Popkultur
So war’s: Slash live in Offenbach 2019
Ein echter Gitarrenheld bittet zum Tanz. Deshalb ist die Stadthalle in Offenbach an diesem Donnerstagabend im Februar auch pickepackevoll. Quasi kürzlich erst hat Slash mit Guns N’ Roses erst die größten Stadien der Republik bespielt, jetzt stellt er sein neues Soloalbum Living The Dream vor. Die Karriere abseits von Axl & Co. läuft also weiter. Über zwei Stunden stehen Slash, sein Sänger Myles Kennedy und die hochkarätige Band The Conspirators auf der Bühne. Hier sind Könner am Werk, und doch hat die Rock’n’Roll-Show heute neben Höhepunkten auch ein ein paar Längen. Aber fangen wir vorne an…
von Christof Leim
Hier könnt ihr in die Setlist des Abends reinhören:
Klickt auf „Listen“ für die ganze Playlist.
Mit dem Abend in Offenbach starten Slash, Myles und die Conspirators ihre Europatour; vor vier Tagen spielte das Quintett noch in Australien. Zum Vorprogramm stand nicht viel zu lesen, dabei bietet das durchaus Grund zur Freude: Phil Campbell & The Bastard Sons liefern kurz nach acht die erste Runde des Abends. Der ehemalige Motörhead-Klampfer und seine drei Söhne hauen geradlinigen, unterhaltsamen Rock’n’Roll in die Halle. Zur Setlist gehören dabei natürlich auch Nummern aus Campbells glorreicher und phonstarker Vergangenheit mit Lemmy Kilmister, etwa der Mitsingknaller Born To Raise Hell. Die eigenen Songs wie Get On Your Knees, der drückende Shuffle Dark Days und das Doublebass-Geschoss Ringleader schlagen in eine ähnliche Kerbe, klingen wegen des melodischen Gesangs und aufgeräumteren Bassspiels aber nicht so rabiat wie Motörhead. Frontmann Neil Starr, früher bei Attack! Attack!, kann das Publikum leicht zu Mitsingspielchen und kollektiv gereckten Mittelfingern bewegen und erweist sich als Aktivposten im Bühnenbild, das ansonsten eher statisch wirkt. Mit Silver Machine, der letzten Nummer, die Lemmy für seine frühere Band Hawkwind geschrieben hat, erweist Campbell seinem verstorbenen Weggefährten eine besondere Ehre, und gegen Ende kann nur noch ein Gassenhauer kommen: Ace Of Spades. Das hat Spaß gemacht! Schade, dass die Band deutlich leiser als der Headliner dröhnte.
Slash und seine vier Mitstreiter starten nach einem dramatischen Intro mit The Call Of The Wild, der Eröffnungsnummer des aktuellen Albums Living The Dream. Sie hauen ihre Songs ohne viel Federlesens raus, Ansagen gibt erstmal keine, sondern mit Halo, Standing In The Sun und Ghost mehrere Nach-vorne-Rocker hintereinander. Dabei wird umgehend klar, dass hier fünf exzellente, bestens eingespielte Musiker einen souveränen Job abliefern, wie es nicht jede Band kann. Chef im Ring ist eindeutig Slash, der zur tiefhängenden Les Paul natürlich standesgemäß Zylinder und Sonnenbrille trägt. Wer irgendwann heute noch des Meisters wahres Gesicht sehen will, wird enttäuscht werden: Beides bleibt bis zum Ende an Ort und Stelle.
Überhaupt wirken die Musiker alle ziemlich fit und cool, in Leder und Jeans gekleidet, klassisch langhaarig sowieso. Dass Myles Kennedy fast 50 sein soll, glaubt man kein Stück – optisch nicht, und stimmlich schon gar nicht. Und vermutlich könnte er sein Shirt auch ausziehen, ohne eine schlechte Figur zu machen. Nach fünf Songs, darunter das laut mitgesungene Back From Cali, macht der Mann seine erste Ansage – und wirkt aus dem Stand sympathisch. Wie der Kumpel, der zufällig eine der besten und markantesten Rockstimmen dieser Tage besitzt und sich freut, dass man zu seinem kleinen Konzert gekommen ist.
