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Popkultur

Zeitsprung: Am 13.4.1979 brillieren Thin Lizzy mit „Black Rose: A Rock Legend“

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 13.4.1979.

von Christof Leim

Es ist das letzte klassische Thin Lizzy-Album, und das einzige mit Gary Moore: Black Rose erscheint am 13. April 1979 und bietet brillante Doppelgitarren, herrliche Songs und hochgeschmackvolle Rockmusik. Muss man gehört haben. Ehrlich. Das hier ist die Geschichte der Platte.


Hört hier in Black Rose rein:


Es war ein langer Weg nach oben für die irische Band um Phil Lynott. Doch als sich Mitte der Siebziger endlich der Erfolg einstellt mit Alben wie Jailbreak (1976) und Live & Dangerous (1978), kommen auch die Probleme: Streitereien, zu viel Arbeit, zu viele Drogen. So spielt Gitarrist Brian Robertson zu Zeiten von Bad Reputation (1977) für eine Weile nur als Gastmusiker mit, im Sommer 1978 ist er endgültig raus, weil seine Sauferei und die Streitereien mit Chef Lynott überhand nehmen. Den freien Posten besetzen Thin Lizzy mit einem alten Freund: Meistergitarrist Gary Moore. Der hatte bereits mehrfach ausgeholfen und sich unter anderem 1974 an den Sessions zu Nightlife beteiligt (das Solo in Still In Love With You – herrlich!). Auch bei der legendären 1977er-US-Tour mit Queen sprang er kurzzeitig ein. Jetzt gehört er zum ersten Mal lange genug zur Band, um auch ein Album einzuspielen.

Lynott und Moore kennen sich seit Teenagertagen, als Musiker verstehen sie sich großartig. Zusammen schreiben die beiden drei der neun Songs des kommenden Albums. Auch mit Gitarrist Scott Gorham bildet der „Neue“ ein großartiges Team. Hart arbeiten sie an den zweistimmigen Melodien, die längst zum Markenzeichen von Thin Lizzy geworden sind – und das hört man. Moores feurigere Flitzefingerei verbindet sich dabei bestens mit dem zurückhaltenden, stilvollen Spiel von Gorham. Was die beiden an ihren zwölf Saiten produzieren, sorgt bei Freunden kompetenter Rockgitarre heute noch für seliges Grinsen. Bei den Backingvocals tönt Moore ebenfalls deutlich durch.

Thin Lizzy auf dem Tourprogramm von 1979 – von links: Brian Downey, Gary Moore, Phil Lynott (sitzend) und Scott Gorham

Wirklich rund läuft die Entstehung des Albums jedoch nicht. So beschäftigen sich die Musiker während dieser Zeit mit allerhand Nebenbaustellen: Lynott startet eine Punkband namens The Greedy Bastards mit Leuten von den Sex Pistols und schiebt ein erstes Album unter eigenem Namen an (Solo In Soho erscheint 1980), während Moore erst im September 1978 das Album Back On The Streets herausgebracht hat. Bei diesen Projekten überschneidet sich die Mannschaftsaufstellung öfter mal, so dass nicht immer klar ist, für welche Veröffentlichung wer gerade komponiert oder aufnimmt und wo ein Song schließlich landen wird.

Vor allem aber liegen die von Dezember 1978 bis Februar 1979 hauptsächlich in Paris stattfindenden Aufnahmen in der wildesten Drogenzeit von Gorham und Lynott, die dem Heroin anheim gefallen sind. Keine gute Idee. Die beiden lassen es durchgehend krachen, was die Sessions unter der Aufsicht von Tony Visconti (zuletzt beim sagenhaften Konzertmitschnitt Live And Dangerous am Start) nicht gerade beschleunigt. Schlagzeuger Brian Downey gefällt das gar nicht, aber er beißt die Zähne zusammen und zieht durch; Gary Moore hat mit Drogen ebenfalls nichts am Hut.

Nichtsdestotrotz zimmern die vier ein hervorragendes Album auf Band, das fest im klassischen Rock der Siebziger verhaftet ist und sich dabei als erstaunlich eingängig und griffig erweist. Wie gewohnt stammen alle Tracks mindestens zum Teil von Lynott, an zweien schreibt Gorham mit, Downey bei einem, und der alte Kumpel und spätere Lizzy-Gitarrist Midge Ure von Ultravox an einem weiteren. 



