Popkultur
Sie waren die Champions: Der majestätische Rock von Queen in den 70ern
Die wenig bescheidene Aussage, dass Queen “der Cecil B DeMille der Rockmusik [sein] und immer alles noch größer und besser machen” wollten, wird sowohl Freddie Mercury als auch Roger Taylor zugeschrieben. Und beide können wohl von sich behaupten, dieses Ziel erreicht zu haben. Als Gruppe erarbeiteten sich Queen in den 70ern einen Ruf als mutigste und erfolgreichste Band aller Zeiten.
von Martin Chilton
Die Anfänge waren allerdings wenig verheißungsvoll. 1967 gründete Gitarrist Brian May die Band Smile. Freddie Mercury, der bis dahin in einer Heavy Metal Formation namens Wreckage war, ersetzte 1970 den Sänger Tim Staffell, und wenig später änderte die Gruppe mit Roger Taylor am Schlagzeug ihren Namen in Queen. Mercury war damals 24 Jahre alt und erinnerte sich später: “Der Name war meine Idee. Es ist nur ein Name, aber er klingt königlich und grandios, und er wird weltweit verstanden. Auch visuell konnte man damit viel machen und man kann alles Mögliche hineininterpretieren.”
Ihr könnt nicht genug von Queen kriegen? Hört hier in unsere Bohemian Rhapsody-Playlist rein:
Mit dem Soundtrack zum Film, den größten Hits und spannenden Coverversionen. Klickt auf “Listen” für das volle Vergnügen.
“Wir wollten nicht wie irgendeine beliebige Band behandelt werden”
Im Laufe des folgendes Jahres probierten Queen verschiedene Bassisten aus und ließen sich viel Zeit mit der finalen Entscheidung für das letzte noch fehlende Mitglied der Band, mit der sie zu Weltruhm aufsteigen wollten. Schließlich fiel die Wahl auf John Deacon, der auf seinen College-Abschluss in Elektronik hinarbeitete. Ihr erster Auftritt in der Besetzung, mit der sie die nächsten 15 Jahre weltweit live spielen würden, fand am 2. Juli 1971 statt. Queen waren eine gebildete Band. Neben John stand der diplomierte Grafikdesigner Freddie Mercury, Biologe Taylor und der ebenfalls diplomierte Astrophysiker Brian May auf der Bühne. Was sie einte war ihre Begeisterung für Rock’n’Roll, Glam und Glitzer, Progrock und Comedy.
Berichten zufolge fand dieser erste gemeinsame Auftritt im West Surrey College Of Art And Design in der Nähe von Guildford statt und dank ihres Sounds, Mercurys Bühnenpräsenz und seiner einzigartigen Stimme spürte das 70-köpfige Publikum sofort, dass diese Band etwas Besonderes war. Im Anschluss spielten Queen ihre erste Tour, die aus elf Terminen in Cornwall bestand.
Die nächsten zwei Jahre ließ sich die Band Zeit, um einen Plattenvertrag unter Dach und Fach zu bringen. Mercury erzählte, dass sie sich schon bei ihrem ersten Demo “im Klaren darüber waren, dass es viele schwarze Schafe” gibt und deshalb nichts überstürzen wollten. “Wir sind wirklich zu so ziemlich jedem Label gegangen, bevor wir uns entschieden haben. Wir wollten nicht wie irgendeine beliebige Band behandelt werden”, sagte er.
1973 unterschrieben Queen einen Vertrag mit Trident/EMI und im Juli desselben Jahres erschien ihr selbstbetiteltes Debütalbum. Produziert wurde es von John Anthony und Roy Thomas Baker und auf der Trackliste befand sich u. A. der von Gitarrenvirtuose Brian May geschriebene Track Keep Yourself Alive sowie eine kurze, instrumentale “Skizze” von Mercury, mit dem Titel Seven Seas Of Rhye.