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Sein Boss Slash glänzt im folgenden My Antidote mit einem Hammersolo, in Serves You Right wird es funky, und Sugar Cane steht heute zum ersten Mal überhaupt auf dem Plan. Neben Kennedy und Slash lässt sich noch ein Mann kaum übersehen: Todd „Dammit“ Kerns, der baumlange Bassist in Lederjacke, der mit schwingendem Haar und Dauergrinsen die ganze Bühnenbreite ausnutzt. Jetzt stellt er sich ans Mirko und informiert die Zuschauer freundlicherweise, dass Phil Campbell bei Motörhead gespielt hat – der „verfickt besten Band des Planeten“. Dass hier ein Fan vor uns steht, hört man den nächsten beiden Songs an, für die Kerns das Mikro übernimmt: das live noch punkigere We’re All Gonna Die und Doctor Alibi, das auf dem Album von Lemmy höchstselbst eingesungen wurde. Hier grölt sogar Slash bei den Backingvocals mit. Das macht Spaß und bringt Abwechslung ins Programm.
Nun wird Zeit für eine Ballade: The Great Pretender basiert auf einem melancholischen Gitarrenthema, das an ein aufgewärmtes Parisienne Walkways (Gary Moore) erinnert. Schön, aber kein Höhepunkt. Das gilt auch für Wicked Stone, das außer einem wieselflinkem Hauptmotiv wenig zu bieten hat. Es zieht sich ein bisschen. Und das, obwohl sich das Können der Mannschaft und insbesondere des Anführers schon in Details bemerkbar macht: Die Riffs sind cleverer als anderswo, aber nie verkopft, nicht abgedroschen, aber trotzdem voll Rock’n’Roll. Die Songs als Ganzes allerdings ähneln sich sehr, was dem Set doch gewisse Längen beschert. Hier macht sich leider bemerkbar, dass es wenig Ansagen oder Interaktion mit dem Auditorium gibt. Ohne Frage bieten Slash und seine Gang mindestens gute, oft tolle Rocksongs, und immer mit brillanter Gitarre und ebensolchem Gesang. Doch der Show fehlt vor allem in der Mitte die Dramaturgie, die Abwechslung. Bei Guns N’ Roses mit platinveredelten Welthits, die jeder von uns auswendig kennt, klappt das natürlich einfacher. Im Dutzend hintereinander – dürfen wir es wagen? – ziehen sich die Slash-Myles-Conspirators-Songs tatsächlich manchmal.
Die Actionfiguren auf seiner Wand aus Marshall-Boxen bringt Slash richtig zum Wackeln mit einem langen Gitarrensolo über einen entspannten Grundrhythmus. Ausufernde Gniedel-Einlagen bleiben die Ausnahme an diesem Abend, vielmehr lässt der Mann an den richtigen Stellen der Songs seine Finger fliegen und dehnt höchstens mal ein Outro aus. Nach wenigen Takten wissen wir dann alle wieder, warum der 53-Jährige völlig zu Recht als einer der letzten Gitarrenhelden alter Schule gilt, der neben Geschmack und Ton eine brillante Technik am Start hat und trotzdem immer nach klassischem Rock’n’Roll klingt. Nur eben besser als die anderen.
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So langsam biegt die Show auf die Zielgerade ein: Als Song 14 und 15 (!) des Abends erklingen die beiden Singles von Living The Dream, das herrlich treibende Mind Your Manners und das bodenständigere Driving Rain, danach noch By The Sword. Im Gegensatz zu den Touren der Vergangenheit hat die Band bisher nur Stücke von Slashs Soloplatten gespielt, nichts von Velvet Revolver und auch keine Coversongs. Doch einen Klassiker aus der Guns N’ Roses-Schatzkiste haben die Herren im Anschlag: das immergrüne Nightrain, das natürlich mit entsprechendem Hallo begrüßt wird. Vor diesem Publikum gleicht diese Auswahl einem Elfmeter ohne Torwart. Mit acht Bällen. Weitere Ausflüge in den Katalog der großen Hauptband fehlen allerdings, was angesichts der weltweiten Triumphzüge der wiedervereinigten Gunners durchaus Sinn ergibt. Leider werden auch die beiden Snakepit-Alben von 1995 und 2000 komplett ausgespart. Dafür kommt jetzt das ergreifende Starlight mit schönen Harmonien, gesungen von Todd Kerns und Drummer Brent Fizz. Myles Kennedy setzt sich dazu an den vorderen Bühnenrand und zeigt der Welt mal wieder, wie das mit dem Rock’n’Roll-Singen so geht.
Dem Chef wird es mittlerweile ein bisschen warm, also muss ein Roadie Ventilatoren aufstellen und mehrmals die Position optimieren. Jetzt fliegen die Locken schön, also geht es in die Endrunde: You’re A Lie und World On Fire krachen und werden um eine Jamsession ergänzt. Kennedy führt die Fans durch Singspielchen mit ausufernden Melodien, hilft beim Trommeln und schnallt sich eine Gitarre um, als Slash die Finger nochmal ausgiebig fliegen lässt. Eine Zugabe muss sein: Nach Avalon und Anastasia, nach 22 Songs und locker über zwei Stunden Spielzeit winkt die Band dann zum Abschied. Respekt.Bitte, Danke.
