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Popkultur

Siouxsie Sioux: Wer ist eigentlich die Goth-Todesfee, die Wednesdays Kult-Tanz inspirierte?

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Siouxsie Sioux
Foto: Michael Putland/Getty Images

Derzeit tanzt so ziemlich jeder zwischen YouTube und TikTok Jenna Ortegas ikonische Moves aus der Netflix-Serie Wednesday nach. Inspiriert wurde die Schauspielerin nach eigenen Aussagen von Goth-Queen Siouxsie Sioux. Aber wer ist das überhaupt?

von Björn Springorum

24 Millionen Klicks auf YouTube und zahllose Nachahmer*innen auf der ganzen Welt: Auch wegen dieser jetzt schon ikonischen und legendären Tanzszene aus der Nevermore Academy ist Wednesday zu einem der ganz großen Gewinner des Streaming-Jahres 2022 geworden. Hauptdarstellerin Jenna Ortega choreographierte diese Szene selbst und füllt sie auf ihre unnachahmlich gotische Weise mit untotem Leben. Ein klein wenig Hilfe hatte sie dabei allerdings schon: Wie sie freimütig zugab, ließ sie sich in ihren Bewegungen und Schritten unter anderem von der großen Siouxsie Sioux (und Nina Hagen!) beeinflussen.

Damit hat Ortega ein ganz und gar perfektes Vorbild gewählt: Susan Janet Ballion, die die Welt aber eigentlich nur als Siouxsie Sioux kennt, schreibt erst mit den Banshees und später mit den Creatures Musikgeschichte. Ihr Auftauchen im London Mitte der Siebziger ist den Sex Pistols zu verdanken: Im Februar 1976 verfällt sie dem erratischen Auftreten der Band, wird neben ihrem späteren Bandkollegen Steven Severin und einem gewissen Billy Idol zum Kern des Bromley Contingent, einer Gruppe von Super-Fans, die überall auftaucht, wo die Sex Pistols gerade für Unbill sorgen.

Die Sex Pistols machen sie berühmt

Wegweisend wird ihr Style sein: Ihr Katzenaugen-Make-Up, ihre schwarze Kleidung, ihre Frisur, ihr trockener Zynismus und ihre Vorliebe für kinky Bondage-Accessoires nehmen schon in den Siebzigern 99,9 Prozent von dem voraus, was man später als Goth identifizieren wird. Auf Gefallen trifft das nicht überall: In Frankreich wird sie wegen ihres Aussehens verprügelt (okay, und wegen eines Armbands mit Swastika – unpolitisch gemeint und dennoch nicht besonders schlau). Sie lässt das Armband weg, behält den Rest bei. Und gründet mit Severin eine eigene Band. Schon ihr erster Auftritt ist herrlich absurd und selbst im Punk-Kontext unfassbar anti: Beim von Malcolm McLaren organisierten 100 Club Punk Festival bekommen sie einen Slot, obwohl sie noch keinen einzigen Song spielen können. Stattdessen halten sie einfach ein Ritual ab, improvisieren für wilde 20 Minuten, während Siouxsie das Vater unser singt und mantraesk betet.

Schon damals fällt Zeitzeug*innen ihre Aura auf, ihr Selbstbewusstsein und dieses Gefühl, dass sie vollkommen die Kontrolle behält und genau weiß, was sie tut. Auf dieser Präsenz baut die frühe Goth-Queen auf. Unvergessen ist natürlich ihr Auftritt in der infamen Thames-Television-Ausgabe vom Dezember 1976, als Bill Grundy die gesamten Sex Pistols und die Fans des Bromley Contingent im Studio vergeblich zu bändigen versucht. Als Grundy in bester Manier des alten weißen Mannes vorschlägt, dass sich er und Siouxsie nach der Show treffen, feuert Steve Jones einige Schimpfworte ab, die es so im englischen Fernsehen noch nie zu hören gab. Der Skandal ist riesengroß – und Siouxsie Sioux mittendrin. Der Daily Mirror titelt: „Siouxsie’s a Punk Shocker.“ Über Nacht werden die Sex Pistols berühmt.

Eine der ersten Post-Punk-Platten

Siouxsie Sioux selbst wird das alles zu viel. Sie distanziert sich von den Sex Pistols und konzentriert sich endlich voll auf ihre Band, Siouxsie And The Banshees. Der Name verbreitet sich wie ein Lauffeuer in London: Anfang 1978 tauchen Graffitis auf den Gebäuden gleich mehrerer Plattenfirmen auf. Der unmissverständliche Befehl: „Sign the Banshees, do it now.“ Wer dahinter steckt, weiß bis heute niemand. Dauert dann auch nicht lang, bis Polydor zugreifen. Ihre Debüt-Single Hong-Kong Garden und ihr Erstling The Scream (1978) sind frühe Post-Punk-Manifeste, düster, trist und dissonant. Im Verlauf der späten Siebziger und frühen Achtziger ebnet dieser Sound vielen anderen Bands den Weg, auch Joy Division, The Cure, The Smiths oder Depeche Mode trinken eifrig und gierig von dieser mystischen Quelle.

Robert Smith und die Banshees

Zu Robert Smith von The Cure hat Siouxsie Sioux eine ganz besondere Beziehung: Erst beeinflusst sie ihn, dann nimmt sie ihn als Support mit auf Tour – und später sogar als offiziellen Gitarristen in die Banshees auf. Wie viele andere Konstellationen bei den Banshees und The Cure gehen sie im Streit auseinander. Bis heute ist ihre Beziehung angespannt.

Später in ihrer Karriere wird sich Siouxsie Sioux anderen Genres zuwenden, wird Trip-Hop vorwegnehmen und auch in der Lage sein, lupenreine Popsongs zu schreiben. Bleibenden Eindruck hat sie aber in der Goth-Szene hinterlassen: Stimmlich, klanglich, visuell und inhaltlich. Ihre Position innerhalb der Band und ihre künstlerische Integrität sind ein gewaltiger Einfluss für Generationen von Sängerinnen, angefangen bei PJ Harvey und Shirley Manson und bis heute spürbar in St. Vincent oder Wolf Alice.

Comeback am Horizont?

Siouxsie Sioux ist der Anfang aller düsteren Dinge in der britischen Musikwelt, der erste Moment, in dem der Rock’n’Roll in einen Eimer mit schwarzer Farbe fällt. Heraus steigt eine Todesfee mit durchdringender Stimme und unvergleichlicher Energie – zu neuem Leben erweckt von Jenna Ortegas umwerfender Tanzszene. Heute ist Siouxsie Sioux 65, über ihr Privatleben weiß man immer noch so gut wie nichts. Eines wissen wir aber: Hinter den Kulissen bereitet sie gerade ein Comeback für 2023 vor. Vielleicht erscheint dann ja auch ein neues Album. Mantaray, ihr erstes und bisher einziges Solowerk, ist auch schon 15 Jahre alt.

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