Auf ihrem zweiten Album Queen II tauchte der Song mit einem breitwandigeren Sound, verschachtelten Gesangsharmonien und neuem Text wieder auf. Er endet in dieser Version mit einem kurzen Ausschnitt von I Do Like To Be Beside The Seaside und brachte der Band ihren ersten Charterfolg: am 9. März 1974 stieg Seven Seas Of Rhye in die Charts ein und kletterte schließlich bis auf Platz 10.
Es hat die Rock- und Popmusik komplett verändert
Mit der Single Killer Queen – einem extravaganten und innovativen Track, allerdings mit einfacheren Harmonien – von ihrem nächsten Album Sheer Heart Attack schaffte es die Band im Oktober 1974 schon auf Platz 2 der Charts und feierte ihren ersten US-Hit. Der Song über eine Edelprostituierte hatte genau die Energie, für die Queen bald weltweit bejubelt wurden. “Man erwartet fast, dass Noël Coward singt”, scherzte Mercury, der auf dem Albumcover mit Brusttoupet abgebildet ist. May fand, dass dieser Song ein “Meilenstein” auf der Suche nach ihrem eigenen Sound war.
Auf Sheer Heart Attack zeigte sich auch die Detailverliebtheit der Band: May, der gerade eine Infektion des Arms auskurierte, arbeitete drei Tage lang alleine an dem mehrschichtigen Gitarrenpart für Killer Queen mit insgesamt zwölf Overdubs. Zu den anderen Highlights des Albums gehört das melodische Lily Of The Valley, das grungige Stone Cold Crazy und der Track Bring Back That Leroy Brown, der mit lockerem Klavier und Ukulele-Banjo Queens Vielseitigkeit nochmal unterstreicht.
Nachdem die Band einige Zeit erfolgreich auf Tour war, nahm sie das fantastische Album A Night At The Opera auf. Der vielsagende Opener Death On Two Legs (Dedicated To…) war Freddie Mercurys Abrechnung mit ihrem früheren Manager. Das Album wurde im Frühherbst 1975 in fünf verschiedenen Studios, inklusive dem Olympic, aufgenommen und war das bis dato teuerste Album aller Zeiten. Benannt wurde es nach einem Marx Brothers-Film, den die Band gemeinsam gesehen hatte.
Der George Formby-Pastiche Good Company ist zwar sehr unterhaltsam, aber das absolute Prunkstück des Albums ist das sechsminütige, von Freddie Mercury geschriebene Meisterwerk Bohemian Rhapsody. Mercury sang mit einer unfassbaren Ausdruckskraft und schichtete den Gesang so oft übereinander, bis sie wie ein Chor klang und die Worte “Mama mia”, “Galileo” und “Figaro” die Oktaven hoch- und runterhüpften. Björn Ulvaeus von ABBA sagte: “Als ich Bohemian Rhapsody hörte, wurde ich grün vor Neid. Es war wahnsinnig einfallsreich und originell und hat die Rock- und Popmusik komplett verändert.”
Außerdem beauftragte die Band den Regisseur Bruce Gowers damit, ein bahnbrechendes Video zu dem Song zu drehen. Es kostete £3.500, dauerte ganze drei Stunden und war ein Paradebeispiel für großartiges Rockmarketing – mit überraschenden Kameraperspektiven in Freddie Mercurys Lieblingspose a la Marlene Dietrich und einem durchgehend psychedelischen Look. Die Band hatte riesigen Spaß bei dem Dreh und Gowers erinnerte sich: “Wir fingen um 7.30 Uhr an, waren um 10.30 Uhr fertig, und 15 Minuten später saßen wir im Pub.”