Setlist Slash:
The Call Of The Wild
Halo
Standing In The Sun
Ghost
Back From Cali
My Antidote
Serve You Right
Sugar Cane (Live Premiere)
Shadow Life
We’re All Gonna Die
Doctor Alibi
The Great Pretender
Wicked Stone
Mind Your Manners
Driving Rain
By The Sword
Nightrain (Guns N’ Roses)
Starlight
You’re A Lie
World On Fire
—
Avalon
Anastasia
Titelfoto: Leonard Kötters/natureofmusic.net
Awesome. Fucking crowd in Offenbach tonight!! You guys were amazing! Thanks for a great night! iiii]; )’
— Slash (@Slash) 7. Februar 2019
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Popkultur
Zeitsprung: Am 2.6.1980 erscheint das zweite Accept-Album „I’m A Rebel“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 2.6.1980.
von Matthias Breusch und Christof Leim
I’m A Rebel könnte man das Mauerblümchen-Album von Accept nennen, denn Breaker gilt 1981 als der eigentliche, künstlerisch wertige Karrierestart. Ein paar Schätzchen finden sich trotzdem – zum Beispiel der Titelsong, den AC/DC gespielt, aber selbst nie veröffentlicht haben. Am 2. Juni 1980 erscheint die Platte.
Hier könnt ihr das gesamte Album hören:
Bei Accept gibt es zwei Zeitrechnungen: Vor Gaby Hauke und nach Gaby Hauke. Mit dem Einstieg der Managerin, Texterin (unter dem Pseudonym Deaffy) und späteren Ehefrau von Leadgitarrist Wolf Hoffmann ändert sich bei den Solingern ab 1981 und dem Album Breaker eine ganze Menge. Aber auch 1980 ist kein schlechtes Jahr für die Band, die bereits in ihrer klassischen Fünfer-Besetzung zusammengefunden hat.
Der nächste Versuch
Die Kuriosität, ihr neues Album mit einer AC/DC-Nummer zu eröffnen und gleich das ganze Werk danach zu benennen, bringt den Jungs genügend Aufmerksamkeit, um nach dem Debütalbum Accept von 1979 den nächsten Schritt auf der Showtreppe Richtung Rockhimmel zu setzen. Auch wenn das knuffige Coverdesign von Brain Records, eine bräunliche Fotocollage, eher an den Fahrstuhl zum Kartoffelkeller erinnert.
„Vom ersten Album haben wir vielleicht 3.000 Stück verkauft“, erzählt Wolf Hoffmann Jahrzehnte später in einem abendfüllenden Interview. „Danach hieß es gleich: ‘Okay, jetzt der nächste Versuch. Vielleicht macht sich das zweite oder dritte Album besser.‘ Niemand hat dir damals Druck gemacht, so wie das heutzutage üblich ist, wo du weg vom Fenster bist, wenn nicht gleich das erste Ding einschlägt.“ Um den Wünschen der Plattenfirma nach einem Single-Hit entgegenzukommen, versucht das Quintett, „das zweite Album ein bisschen radiotauglicher zu gestalten.“
Die AC/DC-Verbindung
Dazu nehmen Accept eine Coverversion auf: Ihr Produzent Dirk Steffens hat steht in Kontakt mit einem gewissen George Alexander. Der Mann heißt in Wirklichkeit Alex Young und ist einer der älteren Brüder des AC/DC-Gespanns Malcolm und Angus Young. In Großbritannien konnte er sich einen Namen als Studiomusiker und Songwriter machen, 1980 hat er die 40 längst überschritten. Das Leben in diesem harten Geschäft scheint ihn geformt zu haben, was auch Accept nicht entgeht, als Alex im Spätherbst 1979 im Studio auftaucht, um ein paar Stellschrauben daran zu drehen, wie er die Nummer gerne gespielt hätte. „Wir mochten ihn nicht“, erinnert sich Wolf. „Das war ihm offenbar egal. Ich glaube, wir waren ihm ebenfalls nicht sonderlich sympathisch. Wir waren grüne Jungs und wussten noch nicht, warum er die ganze Zeit von Klauseln im Vertrag sprach.“
Der Song I’m A Rebel hingegen gefällt den deutschen Musikern auf Anhieb. „Ich wünschte, ich hätte das Tape noch. Das wäre heutzutage eine echte Rarität. Eine AC/DC-Aufnahme mit der Stimme von Bon Scott drauf! Es war großartig. Weit besser als unsere Version.“ Den Leadgesang des Originals, das 1976 bei einer Session in einem Studio bei Hannover entsteht, übernimmt übrigens Alex Young persönlich. Bon Scott soll zu betrunken gewesen sein, um mehr als nur den Refrain mitgrölen zu können. Für Angus und Malcolm ist das Lied des großen Bruders danach nie wieder ein Thema, und nach Bon Scotts Tod ohnehin nicht.