Los geht es in Do Anything You Want To Do mit einem markanten Trommelrhythmus und infektiösen Doppelgitarren. Im Text haut uns Lynott die Alliterationen nur so um die Ohren und zieht ganze Verse konsequent, aber sinnhaft auf einem Reim durch: „investigate“, „insinuate“, „intimidate“, „complicate“, „hesitate“. Muss man auch erstmal können. Am Ende gibt er sogar noch eine kurze Elvis-Einlage. Do Anything You Want To Do erhält einen Videoclip und wird als zweite Single veröffentlicht. Toughest Street In Town bietet dann klassischen Lizzy-Hard Rock mit Straßenkampf-Pathos und einem Mitsingchorus, in S & M wird es sogar funky. 

Mit Waiting For An Alibi schließlich setzen sich Thin Lizzy ein kleines Denkmal: Gorham und Moore spielen hier vielleicht die tollsten Harmoniegitarren-Melodien der Bandgeschichte mit einem gülden strahlenden Sahnevibrato, Lynott erzählt dazu eine dramatische Geschichte von Valentino, dem Zocker, bevor der Refrain sich hartnäckig im Kleinhirn festsetzt. Klassiker! Folgerichtig erscheint Waiting For An Alibi sechs Wochen vor dem Album als erste Single.



Aus dem Rahmen fällt Sarah, eine wunderschöne kleine Ballade, die Bassist und Sänger Lynott für seine neugeborene Tochter singt. Es handelt sich um eine andere Nummer als das Sarah der zweiten Lizzy-Platte Shades Of A Blue Orphanage von 1972; hier geht’s nämlich um Phils Großmutter. Moore erzählt später, die Nummer sei auf einer Akustikgitarre mit Hilfe eines Drumcomputers entstanden und vermutlich für Phils Soloalbum gedacht gewesen. Deshalb spielen auch nur die beiden auf der in der London entstandenen Aufnahme, unterstützt vom alten Tourkumpel Huey Lewis und Drummer Mark Nauseef (der im Sommer zuvor den kranken Brian Downey bei einer Australien-Tour ersetzt hatte). Wir dürfen annehmen, dass die Nummer deshalb auf Black Rose landet, weil den Herrschaften schlicht ein Song fehlt. Sarah erscheint ebenfalls als Single.



In Got To Give It Up singt der Chef dann erschreckend deutlich über (seinen) Drogenkonsum, was der Nummer retrospektiv eine düstere Note gibt. (Hätte er sich nur selbst an den Vorsatz aus dem Titel gehalten: Lynott stirbt am 4. Januar 1986 mit nur 36 Jahren.) Der nächste Song der Platte, Get Out Of Here, wirkt da schon fröhlicher, ein flotter, mitreißender Rocker in bester Lizzy-Manier. Mit dem schönen With Love folgt ein erneuter Schlenker in Popgefilde, der bestens auf Lynotts späteres Solowerk gepasst hätte. Den Bass spielt hier Jimmy Bain von Rainbow, Huey Lewis die Mundharmonika.



Das zweite Song-Denkmal errichtet das Quartett mit dem abschließenden Róisín Dubh (Black Rose): A Rock Legend, das tief in die irischen und keltischen Wurzeln von Thin Lizzy eintaucht. Hierfür arrangieren Lynott und Moore die Traditionals Shenandoah, Danny Boy und The Mason’s Apron sowie das Stück Will You Go Lassie Go von Francis McPeake in einen eigenen Rocksong hinein, und der Chef erzählt Heldengeschichten und Sagen von der grünen Insel. Ikonisch.

Auf der 2011 erschienen Deluxeversion des Werkes finden sich weitere Schätzchen, darunter eine B-Seite namens Just The Two Of Us, das unveröffentlichte Rockula (Rock Your Love) und die von Phil und Gary gesungene langsame Bluesversion von Don’t Believe A Word im Originalarrangement, wie wir sie später auf dem Konzertmitschnitt Life (1983) hören. Eine eigene Version hatte Moore bereits auf Back On The Streets veröffentlicht.