Die Plattenfirma war zuerst dagegen, Bohemian Rhapsody als Single zu veröffentlichen, aber die Band bestand darauf, dass es die richtige Wahl war. Wahrscheinlich schadete es nicht, dass der Radio DJ Kenny Everett den Song an einem Wochenende 14 mal spielte und damit den Hype entfachte, der die Single letztendlich auf Platz 1 der britischen Charts katapultierte, wo sie sich neun Wochen lang hielt und damit einen neuen Rekord aufstellte. Auf der B-Seite befand sich Roger Taylors weniger bombastischer Song I’m In Love With My Car, der 40 Jahre später in einer Werbekampagne für Jaguar wieder auftauchte.
We will rock you
Alles, was Queen nun machten, war überbordend und beeindruckend – eben auf Cecil B DeMille-Niveau. Im Sommer 1976 spielten sie im Londoner Hyde Park vor 150.000 Menschen. Im Dezember veröffentlichten sie ihr Album A Day At The Races, dessen Titel wieder von einem Marx Brothers-Film stammte. Das Album wurde mit einer Promoaktion auf der Pferderennbahn Kempton Park gelauncht und enthielt den Megahit Somebody To Love – einem von der verstorbenen Aretha Franklin inspirierten und sehr ambitionierten Song, für den die Band ihre Stimmen auf mehreren Spuren aufnahm, um einen Gospelchor-Effekt zu erzielen. Das Publikum war begeistert und schickte die Single auf Platz 2 der Charts.
Gleichzeitig erreichte die Band ein Brief aus Amerika, der sie sehr glücklich machte: Als sein Filmcharakter Dr Hugh Z Hackenbush schrieb ihnen Groucho Marx, um ihnen mitzuteilen, dass ihr Erfolg seiner Meinung nach mit ihrer “klugen Auswahl der Albumtitel” zusammenhing. Später, bei einer Reise nach Amerika, traf die Band Groucho persönlich, überreichte ihm eine gerahmte goldene Schallplatte und spielte für ihn den Song 39 auf einer seiner eigenen Gitarren.
Als der Punk in Großbritannien Fuß zu fassen begann, wandten sich Queen mit ihrem 1977er Album News Of The World einem härteren Rocksound zu. Das Album wurde von Mike Stone co-produziert und enthielt u. A. die Rockhymnen We Will Rock You und We Are the Champions. Mittlerweile dominierten Queen den Stadionrock wie keine andere Band: Sie spielten lukrative, weltweite Tourneen, machten legendäre Videos und ihre Plattenverkäufe gingen parallel zu ihrer Popularität als Liveact durch die Decke. David Bowie zollte Freddie Mercurys Bühnenpräsenz mit diesen Worten Tribut: “Von allen theatralischen Rockkünstlern, hat Freddie es am weitesten getrieben – bis auf die Spitze und darüber hinaus. Und natürlich finde ich es immer großartig, wenn ein Mann Strumpfhosen trägt. Ich habe ihn nur einmal live gesehen, aber es stimmt: Das Publikum frisst ihm wirklich aus der Hand.”
Queens letztes Studioalbum dieses Jahrzehnts war das in Frankreich aufgenommene Jazz von 1978 mit Fat Bottomed Girls und Don’t Stop Me Now als den erfolgreichsten Singleauskopplungen in Europa. Das Comedy-Highlight des Albums kam in Form von Bicycle Race, mit dem die Band einmal mehr bewies, dass sie musikalisch immer noch nach Innovation strebte (bestes Beispiel: das Gitarren-“Race”!). Mercury schrieb den Song, nachdem er die Tour De France gesehen hatte, aber Bicycle enthält außerdem einen scherzhaften Verweis auf den Film Star Wars.
Im nächsten Jahrzehnt erfanden sich Queen komplett neu, aber zuvor veröffentlichten sie noch ein letztes Album in den 70ern: Ihr erstes Livealbum Live Killers. Aufgenommen wurde es beim europäischen Teil ihrer umfangreichen Tour 1979. In Amerika erreichte es Platinstatus und untermauerte damit Queens Status als eine der weltweit größten Livebands der Rockmusik.