Noch auf der Suche
Die übrigen sieben Kompositionen von I’m A Rebel können sich hören lassen, geben aber nur teilweise zu erkennen, wohin die Reise von Accept noch gehen wird. Neben Markenzeichen wie den messerscharfen Gitarrenriffs und knackigen Rockern wie Save Us oder China Lady fallen vor allem zwei Nummern auf, die ebenfalls in Richtung „Radiotauglichkeit“ gestaltet wurden: Da sich die Gurgel von Sänger Udo Dirkschneider nicht für flauschige Kuschelsongs eignet, übernimmt Bassist Peter Baltes die Vocals von No Time To Lose und die Übeltäter-Ballade The King.
Vor den Tarnzügen: Ja, so sahen Accept 1980 auf der Rückseite der Platte aus.
Damit sind zwei der wenigen Momente auf Vinyl festgehalten, bei denen man Accept in denselben Topf werfen konnte, in dem sich auch die weltberühmten Scorpions-Engtanznummern wiederfinden. Und das passiert auch, in praktisch jedem Interview.
„Ja, das hat uns echt angekotzt“, gibt Wolf freimütig zu. „Uns gefiel das nicht. Den Scorpions gefiel es auch nicht. Wir sind daher ganz bewusst nie mit ihnen auf Tour gegangen und haben jeden direkten Vergleich gemieden. Außer der Tatsache, dass wir aus demselben Land kamen, hatten wir wenig gemeinsam. Irgendwann konnten wir es nicht mehr hören. ‘Die andere deutsche Band‘ war ein richtig dämliches Klischee.“ Trotzdem werden Accept das Thema nach 1980 für mindestens zehn Jahre nicht mehr los. Aber einen Rettungsanker werfen sie für immer über Bord: I’m A Rebel bleibt die einzige Coverversion ihrer Karriere.
Zeitsprung: Am 2.10.1982 geben sich Accept „Restless And Wild“.
Popkultur
Review: Auf „But Here We Are“ von den Foo Fighters tanzt der Tod immer mit
Der Tod ist fest mit dem Wesen der Foo Fighters verbunden. Deswegen kommt auch das große Trauerwerk But Here We Are nicht ohne eine ordentliche Dosis Memento Mori aus. Am Ende siegt auf dieser großen amerikanischen Rock-Platte aber das Leben. Wie immer bei Dave Grohl.
von Björn Springorum
Ohne den Suizid von Kurt Cobain gäbe es die Foo Fighters gar nicht. Hätte Dave Grohl kein Ventil für seine Trauer gebraucht, für die Implosion von Nirvana, seines Lebens und seiner bisherigen Karriere. Von der puren Rock’n’Roll-Katharsis des Debüts Foo Fighters, geschrieben und eingespielt von Grohl allein, bis zum zehnten Album Medicine At Midnight, von 1995 bis 2021, schien es nichts zu geben, was diese Band aufhält.
Die letzte große Rockband der USA
Die Foo Fighters waren eher eine Bruderschaft als eine Rock-Truppe, ein verschworener Haufen enger Freunde, die das Schicksal zusammengeführt hat und die entgegen aller persönlichen Erwartungen aus nichts Gold gemacht haben. Superstars, immer auf dem Teppich geblieben, immer gut gelaunt, immer gewillt, eine Kavalkade von drei Stunden ungefilterter Rock-Power hinzulegen. Spätestens seit dem Ende von Tom Petty und den Heartbreakers waren sie die letzte große Rock-Band der Vereinigten Staaten, der Dinosaurier aus Stadionzeiten, der länger dabei war als das Internet.
Dann kam der 25. März 2022. Und Dave Grohls Welt wurde einmal mehr schwarz. 28 Jahre nach dem Selbstmord von Kurt Cobain stirbt Taylor Hawkins an einer Medikamentenüberdosis (https://www.udiscover-music.de/popkultur/die-unvergesslichsten-momente-von-taylor-hawkins). Wieder verliert Dave Grohl einen seiner besten Freunde. Und wieder lässt er sich von der Musik retten. Dass But Here We Are gerade mal ein gutes Jahr nach Hawkins’ Tod (und dem Tod von Grohls Mutter Virginia) erscheint, ist kein Zufall. Dass es dieselbe viszerale, intime, fiebrige Energie hat wie das 1995er Debüt, auch nicht.