Black Rose: A Rock Legend erscheint am 13. April 1979 mit einem Artwork von Dauerkollaborateur Jim Fitzpatrick, der unter anderem bereits Jailbreak und Johnny The Fox (1976) gestaltet hatte. Es heißt, die Rosen-Tätowierung auf dem rechten Arm von Axl Rose sei von diesem Cover inspiriert. Die Kundschaft zeigt sich begeistert: Mit ihrem neuen Album erreichen Thin Lizzy Platz zwei in Großbritannien und damit ihre höchste Platzierung, in den USA immerhin Rang 81. Auch alle Singles verkaufen sich hervorragend.

Selbstredend begeben sich die vier Rocker umgehend auf die Straße, doch bereits im Sommer kracht es wieder im Gebälk: Am 4. Juli 1979 verlässt Gary Moore die Band abrupt und ohne Ankündigung während der laufenden US-Tour mit Journey, weil ihm insbesondere die Drogeneskapaden auf den Geist gehen. Ein paar Abende spielen Thin Lizzy als Trio, bevor Midge Ure einfliegt und die Konzertreise rettet. Ruhe kehrt im Line-up damit jedoch nicht ein: Auf Chinatown (1980) spielt bereits Snowy White, auf dem finalen Album Thunder And Lightning (1983) John Sykes.

Bei Black Rose handelt es sich um die letzte klassische Thin Lizzy-Platte; in den folgenden Jahren verliert die Band trotz prinzipiell guter Scheiben an stilistischem Fokus und kompositorischer Treffsicherheit. Das Album mag, wie Scott Gorham es ausdrückt, den„Beginn des Untergangs“ einer großartigen Band markieren, doch ohne Frage bleibt Black Rose ein Meisterwerk.

Aus dem Artwork von “Black Rose”: Dieses Line-up spielte nur einmal ein ganzes Album ein


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Zeitsprung: Am 7.6.1993 ändert Prince seinen Namen in ein unaussprechliches Symbol.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 7.6.1993.

von Christof Leim

An seinem 35. Geburtstag ändert Prince seinen Namen in ein unaussprechliches Symbol. Damit will er gegen seine Plattenfirma protestieren, von der er sich künstlerisch eingeschränkt fühlt. Der Rest der Welt wundert sich…

Hört hier in die besten Prince-Songs rein:

Seinen ersten Plattenvertrag unterschreibt Prince Rogers Nelson 1977. Darin einigt sich der 18-Jährige mit Warner Bros. Records darauf, die völlige kreative Freiheit zu behalten und sämtliche Alben selbst zu produzieren. Das funktioniert für alle Beteiligten gut, macht Prince zum Star und bringt Warner Millionenseller wie Purple Rain (1984) und Sign O’ The Times (1987). Deshalb stört es auch niemanden, wenn der Mann zwischendurch zum Beispiel ein fertiges Album in die Tonne kloppt und schnell mal eben ein neues aufnimmt (siehe Lovesexy, 1988). 1992 wird der Deal sogar verlängert.

Grundlegende Meinungsverschiedenheit

Dem unglaublich produktiven Künstler liegt Anfang der Neunziger viel daran, seine unzähligen unveröffentlichten Songs – angeblich über 500 – so schnell wie möglich unter die Leute zu bringen. Verständlich, denn dafür hat er das Zeug ja geschrieben. Die Plattenfirma lehnt das jedoch ab, denn sie legt (nicht weniger verständlich) Wert darauf, nur das beste Material in die Läden zu stellen und vor allem den Markt nicht zu überschwemmen. Prince macht keinen Hehl daraus, dass ihm das so gar nicht gefällt und malt sich für öffentliche Auftritte das Wort „Slave“ (dt.: Sklave) ins Gesicht. Nur nützt ihm das nichts, denn Warner Bros. besitzen die Rechte an Princes Künstlernamen und kreativem Output, wie es für Plattenverträge völlig üblich ist. Kurz gesagt: Warner wollen nicht einfach Hunderte an Liedern raushauen, Prince will nicht nur eine Marke sein, mit der die Firma Geld verdient.