Ende der 70er ging die Band nach Deutschland, um dort an ihrem Album The Game zu arbeiten. In die 80er starteten sie voller neuer Ideen und Hoffnungen. Sie entdeckten einen cleveren Weg, Punk und Disco zu überleben und ihren Sound anzupassen. Es folgten Hits wie Another One Bites the Dust und Crazy Little Thing Called Love, der Höhenflug von Live Aid und der Tiefpunkt mit Mercurys Erkrankung und seinem Tod.
Aber die 70er waren ein goldenes Jahrzehnt für Queen. Die Band war so außergewöhnlich, originell und talentiert – sie hatten einen Ruf als verspielt und verschwenderisch und haben dabei einige der unvergesslichsten und innovativsten Songs des 20. Jahrhundert hervorgebracht.
Der Bohemian Rhapsody-Soundtrack ist jetzt hier erhältlich.
Das könnte euch auch gefallen:
10 Songs, die jeder Queen-Fan kennen muss

Popkultur
Marie Fredriksson wäre 65 geworden: Die Roxette-Sängerin im Porträt
Sie sind der zweitgrößte schwedische Pop-Export, gleich hinter ABBA. Mehr als 30 Millionen Platten haben Roxette im Lauf ihrer jahrzehntelangen Karriere verkauft. Eins der beiden Gesichter der Gruppe: die viel zu früh verstorbene Frontfrau Marie Fredriksson. Sie wurde nur 61 Jahre alt. Das ist ihre Geschichte.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch einige der größten Hits von Roxette anhören:
Zur Welt kommt Gun-Marie Fredriksson am 30. Mai 1958 in der Nähe des schwedischen 200-Seelen-Dorfes Össjö. Als sie vier Jahre alt ist, verkaufen ihre Eltern den Bauernhof der Familie und ziehen in das geringfügig größere Östra Ljungby um. Weitere drei Jahre später stirbt Maries älteste Schwester Anna-Lisa bei einem Autounfall; der Schock in der Familie sitzt tief. „Danach war ich auf mich allein gestellt“, verrät Marie in einem Interview. „Ich war erst sieben Jahre alt.“
Maries Eltern arbeiten Vollzeit, können sich aber keine Kinderbetreuung leisten, weshalb Marie und ihre Geschwister viel Zeit zuhause verbringen. Sie lernen das Notenlesen, singen und üben auf verschiedenen Instrumenten. Dabei spielt auch der Pastor in Östra Ljunby eine zentrale Rolle, der die musikinteressierten Kinder unterstützt. „Ich habe sehr schöne Erinnerungen an Östra Ljungby, sogar nachdem meine große Schwester gestorben war“, erinnert sich Fredriksson. Ihre Musikbegeisterung wird sie nicht mehr verlieren.
Marie Fredrikssons musikalische Anfänge
Als Marie älter wird, entdeckt sie die Beatles, Joni Mitchell und Jimi Hendrix, schreibt sich mit 17 an einer Musikschule ein und komponiert Musik für die Amateurtheaterstücke ihrer Freunde. Das Problem: Keiner aus dem Cast hat einen ähnlichen Stimmumfang wie die junge Musikerin, weshalb sie sich schließlich selbst auf die Bühne stellt. Mit einem Musical, das Fredriksson mitkomponiert hat, tourt die Gruppe durch Schweden — und absolviert sogar einen Auftritt vor dem damaligen Premierminister Olof Palme.
Nach ihrem Abschluss im Jahr 1977 zieht Fredriksson nach Halmstad, wo sie in die Indie-Szene eintaucht und eine Punk-Band gründet — wie man das halt Ende der Siebziger so macht. Die Gruppe heißt Strul und mit ihr feiert Fredriksson ihre erste Erfolge. So spielt sie mit dem Projekt zahlreiche Konzerte und tritt im Fernsehen auf. Zu Beginn der Achtziger ist die Luft raus: Nach einem „desaströsen“ Konzert, das auch noch im schwedischen Radio übertragen wird, lösen sich Strul auf.