Grohl spielt die Drums als Tribut ein
Geschichte wiederholt sich. Bei den Foo Fighters sieht man das auf besonders gruselige Weise. Damals ein junger Dave Grohl, fast noch grün hinter den Ohren und immer noch überrumpelt vom unfassbaren, vom destruktiven Erfolg Nirvanas, heute ein gestandener Rockstar, erfahren, versiert. Im Grunde aber eben immer noch derselbe Typ, der um einen engen Freund trauert. Wie 1995, spielt Grohl wieder die Drums ein, ein Akt des Abschieds, der Heilung, ein Tribut an Hawkins, einen ganz großen hinter dem Kit.
Produziert von Greg Kurstin und der Band selbst, ist But Here We Are ein Album, das die Dualität von Leben und Tod schmerzhaft genau auf den Punkt bringt. Der Tod tanzt mit, immer und überall. Es ist für die Foos eben nur kein Grund, ihn über das Leben triumphieren zu lassen. Deswegen klingt ihre erste so schroff, hart und verzerrt wie zuletzt ihre Werke in den Neunzigern; doch zugleich liegt in den Arrangements, in den Melodien und auch in Grohls Gesang ein Silberstreif, ein ahnungsvolles Raunen, das sagen wird: Vielleicht ist morgen auch noch ein Tag. Nutzen wir ihn. Wut gibt es eine Menge auf dem Album, Frustration und Bockigkeit auch. Aber eben auch Akzeptanz, Ruhe und Stärke. But Here We Are ist wie eine Tour de force durch die verschiedenen Trauerphasen – mit ihrer besten Ensembleleistung seit Wasting Light.
Klares Highlight ist The Teacher
Die Vorabsingles Rescued, Another You und Show Me How (gesungen mit Grohls Tochter Violet) machten vorab klar, dass die Foo Fighters weiterhin der großen amerikanischen Stadion-Rock-Tradition folgen; insbesondere Stücke wie The Teacher, ein zehnminütiges, formwandelndes, chimärisches, mal düsteres, mal psychedelisches und mal hoffnungsvolles Stück Rock-Musikgeschichte, stehen aber für Momente, die es vor 2022 so wahrscheinlich nicht gegeben hätte. Der Titelsong zum Beispiel berstet vor Intensität und bringt Grohl gesanglich an seine Grenzen, während Hearing Voices von monochromen The-Cure-Gitarren und feiner Melancholie durchzogen ist.
Das Album, das sie nie machen wollten
Das Trauma, die Wunden, die Desorientierung und die pure Fassungslosigkeit sind Dauergast auf But Here We Are. Grohl und die Foo Fighters verwandeln sie aber als Waffen, als Mittel zum Zweck, um sich selbst aus dem Tal der Tränen zu ziehen. Sie kommen nah dran an eine neue Bestmarke – ausgerechnet mit einem Album, das sie nie machen wollten. Das ist schmerzlich, aber eben irgendwie auch heilsam. Und am Ende typisch Foo Fighters. Das sagt auch schon der Albumtitel. But Here We Are, und doch sind wir hier. Es ergibt keinen Sinn, wer lebt und wer nicht, wer überlebt. Doch alle die, die noch hier sind, müssen weitermachen. Und wenn auch nur für die, die nicht mehr hier sind. Dazu passt Rest, ein dräuendes Akustikstück wie zu besten Nirvana-Zeiten, mit einem Dave Grohl von seiner verletzlichsten Seite. Spätestens da bleibt kein Auge trocken. Und wenn doch, dann sollte sich diese Person ernsthafte Gedanken machen.
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Die Alben der Foo Fighters im Ranking: Alle 10 Platten der Alternative-Rocker
Popkultur
Gefeiert von der LGBTQ-Community: Diese 15 Musik-Ikonen haben ihren Fans geholfen, ihre Stimme zu finden
Mal waren es unmissverständliche Messages in den Songtexten, mal war es schlicht die Energie, der Vibe oder die Lebensfreude, die ihren Popentwurf so unwiderstehlich machten: Diese 15 Künstler*innen werden seit vielen Jahren von der LGBTQ-Community als Ikonen gefeiert, weil sie ihrer Zeit meilenweit voraus waren – und sie die Welt mit ihrer Musik nachhaltig verändern konnten.