Also lässt sich unser Mann etwas einfallen: Er verkündet am 7. Juni 1993, seinem 35. Geburtstag, dass er von nun an nicht mehr den Namen Prince nutze, sondern ein Symbol, das aussieht wie ein Mashup aus den astrologischen Zeichen für Mann und Frau. „Es ist ein unaussprechliches Symbol, dessen Bedeutung nicht erklärt wurde“, heißt es in einer kryptischen Erklärung des Künstlers. „Es geht darum, in neuen Wegen zu denken.“ Prince lässt sich das Ding als „Love Symbol #2“ schützen, packt es auf das Cover seines 1992er-Albums und nutzt es fortan als Bezeichnung für sich selbst.

Ändert aber nix…

Das ist natürlich alles ein bisschen unpraktisch. Zum einen kann man das „Symbol“ nicht schreiben, weshalb Warner Floppy Disks mit einer Grafikdatei an die Medien verschickt. Außerdem weiß niemand, wie man dass denn nun jetzt aussprechen soll. MTV lösen das Problem angeblich, indem sie in ihren Sendungen immer ein metallisches „Klonk!“ einspielen, wenn das „Symbol“ genannt werden müsste. Doch es hilft alles nichts, ein Name muss her. Irgendwann einigt man sich auf „The Artist formerly known as Prince“ oder „TAFKAP“. Das ist offensichtlich ziemlich bescheuert, und für die Fans bleibt ihr Held ohnehin Prince. Vor allem aber: Der Vertrag mit Warner gilt natürlich trotzdem weiter, und juristisch, also „in echt“, heißt der Mann weiterhin Prince Rogers Nelson. Und beides weiß er auch.

Viele in der Musikindustrie halten die Aktion für verrückt, die Fans wundern sich, aber immerhin bringt „TAFKAP“ seinen Standpunkt deutlich zum Ausdruck. Die folgenden Alben und Singles gelten allerdings nicht als Höhepunkte seines Schaffens, die Verkaufszahlen gehen deutlich zurück.

Erst im Jahr 2000, als der Vertrag mit Warner ausläuft, nutzt Prince wieder seinen alten Namen. Statt sich erneut an eine Firma zu binden und die herkömmlichen Wege für Vertrieb und Vermarktung zu wählen, agiert er als sein eigener Herr, setzt auf das Internet und baut eigene Strukturen auf. In einem Interview mit Larry King erklärt sich Prince beziehungsweise „TAFKAP“ beziehungsweise „Klonk!“.

2014 jedoch setzt sich der Künstler wieder mit Warner an einen Tisch, weil sein Erfolgsalbum Purple Rain zum 30. Jubiläum neu aufgelegt wird. Das Einlenken lohnt sich, denn Prince gewinnt die Rechte an all seinen alten Platten zurück. Leider stirbt der Ausnahmemusiker am 21. April 2016 mit nur 57 Jahren.

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Zeitsprung: Am 10.5.1988 veröffentlicht Prince das kurzfristig aufgenommene „Lovesexy“.

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Popkultur

Von Woodstock bis zum Fyre Festival: Die größten, besten und schlimmsten Festivals aller Zeiten

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Woodstock 1999 Header
Foto: Frank Micelotta Archive/Getty Images

Die Sonne knallt, die ersten Mega-Festivals sind schon über die Bühne gegangen. Zum Start der Freiluftsaison stellen wir Open-Air-Festivals vor, die in die Geschichtsbücher eingegangen sind – positiv wie negativ.

von Björn Springorum

Sommer, Sonne, Bier in der Hand und eine Band unter freiem Himmel sehen: Seit über 50 Jahren sind Musikgfestivals ein integraler Bestandteil des Sommers und ein Übergangsritus für unzählige Generationen. Manche Festivals sind bis heute unvergessen, manche würde man lieber sofort wieder vergessen – Bühne frei für unsere Top 10 der denkwürdigsten Festivals aller Zeiten.