Marie Fredrikssons Karriere mit Roxette
Fredrikssons nächstes Projekt heißt MaMas Barn und die Gruppe teilt sich einen Proberaum mit der erfolgreichen schwedischen Gruppe Gyllene Tider. Dort spielt auch ein Herr namens Per Gessle mit — und er soll ein wichtiger Bestandteil von Fredrikssons Leben werden. Zunächst überredet der Gitarrist Fredriksson noch zu einer Solokarriere. Doch 1986 schließen sich die beiden zusammen und gründen eine Band, die Pop-Geschichte schreiben wird: Roxette.
Ob It Must Have Been Love, Listen To Your Heart oder The Look: Im Lauf ihrer jahrzehntelangen Karriere landen Roxette großartige Hits, werden zu Dauergästen in den Charts und feiern auch in Übersee große Erfolge — und das obwohl der amerikanische Ableger der Plattenfirma von Roxette dem schwedischen Duo damals bescheinigt hatte, nicht zum US-Markt zu passen. Sieben Hit-Alben veröffentlichen Roxette von 1986 bis 2001. Doch dann schlägt das Schicksal zu.
Marie Fredrikssons viel zu früher Tod
Als Marie Fredriksson am 11. September 2002 mit ihrem Mann Mikael Bolyos joggen geht, fühlt sie sich plötzlich unwohl. Sie bricht im Badezimmer zusammen, zieht sich dabei eine Schädelfraktur zu und erleidet einen epileptischen Anfall. Nicht „nur“ das: Bei der anschließenden Untersuchung kommt raus, dass sie an einem Hirntumor leidet. Er kann in einer aufwändigen Operation entfernt werden; anstrengende Chemo- und Strahlentherapien sind die Folge. Doch Fredriksson kämpft sich ins Leben zurück.
Gemeinsam mit ihrem Mann nimmt sie neue Musik auf, als eine Art Therapie. Das daraus resultierende Album heißt The Change, erscheint am 20. Oktober 2004 und gerät zu einem vollen Erfolg. „Es waren drei schwere Jahre, aber ich bin gesund“, meldet sich Fredriksson 2005 in einem Interview zurück. Roxette liegen zunächst auf Eis. Das ändert sich im Jahr 2009: Fredriksson und Gessle gehen wieder gemeinsam auf Tour. 2011 erscheint mit Charm School das erste Roxette-Album seit zehn Jahren; drei weitere Folgen.
Im Jahr 2019 wird offensichtlich, dass Fredrikssons Krebserkrankung nicht so besiegt ist wie gedacht. Am 9. Dezember lautet die traurige Nachricht: Marie Fredriksson ist im Alter von gerade einmal 61 Jahren verstorben. Sogar der schwedische König Carl XVI. Gustaf zollt der Sängerin seinen Respekt und sagt: „Für viele Menschen in unserem Land, auch in meiner Familie, ist ihre Musik eng mit Erinnerungen an besonders wichtige Momente im Leben verbunden.“ Sorgen wir dafür, dass die Erinnerung bleibt. Ruhe in Frieden, Marie.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
Popkultur
Zeitsprung: Am 30.5.1980 landet Gary Moores G-Force auf dem Rockplaneten.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 30.5.1980.
von Matthias Breusch und Christof Leim
Gary Moores Bandprojekt G-Force wird 1980 als heiße Nummer gehandelt. Aber der „Faktor Mensch“ ist unkalkulierbar. Das in Kalifornien entstandene Album erscheint am 30. Mai 1980 – und bleibt eine Zwischenlandung. Der nordirische Gitarrenhexer setzt seine Welteroberung in Europa fort.
