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Popkultur

„When You See Yourself“: Kings Of Leon und ihre Studie in entrückter Einsamkeit

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Kings Of Leon

When You See Yourself dringt tief in die Seele der Kings Of Leon vor und berauscht mit einer lakonischen, melancholischen, nostalgischen Fahrt durch die lange amerikanische Nacht. So ein Album braucht kein Sex On Fire, um zu bestehen.

von Björn Springorum

Hier könnte ihr When You See Yourself hören:

Die Kings Of Leon mussten erst acht Platten aufnehmen, um sich wie eine richtige Band zu fühlen, eine Einheit. Das berichten sie im ersten Teil der sehr sehenswerten Mini-Dokus rund um die Entstehung ihres neuen Albums When You See Yourself. Die große Frage bei solchen Aussagen weltweit erfolgreicher, etablierter und anerkannter Bands ist ja immer: Hört der*die Endverbraucher*in das überhaupt?

Man darf vorsichtig sagen: Ja. Wie schon beim hochgelobte Vorgänger WALLS (2016) arbeitete die Followill-Sippe erneut mit Markus Dravs zusammen. Der bediente bereits die Regler für Florence + The Machine, Arcade Fire und Björk, und folgte dem Ruf der Kings in ihre Heimatstadt Nashville. Im ruhmreichen Blackbird Studio entstanden elf Songs, die stilles Melodrama, wohldosierte Eruption und abstrakt neu gedachte Trademarks aus über 20 Jahren Bandgeschichte vereinen. Wie eine Klammer für ein stilles, bedachtes Album wirken der Opener When You See Yourself, Are You Far Away und das abschließende Fairytale.

Ein ruhiges, in sich versunkenes Album

Das eröffnende Stück ist eine Nokturn, ein Lied, das mit verlorenen Vintage-Synthies, unruhigem Takt, flirrenden Gitarren und bebendem, einnehmendem Gesang von Caleb Followill den Atem anhält. Das abschließende ein introspektiver, tief in sich gekehrter, elegischer letzter Vorhang. Verwaschene Gitarren schrammeln im Hintergrund, der Bass operiert weit vorn, der Gesang wirkt wie ein Abschiedsbrief. Und wenn nostalgische Streicher wie aus unerreichbar weiter Ferne ins Stück hineinwehen, tragen sie ein ruhiges, in sich versunkenes Album zu Grabe.

Ein Album, das man im lauten Hintergrundrauschen der Welt leicht überhören kann. When You See Yourself ist ein ruhiges, aber kein stilles Album, eine Platte, auf der sehr viel auf Nebenschauplätzen passiert. Die Band klingt erstmals so, als würde sie für sich spielen. Zuhörer*innen sind willkommen, aber keine Grundvoraussetzung. Es gibt sie natürlich auch auf Album acht, die lauten, die griffigen Momente, in denen die Kings Of Leon ihre unverkennbare Grazie zeigen. The Bandit zählt da dazu, ein klarer Single-Track und in dieser Eigenschaft fast schon Solitär auf dem Album. Der Bass wummert, die Gitarren bringen sich in Position, flackern auf wie vorbeiziehende Laternen in der Nacht. Das ist Rockmusik, ja, aber sie ist entrückt, lakonisch, bei aller Dramatik sehr ruhig, fast schon gelassen.

Die Weite eines versehrten Landes im Rücken

Das gilt auch für das Werk an sich. Die einnehmende Produktion sorgt für Fluss und Offenheit, der verlorene Reiz von Achtziger-Synthies und uralten Orgeln zieht sich wie ein Neonfaden durch die Stücke, wie hell aufleuchtende Spielautomaten in der Bar, in der die Kings Of Leon in abgetragenen Anzügen mit gesenktem Blick ihre Lieder spielen. In 100.000 People, ein berührendes Stück über eine Liebe im Altersheim, kommen Country-Gitarren und narrativer Gesang dazu, nicht zum einzigen Mal erinnert die Band an Springsteen. Vielleicht ist dieses Album ihr amerikanischstes, entstanden in ihrer Heimatstadt Nashville, die Weite eines versehrten Landes im Rücken.

Dass man Stücke wie Sex On Fire nicht mehr braucht, um zu den Menschen vorzudringen, unterstreicht auch A Wave, ein fast schon kaleidoskopisches Stück wie aus einem Soundtrack. In Zeitlupe bäumt sich eine Welle am Westküstenstrand auf, getaucht in goldenes, sirupartiges Licht. Zwei Minuten Gitarren-Feedback, flächige Synthies und Gesang, bevor ein erster Beat aufgenommen wird. Alterswerk, könnte man mit spitzer Zunge sagen. Vielleicht ist es aber auch einfach beseelt und meditativ, eine Insel der Ruhe im Auge des Sturms da draußen.

Introspektive Musik für introspektive Zeiten

Voller Sehnsucht sind die Songs, fast schon sparsam instrumentiert und deswegen umso konzentrierter. Unnachahmlich zeichnen die Gitarren Muster in die Luft, der Bass übernimmt häufig die Rolle des führenden Instruments, pumpt metallenes Blut durch die Venen eines Klangkörpers, der ansonsten zufrieden mit sich selbst, seiner lakonischen Aura und jener einzigartigen Stimme von Caleb Followill ist. Ein Lockdown-Album ist When You See Yourself deswegen nicht geworden. Die Isolation, die sich durch die Stücke zieht, ist vielmehr werkimmanent. Die Kings Of Leon waren immer schon gut darin, die Sehnsüchte der Menschheit zum Ausdruck zu bringen. Diesmal ist es ihnen so gut gelungen wie lange nicht – mit einem introspektiven, selbstvergessenen Stück Musik, wie gemacht für diese introspektiven Zeiten.

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