cool?

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Elsa/Getty Images

Vor wenigen Wochen spielte Phil Collins im Zuge seiner erfolgreichen Still Not Dead Yet-Tournee ein Konzert in Berliner Olympiastadion – und sorgte auch in unserer Redaktion für Begeisterung (wir berichteten). Der 68-Jährige erlebt seit einigen Jahren eine Art Renaissance, an die er vielleicht selber schon nicht mehr geglaubt hatte. Nichts als Liebe für Phil von (fast) allen Seiten – dabei war das längst nicht immer so.

von Markus Brandstetter

Lange Zeit schrillten bei der Popkultur-Polizei nämlich die Alarmglocken, wenn es um das Thema Phil Collins ging. Phil Collins? Für viele der Pop-Teufel der 1980er-Jahre, das Gegenteil vermeintlich zeitgemäßer Coolness – – und zwar eines, das man mit Ironie und Spott behandelte. Aber warum eigentlich sollte einer der größten Songschreiber des Pop, der noch dazu am Schlagzeug brillierte und einen eigenen Sound prägte, als geschmähte Figur in die Geschichtsbücher des Pop eingehen?

Phil war überall.

Den Grund könnte man an mehreren Orten suchen. Da ist zum einen die Sache mit dem inflationären Erfolg. Denkt man an die 1980er-Jahre, fallen einem wenig erfolgreichere Künstler ein als Collins. Man kam um ihn nicht herum: Nicht nur, dass er mit Genesis in der ersten Liga spielte – er startete auch eine Solo-Karriere, mit der er sogar noch erfolgreicher war. Kein Jahr ohne Nummer-Eins-Hit, keine Radiostunde ohne seine Musik.

Phil war wie wir.

Vielleicht bot Phil auch optisch ein gutes Feindbild oder eine Projektionsfläche, denn er sah nicht glamourös und überirdisch aus wie die Rockstars jener Zeit. Vielmehr wirkte er – klein, lichtes Haar – wie ein Buchhalter, wie einer „von uns“. Nur dass er, im Gegensatz zu „uns“ auf Stadionbühnen stand, Millionen verdiente – und dabei freundlich und harmlos aussah. Damit bot er vielen sowohl Projektions- als auch Angriffsfläche.

Status: Popstar. Outifit: Steuerberater. Phil Collins 1982 in Chicago. Foto: Paul Natkin/WireImage

Von Phil konnte man sich leicht distanzieren.

Collins war, genau wie die Dire Straits und Zeitgenossen, in den Augen vieler ein Act, von dem man sich, wenn man das wollte, wunderbar distanzieren konnte, um sich selbst zu positionieren. Ein Dinosaurier-Act, ein Popstar für Steuerberater: So oder so ähnlich spotteten viele. Phil Collins passte für sie eben nicht in ihre Vorstellung von Coolness – ganz besonders, als die 1980er-Jahre vorbei waren.

„Phil Collins hat Genesis ruiniert!“

Es gab wohl auch einige, die Collins nicht mochten, weil er in ihren Augen Genesis zwar in kommerzielle Höhen, aber in den kreativen Abgrund geführt hatte. Nicht als Schlagzeuger – als solcher steht Collins auch bei den meisten Genesis-Puristen außer Frage –, sondern als Sänger. Denn spätestens als Genesis mit I Can’t Dance einen Mega-Hit landeten, stiegen viele Fans der alten Prog-Rock-Version der Band aus, und fanden, Genesis klängen mittlerweile wie Collins solo.

Genesis In Bildern: 1970-1975

Die Wiederentdeckung von Collins

Als der Autor dieses Artikels 2016 das Vergnügen hatte, Collins zum Gespräch in der Schweiz zu treffen, sprach dieser – damals noch vor dem großen Live-Comeback – von seiner Freude darüber, von jungen Künstlern wiederentdeckt zu werden. „Ich habe mich schon langsam mit der Idee angefreundet und habe auch immer wieder gelesen, dass die Leute mich neu entdecken oder mich als Einfluss für ihre Musik nennen. Junge Künstler, neue Künstler. Pharrell sagte, dass er ein großer Fan ist, Alicia Keys und Beyoncé ebenso – und auch Adele wollte mit mir arbeiten“, so Collins damals. „Es gibt eine Wiederentdeckung von Phil Collins. Vielleicht wissen sie auch nicht, wie unhip ich damals war, hören die Musik und denken sich, das ist doch gar nicht so schlecht.“

Auch Rapper und Hardrocker zollen Collins Tribut

Auch Ice-T, von dem man nicht unbedingt eine Affinität zur Musik des gebürtigen Briten erwarten würde, äußerte sich mehr als wohlwollend über ihn. Collins sah in einer Dokumentation über den Rapper, wie ein Journalist dessen Plattenregal durchforstete, eine LP herauszog und plakativ ungläubig fragte: „Phil Collins?“ Ice-Ts Antwort: „Hey, don’t mess with my Phil.“ Collins selbst zeigte sich begeistert: „Ich dachte nur, ‘Mein Gott, hat das sonst noch jemand gesehen?’ Es fühlte sich toll an, in dieser Community respektiert zu werden.“

Eine Respektsbekundung aus einem ganz anderen musikalischen Dunstkreis ist schon etwas länger her – nämlich als die Süddeutsche Zeitung 2009 den mittlerweile verstorbenen Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister fragte, ob er die Gegenthese zu Phil Collins sei. „Man würde meinen, dass sich so einen Mist nur Journalisten ausdenken können“, wetterte Kilmister zuerst – und streute Collins Rosen: „Collins ist ein großer Drummer. Er hat ’n paar große Songs geschrieben. Das ist wohl etwas mehr, als die meisten von uns von sich behaupten können, oder?“

… und jetzt ist alles anders?

Wenn jüngere Generationen die Musik von Collins aufgrund von Empfehlungen von Kalibern wie Pharrell und Beyoncé entdecken, erleben sie seine Musik möglicherweise ohne den geschmäcklerischen Ballast und ohne die dekadenspezifische Distanzierung. Collins’ Musik läuft zwar noch oft genug im Radio, man entkommt ihr aber auch – im Gegensatz zu damals. Prinzipiell gilt nämlich natürlich auch: Je präsenter etwas ist, desto mehr zeigen sich Leute genervt davon, egal ob die Protagonisten Phil Collins, Ed Sheeran, U2 oder wie auch immer heißen.

Ist Phil Collins jetzt also wieder cool?

Das hängt ganz banal gesagt davon ab, ob man ihn zuvor cool oder uncool gefunden hatte. Collins’ ist immer noch das, was er seit jeher war: ein großer Songschreiber, ein exzellenter Schlagzeuger (der aufgrund körperlicher Leiden nicht mehr spielen kann) und ein charismatischer Sänger, der die 1980er-Jahre geprägt hat wie wenige andere. Ob man nun ganz subjektiv Enthusiasmus oder Aversion gegenüber Collins hegt, sei jedem selbst überlassen. Im übrigen tut man als mündiger Musikhörer ohnehin gut daran, seinen persönlichen Geschmack nicht zu sehr nach dem allgemeinen Coolness-Kanon auszurichten. Darauf erstmal eine Runde Dire Straits.

Zeitsprung: Am 13.7.1985 spielt Phil Collins auf zwei Kontinenten.

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