Hier könnt ihr das Album hören:
Am Anfang steht ein großes Missverständnis. Der 27-jährige Gary Moore, seit mehr als einem Jahrzehnt furioser Gitarrist und zunehmend markanter Sänger, verlässt im Juli 1979 abrupt Thin Lizzy während der US-Tour zu die Black Rose und lässt sich in Los Angeles nieder. Dort tut er sich mit dem nur wenig älteren Engländer Glenn Hughes zusammen, der als virtuoser Bassist und Gesangsgenie seit seiner Zeit mit Deep Purple längst ganz oben angekommen ist. Beide sind begabte Songwriter, Moore hat 1978 mit Parisienne Walkways seinen ersten Meilenstein komponiert. Was soll da noch schiefgehen?
Alkohol!
Klären lassen lässt sich die Geschichte nie mehr so ganz, denn Hughes, der 1976 seinen musikalischen Zwillingsbruder und Deep-Purple-Kollegen Tommy Bolin nach dessen Drogentod zu Grabe getragen hat, sieht gesundheitlich zum Ausgang der Siebziger kaum Licht am Ende des Tunnels. Mehr noch: Es bleibt ein permanenter Filmriss, Blackout in Reinkultur. „Die Achtziger sind komplett weg“, erzählt er in späteren – nüchternen – Jahren immer wieder.
G-Force 1980 in London: Willie Dee, Gary Moore, Mark Nauseef und Tony Newton. Foto: Fin Costello/Redferns
Nichtsdestotrotz stellt Moore mit Hughes und dem nicht minder vielseitigen Schlagzeuger Mark Nauseef, mit dem er kurzzeitig bei Thin Lizzy gespielt hat, ein Trio zusammen. Diese Mannschaft bekommt noch vor den Aufnahmen seines ersten Albums das Angebot, mit den Shooting-Stars Van Halen auf große Amerika-Reise zu gehen. Die Tour findet statt, aber aus der Besetzung wird nichts. Schon nach den monatelangen Songwriting-Sessions und Proben offenbart sich: Hughes ist nicht in der Lage, eine Konzertreise durchzustehen. Nach einem Streit unter Alkoholeinfluss bricht das Gespann Moore/Hughes auseinander.
Röhren müssen glühen
Aus dem Trio wird ein Quartett. Mark Nauseef, der als umtriebiger Ex-Musikant von The Velvet Underground, der Ian Gillan Band und Ronnie James Dios Startrampe Elf über ein weit gesponnenes Netzwerk verfügt, engagiert zwei alte Bekannte: Keyboarder William Daffern alias Willie Dee unterstützt Gary bei den Vocals, den Bass bespielt Tony Newton, zuvor in Diensten von Jazz-Legende Tony Williams.
Nun weist Gary Moores mit musikalischen Perlen gespickte Laufbahn allerlei stilistische Richtungswechsel auf. Das Album G-Force ist eine frühe Blaupause dieser Kurvenstrecke, wenn auch nicht ohne Charme. Die Single Hot Gossip, wozu auch ein Clip gedreht wird (frech: Poser-Tony mit Doppel-Hals-Bass) schielt auf die Pop-Rock-Charts, You Kissed Me Sweetly hätte auch auf ein ELO-Album gepasst, und I Look At You erweist sich als echtes Fundstück für Liebhaber von Moores monumentalen langsamen Songs.
Die Nummer The Woman In Love mit Saxofon-Einlage erinnert schwer an die Fusion-Zocker The Tubes, Dancin‘ an die dünne Lizzy auf Koks, und mit White Knuckles/Rockin’ And Rollin’ lässt Meister Gary derart die Röhren in seinem Verstärker glühen, dass man nachvollziehen kann, warum die Nummer praktisch der finale Auslöser für seine mitreißende Hard-Rock-Karriere in den Achtzigern gewesen sein muss. Sie gehört für lange Zeit als festes Element in sein Live-Repertoire, was auch das Doppelalbum We Want Moore! von 1984 eindrucksvoll dokumentiert.