In allen Lebensbereichen gibt es Pionier*innen, Wegbereiter*innen und Vorreiter*innen – sie sind so vielfältig, bunt und divers wie die Communitys, die sie feiern. Extrem facettenreich und farbenfroh ist dabei gerade die Palette jener Künstler*innen, die bereits seit Jahren von der LGBTQ-Community zelebriert werden: Da findet man nicht nur Popgenies, deren Sound wie pure Lebensfreude klingt, sondern auch Künstler*innen, deren rastlose Energie dermaßen ansteckend ist, dass dieser Funke früher oder später zwangsläufig überspringen und zum Wandel beitragen musste. Feiern muss man sie alle – und zwar nicht nur im Pride Month.
Ein kleiner Einblick in eine große, bunte Welt
Obwohl wir versucht haben, möglichst viele dieser Ikonen zu feiern, stößt natürlich auch die folgende Liste an ihre Grenzen und kann immer nur ein subjektiver Blick auf die breite, bunte, bewundernswerte Welt der LGBTQ-Artists sein. Andererseits sind natürlich auch hier ein paar offensichtliche Namen dabei, bei denen es keine Diskussionen geben kann – so groß und tiefgreifend ist ihr Beitrag als klangliche Speerspitze der LGBTQ-Bewegung. Als Madonna ihre Reichweite als größte Pop-Ikone des Planeten nutzte, um auch jene sonst im Schatten versteckten Aspekte der Sexualität zu erkunden, war das ähnlich mutig wie der Entschluss jenes jungen Rockmusikers, der Anfang der Siebziger erstmals als offen „schwuler Rockmusiker“ ins Rampenlicht trat, wo doch die Schwulenbewegung in jenen Tagen gerade erst langsam losging. Auch wenn die Gründe, diesen Schritt zu bereuen, in Jobriaths Fall noch offensichtlicher wirken, darf man auch nicht vergessen, wie hart Madonna für ihre Provokationen angegangen wurde und wie viel sie später dafür einstecken musste.
Der Mut, zu den eigenen Überzeugungen zu stehen, ist das entscheidende Merkmal dieser Pionier*innen – und alle Musiker*innen auf der folgenden Liste haben genau das auf die eine oder andere Art getan. Wir leben in einer Zeit, in der viele dieser Schlachten inzwischen gewonnen sind, doch der Kampf um mehr Akzeptanz wird in vielen Teilen der Welt nach wie vor geführt. Wenn es eine dazugehörigen Lektion gibt, die sich wie ein unsichtbarer Faden durch diese Liste zieht, dann ist es wohl die Einsicht, dass Veränderung durchaus möglich ist – wenn man seine Message so verpackt, dass eine Verbindung zu den Menschen entsteht: Große Songs, großartiger Style, grandiose Musik, ja selbst ein bloßer großer Spaß können manchmal kraftvoller sein als ein politischer Slogan. Hier sind 15 Pionier*innen, die LGBTQ-Fans dabei geholfen haben, ihre Stimme zu finden.
1. Freddie Mercury
Der vielleicht größte Showman der Rockgeschichte konnte ein Publikum in seinen Bann ziehen wie niemand sonst – weshalb der legendäre Queen-Auftritt bei Live Aid im Jahr 1985 längst zu den ikonischsten Momenten des Rock zählt. Und natürlich war auch seine sexuelle Orientierung ein entscheidender Faktor für die Musik und das ganze Image von Queen – wobei diese Band wirklich jede Art von Grenze transzendierte, niemanden dabei entfremdete und mit jedem erdenklichen Genre flirtete, angefangen bei den Disco-Anflügen von Another One Bites The Dust bis hin zum opernhaften Pomp von Innuendo.
2. Lady Gaga
Lady Gaga, die ihre Fans liebevoll als „Little Monsters“ bezeichnet, womit sie sich auf einen thematischen Faden ihres zweiten Albums bezieht, ist es über die Jahre gelungen, eine fast schon spirituelle Beziehung zu ihren Anhänger*innen aufzubauen. Viele der Probleme, mit denen sie selbst konfrontiert wurde, hat sie absolut offen in der Musik und auf der Bühne adressiert – und ihre Glaubwürdigkeit als Dancepop-Queen dazu genutzt, um gerade ihre zunehmend theatralischen Performances so zu gestalten, dass dabei starke Botschaften im Mittelpunkt stehen. Wer schon mal eine dieser Shows erlebt hat, weiß, dass bei Lady Gaga alles im Zeichen von Liebe und Akzeptanz steht.