Der Pionier: Monterey Pop Festival (1967)

Bei der Mutter aller Festivals denken alle immer gleich an Woodstock, und das aufgrund der Symbolkraft auch nicht zu Unrecht. Der eigentliche Pionier der Gegenkulturfestivals findet aber im Juni 1967 statt – also rund zwei Jahre vor Woodstock. In Nordkalifornien wird Musikgeschichte geschrieben, als Jimi Hendrix sein US-Debüt gibt (nur echt mit brennender Gitarre), als The mamas And The Papas, Eric Burdon And The Animals, The Who, The Byrds oder Big Brother And The Holding Company das Zeitalter von Aquarius herufbeschwören. Sogar der offizielle Werbesong San Francisco (Be Sure To Wear Flowers In Your Hair) von Scott McKenzie wird zur Legende.

Der Mythos: Woodstock (1969)

Vieles ging schief bei Woodstock. Die Organisatoren waren nicht auf die Massen vorbereitet, statt der geschätzten 50.000 kamen 400.000 überwiegend junge Menschen. Es regnete, alles versank im Schlamm, der Zaum ums Gelände wurde nicht rechtzeitig fertig, die PA war schwach und das Essen ging aus. Alles egal: Woodstock ist dennoch die Urmutter aller Festivals, der Aufschrei des jungen Amerikas gegen den Vietnamkrieg. Fast schon nebensächlich, wer da auf der Bühne spielte (unter anderem Jimi Hendrix, Santana, Jefferson Airplane, The Who, Sly & The Family Stone, Crosby, Stills, Nash & Young, Mountain, The Grateful Dead, Creedence Clearwater Revival und Janis Joplin). Als Jimi Hendrix die Nationalhymne verzerrt besessen spielte, waren nur noch 40.000 Menschen da. Der Hippietraum war bald darauf vorbei, auch Woodstock konnte ihn nicht retten. Der Mythos, der wird aber für immer derselbe bleiben.

Der Riese: Isle Of Wight Festival (1970)

Ein Jahr nach Woodstock ist der Vietnamkrieg immer noch nicht zu Ende. Also kommen auf der Isle Of Wight bei bestem englischen Sommerwetter (nasskalt, windig, grau) 600.000 Besucher zusammen – die bis dato größte Menschenansammlung in Europa. Jimi Hendrix und Joan Baez verbreiten auch in Europa ihre Botschaft des Friedens, außerdem spielen Miles Davis, The Doors, The Who, Lighthouse, Ten Years After, Emerson, Lake & Palmer, Joni Mitchell, The Moody Blues, Leonard Cohen oder Jethro Tull. Ausgerechnet nach dem Event 1970 ist erst mal Schluss mit dem Isle of Wight Festival – bis 2002.

Der Anarchist: Love-And-Peace-Festival

Die Ostseeinsel Fehmarn geht im September 1970 in die Geschichtsbücher ein: Hier spielt Jimi Hendrix sein letztes Konzert vor seinem Tod am 18. September. Der Auftritt ist allerdings lustlos, unmotiviert, überhaupt läuft auf dem Festival nichts wirklich rund: Das Wetter ist schlecht, die Organisation mangelhaft, zudem zwingen 180 Rocker der Bloody Devils die Veranstalter dazu, als Security eingesetzt zu werden. Ganz miese Idee. Procol Harum und Ten Years After sagten ab, die Besucher bauten sich aus den Türen der Latrinen Windschutz. Am Ende spielen Ton Steine Scherben (damals noch als Rote Steine). Während sich die veranstalter mit der Tageskasse aus dem Staub machten, spielte die Band Macht kaputt, was euch kaputt macht – und die Besucher nahmen das sehr ernst. Man kann also sagen, dass das desaströse Festival nicht gerade seinem Namen gerecht wurde.

Der Millionenflop: US Festival (1983)

Schon das erste US Festival 1982 von Apple-Gründer Steve Wozniak wird trotz Fleetwood Mac, The Grateful Dead, The Police oder Tom Petty zum Mega-Flop, der den Veranstalter zwölf Millionen US-Dollar kostet. Hält Wozniak nicht ab, es im nächsten Jahr gleich noch mal zu versuchen. Diesmal kamen Stevie Nicks, David Bowie oder Van Halen (die allein 1,5 Millionen US-Dollar kosteten), doch selbst die 670.000 Besucher können einen weiteren katastrophalen Flop nicht verhindern. Am Ende bricht Chaos aus, es wird randaliert, zwei Menschen sterben. Zu einer dritten Auflage kommt es nicht.

