------------

Popkultur

Zeitsprung: Am 18.11.1993 nehmen Nirvana ihr legendäres „MTV Unplugged“ auf.

Published on

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 18.11.1993.

von Christof Leim und Tom Küppers

Was passiert wohl, wenn man ein beliebtes TV-Format namens MTV Unplugged und eine der aktuell erfolgreichsten Rockbands des Planeten zusammenbringt? Natürlich das ganz große Ding. Der Einfall, eigenes Material wieder zu entstauben und im Akustikgewand neu zu präsentieren, hat sich als absoluter Volltreffer in Sachen Einschaltquoten sowie Verkaufszahlen entwickelt. Von Eric Claptons Unplugged gehen beispielsweise sagenhafte 26 Millionen Exemplare über die globalen Ladentheken. Und wenn nun ausgerechnet Nirvana Hits wie Smells Like Teen Spirit neu interpretieren, dann kann das nur durch die Decke gehen. Eine sichere Nummer? Denkste. Denn den Musikern schwebt etwas ganz anderes vor.


Nirvana unplugged. Pure Musik-Magie. Hier reinhören.

Klickt auf “Listen” für das ganze Album.

„Wir hatten andere Unplugged-Shows gesehen und fanden viele davon nicht gut“, erzählt Schlagzeuger Dave Grohl später. „Die meisten Bands gehen die Sache nämlich an wie eine normale Rock-Show.“ Die Vision der drei Musiker fällt hingegen eher sperrig und nicht ganz so glattgebügelt aus, mehr in der Art von The Winding Sheet, dem ersten Solowerk von Mark Lanegan (Screaming Trees). Nirvana-Bassist Krist Novoselic und Sänger Kurt Cobain sind bei diesem 1990 erschienenen Album als Gäste mit von der Partie und erleben aus erster Hand, wie man Songs auf das Wesentliche herunterbrechen und dennoch faszinierend darbieten kann.

Haben keine Lust, ein übliches Unplugged-Album abzuliefern: Nirvana

Für ihre eigene Performance setzen Nirvana deshalb auf das Unerwartete: Der größte Hit Smells Like Teen Spirit wird komplett ignoriert, dafür schafft es mit The Man Who Sold The World ein David Bowie-Cover auf die Setlist. Die zwei Tage dauernden Kameraproben in den New Yorker Sony Music Studios laufen auch alles andere als rund. Bei diversen Songs findet die Band noch nicht den rechten Dreh, was den ohnehin nervösen Kurt noch unsicherer macht. Als kleine mentale Stütze besteht er darauf, dass sein Gitarrenton – stromlos hin oder her – trotzdem durch den gewohnten Verstärker und ein paar Effekte geschickt wird, was ihm deutlich mehr Vertrauen in die ganze Sache spendet. Den Verstärker lassen die TV-Leute übrigens hinter einer Kiste verschwinden.

Anstelle von (wie von MTV erhofft) spektakulären Gastauftritten von anderen Helden der Grunge-Szene laden Nirvana die relativ unbekannten Meat Puppets ein. Am Tag vor der Aufzeichnung kommt es zu einem kleinen Eklat, als sich Cobain schlicht weigert aufzutreten. Am Nachmittag des 18. November 1993 steht er dennoch im Studio und wirkt derart fahrig und angespannt, dass sich die Anwesenden ernsthaft sorgen, ob das gleich alles gut gehen wird.

Verstärkt durch Gitarrist Pat Smear (heute gemeinsam mit Grohl bei den Foo Fighters) und Cellistin Lori Goldston betreten Nirvana die Bühne, welche auf ausdrücklichen Wunsch Cobains hin mit Blumen, Leuchtern und schwarzen Kerzen im Beerdigungsstil dekoriert wurde.

Bereits der Opener About A Girl vom Debüt Bleach zerstreut sämtliche Bedenken. Der erste Gänsehautmoment folgt direkt im Anschluss: Das vom Millionenseller Nevermind bekannte Come As You Are steht in der abgespeckten Version der fantastischen Urversion in nichts nach.



Ganz im Geiste des Punkrock nehmen Nirvana die ganze Show an einem Stück auf. Es gibt keine zweiten Versuche, und es wird auch im Nachhinein nichts um- oder neu geschnitten. Das auf Titeln wie der hervorragenden The Vaselines-Coverversion Jesus Doesn’t Want Me For A Sunbeam nicht jeder Ton einhundertprozentig da sitzt, wo er hingehört, verstärkt die einzigartige Atmosphäre dieses Mitschnitts nur. Zwischendurch dürfen tatsächlich die Meat Puppets für drei Lieder auf die Bühne, doch das Beste kommt natürlich zum Schluss.

Als letzten Song covern Nirvana das Traditional Where Did You Sleep Last Night in der Fassung des legendären Bluesers Leadbelly. Womit sich ein Kreis schließt, denn auch auf dem damaligen Alleingang von Mark Lanegan spielen Cobain und Novoselic bei seiner Interpretation dieses Klassikers mit. Das Magazin Atlantic kürt Nirvanas Aufnahme als einen der größten Livemitschnitte überhaupt. Selbst Cobain sieht das ähnlich und verweigert sich weiteren Zugaben. Diese Performance sei einfach nicht zu toppen, findet er. Mehr muss man eigentlich nicht wissen, denn Musik sagt mehr als eintausend Worte.


Am 5. April 1994, ein halbes Jahr nach diesem Konzert, nimmt sich Kurt Cobain das Leben. Die Rock-Welt ist geschockt. MTV packt die Aufzeichnung wieder in ihr Programm, und die Plattenfirma plant ein ein umfassendes Live-Kompendium, das auch den Unplugged-Auftritt beinhalten soll. Doch die Suche in den Archiven entpuppt sich für die hinterbliebenen Bandmitglieder als zu schmerzhaft, weswegen sie sich dazu entschließen, die Akustikaufzeichnung als eigenständiges Album zu veröffentlichen. MTV Unplugged In New York erscheint am 1. November 1994, fast ein Jahr nach seiner Entstehung.



Und dann wäre da noch die Geschichte mit Cobains Gitarre: Das Instrument, das er an diesem Abend verwendet – eine Martin D-18E mit dem Baujahr 1959 – kommt im Mai 2018 zu trauriger Berühmtheit. Eigentlich gehört diese Gitarre Cobains Tochter Frances Bean. Doch im Zuge ihrer Scheidung von ihrem Gatten Isaiah Silva behauptet der, seine Frau hätte ihm die Gitarre geschenkt. Und tatsächlich urteilt das Gericht in seinem Sinne. Im Gegenzug wird allerdings sein Antrag auf 25.000 Dollar monatlichen Unterhalt und Übernahme seiner Prozesskosten abgeschmettert.

 

Zeitsprung: Am 5.4.1994 stirbt Nirvana-Sänger Kurt Cobain

 

Don't Miss