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Popkultur

Krautrock: 10 Einführungen in die kosmische Musik

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Tangerine Dream im Jahr 1973. Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

Unter dem irreführenden Namen Krautrock tummeln sich in den ersten Jahren der Siebziger einige der innovativsten Bands, die Deutschland je hervorgebracht hat. Wir haben zehn essentielle Krautrock-Monumente zusammengetragen. Und schweben immer noch.

von Björn Springorum

Der Begriff

Schon die Begrifflichkeit ist eine Beleidigung. Augenzwinkernd gemeint, aber dennoch so gar nicht zielführend: Krautrock, da denkt man doch eigentlich an Schunkelei, Mitklatschen, Grölen, reichlich Bier. Und da fängt‘s ja schon an: Mitklatschen ist nämlich nicht bei dieser musikalischen Strömung, die in den späten Sechzigern das Pop-Diktat überwindet und aus Avantgarde, Jazz, früher Elektronik und psychedelischem Rock große Kunst schmiedet. Ist natürlich eine englische Erfindung, der Name, und geht wahrscheinlich auf den Radio-DJ John Peel zurück.

Tut der Einzigartigkeit und Einmaligkeit dieser Musik keinen Abbruch: Geboren aus der linken Kunst- und Studentenszene in Städten wie Düsseldorf oder München streben die Musiker*innen eine strikte Abkehr von allem ab, was es in Deutschland davor gab – in einem Land also, das vor kaum 25 Jahren den Krieg verlor und die Schrecken des Holocaust noch vor Augen hat. Mit geistigen Vätern wie The Velvet Underground, Karlheinz Stockhausen, Joseph Beuys oder den Studentenprotesten entsteht eine neue Musik, deren frei fließende Form der Interpretation für den Beinamen kosmische Musik gesorgt hat. Diese zehn Beispiele zeigen Freiheitsdrang, Erfindergeist und das Können dieser Akteure besonders gut.

1. Can – Yoo Doo Right

(von Monster Movie, 1969)

Der Fußabdruck, den Can in der Avantgardemusik hinterließen, ist kaum zu füllen. Als Keyboarder Irmin Schmidt 1966 von einer New-York-Reise nach Köln zurückkehrt, ist er infiziert mit den grenzenlosen Möglichkeiten der dortigen Musikszene. Die Grenzen zwischen Pop, Jazz, Avantgarde und Kunst scheinen zu verschwimmen im Chelsea Hotel und Andy Warhols Factory, in der Musik von The Velvet Underground. Er gründet mit Bassist Holger Czukay die Band Can, nimmt das Album  Prepared to Meet Thy Pnoom auf und erhält von jedem Label eine Absage. Die Welt ist wohl noch nicht bereit für Can, also schreibt die Band eine zugänglichere Platte und nimmt sie im Juli 1969 auf Schloss Nörvenich im Kreis Düren auf. Wie „zugänglich“ Can sind, beweist das 20-minütige Yoo Doo Right, das die komplette B-Seite einnimmt und aus repetitiver Percussion, psychedelischen Melodien und dem mantraesken Gesang von Sänger Malcolm Mooney besteht. Immerhin: Die Nummer wurde von einer sechsstündigen Improvisation auf 20 Minuten eingedampft. Da habt ihr zugänglich!

2. Amon Düül II – Archangel Thunderbird

(von Yeti, 1970)

Die zweite Platte von Münchens linker Kommune Amon Düül II ist für viele die Krautrock-Offenbarung schlechthin. Auf vier Seiten verteilen sich fast 70 Minuten psychedelische, seltsame, den Grundpfeilern der Realität entflohene Musik, perfekt visualisiert im merkwürdigen Covermotiv des Fotografen Wolfgang Krischke, der im Zuge eines LSD-Trips an Unterkühlung gestorben war. Unter vielen expressionistischen und improvisierten Songs wirkt Archangel Thunderbird fast schon konformistisch, in seiner entrückten Aura dennoch unheimlich. All das ist 1970 ein bewusster Bruch mit allem, was es in Deutschland davor gab. Und  der Gesang von Renate Knaup, der schwebt bis heute wie eine schwer zu fassende Vorahnung über den Dingen.

3. Embryo – You Don‘t Know What‘s Happening

(von Opal, 1970)

Die Münchener Embryo unter der Leitung von Visionär Christian Burchard zeigen auf Opal von 1970 exemplarisch, wie nah sich Krautrock, Jazz, Neue Musik und Funk waren und sind. Zwischen furios aufwallenden Freez-Jazz-Wällen finden sich psychedelische Perlen wie You Don‘t Know What‘s Happening, ein Song, dessen Vocals merkwürdigerweise ein wenig so klingen wie der heutige Paul McCartney. Der Rest ist ein Trip, auf den selbst Pink Floyd neidisch wären – und nur der Anfang einer langen Reise als Klangkollektiv, bei der bis heute über 400 Musiker*innen mitwirkten.