Schnelles Ende
Über die Veröffentlichung des Albums hinaus bleiben G-Force (zu Deutsch: Schwerkraft) lediglich als Liveband vorübergehend eine Einheit. Nach den Ready An‘ Willing-Tour 1980 im Vorprogramm von Whitesnake und den Gigs als Opener der 1981er-Van-Halen-US-Tour zieht Gary weiter: Zunächst als Partner von Greg Lake nach der Auflösung von Emerson, Lake & Palmer, ab 1982 geht dann sein Solo-Stern auf, teilweise basierend auf Ideen, die er bereits mit G-Force im Studio entwickelt hat.
Den Rest der Geschichte kennen wir. In den 1980ern avanciert er mit Nummern wie Out In The Fields, Empty Rooms, Shapes Of Things oder The Loner zum Hexenmeister der Stromgitarre, in den Neunziger zum König des „weißen Blues“. Festlegen lässt er sich jedoch nie. Auch sein experimentelles Album A Different Beat von 1999 gehört mit Songs wie Lost In Your Love in die Abteilung „Zwischenlandung“. Allerdings ohne jedes Missverständnis …
Zeitsprung: Am 26.3.1990 hat Gary Moore immer noch den Blues.
Popkultur
70 Jahre Danny Elfman: Die 10 legendärsten Stücke des Soundtrack-Hexers
Danny Elfman hat die Filmmusik geprägt wie wenige andere. Vom Score der Simpsons bis zu den verhexten Meisterwerken von Tim Burton: Zum 70. Geburtstag des Komponisten hören wir noch mal seine schönsten, genialsten, gespenstischsten Momente.
von Björn Springorum
Über 100 Filme hat Großmeister Danny Elfman in seiner Karriere vertont. Bislang. Als Haus- und Hofkomponist von Tim Burton setzte er dessen gotisch-morbide Schauerwelten musikalisch ebenso perfekt in Szene wie Werke von Sam Raimi oder Gus van Zandt. Vier Oscar-Nominierungen, zwei Emmys und einen Grammy gab es schon dafür. Zu seinem 70. Geburtstag am 29. Mai 2023 lauschen wir noch mal seinen schönsten Spukmelodien und Geisterliedern.
1. The Simpsons Theme (1989)
Ja, man kennt Danny Elfman eher für dramatische Spuk-Soundtracks voller gotischer Grandezza, doch der Titelsong der berühmtesten Zeichentrickserie stammt auch von ihm. Fun fact: Das ganz zu Beginn gesungene „The Simpsooons“ haben er und seine Freunde eingesungen. Der Legende nach gab es dafür mehr Tantiemen als für das Stück an sich. Gecovert haben das Theme unter anderem Green Day und Weezer.
2. Beetlejuice Intro Theme (1988)
Schon 1988 macht Danny Elfman klar, worum es ihm in seinen Soundtracks geht: Zu Tim Burtons Gruselspaß komponiert er eine ahnungsvolle Horror-Nummer mit den typischen Piano auf Zehenspitzen, den unheilvollen Bläsern und der generellen Stimmung von Mystik, Schalk und Tod. Düster, ja, aber immer mit einem schiefen Grinsen.
3. Batman Main Theme (1989)
Nach eher schrägen Soundtracks irgendwo zwischen gotischem Horror und Fifties-Big-Band wendet sich Danny Elfman für Tim Burtons Batman der dunklen Seite der Klaviatur zu: Sein Main Theme ist ein düster wallendes, dicht orchestriertes Stück voller Streicher und einschüchternder Bläser. Bis heute ein ikonisches Stück Soundtrackgeschichte, das den Oscar verdient hätte.
4. Alice’s Theme (2010)
Tim Burtons Alice In Wonderland ist ein einziger lysergischer Sturz in den Kaninchenbau. Dazu schneidert Danny Elfman in seiner zwölften Zusammenarbeit mit Tim Burton dem Film ein musikalisches Kleid, das perfekter nicht passen könnte: Verwunschen, geheimnisvoll, nicht von dieser Welt. Höhepunkt ist Alice’s Theme, dessen Chöre und Streicher sofort Gänsehaut verursachen.