3. Elton John
In den Siebzigern schien zwar jeder Mensch eine Platte von Elton John zu besitzen, aber er selbst war damals einfach zu beschäftigt mit seiner Arbeit, um diese Position anderweitig zu nutzen: zum Beispiel als Plattform, um die Situation schwuler Männer zu thematisieren. Schlagartig ändern sollte sich das erst, als Elton John seinen enormen Einfluss nutzte, um Millionen für seine eigene AIDS-Wohltätigkeitsorganisation zu sammeln. Während die Charity-Organisation nach wie vor wichtige Arbeit leistet, war Elton bei einer anderen Sache ganz früh mit dabei: 2005 nutzte er gleich den ersten Tag, an dem eingetragene Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare in Großbritannien möglich wurden, um seinem langjährigen Partner David Furnish vor großem Publikum ein kurzes und dabei wahnsinnig wichtiges Wort zu sagen.
4. ABBA
Die Eurovision-Abräumer aus Schweden avancierten in den Siebzigern und frühen Achtzigern endgültig zur größten Popband der Geschichte: Ihre ikonischen Hymnen begleiten uns seither in jeder Lebenslage und in jeder Ecke der Welt – mal im Film (Mamma Mia!), mal auf der Bühne (dito), vor allem aber auf jeder Hochzeit und jedem anderen großen Fest. Als dann vor ein paar Jahren bekannt wurde, dass es sogar brandneue Songs von ABBA geben würde, stand die Welt endgültig Kopf, denn mit dieser Voyage nach so langer Pause hatte wirklich niemand gerechnet …
5. David Bowie
Der erste große Verwandlungskünstler der Popgeschichte kokettierte in Zeiten des flächendeckenden Konservatismus mit provokanten Bildern und Worten, mit Sounds und Styles: Seine homoerotisch aufgeladene Performance von Starman bei Top Of The Pops im Jahr 1972 (zusammen mit Mick Ronson) sorgte bei den Jüngeren für einen grandios beschleunigten Puls, während die Elterngeneration eher Probleme damit hatte, den Blutdruck unter Kontrolle zu bekommen. Vor allem aber wurde Bowie damit zum ultimativen Superstar im Vereinigten Königreich – um wenig später dann ja auch den Rest der Welt zu erobern.
6. Madonna
Obwohl sie immer wieder dafür kritisiert wurde, sich zu sehr beim zeitgenössischen Popgeschehen zu bedienen, um diese gefundenen Früchte dann ganz provokativ auf ihre Art neu zu servieren, kann wohl niemand abstreiten, welch einzigartige Macht Madonna seit Jahrzehnten über den kulturellen Zeitgeist hat. Auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise nutzte sie diese größtmögliche Bühne, um die damals umstrittenen Botschaften von Akzeptanz und Empowerment im Rahmen von umwerfenden Stadionshows und mit etlichen nicht weniger umwerfenden Pop-Hymnen zu verbreiten.
7. Judy Garland
Die gequälte Seele dieser Ikone sagt alles über die Paranoia und überhaupt über jene Zeit, als Homosexualität zum Teil noch illegal war – von gesellschaftlicher Akzeptanz ganz zu schweigen. Ihr Doppelalbum Judy At Carnegie Hall aus dem Jahr 1961, das später auch noch einmal komplett von Rufus Wainwright live aufgeführt wurde, bescherte ihr einen Grammy und markierte den absoluten Höhepunkt einer Ausnahmekarriere, die 1969 viel zu früh mit ihrem Tod enden sollte. Ein Ereignis, von dem man sagt, es habe auch dazu beigetragen, die Stonewall-Unruhen in New York City auszulösen. Dass die Ausschreitungen in der Christopher Street nur der Anfang einer sehr viel größeren Bewegung waren, muss man heute zum Glück niemandem mehr erklären.
8. Dusty Springfield
Sie war eine von Selbstzweifeln und Ängsten geplagte Perfektionistin – und die größte Angst von Dusty Springfield bestand darin, dass ihre wahre sexuelle Orientierung ans Licht kommen könnte: Obwohl ihre Sixties-Hits wie You Don’t Have To Say You Love Me gar nicht von ihr selbst geschrieben wurden, schaffte sie es im Studio immer wieder, dass man ihr jedes Wort glaubt. Eine längere Phase der Zurückgezogenheit beendete sie dann im Jahr 1987, als sie gemeinsam mit den Pet Shop Boys den Song What Have I Done To Deserve This? präsentierte, auf den sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1999 noch zwei weitere Studioalben folgen ließ.
