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Popkultur

25 Jahre „New Adventures In Hi-Fi“: REMs großes amerikanisches Album

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Foto: Anna Krajecone/ Michael Ochs Archives/Getty Images

1996 gelingt REM mit dem ahnungsvollen New Adventures In Hi-Fi ihr größter Geniestreich. Auch 25 Jahre später ist das Album ein tiefer Blick in die amerikanische Seele, auf Augenhöhe mit Dylans oder Springsteens mächtigsten Amerika-Mythen.

von Björn Springorum

Hier kannst du New Adventures In Hi-Fi hören

1996 erklimmen R.E.M. neue künstlerische Höhen. Am 6. September 1996 erscheint mit New Adventures In Hi-Fi ein ganz und gar umwerfendes Album mit einem Narrativ, für das man literarische Vergleiche heranziehen muss. Tun wir es also: Wenn Automatic For The People das Wem die Stunde schlägt der US-amerikanischen Rockmusik ist, dann ist New Adventures In Hi-Fi mindestens Der alte Mann und das Meer. Der Vergleich mit dem US-amerikanischen Literaturtitanen Ernest Hemingway kommt nicht von ungefähr. Auf ihre Weise sind R.E.M. das musikalische Gegenstück zum großen amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts, eine Charakterstudie des Lebens in diesem weiten Land, das wohl nie zur Ruhe kommen wird.

Geschrieben auf der Straße

R.E.M.s zehnte Platte entsteht auf ganz und gar untypische Weise. Nach der Veröffentlichung von Monster verbringt die Band das gesamte Jahr 1995 auf Tour – ihre erste Konzertreise seit geschlagenen sechs Jahren, auf der eine Menge schief läuft. Erstmals nutzen R.E.M. das viele Reisen, Warten und Herumlugern für Songwriting-Sessions und Aufnahmen zu einem potentiellen Nachfolger. Es geht ihnen um das Konservieren dieses Gefühls zwischen zwei Orten. Nicht mehr da, noch nicht dort – unterwegs auf Straßen, die kein Ende nehmen. „Ich wollte Live-Aufnahmen mit Studioarbeit vermischen, dass man am Ende nicht mehr hört, welcher Song wie aufgenommen wurde“, sagt Sänger Michael Stipe 1996 dazu. „Das Ergebnis war ein neuer R.E.M.-Sound.“


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Aufgenommen in Badezimmern

Erfunden hat man diesen Prozess natürlich nicht. Vielmehr schauen sich R.E.M. das Arbeiten on the road von Radiohead ab, die einen Teil der Tour als Support-Band begleiten. Aufgenommen in verschiedenen Studios entlang des Weges, in den Konzerthallen oder Badezimmern (!), ist New Adventures In Hi-Fi ein losgelöstes Werk, auf dem gleich mehrere Songs davon handeln, unterwegs zu sein, fern von zuhause. Im Bad Animals Studio in Seattle schließlich entstehen noch vier weitere Songs – darunter der beschwörende Opener How The West Was Won And Where It Got Us. Schlagzeuger Bill Berry (der nach Veröffentlichung dieses Albums ausstieg) erinnert sich: „Eines Tages lief ich mal in den Kontrollraum des Studios, als ich an Mike [Mills] vorbeikam, der auf dem Piano so eine kleine Melodie vor sich hinspielte. Nichts großes, aber ich blieb und setzte mich an die Drums. Ich hatte da so ein Gefühl. Was wir nicht wussten: Das Aufnahmegerät lief. Daraus entstand How The West Was Won And Where It Got Us, eindeutig mein Lieblingssong auf dem Album.“

Duett mit Patti Smith

Stipe dürfte einen anderen Favoriten haben: Auf E-Bow The Letter, dem vielleicht schönsten R.E.M.-Song überhaupt, singt er Seite an Seite mit seiner großen Heldin Patti Smith. Mike Mills erinnert sich: „Sie kam auf dieser Tour zu einigen unserer Konzerte und wir lernten uns kennen. Eingefädelt wurde das Ganze aber von unserem Produzenten Scott Litt.“ Ein Kniefall ist angebracht: Die Kombination aus Stipes aufgebrachter, dringlicher Performance, Smiths beschwörendem Gesang und dem Text über Stipes Freund River Phoenix machen E-Bow The Letter zu einem aufwühlenden Folk-Klagelied.

Überhaupt ist New Adventures In Hi-Fi überaus folkig geprägt, knietief in der Tradition US-amerikanischer Musikgeschichte und inspiriert von Neil Youngs furiosem Live-Kunststück Time Fades Away von 1973. Ein Nationalepos, dessen Held kein übermächtiges Wesen ist, sondern jeder einzelne von uns. Ein Aufbruch ins Ungewisse, entstanden auf staubigen Highways und in Motels, getragen von der Magie des Westens und der Endlosigkeit dieses rätselhaften Landes. R.E.M. vermessen darauf nicht nur ihre eigene Karriere, sondern gleich den Rock’n’Roll neu. Sie tauchen ihn in den amerikanischen Mythos, machen ihn zu einer Fabel der endlosen Landstraße und Nebencharaktere wie es sonst nur den großen amerikanischen Romanen des 20. Jahrhunderts gelang. Und verlieren große, griffige Songs nicht aus den Augen, wie auch das abschließende Electrolite beweist.

Nackter Hintern für Bob Dole

Komplett ist die Geschichte von New Adventures In Hi-Fi aber nur mit dieser Anekdote: Als R.E.M. mal mit einem Privatjet von einem Flughafen bei Seattle starten wollen, steht auf dem Rollfeld auch die Maschine des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Bob Dole. Michael Stipe fackelt nicht lang, springt aus der Maschine, rennt über das Rollfeld, dreht sich um und entblößt Dole seinen nackten Hintern. Mooning nennt man das auf englisch. Aber mit Man On The Moon hat das jetzt wirklich nichts zu tun.

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