5. Spider-Man Main Title (2002)
Lange vor dem Marvel-Wahnsinn mit immer mehr verwirrenden Spin-Offs, Sequels und Prequels hat Regisseur Sam Raimi einen bis heute packenden Spider-Man-Reboot vorgelegt. Die Musik zum Film mit Toby Maguire kommt natürlich von Ramis Kumpel Danny Elfman, der seine Trademarks hier um spitze Violinen, majestätische Chöre und ein monumentales Grundgefühl erweitert.
6. Ice Dance (1990)
Das vielleicht schönste Stück von Danny Elfmans persönlichstem Soundtrack ist das elegische, fragile, wunderschöne Ice Dance. Edward mit den Scherenhänden ist ja eh ein emotionales Meisterwerk, doch gerade durch die Musik wird der Film noch mal auf eine ganz andere, ganz und gar andersweltliche Ebene gehoben.
7. This Is Halloween (1993)
Ein ganz großer Klassiker, nicht nur zu Halloween: This Is Halloween ist einer der Glanzmomente in der Musik von Nightmare Before Christmas, diesem unerreichten Stop-Motion-Meisterwerk. Irgendwo zwischen Gothic-Kabarett und nostalgischem Weihnachtsfest, aber immer mit viel Gefühl. Wie der Film eben.
8. Sleepy Hollow Main Titles (1999)
Tim Burtons Gothic-Horror-Meisterwerk Sleepy Hollow ist ein blutiges Märchen, das in Sachen Ausstattung und Stimmung für immer einen Platz in den Herzen der Cineast*innen einnehmen wird. Die verhexte, beunruhigende, spannungsgeladene Musik von Danny Elfman fasst die entlegenen Wälder Neuenglands und den kopflosen Reiter in die richtigen Töne. Mehr melodramatische Gotik als hier geht definitiv nicht.
9. After Midnight (2002)
Ja, auch an Chicago war Danny Elfman als Komponist beteiligt. Der swingende Bar-Jazz von After Midnight ist ein ziemlich großer Kontrast zu seinen anderen Werken. Und irgendwie auch nicht: Er ersetzt eben einfach mal Streicher und Chöre durch Trompeten und Jazz-Drums, doch das Ergebnis ist immer noch nicht ganz von dieser Welt.
10. Wednesday Main Titles (2022)
Wenn Tim Burton schon mal eine Serie um einen Spross der Addams Family macht, dann darf sein Freund Danny Elfman natürlich nicht fehlen. Zur erfolgreichsten Netflix-Serie aller Zeiten spendiert er Hauptcharakter Jenna Ortega ein ikonisches Hauptmotiv, das sowohl an die alten Addams-Family-Episoden erinnert als auch modernsten Horrorspuk in Töne fasst.
Bonus: Private Life (1982)
Einen gibt es noch als Bonus: Bevor Danny Elfman die Kinozuschauer*innen mit seinen Scores verzauberte und verängstigte, spielte er in einer Ska-/Wave-Band namens Oingo Boingo. Dort lebt er sich sehr experimentell aus, singt, spielt Gitarre und schreibt alle Songs. Coole Mucke, keine Frage. Wir sind dennoch nicht böse, dass Elfman dann bald die große Leinwand ins Visier genommen hat.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
Die beste Horrorfilm-Musik: 10 Soundtracks mit Gänsehautgarantie
-
6 Anekdoten, die nur aus dem Leben von Keith Moon stammen können
-
Zeitsprung: Am 21.4.1959 kommt Robert Smith von The Cure zur Welt.
-
Herzschmerz, Todesfälle und der Wunsch nach Frieden: 20 Rockballaden für die Ewigkeit
-
„Bohemian Rhapsody“: Die Geschichte des Klassikers, für den Queen alle Regeln brachen