4. Guru Guru – Stone In

(von UFO, 1970)

Fast unmöglich, einen Song auf der wahnwitzig genialen ersten Guru-Guru-Platte UFO hervorzuheben. Alles, jeder Ton, jede Harmonie, jeder Beat, gehört zusammen, angefangen beim treffenden Albumtitel bis hin zum abschließenden Der LSD-Marsch, durchaus so was wie der Hit der Platte. Der Rest ist die Vertonung eines werdenden Sterns, Einswerdung mit dem Kosmos, ein Ritual, dem man in seiner spacigen Gänze lauschen muss. Der Opener Stone In fungiert da wunderbar als Einführung in den Krautrock: Verzerrte Gitarren, Sabbath-Feeling, schleppend und klagend, dumpfe Drums, monoton operierender Bass… da braucht es nicht mal Gesang für vernebelte Bilder im Kopf.

5. Kraftwerk – Ruckzuck

(von Live On Radio Bremen, 1971)

Für die meisten mag die Karriere von Kraftwerk erst mit Auotbahn (1974) ins Rollen (höhö) gekommen sein; da haben die deutschen Elektro-Pioniere aber schon drei Platten veröffentlicht und jede Menge obskure, unvergessliche Livekonzerte gespielt. Wie das 1971 für Radio Bremen zum Beispiel. Highlight dieses Auftritts ist natürlich Ruckzuck, eines der außergewöhnlichsten und spannendsten Stücke (nicht nur) der deutschen Musikgeschichte. Die Flöte, die Gitarren, die Rhythmen – ein rauschhaftes Erlebnis.

6. Ash Ra Tempel – Light: Look At Your Sun

(von Schwingungen, 1972)

Bandname und Albumtitel sagen schon alles: Schwingungen von Ash Ra Tempel führt 1972 tief hinein in die Geheimnisse des Kosmos. Der Opener Light: Look At Your Sun, ein wunderbar wogender, jenseitiger Trip-Begleiter punktet mit verwunschener Stimmung und einem wunderbaren Tribut an Peter Greens Albatross. Was soll da noch schiefgehen?

7. Faust – Jennifer

(von Faust IV, 1973)

Faust gelten im Ausland gemeinhin als bekannteste Krautrock-Vertreter. Das lag einerseits an einem Marketing-Coup von Virgin, die ein unfassbar schwer zugängliches Album zum Preis einer Single verhökerten; andererseits an ihrer vierten Platte Faust IV, das im direkten Vergleich fast schon ein Pop-Album mit kruden Einfällen und wirrem Zappa-Humor war. Höhepunkt ist Jennifer, ein morbide anschwellender, hypnotischer Song, der den Grunge fast um zwei Jahrzehnte vorweg nimmt.

8Walter Wegmüller – Der Herrscher

(von Tarot, 1973)

Auf so Ideen kann auch nur die kosmische Musik kommen: Mit Tarot vertont Walter Wegmüller 1973 die 22 Karten eines Tarot-Decks in 22 Songs. Dafür hat sich der Schweizer Wegmüller mit Klaus Schulze, Mitgliedern von Wallenstein und Witthüser & Westrupp zusammengetan, um eine Art Supergroup der Andersartigen zu formen und sich nach allen Regeln der Kunst auszuleben. Das ist mal surreal, mal verkopft und manchmal so geradeheraus rockig wie bei Der Herrscher. So viel Talent auf einem Haufen!

9Tangerine Dream – Phaedra

(von Phaedra, 1974)

Undenkbar wäre eine solche Liste ohne die kosmische Anmut von Tangerine Dream. Deren zweites Album Phaedra müsste in jedem Kunstmuseum hängen – selten war Musik so kosmisch, so den Sphären nah wie auf diesem Epos von 1974. Der Titeltrack des Suite, knapp 18 Minuten lang, nimmt mit auf eine elektronisch blubbernde Reise ins All, dunkel, ominös, ein Aufeinandertreffen von Moog und Mellotron in der Endlosigkeit des Kosmos. Erhebend.

10. La Düsseldorf – La Düsseldorf

(von La Düsseldorf, 1976)

Eine Krautrock-Liste ohne die Erwähnung der Stadt Düsseldorf und die nach ihr benannte Schule der Musik? Geht nicht. Nachdem der ehemalige Kraftwerk-Schlagzeuger Klaus Dinger schon mit Neu! Akzente zu setzen wusste, bildet er mit La Düsseldorf eine Nachfolgeband, die auch auf David Bowie großen Eindruck machen wird. Deren erstes, selbstbetiteltes Album von 1976, vereint im Titeltrack punkige Ansätze mit wohldosierter Monotonie, industriellem Scharren und expressionistischen Gesangsbildern.

Die musikalische DNA von Kraftwerk

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