Der Hipster: Coachella (1999)

Die erste Ausgabe von Coachella ist 1999 ein massiver Flop: Die Veranstalter hofften auf 70.000 Besucher, bekamen gerade mal die Hälfte und verloren eine knappe Million US-Dollar. Am Line-Up mit unter anderem Beck, Tool, Rage Against The Machine, The Chemical Brothers und Morrissey kann es zumindest nicht gelegen haben, so oder so sah alles danach aus, dass das erste Coachella gleich auch das letzte Coachella bleiben würde. Nach zwei Jahren Pause war Coachella wieder da – und wurde dann sehr schnell das beliebteste Festival der USA. Nur Rage Against The Machine treten hier mittlerweile wahrscheinlich nicht mehr auf.

Der Gewalttätige: Woodstock 1999 (1999)

30 Jahre nach Woodstock wird das zweite Sequel des Hippe-Jahrhundertereignisses zur Katastrophe: Über 200.000 Leute kommen in den Bundesstaat New York, doch statt love, peace and music wird das Festival zum Kriegsgebiet: Essen und Getränke sind extrem teuer, die sanitären Anlagen in schlechtem Zustand, es kommt zu zahlreichen Vergewaltigen, sexueller Nötigung, Diebstahl, Plündereien, Brandstiftung und brutaler Gewalt. Der Name Woodstock wurde 1999 für immer beschmutzt

Der Kriminelle: Fyre Festival (2017)

Auch dank der Netflix-Doku ging das Fyre Festival als größter Betrug in die Festivalgeschichte ein. Gepusht von Influencern als paradiesisches Glamour-Event auf den Bahamas, fanden die Festivalbesucher Notzelte und verpackte Sandwiches statt Strandvillen und Gourmetküche vor. Das Festival wurde angesagt, Veranstalter Billy McFarland musste für sechs Jahre ins Gefängnis und wurde zu 26 Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt. Im April 2023 verkündete er dann tatsächlich, dass es Fyre Festival II geben soll. Das kann ja was werden.

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Zeitsprung: Am 28.5.1983 bringt das 2. US Festival tolle Bands und verheerende Kosten.

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Popkultur

45 Jahre „The Cars“: Wie eine Bostoner Band die Zukunft der Rockmusik erfand

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The Cars HEADER
Foto: Ron Pownall Photography/Getty Images

Das selbstbetitelte The-Cars-Debüt klingt ein bisschen so wie David Bowie und Queen auf einem Roadtrip durch die USA. Auch 45 Jahre nach der Veröffentlichung hat das visionäre The Cars nichts von seinem melodischen Zauber verloren.

von Björn Springorum

Die späten Siebziger sind für die klassische Rockmusik keine einfache Zeit. Links wird sie von räudigem, schnoddrigen Punk überholt, rechts scheren schon die Synthesizer aus, um Wave und Synth-Pop in Position zu bringen. Mittendrin: The Cars aus Boston, die mit ihrem wegweisenden Debüt The Cars den Verlauf der Musik ändern sollen.

Aller Anfang ist schwer

Die Bandgründer Ric Ocasek und Benjamin Orr sind damals alles andere als Greenhorns. Beide über 30, beide schon in diversen Bands in Ohio oder Michigan gewesen. Auf die synthetische Zukunft der Rockmusik haben sie aber erst mal keinen Bock: Sie spielen in der Folk-Band Milkwood, die nach Crosby, Stills And Nash duftet und 1972das Album How’s The Weather hervorbringt. Die Musikwelt interessiert sich damals dafür nicht – und das eigentlich zu Unrecht, wie man hier hören kann:

Mit Folk wird es anscheinend nichts, also versuchen sie es erst mit der Band Richard And The Rabbits und dann mit dem Akustikduo Ocasek And Orr. Man kann also auch sagen, dass sie einfach so lang alle Genres abgrasen, bis mal irgendwas auf offene Ohren stößt. Nächste Station: Cap’n Swing, ebenfalls eine weitgehend vergessene Band, in der aber immerhin auch der spätere The-Cars-Gitarrist Elliot Easton spielt. Irgendwann hat Ocasek genug vom ganzen Misserfolg und den ganzen vergeblichen Anstrengungen. Kostet ja auch Zeit und Kraft. Also holt er sich den Keyboarder Greg Hawkes in die Band und entwickelt ein neues Konzept.