9. Kylie Minogue
Auch wenn es in der Anfangszeit nur wenige gab, die eine lange Karriere der Australierin für möglich hielten, hat Kylie seither der ganzen Welt gezeigt, wie globaler Erfolg über Jahrzehnte aussieht – und wie man zum größten Star aus Down Under wird. Dabei waren schon die frühesten Hits, produziert von der Hitschmiede Stock Aitken Waterman, besonders angesagt in der LGBTQ-Community. Für das relativ junge Golden-Album, das in Großbritannien direkt auf die Nummer 1 und in Deutschland in die Top-3 ging, verknüpfte sie ihren typischen Mix aus Pop und Dance sogar mit Sounds aus der Country-Metropole Nashville.
10. Cher
Vielleicht waren es die grandiosen Outfits von Bob Mackie, vielleicht auch nicht, aber gerade schwule Männer entwickelten schon sehr früh ein gewisses Faible für die unsterbliche Cher, die selbst eine schwierige Ehe (und zugleich eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung) mit Sonny hinter sich lassen konnte, um danach eine der größten Solokarrieren zu launchen. Nachdem sie sich jahrelang auf Filmrollen und Soft Rock konzentriert hatte, lieferte sie ihrer treuen Fanbase im Jahr 1998 die ultimative Schwulenhymne, als Believe zum größten Hit ihrer Karriere avancierte.
11. Morrissey
Niemand sonst kann so sexy und geschlechtslos zugleich flirten: Die neckische Art von Morrissey jedenfalls verführt und verärgert das Publikum schon seit Jahrzehnten, denn der Ex-Frontmann von The Smiths wusste von Anfang an, wie man eine Indie-Crowd anmacht, die mit den Disco- und Popsounds der Achtziger nichts am Hut haben wollte. Berühmt ist inzwischen auch die zeitgleich zur Veröffentlichung seiner Autobiografie gemachte Erklärung, er sei „humasexuell“ (und nicht homosexuell), obwohl zugleich bekannt wurde, dass seine erste richtige Beziehung die Partnerschaft mit dem Fotografen Jake Owen Walters war. Es bleibt also weiterhin spannend.
12. Pet Shop Boys
Seit dem Jahr 1985 hat das legendäre britische Synthie-Duo sehr viel übers Schwulsein im Hier und Jetzt gesagt – ohne jemals viele Worte darüber zu verlieren. Visuell und musikalisch unverwechselbar, sind Neil Tennant und Chris Lowe auch für ihre grandiosen Bühnenshows und ihre Soundtracks immer wieder gefeiert worden. Vor allem aber steht ihr Name einfach mal für ein paar der größten Popsongs der letzten vierzig Jahre.
13. Jobriath
Komplett misslungenes Marketing war daran schuld, dass Jobriaths gleichnamiges Debütalbum aus dem Jahr 1973 ziemlich nach hinten losging, woraufhin der erste offen schwule Rocksänger der Geschichte den Blick auf die Glam-Szene richtete, was im Mainstream aber auch niemanden hellhörig werden ließ. Auch wenn er inzwischen als wichtiger Wegbereiter gefeiert wird, floppte damals auch das zweite Album, weshalb Jobriath 1975 seinen Rückzug bekanntgab. Anfang der Neunziger versuchte schließlich Morrissey, selbst langjähriger Fan des US-Amerikaners, ihn für eine Tour als Support-Act zu gewinnen – nur um zu erfahren, dass die frühe Ikone der LGBTQ-Bewegung schon knapp ein Jahrzehnt zuvor an den Folgen einer AIDS-Erkrankung verstorben war.
14. Sylvester
Dieser extravagante Star der Disco-Ära musste auf seinem Weg viel Mut beweisen, denn die Welt war damals längst nicht so inklusiv wie heute. Sein größter Hit You Make Me Feel (Mighty Real) wird für immer und ewig auf den Playlisten vertreten sein, denn er bringt wie kein anderer Song den Spirit der Disco-Szene von San Francisco in jenen sorglosen Tagen auf den Punkt, als die AIDS-Welle noch nicht zum Problem geworden war. Diese Welle nämlich sollte 1988 auch das Leben des Sängers mit der ikonischen Falsettstimme auslöschen.
15. kd lang
Die kanadische Country-Singer-Songwriter*in kd lang hat es geschafft, eine gute Balance zwischen Musikkarriere und Aktivismus zu finden. Richtig los ging’s mit ihrer Karriere, nachdem sie mit Roy Orbison an einer Grammy-gekrönten Coverversion von Crying gearbeitet hatte. Ihr größter Hit Constant Craving, veröffentlicht auf dem Album Ingénue von 1992, ging dann etwa zeitgleich mit der Nachricht von ihrem Coming-out um die Welt. Seither eine der größten LGBTQ-Musiker*innen aus Kanada, stand kd lang auch für diverse Film- und TV-Rollen vor der Kamera.
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