Mit Rockabilly und Punk in die Zukunft

Unter den Namen The Cars gründet sich 1976 eine Band, die aus dem Rockabilly der Fünfziger, dem Minimalismus des Punk und den ungeahnten Möglichkeiten der neuen Synthesizer einen neuen Sound macht. The Cars klingen in ihren frühen Tagen stark nach David Bowie oder Queen, aber eben hinter dem Steuer eines US-amerikanischen Cabrios auf einem Roadtrip durch die Harmonien des Great American Songbook. Hier entsteht Musik, die so klingt wie die Vergangenheit und die Zukunft der Rockmusik.-

Und irgendwie funktioniert alles plötzlich ganz schnell. Am Silvesterabend 1976 spielen sie ihre erste Show auf einer Air Force Base, bei einer ausgedehnten Frühjahrstour 1977 durch New England entwickeln sie im Pink-Floyd-Stil die Songs ihres Debüts. Und die erzeugen schnell einen ordentlichen Buzz um diese neue Band: Ein Demotape wird von Bostoner Radiosendern praktisch im Loop gespielt, schnell ist auch das Interesse großer Plattenfirmen da. Hier war etwas Neues im Busch, da will niemand zu spät auf den Zug aufspringen. Aus Businesssicht sind The Cars damals schon recht clever: Sie entscheiden sich für einen Deal mit Elektra Records (damals auch die Heimat der übermächtigen Eagles), weil das Label im Vergleich zum Mitbewerber Arista Records keine New-Wave-Acts unter Vertrag hat. Man würde, so schlussfolgert die Band, folglich mehr herausstechen.

Aufgenommen wird in London

Und der Plan geht so was von auf: Nach den Aufnahmen in London mit Queen-Hitmaker Roy Thomas Baker erscheint am 6. Juni 1978 The Cars und kann bis auf Rang 18 der erbittert umkämpften US-Charts klettern. Alle Singles charten ebenfalls, aus Radios im ganzen Land dröhnen sehr bald Good Times Roll oder Just What I Needed. Aber warum eigentlich? Warum verkauft sich The Cars über sechs Millionen Mal und bekommt sechsfach Platin? Weil die Rockmusik im Wandel ist. Und The Cars als einer der Zukunftsboten auf den Plan treten.

Das Album erscheint in einer Übergangsphase, in einer Zäsur. Zwar haben AC/DC gerade erst Powerage veröffentlicht, aber zur selben Zeit kommen eben auch Kraftwerk mit ihrem Maschinenmanifest Die Mensch-Maschine und die Rolling Stones mit dem wavigen Some Girls um die Ecke. Es passiert was in der Rockmusik, das klassische Line-Up aus Gitarre, Bass, Drums wird zunehmend weniger nachgefragt. Da passen The Cars mit ihrem eklektischen Sound perfekt.

Jeder Song sitzt

Die Harmonien des Pop, die Melodien des Radio-Rock, die Extravaganz des New Wave und der Simplizismus des Punk erschaffen einen originellen, frischen, eingängigen Sound, der der Band endlich die erhoffte Aufmerksamkeit bringt. Auch nicht unwichtig: Die Songs sind allesamt grandios geschrieben und arrangiert. Und funktionieren bis heute. „Wir scherzten früher, dass wir unser erstes Album eigentlich The Cars Greatest Hits nennen sollen, so meinte Gitarrist Elliot Easton mal.

Das Spannende ist aber auch, wie brückenbauend The Cars damals sind: Die übliche Kluft zwischen Rockern und Poppern wird von ihnen mühelos überbrückt. Für Rocker ist The Cars gerade noch hart und gitarrenlastig genug, für New-Waver sind die Songs in Sachen rockiger Härte gerade noch erträglich.

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